06 Mai 2013

Die Ausgangssperre kann kommen

Etwas abseits der Weinstraße führten unsere Gastgeber uns zu einem jungen Winzerpaar, mit dem sie befreundet sind.

Dort, in Wachenheim, gibt es keinen rebenumrankten Garten mit Bierbänken und Lampions, es stehen keine pittoresken Eichenfässer an der Einfahrt. Im Hinterhof dagegen trocknen alte Reben (Foto) vor sich hin und still der Grillsaison entgegen.

Die Schmucklosigkeit dieses Gutes, dessen Lagen im Grenzbereich von Rheinhessen und Pfalz angesiedelt sind und das deshalb Weine aus zwei Regionen im Sortiment hat, fällt sofort auf. Es putzt sich nicht heraus, es brüstet sich nicht, alles hier sieht aus nach Mühe, Plage, Arbeit.

So lockt man natürlich keine Touristen oder Verkostungsflaneure an. Das aber hat einen großen Vorteil: ein umwerfendes Preis-/Leistungsverhältnis.

Nehmen wir den köstlichen 2011er Riesling Mölsheimer Zellerweg, dem der rheinhessische Kalksteinboden eine knackige Mineralität mit auf den (hoffentlich kurzen!) Lebensweg gab: Der Wachenheimer Winzer will für die Literflasche dieses Tröpfchens bei Abholung nur 2,90 €! Ich wiederhole: zwei Euro neunzig. Für einen Liter.

Selbst wenn er ihn für vier Euro die Flasche verschicken würde (was er wahrscheinlich nicht mal tut), wäre das immer noch ein Preis, bei dem jedes beliebige Hamburger Restaurant, das noch für die letzte 0,2-Literplörre vierfuffzig haben will, vor Scham dornfelderesk erröten müsste.

Und die vor lauter Dichte geradezu kaubare 2011er Trockenbeerenauslese von der Huxelrebe kostet hier in Wachenheim pro halber Flasche unwiderstehliche 10,50 €. Klar, dass ich mir den Reisekoffer voll machte bis zum Bizepsriss. Und jetzt ist es sogar bereits geschafft, alle Flaschen sind unter Mühen und Ächzen, doch unbeschadet in St. Pauli angelandet. Die Ausgangssperre kann kommen.

Den Namen dieses Weinguts behalte ich aber für mich, sonst kaufen Sie mir noch die ganzen Trockenbeerenauslesen weg, ich kenne Sie doch.

04 Mai 2013

Der hat Humor, der Pfälzer


Während angeblich in Hamburg die Sonne scheinen soll, tapern wir triefend durch die Weingebiete der regennassen Pfalz. Auch Speyer statten wir einen Besuch ab.

Dort zaubern gleich mehrere merkwürdige Schilder (s. Fotos) große Fragezeichen über unsere Köpfe. Unsere Ratlosigkeit sieht ein im Einstein-Look frisierter Speyrer Zausel und kommt – wie es Pfälzer Art ist – eilends herbei.

„Schpresche Se Deutsch?“, fragt er. Wir bejahen. „Verschtehnse dess Schild nett?“, fragt er. Wir bejahen. Und dann erläutert er den auf dem Schlauch stehenden Touristen
mit sischtlischem Vergnügen die hintersinnige Semantik.

Wenn ein Fahrrad also fährt, so dämmert uns unter Pälzer Ägide allmählich, dann ist das Abstellen, was während der Fahrt ja eh nicht möglich wäre, verboten. Sobald es allerdings steht, das Rad, darf es das auch dort tun.

Ein Schild mit der Aufschrift „Fahrrad abstellen erlaubt“ hätte also die gleiche Aussage gehabt. Aber so ist er nun mal nicht gestrickt, der Pfälzer, wenn ich mir diese eigentlich unzulässige Verallgemeinerung erlauben darf.

Auch zum zweiten Schild, dem mit dem Hauseckenverweis, liefert der eifrige Zausel eine weitschweifige Exegese, die ich aber wieder vergessen habe.

Was natürlich auch mit dem abendlichen Besuch des Weinfestes in Haardt zu tun haben könnte, aber wer weiß das schon so genau.



02 Mai 2013

Beinah wollte ich wieder nur helfen

Morgens auf dem Weg zum Brötchenholen sehe ich in einer Parklücke eine junge Frau im kleinen Schwarzen. Um sie herum verstreute Sachen. Ihre Sachen, wie es scheint.

Es liegen da: diverse Kleidungsstücke. Ihre Handtasche. Und der Inhalt ihrer Handtasche. Sie steht mittendrin und bürstet sich wütend die Haare.

Ich spüre den kurzen Impuls, sie zu fragen, ob alles in Ordnung sei, doch sogleich kommt mir ein unschöner Vorfall vom Juni vergangenen Jahres wieder in den Sinn, und ich nehme von jedweder Intervention Abstand.

Als ich vom Brötchenholen zurückkomme, ist die Frau immer noch da, und auch ihre Sachen liegen immer noch auf der Straße herum. Sie dreht sich mehrfach um die eigene Achse, als führe sie einen tribalen Volkstanz auf.

Dann beugt sie sich runter und greift nach einem Stück Stoff. Es ist ihr Slip.

Ich fahre schnell nach Hause. Das Frühstück wartet.



27 April 2013

Ottilie echauffiert sich

Alle paar Monate ruft mich eine ältere Dame namens Ottilie auf dem Handy „zurück“, weil ich sie angeblich angerufen hätte.

Sie verlangt dann mit Berliner oder Brandenburger Zungenschlag eine gewisse Katharina Wagner zu sprechen, mit der ich allerdings trotz des geteilten Nachnamens nicht aufwarten kann.

Ottilie ist immer sehr aufgeregt, sie versteht schon nach wenigen Sekunden die Welt nicht mehr und verlangt immer ultimativer, Katharina Wagner ans Telefon zu holen. Beim letzten Mal drohte sie mir sogar mit der Polizei.

Während des zweiten Telefonats mit ihr, es muss im Februar gewesen sein, gelang es mir immerhin in mühsamer rhetorischer Kleinarbeit, ihr die Telefonnummer zu entlocken, von der aus ich sie angeblich öfter anrufe. Und siehe da: Es ist eine Internetnummer mit Hamburger Vorwahl, die ich mir mal beim Anbieter Sipgate zugelegt habe.

Meine Fritzbox habe ich so eingerichtet, dass sie auf dieser Sipgate-Nummer eingehende Anrufe automatisch auf mein iPhone weiterleitet – ein kleiner Trick, der dem Anrufer Kosten spart. Gedacht war diese Nummer für meine Mutter, die über keinen Pauschaltarif verfügt. Auf der ganzen weiten Welt ist sie deshalb die einzige, die diese Nummer kennt.

Und Ottilie natürlich.

Wer die Gute allerdings von dieser Nummer aus angerufen hat, ohne dass ich als Anschlussinhaber dabei meine Finger im Spiel habe, ist mir schleierhaft. Ottilie geht es genauso, doch das ist ihr kreuzegal. Sie will nun mal Katharina Wagner sprechen, jeder Einwand ist zwecklos, vor allem und gerade, wenn er von mir kommt. Schließlich habe ich mich im Lauf des zurückliegenden Vierteljahres in ihren Augen mit meiner störrischen Haltung komplett disqualifiziert.

Dass ich im Verlauf unserer stets sehr munteren Gespräche manchmal ein Glucksen nicht unterdrücken kann, verbessert die emotionale Gesamtsituation nicht unbedingt. Bislang konnte ich zudem kaum Details von Ottilies Gesamtproblematik in Erfahrung bringen, denn eine strukturierte Darlegung komplexer Sachverhalte ist ihr fremd.

Sie vermag dieses Manko allerdings mühelos auszugleichen mit einem übergroßen Maß an Echauffage. Ihre Empörung ist dabei mit einer stark vorwurfsvollen Haltung mir gegenüber verbunden, und das schmerzt. Ich fühle mich nämlich unschuldig, komplett unschuldig.

„Ja, hören Se mal, dit is ja eene eenzije Abzogge!“, hub Ottilie heute Nachmittag hocherregt an, als ich ihr eröffnete, Katharina Wagner leider nicht ans Telefon holen zu können.

„Ne eenzije Abzogge!“, schimpfte sie, „dit hat mir ooch die Polizei schon jesacht! Und der Herr Koch ooch! Aber mit uns alte Leute könnses ja machen! Jrade wenn wir aus der ejemalijen DDR kommen!“

Wer ist denn jetzt Herr Koch … ? Ich glaube, ich lege mir eine neue Sipgate-Nummer zu. Oder eine Katharina Wagner.


24 April 2013

Wie der FC Bayern den Frikadellenabsatz fördert

Wenn man unvorsichtigerweise den Franken zum Fußballgucken eingeladen hat, müsste man eigentlich vorher bei allen Nachbarn klingeln und sie mental einstimmen auf Schalleruptionen, die sonst nur unter  Gorillas in der Brunft verbreitet sind.

Wenn dann auch noch sein Verein, der FC Bayern, Messi viernull weghaut, sollte zur Sicherheit aller Be- und Anwohner unbedingt ein Statiker anwesend sein.

War aber nicht.

Trotzdem wurden wir heute vom Hauseigentümer nicht spontan entmietet, und das liegt an zweierlei:

1. Des Franken Stimme verabschiedete sich zum Glück im Lauf der zweiten Halbzeit in etwas vergleichsweise angenehm Röchelhaftes, wodurch die sonische Belastung des Viertels erheblich gemindert wurde.

2. Er und Kramer sprachen hochgestimmt und zunehmend herzhaft – vulgo: bis zur Neige – dem Mirabellenwasser zu. Das hatte einen deutlich kalmierenden Effekt. Auf alles.

Heute Morgen sah ich den Franken im Büro wieder. Er saß matt am Schreibtisch und murmelte was von „brauche Frikadellenbrötchen“. Dann schlurfte er tatsächlich los und besorgte sich welche, um halb zehn in der Früh.

Wenig später stand der Verzehr der Frikadellenbrötchen unmittelbar bevor – ein Ereignis, welches mitzuerleben ich tunlichst vermied, nicht nur aus optischen, auch aus olfaktorischen Gründen.

Zum Rückspiel werde ich übrigens beim Franken in Eimsbüttel zu Gast sein. Die Seilerstraße (Beispielfoto) kann aufatmen – und die Ohrstöpsel rausnehmen.


20 April 2013

Pareidolie (59): A-H …!

Mal ehrlich: Erinnert Sie das Ende dieses mastartigen Gebildes mit seinem (wenn auch etwas verrutschten) Schnauzbart nicht auch an einen gewissen Völkermörder, der heute zum Glück schon seit 68 Jahren seinen Geburtstag nicht mehr feiern kann?

Mich auf jeden Fall, daran ändern auch die Pippi-Langstrumpf-artigen Zöpfe nichts. Und das Blöde daran: Er ragt vor meinem Ottenser Bürofenster hoch und lugt mir tagein, tagaus auf die Tastatur.

Wenn ich wenigstens die Funktion dieses Dings begriffe, wäre mir schon wohler. Aufklärung bitte in den Kommentaren, danke.

PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.

19 April 2013

Acht Jahre bis zum Boss

Zwei historische Ereignisse waren entscheidend dafür, dass ich just heute in Hosseinis Stellinger Änderungsschneiderei vor einem Spiegel stand und sich mir ein kleiner Afghane mit einem vollbestückten Nadelkissen näherte.

Eins dieser beiden Ereignisse geschah 1991. Damals entschloss sich der US-amerikanische Autor Bret Easton Ellis, einen Roman namens „American Psycho“ zu schreiben.

Das hätte aber noch nicht gereicht für meinen heutigen Auftritt vor Hosseinis Spiegel in Stellingen. Hinzukommen musste – neben der unabdingbaren Erfindung des Internets 1969, die ich aber jetzt mal besser nicht mitzähle, sonst lande ich irgendwann noch beim Urknall –, hinzukommen musste 14 Jahre später Ereignis Nummer zwei: meine Entdeckung des Blogs Lyssas Lounge.

Ellis’ Roman löste vor 22 Jahren bei einem österreichischstämmigen Hamburger einen bis heute anhaltenden Fetisch für Herrenmode aus – und Lyssas lesenswerte Schreibe bei mir das Bedürfnis, selber das Bloggen anzufangen.

Dem österreichischstämmigen Hamburger gefiel, was er ab 2005 hier, auf der Rückseite der Reeperbahn, zu lesen bekam, weshalb er den Kontakt suchte. Nach anfänglichem Fremdeln wurde daraus Freundschaft, doch erst acht lange Jahre später – nämlich neulich – infizierte er mich (endlich) mit seiner Manie für hochwertige Herrenmode, als er mir notorischem Sparfuchs riet, mich doch mal auf Ebay nach all diesen Schurwollpreziosen umzuschauen.

Dort nämlich, raunte er, müsse man nicht etwa die üblichen vier-, sondern mit etwas Glück nur zweistellige Beträge für gebrauchte Spitzenware zahlen.

Was soll ich sagen: Der Mann hat recht. Und deshalb stand ich heute in Stellingen vor einem Spiegel, während mir ein kleiner Afghane Nadeln in den Hugo-Boss-Selection-Anzug steckte und ich von hinten German Psycho sagen hörte: „Die Ärmel müssen aber noch etwas kürzer.“

Ohne Bret Easton Ellis wäre das alles niemals passiert. Ohne Lyssa auch nicht. Und natürlich auch nicht ohne den Urknall.


17 April 2013

Ade Warmluft

Seit Jahren lagern mutmaßlich polnische Obdachlose vor den Plakatwänden an der Simon-von-Utrecht-Straße.

Natürlich sind es nicht die konsumistischen Jubelsprüche, die diesem Ort seine Anziehungskraft für Berber verleihen. Nein, es sind die vergitterten Abluftschächte an der Mauer, aus denen stets wohligwarme Luft strömt.

Im Winter ist das für die Polen eine ganz feine Sache. Denn die Lungenentzündungsgefahr wird sicher nicht höher, wenn man mitten im Frost von Warmluft umfächelt wird. Doch diese beliebte Komfortzone für Wohnsitzlose ist seit neuestem Geschichte.

Irgendwer nämlich hat einen riesigen Blechkasten auf die Schächte gestellt. Ade Warmluft.

Heute waren prompt auch keinerlei Polen mehr zugegen, nur ein paar muffige Klamotten, Taschen und Stützkissen verdämmerten dort still den Frühlingstag. Wer für die Baumaßnahme verantwortlich ist, ob die Stadt oder der Eigentümer der Abluftschächte, entzieht sich meiner Kenntnis.

Dass der Blechkasten aber erst aufgestellt wurde, als der härteste Winter vorbei war, muss man wohl unter Feinfühligkeit verbuchen.

16 April 2013

Fundstücke (172)


1. Während des Abendessens bei German Psycho und Twelectra ergab es sich, dass ich den Sanitärbereich aufsuchte – und vor dieser Fußmatte stand. Im Haus der Addams Family stieße man bestimmt auf weniger interessante Überraschungen. Übrigens hing dort auch noch ein Handtuch …

 



2. Kaum habe ich mir HD angeschafft, geruht man mich mit den Schattenseiten zu konfrontieren. „Aus lizenzrechtlichen Gründen“ hat mein Receiver schulterzuckend die Aufnahme einer ZDF-Sportübertragung verweigert. Der technische Fortschritt lässt mich also in die Röhre gucken. Wo kann ich mich gegen diese Gängelung wehren? Wo zur Revolte gegen die Aushebelung meines souveränen Mitschneidewillens aufrufen? Momentan, das kann ich versichern, sind hier in der Seilerstraße nicht nur die Fernsehprogramme hochaufgelöst, sondern auch ich. Vor Zorn.

3. Na ja, sie meinen es bestimmt nur gut. Entdeckt im Schaufenster einer Apotheke in der Neustadt.


 









4. Ursache und Wirkung … Entdeckt auf dem Amazon-Marketplace.

13 April 2013

Time to say goodbye (5)


So, meine sehr verehrten Damen und Herren: Unsere schon seit einer gefühlten Ewigkeit wie sauer Bier angebotenen Bücher sind jetzt wirklich weg.

Drei kräftige, teils untersetzte Männer mit wenig Haupthaar und viel Bizeps luden sie in Kisten und trugen sie fort. Am Ende hingen nur noch Streben an der Wand, worauf die leeren Massivholzbretter lagen.

„Möchten Sie vielleicht auch die Bretter mitnehmen?“, fragte ich den Chef des Trios.
„Gärrnä! Sind gute Brättär. Kann ich gebrrauchän fürr Bau von Vögelhaus.“
„Sie meinen wahrscheinlich Vogelhaus. Mit o.“
„Ja, gännau: Haus fürr Vögeln!“
„Nein, nein, Vorsicht. Der Plural ist Vögel, also ohne n. Das könnte leicht missverständlich …“
„… Wie sagän noch in Teutsch zu Vögelhaus? Issä Puff? Gännau das will ich bauän mit Brättär!“
„Oh.“

Nun, der Dialog nahm nach dem absolut authentisch geschilderten Auftakt nicht ganz diesen Verlauf, das gebe ich zu.

Doch am Ende waren auch die Bretter weg, und das ist die Hauptsache.




11 April 2013

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (83)

Angeblich kostet es im Jahr 2000 Euro Mitgliedsgebühr, um nach Lust und Laune das Uppereast im East-Hotel betreten und dort die erstaunlichen Getränkepreise zahlen zu dürfen.

Dafür hängen dort dann aber auch nicht nur Leute mit einem ab, die ebenfalls 2000 Euro Jahresgebühr hingeblättert haben, sondern mindestens ebensoviele Birnen von der Decke. Siehe Foto.

Wir wissen das natürlich nicht etwa deshalb, weil wir uns widersinnigerweise zu einer 2000-Euro-Uppereast-Mitgliedschaft entschlossen hätten, oh nein, sondern weil wir anlässlich des Barjubiläums dort eingeladen waren.

Im Großen und Ganzen erwies sich das Uppereast dabei als Raum von verblüffend eingeschränktem Liebreiz. Vermutlich reißt die Qualität seiner 2000-Euro-Mitglieder alles wieder raus, vielleicht geht hier ja samstagsnachts z. B. Sylvie van der Vaart auf die Balz.

Ich erstand während der Party runtergesetzte Hummel-Turnschuhe, die dort zugunsten einer Aidsstiftung vertickt wurden. Dadurch, dass ich weise auf den Kauf weiterer 68 Paar verzichtete, habe ich mir jetzt
quasi die Jahresmitgliedschaft im Uppereast zusammengespart.

Mit Hummels an den Füßen würden sie mich dort aber wahrscheinlich gar nicht einlassen.

08 April 2013

Serviettendeppen

Die „Teigtasche“ ist angeblich das weltweit einzige litauische Restaurant auf dem Kiez und überhaupt in Deutschland. Deshalb mussten wir auch endlich hin.

Neulich waren wir also da und suchten nach den Servietten. Bevor es Ihnen auch so geht: Lupfen Sie doch mal vorsichtig die Laschen der Ledertaschen, die auf jedem Tisch stehen.

Bei dem so leckeren wie öligen Brot (Foto) werden Sie sie brauchen. Nicht die Ledertaschenlaschen, sondern die Servietten.

Das litauische Bier ist übrigens auch köstlich. Aber im Vergleich zu Astra ist natürlich jedes Bier …  ich verzettel mich. Besser zurück zu den Servietten: Die haben wir Cleverles natürlich nicht selber entdeckt, die Kellnerin musste sie uns zeigen.


Und damit hat sich die ernsthaft erwogene Geheimdienstkarriere wohl erledigt.


07 April 2013

Die allerletzte Butze

Inzwischen denkt ja jeder dahergelaufene Hipster, es sei obercool, in St. Pauli zu wohnen – also zwischen Huren, Hundekacke und anderen Hipstern.

Deshalb steigen hier zwangsläufig die Mieten, und Hauseigentümer bekommen auch noch die letzte Butze für teuer Geld an den Mann.

Wenn ich letzte Butze sage, dann meine ich seit heute übrigens auch: Friseurstühle.

Aber kann man darauf überhaupt auf Dauer vernünftig schlafen?

(Entdeckt in der Hein-Hoyer-Straße.)


05 April 2013

Die Seilbahn kommt!?

Bisher wurde ja der Plan, eine Seilbahn zwischen Millerntor und Musicaltheater im Hafen einzurichten, vom Bezirksamt Mitte abgelehnt. Begründung: Die Mehrheit der St. Paulianer sei dagegen.

Uns, St. Paulianer seit 1996, hat allerdings keiner gefragt. Deshalb, Bezirksamt Mitte, nimm das: Sobald die Seilbahn fertig ist, kauf ich mir ne Dauerkarte. Und Ms. Columbo auch.

Foto: Handelskammer Hamburg

04 April 2013

Ein Paket, drei Planeten

Das Paket, welches da mit allem gängigen DHL-Pipapo (Bote in Gelb, Funkerfassungsgerät, Unterschrift) zugestellt wurde, gab keinerlei Hinweise auf seinen Inhalt.

Was bloß hatte ich da wohl mal wieder bestellt in diesem Internet?

Nun, es war ein USB-Stick.

Die versendende Firma Conrad hatte es opportun gefunden, ihn in einen umbauten Pappraum von etwa sechs Litern Fassungsvermögen zu packen und inmitten von Pi mal Daumen zweitausend Styropornupsies stoßfest zu lagern.

Einen USB-Stick.

An dieser Stelle müsste ich jetzt eigentlich ausführen, wie mir durch diese Verpackungswahl die These veranschaulicht wurde, dass wir bei unserem Lebensstil mindestens drei Planeten brauchen.

Aber in Wahrheit habe ich mich einfach über einen schönen Karton fürs Altpapier gefreut.

01 April 2013

Time to say goodbye (4)



Wir waren sooo knapp dran …

Der nette Mann von der Rathauspassage hatte angerufen und einen Termin mit uns vereinbart. Er wollte – wirklich wahr, kein Scherz –  die Bücher abholen.

Aber dann, kurz vorm Termin, rief er wieder an: Er könne doch nicht kommen. Irgendein Unfall sei passiert, Genaues wissen wir nicht.

Aber eins wissen wir: Die Bücherwand ist immer noch da. Der große, kühne Plan, uns nach und nach vom Ballast irdischer Güter zu trennen: Er wird immer wieder torpediert, wahrscheinlich vom Universum.

Aus Frust spazierten wir am Wochenende stundenlang kreuz (sic!) und quer durch Hamburg und entdeckten dabei überall Hinweise auf den uns umgebenden Feiertag – siehe Fotos.


Doch als wir wieder nach Hause kamen, war immer noch da und nicht gen Himmel gefahren: die Bücherwand.

29 März 2013

Der Cheesecake reicht für zwei

Diese lustige Deckendeko dürfte in Rinderkreisen als nicht sonderlich amüsant empfunden werden.

Beim Humor ist das Restaurant The Bird halt generell mit einer gewissen Hemdsärmeligkeit gesegnet, wie hiesige Blogleser spätestens seit dem Eintrag vom 3. März wissen. Doch „Nashville Nutte“ hin oder her: Von einem Besuch hält uns so was ja nicht ab, im Gegenteil. Und zum Glück.

Denn mein von dezenten Röstaromen geprägtes dickes Ribeye, das sie dem Rind dort nur in mindestens 400-Gramm-Stücken aus den Rippen schneiden, war von genau jener Zart-, Rosa- und Saftdurchdrungenheit, die auch einen Preis von 34 Euro gut verschmerzbar macht.

Zum Nachtisch bestellten wir Käsekuchen, der es sich seit einiger Zeit gefallen lassen muss, zum neudeutschen „Cheesecake“ transformiert zu werden. Der tätowierte Kellner empfahl uns, am besten nur ein Stück, dafür aber zwei Gabeln zu nehmen, denn es sei doch „sehr groß und mächtig“. Und er wusste natürlich, wovon er sprach, verdammt.

Ungebetene Insidertipps wie diese finde ich persönlich ja hinreißend. Ein Restaurant, welches den Gästen solche scheinbar kontraproduktiven Empfehlungen zuflüstert, verzichtet dadurch heute Abend natürlich auf einen kleinen Zusatzgewinn, gewinnt mich aber mit hoher Wahrscheinlichkeit als Stammkunden, weil es den Eindruck erweckt, als wollte es mich auch in allen anderen Hinsichten nicht übers Ohr hauen.

Und auch in Cheesecakekreisen kommt so was wahrscheinlich super an.



25 März 2013

Pareidolie (58)

Man kann hinfahren, wohin man will: Sie sind immer schon da. Auch in Portofino an der ligurischen Küste.

Dort beobachtete uns ein turmartiger Bau derart aufmerksam, dass mir das Fotografieren beinah peinlich war.

Aber was tut man nicht alles für diese Rubrik.

PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante. Und hier die Sammlung aller hiesigen Beispiele.


23 März 2013

An die Heimatfront (4)



Nach der Weinprobe im Gut Poggio Allore mit Käse, Olivenöl, Salami und Blick auf die Skyline des mittelalterlichen Städtchens San Gimignano (ioben) karriolten wir fröhlich mit dem Bus durch die toskanischen Hügel, begleitet von Verdi-Arien.

Was mir vorher noch nicht so ganz klar war: Serpentinen sind geradezu perfekt, wenn man besoffen hinterm Steuer sitzt – dann fällt Letzteres nämlich überhaupt nicht mehr auf, selbst den Carabinieri nicht, die, wie ich erfuhr, gar keine Polizisten sind, sondern Soldaten.

Mit der Serpentinenbemerkung möchte ich natürlich nicht andeuten, dass auch unser Busfahrer mitgezecht hätte. Aber man gewinnt halt so seine Erkenntnisse, wenn man sanft angetütert zwischen Olivenhainen, Weinbergen und ockerfarbenen Steinvillen dahinschwebt.

Bevor wir zurückkehren auf den Kiez, möchte ich übrigens dringend darum bitten, dort ein akklimatisierungsfreundliches Wetter vorzubereiten. Schnee, Eis und Sturm sind dabei strikt untersagt. Wir würden uns auf maximal 13 Grad bei leichter Schleierbewölung runterhandeln lassen.

Wäre das machbar? Entzückend. Dann bis morgen.

21 März 2013

An die Heimatfront (3)

Das Ausmaß an Zorn, Neid und Missgunst, welches mir entgegenschlägt, seit ich das arktische Hamburg gen Italien verließ und nun vom ausbrechenden Frühling ebendort berichte, ist sehr wohltuend.

Allerdings hilft es mir kaum weiter bei der Frage, wie ich mit dem Sonnenbrand umgehen soll, den ich mir heute in La Spezia (wolkenlos, 20 Grad) zugezogen habe. Oder ob ich die Hose noch mal anziehen soll, die untenrum nass wurde, als ich am Strand von Monterosso (wolkenlos, 17 Grad) erstmals im Leben in die Riviera stieg.

Dort, in Monterosso, liegen übrigens herrlich flache, an den Ecken kongenial gerundete Steine im Sand, die bei entsprechender Wurftechnik ausgelassen übers silbrig glitzernde Meer hüpfen.

Aber all das interessiert Sie bestimmt kein bisschen. Deshalb mach ich an dieser Stelle auch Schluss.

Zumindest für heute.

20 März 2013

An die Heimatfront (2)

Heute Regen in Portofino!

Aus Protest fallen die Mandarinen von den Bäumen, und die bis dato begeistert vor sich hin blühenden Kirsch- und Mandelbäume sind auch nicht amüsiert.

Gleichwohl bleibt die Stimmung bei uns blendend – vor allem, weil wir herausgefunden haben, wie sie hierzulande die Schlümpfe nennen: „i Puffi“.

Erinnert mich irgendwie an den Kiez, weiß auch nicht warum.

19 März 2013

An die Heimatfront (1)

Erster Statusbericht der Kiezaußenstelle Toskana, Station Forte dei Marmi:

17 Grad, wolkenarmer Himmel, Pinien im Gegenlicht. Meer sehr bewegt, die linde Luft satt vor frühlingshaften Nadelbaumaromen. In der Ferne leuchtet Carraramarmor.

Werde die Lage weiter beobachten; Balkon bietet beste Voraussetzungen. Rauschen der Brandung verfälscht Erkenntnisse nur unwesentlich.

Und bei Ihnen so?


18 März 2013

Time to say goodbye (3)

Der Versuch, die von den unverlässlichen Freunden bisher verschmähten Bücher komplett an einen Profihöker zwecks Vermarktung zugunsten eines sog. „sozialen Projektes“ zu verschenken, scheiterte heute Mittag kläglich.

Dabei hatte der Ankäufer überall Kiezlaternenpfähle und -hauseingänge mit Zetteln bepflastert, auf denen ebenso großspurig wie offenkundig widerrechtlich behauptet wurde, er käme mit Freuden vorbei und nähme die ganze Sammlung mit – sofern „gut erhalten“.

Ja, Pustekuchen! Nach einem Blick auf die oben abgebildete Bücherwand verzog das überpünktlich hereinschneiende mittelalte Paar beinah angewidert das Gesicht und murmelte etwas von „maximal zwei bis drei Prozent interessant“. Die feinen Herrschaften vermissten plötzlich Sciencefiction und Krimis und waren derart schnell wieder draußen, dass Ms. Columbo und ich uns ungläubig schief angrinsten.

Ja, wo sind wir denn, dass diesen Leuten auf einmal Schiller, Lessing (Doris und G. E.), Houellebecq, Melville oder Foster Wallace nicht mehr gut genug sind? Ja, wo denn??

Das Foto oben war eigentlich als Erinnerungsstück gedacht, an dem sich dereinst Wehmut und Nostalgie entzünden könnten, sofern der bald losbrechende Sonnensturm der X-Klasse alle Daten der Welt hinwegrafft, auch die auf unseren elektronischen Lesegeräten. Wobei auch das Foto weggeblitzt werden würde, aber das ist jetzt mal kurz egal. (So funktioniert Dialektik.)

Erst neulich erst musste ich ja die Demütigung des Weggeschicktwerdens verdauen, als ein Plattenhändler angesichts meiner Tasche mit alten CDs quasi einen Lachanfall bekam. Und jetzt das. Kann man sich denn heutzutage nicht mehr ordnungsgemäß von seinen Besitztümern trennen, ohne zum Gespött zu werden? Kann man im 21. Jahrhundert nicht mehr vom Jäger und Sammler zum Abschaffer umschulen, ohne gesellschaftliche Ächtung zu riskieren?

Es war jedenfalls viel leichter, den ganzen Kram herbeizuschaffen, als ihn jetzt wieder loszuwerden. Wir müssen uns also wohl oder übel über kurz oder lang der charakterlichen Fragwürdigkeit des schnöden Wegwerfens schuldig machen. Mit dieser Schuld werden die Händler der Welt leben müssen. Und unsere feinen Freunde natürlich.

Als die unwilligen Höker entflohen, riefen sie uns noch einen Tipp zu. „Gehen Sie zur Rathauspassage“, schallte es schon halb aus dem Treppenhaus, „die nehmen ALLES.“

Der Subtext dieses Ratschlags gefällt mir übrigens ganz und gar nicht.


14 März 2013

Ich muss mich dringend reformieren

Am Brustmuskeltrainingsgerät schuftet ein panzerschrankbreiter Glatzendeutscher.

Er trägt ein schwarzes T-Shirt mit Doom-Metal-Motiv, und wenn er zum nächsten Gerät wechselt, richtet er sich auf dem Weg dorthin ausgiebig die wahrscheinlich kirchenglockengroßen Kronjuwelen.

Seine Kumpels sind von ähnlichem Zuschnitt. Einem sprengen die Muskelwülste fast das Shirt. Dessen Ärmelansätze sind derart knapp bemessen, dass keins der zahlreichen Bizepstattoos Gefahr läuft, davon bedeckt zu werden.

Und plötzlich sagt der Panzerschrank zum Tattooberg: „Wegen dir verpasse ich gerade die Simpsons!“

Er hat wahrhaftig „Simpsons“ gesagt. Er meint also jene Serie, die gelobt wird für ihre „hintergründige kritische Kommentierung sozialer, politischer und gesellschaftlicher Phänomene“ und sich gesellschaftskritisch mit  „Umweltzerstörung, dem Bildungssystem, den Medien, religiöser Doppelmoral oder patriarchalen Familienverhältnissen“ auseinandersetzt, wie es bei Wikipedia heißt.

Und ich dachte, der Brocken interessiert sich nur für Walhalla. Ich sollte dringend meine Vorurteile reformieren.

„Nächste Woche hole ich mir den Wagen“, sagt er versöhnlich zu seinem Kumpel. „Ich hatte noch nie ein weißes Auto – und noch nie ne weiße Weste.“ Kumpel grinst. „Die kannste dir doch auch kaufen.“

Die beiden sind reif für einen Simpsons-Gastauftritt, finde ich.

PS: Aus naheliegenden Gründen gibt es heute mal wieder ein Platzhalterbild – aber, wie findige Beobachter sicher gleich bemerkt haben, mit einem gewissen Fitnessbezug.

09 März 2013

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (82)


Schon wieder avanciert der samstägliche Flohmarkt auf dem Schlachthofgelände zur gemütlichsten Ecke – aber was soll ich machen, wenn diese arm- und beinlose Puppe sich derart pittoresk vom Märzschnee überzuckern lässt?


07 März 2013

Ein Alien auf der Reeperbahn




Da steht einmal ein Ufo über St. Pauli, und ich krieg’s nicht mit. Wie ich überhaupt das meiste nicht mitkriege, was auf St. Pauli so passiert. Keine Messerstechereien, nichts.

Ich habe auch noch nie jemand live kotzen sehen, sondern immer nur das traurige Ergebnis weiträumig umschifft. Und jetzt kriege ich natürlich auch das Ufo nicht mit.

Es stand überm Heiligengeistfeld, die Polizei rückte aus, alle waren ganz aufgeregt.  Nur ich nicht, weil ich’s ja nicht mitgekriegt hab.

Natürlich war’s am Ende wieder der übliche Lenkdrachen mit Leuchtdioden, aber trotzdem. Hätte ich es mitgekriegt und auch noch zufällig an der Reeperbahn mit den Leuten zusammengestanden, die den oben verlinkten Film aus dem Off kommentieren, wäre das für mich allerdings noch schlimmer gewesen als so. Und zwar aus Fremdschämgründen.

Ein Schlaumeier nämlich sagt peinigenderweise den Satz: „Es ist für uns Menschen unmöglich, Batterien da hoch zu bringen, die so eine Leuchtkraft haben.“

Ich hoffe mal, das war kein St. Paulianer, der das gesagt hat, sondern ein Tourist. Oder ein Alien. Allerdings fällt mir keine Herkunftsregion ein, der ich spontan so was Rumpeldummes zutrauen würde.

Übrigens hat Curiosity oben auf dem Mars seit ein paar Tagen ein Computerproblem, und die in Houston resetten gerade das System.

03 März 2013

Sie haben das N-Wort gesagt!





In den Seitenstraßen von St. Pauli entdeckt man auch nach vielen Jahren immer wieder Neues, zum Beispiel überraschend auftauchende Essgelegenheiten.

Unlängst stolperte ich in der Trommelstraße über ein mir bis dato völlig unbekanntes Steakhaus namens The Bird. Laut Speisekarte befleißigt es sich der gehobenen US-Küche und versucht sie dem Gast mit allerhand Allegorien schmackhaft zu machen.

So bewirbt The Bird eins seiner T-Bone-Steaks mit einem Vergleich, den selbst Brüderle höchstens denken, aber niemals sagen würde: „Fleischig und saftig wie eine hochbezahlte Nashville Nutte“.

Wenn ich eins auf dem Kiez gelernt habe (danke, Miele!), dann das: Nenn eine Prostituierte meinethalben Hure, aber nie, nie, niemals Nutte. Ersteres trägt sie wie ein Ehrenabzeichen, Letzteres dir ewig nach.

Dass nun ausgerechnet ein Restaurant auf St. Pauli eine in seiner Nachbarschaft  überproportional stark vertretene Berufsgruppe pauschal schwerst beleidigt, scheint mir doch recht unklug.

Am empörendsten aber – und da sind wir uns sicher sofort einig –  ist das hirnlose Deppenleerzeichen in „Nashville Nutte“.

Spätestens dieser Klopper dürfte in orthografisch gebildeten Ludenkreisen das Fass zum Überlaufen bringen. The Bird sollte schon mal die Fenster verrammeln.

Oder schnell die Speisekarte überarbeiten. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät.


27 Februar 2013

Wo die Dirndl wirklich voll sind

Einige Bedienungen im Hofbräuhaus am Speersort, wo wir das Pokalspiel Bayern-Dortmund verfolgen, interpretieren die berühmte Brüderle-Vermutung nicht nur konjunktivisch. Und zwar ganz und gar nicht.

Vor allem, wenn es ans Bezahlen geht und sie sich tief über den Tisch beugen, um wunderbare Zeichen auf ihre hinreißenden Rechnungen zu malen, wird das ausnehmend evident.

„Das ist doch alles nicht echt, das ist doch gepuscht!“, mokiert sich Kramer aus purem Selbstschutz. Ich muss den armen Wirren allerdings darauf hinweisen, dass vor allem das Echte gern gepuscht wird und gerade das Falsche darauf frohen Herzens verzichten kann.

Kramer hingegen zweifelt weiter und fantasiert von einer manuellen Überprüfung des Sachverhaltes, woraufhin der Franke ihm androht, in circa zwei Jahren einen Artikel darüber zu schreiben, was unweigerlich zu einer Popularisierung der Kramer-Vermutung führen und all seine politischen Ambitionen augenblicklich beenden würde, so er welche hätte.

Der Franke hat zwischendurch ganz andere Probleme, nämlich eine halbe Stunde lang keinen Biernachschub auf dem Tisch. Als er die Bedienung endlich zu „fassen“ kriegt, erlischt seine erstaunlich hoch aufgestaute Wut sofort – wegen der kalmierenden Wirkung ihres Dekolletés, wie ich unwidersprochen schlussfolgere.

Übrigens gehört „Dekolleté“ zu jenen durchaus rar gesäten Wörtern, die ich immer wieder im Duden nachschlagen muss, ohne dass je eine endgültige Verankerung der Schreibweise in meinem Langzeitgedächtnis die Folge wäre.

Und jetzt sind Sie dran, Dr. Freud.

22 Februar 2013

Pareidolie (57)

Hätte ich gewusst, wie standardmäßig mürrisch die Unterseite meines Bürotelefons in die Gegend guckt, wäre ich bestimmt die vergangenen fünf Jahre (so lange spreche ich ungefähr schon rein in dieses Modell) allmorgens weniger beschwingt zur Arbeit gefedert.

Ab sofort nenne ich das Gerät Matthau.

PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.

21 Februar 2013

Schon wieder eine Wohnung zu vermieten

Die Rückseite der Reeperbahn entwickelt sich anscheinend zum Marktplatz für freie Hamburger Wohnungen, und das auch noch erfolgreich, wenn man das blitzartig vermittelte erste Angebot zugrundelegt.

Diesmal geht es zwar nicht um eine Bleibe auf St. Pauli, sondern im schönen Ohlsdorf, und sie wird zurzeit noch von einem großartigen Kerl aus meinem Freundeskreis bewohnt, nämlich von Cinema noir.

Er ist u. a. auch Fotograf und pflegte dereinst einmal eine potentiell unendlich fortsetzbare Bilderserie mit dem programmatischen Titel „Orte, an denen noch nie das Blog von Matt Wagner gelesen wurde“. Ich hoffe immer noch auf eine Wiederbelebung dieser verdienstvollen Reihe.

Aber zurück zur Wohnung, zu deren Vermittlung wir nun endlich schreiten sollten. Die Eckdaten:

• zwei Zimmer (etwa gleich groß)

• 50 Quadratmeter
• Vollbad und Kellerraum
• rund drei Fußminuten vom S- und U-Bahnhof Ohlsdorf entfernt
• Warmmiete momentan 485 Euro monatlich

„Wenn man bedenkt, dass der St.-Pauli-Kiez alles für die Anbahnung von Nachwuchs im weitesten Sinne anbietet“, schreibt Cinema_noir in seiner antichambrierenden Begleitmail, „so befindet sich hier in Ohlsdorf ja der spezielle Kiez für den letzten Gang des Menschen. Also eine Art Beendigungskiez.“

Das meint er übrigens positiv. Und es ist ja auch wirklich so, dass die Nachbarschaft in dieser grünen Lunge Hamburgs unübertrefflich illuster ist. So wird die Gegend etwa aufgewertet durch die dauerhafte Anwesenheit von Hans Albers, Heinz Erhardt, Gustav Gründgens, Heinrich Hertz, Inge Meysel oder des oben abgebildeten Herrn mit Rose.

Gentrifizierungseffekte sind dort überhaupt nicht zu beobachten; die erwähnten alteingesessenen Bewohner ziehen garantiert nicht mehr weg. Aber Sie ja vielleicht hin – Mail genügt, ich leite weiter.
 

19 Februar 2013

Mein Ausflug in den Familienblock

St. Pauli gegen Köln: Als Doppelfan muss ich da hin! Dass mir dies siedendheiß erst am Abend des Spiels einfällt, verbessert indes die Chance auf Umsetzung nicht unbedingt.

Doch siehe da: „Ja, ich habe noch eine Karte für 27 Euro, aber im Familienblock“, sagt die liebreizende Frau am Kartenschalter. „Gerne!“, jubiliere ich. „Familienblock deshalb“, erläutert sie, „weil Sie dort nicht rauchen und trinken dürfen.“

Wahrscheinlich glaubt sie, für mich sei diese Karte damit gleichsam vergiftet, doch es ist geradezu das Gegenteil der Fall. Denn: Ich werde hinterher nicht stinken wie Don Draper nach einem Kundenmeeting, mir werden keine Suffköppe Plörre übern Latz kippen, und auf der Toilette werde ich nicht ausrutschen, nur weil irgendein beschwipster Schwanker sich jedwede Treffsicherheit weggesoffen hat.

„Kein Problem“, sage ich also heiter, „aber ich muss doch kein Kind mitbringen oder so?“

„Nein, nein“, beschwichtigt sie.

„Und wenigstens Wasser gibt es dort zu kaufen?“

„Ja, ja.“

Vorfreudig schlendere ich kurz vor 8 rüber zum Stadion – und erblicke Schlangen vorm Einlass wie anno 77 in Ostberlin nach einer Bananenlieferung. Mild panisch reihe ich mich in etwa 50 Metern Entfernung vorm Eingang ein und nehme an, dass sie natürlich den Anpfiff verschieben werden. Schließlich kann man nicht Tausende draußen stehen lassen und drinnen einfach so tun, als wären sie schon drin.

Doch es geht recht zügig voran, weil vorn die Kontrolleure die Gefahr eines Aufstandes anscheinend mit einer zunehmenden Laxheit beim Abtasten zu mindern versuchen. Im Familienblock angekommen sehe ich aus dem Augenwinkel gerade noch das 0:1 und finde anschließend meine Reihe nicht.

Denn nirgends stehen Nummern, die Ordner können auch nicht helfen („Bin neu hier“). Als ich einen bereits sitzenden Fan frage, in welcher Reihe er sich befindet, glaubt er, ich wolle ihm seinen Platz streitig machen. „Ich sitze schon seit Jahrhunderten hier!“, schwört er mit Panik in der Stimme.

Immerhin finde ich heraus, dass es die richtige Reihe ist. Nur liegt mein Platz anscheinend am anderen Ende. Der seit Jahrhunderten mit seinem Schalensitz verwachsene Fan rät mir mit deutlicher Erleichterung, es vom anderen Aufgang aus zu versuchen, das sei leichter. Wahrscheinlich will er mich nur loswerden, weil er in mir einen Sargnagel für seine Sitzschalendynastie zu erblicken glaubt.

Also treppab, treppauf – und wieder das gleiche Problem: keine Reihennummern am Sockel. Deutlich zu lesen sind sie – wie ich bald herausfinde – nur auf den Lehnen der Sitzschalen, aber nur auf den Vorderseiten, und die werden ja verdeckt von denen, die draufsitzen. Ein Teufelskreis, und schuld ist der Stadionarchitekt.

Unmerklich habe ich inzwischen den Familienblock verlassen, das Spiel schreitet fort, Kalla ballert Horn an, und ich habe immer noch keinen Platz. Also gebe ich auf und setze mich einfach irgendwohin, ist ja hie und da noch was frei, trotz ausverkauft.

Ähnlich halten es auch andere Herumirrende. Keiner von ihnen findet den Platz, für den er bezahlt hat, also wird improvisiert. Ein fröhliches Hin und Her, schön chaotisch, aber hochkommunikativ. Wahrscheinlich möchte der FC St. Pauli so den Zusammenhalt der Fanbasis stärken, und das klappt auch. 


Man könnte die Maßnahme vielleicht noch effizienter gestalten, indem man von vorneherein überhaupt keine nummerierten Karten mehr anbietet, sondern „freie Platzwahl“ draufdruckt. Den Rest regeln dann der Markt und die Evolution („survival of the fittest“).

Um mich herum wird übrigens wohlgemut gekifft und gesoffen, als gäbe es morgen kein Gras und auch kein Astra mehr; als Thorandth mit Gelb-Rot vom Platz fliegt (42.), tun es ihm viele volle Becher nach; die eisige Luft ist plörregesättigt, und auf der Toilette pieselt bestimmt gerade irgendein beschipster Schwanker auf die Brille und gern auch mal daneben. Als ich nach Hause komme, stinke ich wie Don Draper nach einem Kundenmeeting.

 

So viel also zu meinem Ausflug in den „Familienblock“. Aber kein weiteres Wort zum Ergebnis des Spiels. Da, euer Ehren, berufe ich mich auf mein Aussageverweigerungsrecht als Schwerstbetroffener.

18 Februar 2013

Doppelt kodiert

Mit Mark beim ausverkauften Konzert von Fraktus in der Fabrik. Die Band ist seit 30 Jahren eine absolute Legende, auch wenn sie bis vor kurzem noch niemand kannte.

Ohne sie nämlich hätte es Kraftwerk, Rammstein, Scooter (!) oder Jethro Tull (Heinz Strunks Querflöte!) nie gegeben – und natürlich auch sämtliche Technoclubs zwischen Rio und Mojo nicht. Nicht ein einziger „Café del Mar“-Sampler würde existieren – und an dieser Stelle muss man sich natürlich fragen, ob das wirklich ein Verlust für die Menschheit wäre.

Egal: Als wir nach anderthalb vergnüglichen Stunden die Halle verlassen, zetert uns unaufgefordert ein Mann an. „So’n Scheiß hab ich mein Leben noch nicht gesehen!“, zürnt er lauthals. „Das war das Schlechteste, was es überhaupt gibt!“
Der Mann sieht echt wütend aus.

„Ich glaube“, raune ich Mark zu, „er hat den Witz nicht verstanden.“

„Oder“, lächelt Mark fein, „er möchte, dass wir glauben, er habe den Witz nicht verstanden.“

Handelt es sich bei diesem Wutanfall also etwa um eine doppelt dekodierte Ironie? Um ein zweifaches Um-die-Ecke-Denken?

Nun, wir werden es niemals erfahren.


14 Februar 2013

Fundstücke (171)

1. Der Herr (Kiezbäcker) hat’s gegeben, der Herr (bzw. sein Gehweg) hat’s genommen. Wahrscheinlich war es von vorneherein ein Fehler, den von Samstagnacht übriggebliebenen Promilleplauzen hausgemachten Kartoffelsalat mit Riesenbockwurst vorzusetzen. Blärch …

 


2. Das abgebildete Produkt gibt es bei Tchibo zu kaufen. So richtig zum Mitnehmen. Offensichtlich habe ich das Prinzip „Luftgitarre“ bisher völlig falsch verstanden.

3. Den Amazon-Preis von 66.567 € für die Dandy-Warhols-LP „Welcome to the Monkey House“ finde ich recht knackig; es gibt dort zurzeit auch kein teureres Album. Bei Ebay kriegt man das gleiche Modell für 34,69 €, aber wahrscheinlich ist es einfach nicht ganz so gut erhalten.

4. Liebes Vattenfall, Sie fragen bestürzt nach den Gründen für meinen Wechsel. Nun, vielleicht liegt es daran, dass Sie ihn mir ausdrücklich nahelegten, nachdem ich sehr muffig auf Ihre Preiserhöhungen reagiert habe. MfG, Matt