23 September 2007

Vom täglichen Ablecken

In der angeblich ältesten Weinstube Neustadts platziert uns der jederzeit amüsierbereite Wirt aus Platzmangel kurzerhand an einem Tisch, der bereits von zwei Rentnerehepaaren belegt ist.

Wir werden augenblicklich mit großem Hallo in die zechende Gemeinschaft aufgenommen. Als man vernimmt, wir kämen aus Hamburg, wird sofort der Standardspruch aus dem Klischeehandbuch abgerufen: „Ja, dort sind die Nächte lang!“

Sie haben durchaus recht, die Pfälzer Rentner, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen muss; denn jedes Klischee klammert sich ja verzweifelt an die bockige Wahrheit, ohne je abgeschüttelt zu werden.

Mit 71 wäre ich übrigens gern noch so kregel wie die wasserstoffblonde vollübertünchte nette Bonner Schabracke von gegenüber, die ihre Zigarette und schrilllackierten Fingernägel gen Decke reckt und mir in verpfälztem Rheinländisch von den gemeinsamen 49 Neustädter Jahren mit ihrem „ehemaligen Verlobten“ erzählt.

Der, 75, bestätigt die innige Verbindung gerne: „Desweche brauche wir aach kaa Wasser“, erzählt er mit jener explosionsartigen Routine, die auf ein häufiges Zumbestengeben dieses Bonmots verweist, „wir legge uns jede Daach ab!“

Das Doppelpaar versucht uns Pfalznovizen mit vereinten Kräften von den Vorzügen der hiesigen Lebensart zu überzeugen, liefert aber durch seine hedonistische Grundhaltung unbewusst schon genügend Argumente. Ich bestelle Saumagen, um endlich dahinter zu kommen, warum dieses Gericht es ermöglicht, in Deutschland Kanzler zu werden, und ich muss sagen: Es liegt an der Würze.

Sie macht munter, und in Verbindung mit einem trockenen Pfälzer Riesling liefert der Saumagen zuverlässig jene hellwache Pseudobräsigkeit, die dich jede Intrige siegreich überstehen lässt.

Insofern hat Kurt Beck (Pfalz) vielleicht doch noch Chancen, bei der nächsten Wahl die Merkel (Meck-Pomm) abzulösen. Mehr Gründe als der Saumagen fallen mir aber auch zurzeit nicht ein; doch vielleicht reicht das ja schon.

Die vier Rentner verabschieden sich irgendwann, und als ich beim jederzeit amüsierbereiten Wirt mit EC-Karte zahlen möchte, lehnt er bedauernd ab. „Aber Sie können mir ihre Frau dalassen“, schlägt er alternativ vor. „Dann lieber bar“, erwidere ich, „aber ich kann Sie verstehen.“


Ms. Columbo lächelt fein, aber nur wegen des Fünftelliters Weißburgunder, den sie weggezischt hat wie eine geübte Pfälzerin.

Wäre sie stocknüchtern gewesen, hätte sie säuerlich gegrinst. Mindestens.

8 Kommentare:

  1. Es gab Warnhinweise aus dem kurpfälzischen Außenministerium ...

    Beruhigend aber, dass dann doch keine Geiseln genommen wurden.

    AntwortenLöschen
  2. Sehr geehrter Herr Matt!
    Sollte uns folgender Link zu denken geben?! Ist das Ihre zweites Standbein? :-)
    http://babeswithbooks.blogspot.com/

    AntwortenLöschen
  3. Matt, passen Sie bloß auf, dass der Kurt Beck Sie nicht überrollt!
    Besorgt, Anna

    AntwortenLöschen
  4. Matt,
    du bist ja von der ganz schnellen Sorte. Ich frage mich, zu welcher einsamen Stunde du das noch tippst. Und das in einer beeindruckenden Qualität.
    Viel Gutes heute wünsche ich,
    Gruenkern

    AntwortenLöschen
  5. Herr Jochen,
    dafür, daß Herr Matt hier auf St. Pauli wohnt, geht 21:52 h eigentlich noch. Grins.

    AntwortenLöschen
  6. Der demokratische Sozialismus. Der Problembär hat den demokratischen Sozialismus wiederentdeckt. Wenn er sich jetzt noch anständig rasiert, steht einer sau-magischen Karriere nur noch eine einzige Walküre im Weg. Aber Vorsicht:

    Walküre = Todesengel

    AntwortenLöschen
  7. Freckert, ich wünschte, ich wäre selbst auf die Idee gekommen, ein ganzes Blog mit "Babes with Books" zu füllen. Dem war aber nicht so.

    Ach, das Bloggen, Jochen, macht man doch so nebenher. Wie Zähneputzen.

    AntwortenLöschen
  8. Ich finde es erschreckend, daß wie nahezu gleichzeitig alte Schabracken kennenlernen. Und das in so unterschiedlichen Städten wie Neustadt und New York. Wobei die ja doch ähnlich klingen.

    AntwortenLöschen