10 Mai 2011

Fundstücke (133)



Dieses in der (wenn ich mich recht erinnere) Taubenstraße entdeckte Klingelschild deutet auf einen durch Eheschließung fahrlässig erworbenen Doppelnamen hin, den beide Partner aber anscheinend ohne viel Federlesens akzeptiert haben.

Irgendetwas Verdammenswertes in mir wünscht sich, der zugehörige Mann hieße zu allem Überfluss auch noch mit Vornamen Wolfgang, obgleich dabei eine nicht nur hochoriginelle, sondern auch im Berufs- und Restleben wenig zweckdienliche Kombination herausgekommen wäre.

„Guten Tag, mein Name ist Wolfgang Wulf-Wolf.“
Einfach wunderbar.

Diese Möglichkeit erinnert mich ein wenig wehmütig an die schöne Zeit, als Wolfgang Wolf noch Trainer in Wolfsburg war und nahe der Wolfsburg wohnte, wahrscheinlich im Wolfssteig.

Ob er damals zufällig mit einer Frau Wulf verheiratet war, weiß ich allerdings nicht.

09 Mai 2011

Pareidolie (1) oder Muster mit Wert



Seit die Pareidolie-Tante hier einen Kommentar hinterlassen hat, sehe ich überall Gesichter. Und ich meine nicht die von Menschen.

In ihrem sehenswerten Blog sammelt die Tante Bilder von Dingen, in die unser Gehirn Physiognomien hineininterpretiert. Diese komische Maschine in unserem Kopf sucht nämlich unablässig und überall nach Mustern, sogar dort, wo gar keine sind oder beabsichtigt waren.

Das Phänomen nennt man Pareidolie, und seit ihrem Kommentar bin ich praktisch zum spontanen Pareidoliker geworden. Plötzlich nämlich schaute mich sogar unser Reiskochtopf irgendwie chinesisch-katzenartig an, obwohl er das vorher nie gemacht hatte. Alles nur wegen der Pareidolie-Tante.

Kurz und gut: Hier beginnt eine neue Serie. Ich mache der Tante einfach mal Konkurrenz, zumindest ein ganz klein bisschen und nur sporadisch.

Viel mehr und auch erheblich frappierendere Bilder gibt es nämlich bei ihr dort drüben, und das wird auch für immer und ewig so bleiben.

08 Mai 2011

Die übliche Ka(c)kofonie



Der Bau des Hafens vor 822 Jahren war ein großer Schritt für Hamburg. Anders verhält es sich mit den alljährlichen Geburtstagsfeierlichkeiten, sofern man das Glück hat, sie vor Ort auf St. Pauli miterleben zu dürfen.

Tagsüber weht nämlich ein Lärmwirrwarr von liebreizender Vielfalt durch die Balkontür, zu dem höchst unterschiedliche Quellen beitragen. Ich möchte mich hier stellvertretend bedanken bei: Propellerflugzeugen mit Werbebannern (also sonisch und optisch eine Zumutung), Hubschraubern, Polizeisirenen, Knatterharleys, verfrüht volltrunkenen Grölern, heute auch Fans des FC Bayern München, die acht (8!) Tore angemessen feiern wollen, sowie Abschleppwagen, die unter lustvollem Klirren und Klappern Falschparker unter unserem Balkon einer ungewissen Zukunft zuführen.

Vor allem aber das ungefähr halbstündige Feuerwerk gegen 23 Uhr hat natürlich jedes Recht, in dieser bei weitem unvollständigen Liste einen Credit zu bekommen.

Übrigens Wahnsinn, aus welchen Lücken die Abschlepper manchmal Wagen rausholen, ohne deren Knautschzonen einem Praxistest zu unterziehen.

Für mich sind das Künstler, echt.

06 Mai 2011

Käse, Metal, Polizei



Wenn Ina Finn (Foto), eine der besten Hamburger Sommelières, erneut die großartigsten Käsesorten Frankreichs für lau sowie passende Spitzenweine für einen angemessenen Preis offeriert, dann sollte man eigentlich meinen, halb Hamburg begehrte entschlossen Einlass an der Tür der Villa Verde, doch es waren nur ungefähr 30 – darunter der Franke, Ms. Columbo, ramses101 und ich.

Während ein wagenradgroßer Brie de Meaux majestätisch zerfloss, fühlten wir uns wie Gott in Frankreich (zumindest im Sinne der aktuellen Lesart, denn einst – in gottesfeindlichen jakobinischen Zeiten –, bedeutete der Spruch ja bekanntlich genau das Gegenteil). Für den Fall, wir müssten für fünf Jahre ins Gefängnis, wäre die Villa Verde zu Käsestammtischzeiten zweifellos ein geeigneter Ort, um die Zeit würdig abzusitzen. „Außer mit Laktoseintoleranz“, ergänzte der Franke lakonisch, ehe er sich wieder mit verheerenden Folgen am Büffet zu schaffen machte.

Nicht vor Ort war natürlich der bekennende Käse-, Wein- und Aquaphobiker German Psycho. Gäbe es bereits olfaktorische Tweets, hätte ich ihm dem Duft des Brie de Meaux getwittert. So aber konnte ich nur twitternd die Nichtexistenz olfaktorischer Tweets bedauern.

Die ältliche Dame neben mir, eine strengfrisierte Erscheinung von hanseatischer Steifheit, nutzte die Aufmerksamkeit meines halben Ohres, um mir von ihren zahlreichen Reisen zu berichten („Schon 35-mal in Italien, aber immer woanders.“). Doch nur ein einziges Mal ergatterte sie meine ganze Aufmerksamkeit, und zwar mit dem frappierenden Satz: „Ich bin von der Klassik zum Heavy Metal gekommen.“

Dann plapperte sie strengfrisiert über ihre Vorliebe für Sepultura und Annihilator und offenbarte, bereist siebenmal Motörhead im Docks gesehen zu haben. Ich nur zweimal. Verdammt.

Auf dem Heimweg fand ich den Personalausweis einer jungen Frau aus der Annenstraße, den ich ihr gern vorbeibringen wollte, doch Ms. Columbo bestand auf Ablieferung bei der Polizeiwache um die Ecke.

Ein Vorschlag mit Folgen, denn die Einreichung eines aufgefundenen Personalausweises setzt einen bürokratischen Prozess ungeahnten Ausmaßes in Gang. „Ein Personalausweis gehört der Bundesrepublik Deutschland“, dozierte Wachtmeister Gohlke, während er meine persönlichen Daten aufnahm, „Sie sind nur der Besitzer.“

Derweil tippte er eine Zeile nach der anderen voll und löcherte mich mit Fragen, unter anderem dieser: „Wünschen Sie einen Finderlohn?“ Ein Danke würde mir reichen, winkte ich generös ab, doch später bereute ich es. „Ich hätte einen Euro verlangen sollen“, sagte ich zu Ms. Columbo. „Dann wäre die Geschichte weitergegangen.“

Und darum geht es doch im Leben, oder nicht: dass die Geschichten weitergehen.

Der nächste Käsestammtisch findet übrigens am 16. Juni statt. Dies als Botschaft an halb Hamburg.

05 Mai 2011

Fundstücke (132)



Fragen Sie mich bitte nicht, warum dieser Schirm …

a) … auf einen Bauzaun in der Seilerstraße geklemmt wurde und
b) … die Aufschrift „Es regnet Kaviar“ trägt.

Schön wär’s ja (sofern Beluga).


04 Mai 2011

Sehr Sade



Vier Gitarren, schleppendes Massive-Attack-Flair, Grooves und Balladen perfekt austariert, poetische Bühnenbilder und Einspielfilme, ein gazehaft transparenter Sound, den sogar meine kleine Digicam einzufangen in der Lage war …:

… Verdammt, es gibt wirklich überhaupt nix zu meckern an Sades Auftritt gestern Abend in der Hamburger o2-World-Arena.

Deshalb ersetzt dieser kleine Mitschnitt jedes weitere Geschwafel, und das ist auch gut so.

03 Mai 2011

Fundstücke (131)



Ein Gehweg ist also kein Hundeklo – aber die eigene Haustür anscheinend das geeignete Medium für ernste Ermahnungen. Manche Menschen verstehe ich einfach nicht.

(Was natürlich nur dann gilt, wenn Herr oder Frau Koch selbst für den Spruch auf ihrer Haustür verantwortlich sind. Sonst nehme ich alles zurück und bestätige, dass ich manche Menschen doch verstehe.)


Entdeckt in der Kastanienallee.



02 Mai 2011

Gut ausgelüftet



Da hat sich wohl jemand gedacht: Den mühseligen Weg zum nächsten Altkleidercontainer spar ich mir. Und dann hat er oder sie die ollsten Klamotten des Bestandes einfach an den Gitterzaun vorm neuen Astraturm gehängt.

Den Zaun hat übrigens der Eigentümer der Immobilie aufgestellt, damit Leute, für die großflächige Büroturmscheiben eine schier unbezwingbare Einschmeißverlockung darstellen, nicht mehr ganz so nah rankommen an den neuen Astraturm.

Allerdings fliegen routiniert geworfene Pflastersteine auch schon mal weiter als die paar Meter, die der Zaun an Distanzierung leistet, doch wem sag ich das.

Zurück zur originellen Altkleiderentsorgung. Um diese Methode ein wenig zu verschleiern und nicht sofort Vermutungen wie Faulheit und Bewegungsscheu aufkommen zu lassen, hat der oder die Verantwortliche wenige Meter weiter das Ganze auf dem Pflaster zum „Umsonstladen“ beschönigt.

Die treffsichere Allegorie „Fiese Hecke“ für den Gitterzaun verdient übrigens Respekt und Anerkennung.

01 Mai 2011

„Ganz Hamburg hasst die Polizei“



Was ist eigentlich dieses „Regen“, von dem man ab und zu im Wetterbericht hört? In Hamburg jedenfalls liegt das Phänomen gefühlt ungefähr so lange zurück wie die letzten 1.-Mai-Krawalle.

Weil das besagte Datum heute wieder dräute, wurde das traditionelle Spielfeld – also Schanze und St. Pauli – behördlicherseits vorsorglich zum „Gefahrengebiet“ erklärt. Bedeutet: Man hatte bei Bedarf der Polizei auch anlasslos Rede und Antwort zu stehen.

Insgesamt sorgte das alles für eine bedrohliche Aura überm sonnentrunkenen Kiez, und aufgrund einer insistierenden Bitte von Ms. Columbo musste ich sogar mein Fahrrad hoch in die Wohnung schleppen, obwohl mich kurz zuvor Chris, der Schlächter, im Fitnesskurs gestriezt hatte bis zur Schnappatmung.

Ms. Columbos Bitte allerdings war wie immer weise, denn wenig später zog bereits die erste Demo durchs Viertel. Darunter waren viele schwarzgekleidete Kapuzenträger mit vollverspiegelten Greta-Garbo-Sonnenbrillen. Sie trugen ein blaues Plakat mit sich herum, auf dem stand: „Ganz Hamburg hasst die Polizei“, was ein recht betrübliches Licht auf ihre Realitätswahrnehmung warf.

Wenn all ihre Analysen so leicht empirisch zu widerlegen sind wie diese, dann gute Nacht, liebe Linke. Irgendwann fing es irgendwo dann an zu krachen, Sirenen juchzten, und wenn sie nicht gestorben sind, dann prügeln sie sich heute
noch.

Es dürfte übrigens gerne mal wieder „regnen“, oder wie das heißt.



30 April 2011

Bekenntnisse eines nearly adopters

Bloggen ist inzwischen so uncool geworden, dass man sofort damit anfangen müsste, wenn man es nicht längst schon täte. Ähniiches gilt allmählich fürs Twittern.

Denn mal ehrlich: Nichts ist schlimmer, als auf fahrende Züge aufzuspringen – wie ich es damals tat, als Bloggen noch halbwegs cool war.

Inzwischen erregt Coolness in mir großes Mitleid. Ebenso die Coolnessträger, also Trendsetter, Auskenner, Herdenführer – und ganz besonders die so innig umschwärmten early adopter. Denn was ist schon ein early adopter? Doch nichts weiter als die arme Wurst, die den Herstellern von unausgegorenem Müll als erste auf den Leim geht.

Derweil wartet der Uncoole ab, bis das Zeugs endlich funktioniert – und trotzdem nur noch halb so viel kostet.

Ich bin allerdings nicht nur kein early adopter, sondern ein für die Unterhaltungsindustrie extrem nerviger Sonderfall, nämlich ein nearly adopter.

Ist zwar nur ein Buchstabe mehr, aber ein himmelweiter Unterschied. Als nearly adopter habe ich nämlich ein gutes, altes Prinzip transformiert, welches sich auch hier auf St. Pauli schon immer als höchst probates Mittel erwiesen hat, keinen Ärger zu bekommen: nur gucken, nicht anfassen.

Das bedeutet, ich bin meist gut informiert über den neusten heißen Scheiß, aber bis ich mir wirklich einen HiTec-Brillen-gestützten 4-D-LED-LCD-USB-DVBT-HDMI-plus-Ultraflachbildfernseher mit Internetzugang, Timeshift, Beamfunktion und WLAN-programmierbarer Mikrowelle kaufe, muss schon die 6-D-Glotze auf dem Markt sein. Mindestens.

Mein sehr verehrter neuster heißer Scheiß, denkt der nearly adopter in mir, während er unbeeindruckt an den Glimmerflimmerwänden im Mediamarkt entlangschlendert, werd du Krücke erst mal deine Kinderkrankheiten los, dann lass uns noch mal reden.

Na ja, lange Rede, ganz kurzer Sinn: Ich gehöre seit kurzem zu den letzten Nachzüglern, die sich nun doch noch das zugelegt haben, was der Rest der Welt schon drei Generationen lang sein eigen nennt: ein iPhone.

Natürlich kein Vierer – viel zu riskant.

28 April 2011

Dr. House praktiziert auf dem Kiez


Da waren sie nun, die ganzen „Dr. House“-Fans. Im aus allen Nähten platzenden Café Keese an der Reeperbahn trat nämlich heute Abend Hugh Laurie auf, der in der TV-Erfolgsserie einen muffeligen Doktor spielt – aber hier, im Keese, den Blues.

Irgendwie passte da was nicht zusammen. Doch die Fans – darunter viele hippe Groupies im Alter potenzieller Laurie-Töchter – mussten da durch, denn hey: Das war er höchstpersönlich! House himself! Auf der Bühne! Live und wahrhaftig! Aber wo war sein Krückstock? Und wieso parlierte dieser Knurrhahn plötzlich so charmant?

Immerhin: Dass er seltsame Uraltsongs von Jelly Roll Morton (1889–1941), Huddie Ledbetter (1889–1949) oder Mahalia Jackson (1911–1972) sang, ließ sich trefflich mit Herumquatschen während des Vortrags sowie euphorischem Juchzen in Einschaltquotenhöhe zwischen den Stücken übertünchen.

„Laurie ist so alt wie wir“, raunte ich dem Franken zwischendurch zu. „Die goldene Generation, Franke!“ Er schaute mich an, als hätte ich eine despektierliche Bemerkung über seine Wampe gemacht, deshalb sparte ich mir die weitere Beweisführung (Madonna, Michael Jackson) und süffelte weiter an meinem Grauburgunder, während Laurie am Klavier eine sehr schöne Version von Louis Armstrongs „St. James Infirmary“ anstimmte.

„Vorm Konzert habe ich gesagt“, sagte Laurie plötzlich, „wenn man uns nach dem dritten Song noch nicht weggesperrt hat, dann gönne ich mir was.“ Euphorisches Juchzen der House-Fans.

Und dann hielt Hugh Laurie plötzlich eine Maß Bier – also einen ganzen Liter – in der Hand. Und nippte. Statt es in kräftigen Zügen mindestens zur Hälfte wegzupumpen und sich einen weißen Bart von der Blume zu holen, nippte dieser Fernsehweichling nur daran.

Engländer wissen einfach nicht, wie man mit Bier umgeht. Das war die wichtigste Erkenntnis des Abends. Und manche von ihnen lieben den Blues so sehr, dass es ihnen wurschtegal ist, nur über die Stimme eines Privatpartysängers zu verfügen.

Ich glaube, ich muss mir diese Fernsehserie mal anschauen.


27 April 2011

Der Edgar-Wallace-Effekt



Auf dem Flohmarkt am alten Real-Gelände stießen wir auf einen schlauchförmigen Verhau mit Lebensmitteln am Rande des Ablaufdatums und klar darüberhinaus.

Der Höker hatte alles da: Wurst, Käse, Schinken, alles irgendwie graumeliert und eingeschweißt in Plastikfolie, die vor Erschöpfung zu seufzen schien. Wir wollten schon weiter, denn hier gab es nichts zu sehen – bis auf die knallblauen Einkaufskörbe mit dem gelben „Geklaut“-Aufkleber.

Angesichts der Armseligkeit des Sortiments fragte ich mich gleich, ob das ein vorauseilender Sarkasmus war, der all jenen prophylaktisch zugerufen wurde, die erwogen, den knallblauen Einkaufskorb zu entwenden – oder ob der Standbetreiber selbst die Teile en gros bei „Pauli’s Schnäppchenoase“ in 33775 Versmold geklaut hatte und dies nun einfach nassforsch öffentlich bekanntgab.

Denn wie wir alle aus alten Edgar-Wallace-Schinken wissen, ist der Täter niemals der, auf den der erste und plumpeste Verdacht fällt; und vielleicht setzte der Mindesthaltbarkeitsdatumsaustester auf dem Flohmarkt am alten Real-Gelände auf genau diesen Effekt.

Egal, wir werden es nie erfahren, denn wir flohen wurst-, käse-, schinken- und einkaufskorblos von dannen.

Mit angemessen entsetztem Blick, versteht sich.

26 April 2011

Fehlentwicklung Individualverkehr

Ein Abend auf dem Balkon. Alles ist vorbereitet, das Arrangement perfekt: Ms. Columbo, eine Flasche Rieslingtrester, Amaretti mit Schokoladenfüllung von Andronaco und dazu als Soundtrack aus dem Wohnzimmer Beethovens siebte Sinfonie.

Der zweite Satz – Beethoven gab als Tempo „Allegretto“ vor – ist zweifellos das schönste Stück Musik, das je geschrieben wurde, und ich würde mich auf Mozarts Komponiertisch stellen und diesen Satz wiederholen.

Einziges Problem aber: die Großstadt.

Während der knapp acht Allegrettominuten beeinträchtigten den Hörgenuss folgende Störfaktoren: ein Dutzend Autos, ein Motorrad, ein Propellerflugzeug, ein ADAC-Hubschrauber, ein Krakeeler per pedes sowie zwei von der Reeperbahn herüberwehende Polizeisirenen. Am Schlimmsten aber war diese envervierend behäbig vorüberknatternde Vespa während der leisesten Passage.

Wäre ich Beethoven, ich hielte den Individualverkehr für eine krasse Fehlentwicklung. Wäre ich ich, ebenfalls.

25 April 2011

Das Hier und Jetzt



Aller Erfahrung nach – und ich verfüge bereits über mehrere Jahrzehnte davon – werden wir dieses Traumostern noch bitter bezahlen.

Mit Hagel im Mai.
Mit Dauerregen im Juni.
Mit einer vierwöchigen Nebelbank im Juli.
Und dem frühesten Wintereinbruch der Welt am 1. August.

Doch das ist alles Zukunftsmusik. Noch ist Ostern. Noch lassen sich hanseatische Paschas im Glitzer der Frühsommersonne von willigen Blondinen über die Fleete ruden.

Und noch stehen zufällig Blogger am Brückengeländer und dokumentieren das.

23 April 2011

Really umgehaun



Hugo Egon Balder ist ja eine ziemlich coole Socke, ungefähr so eine wie
Rolf Zacher. Bei Balder sieht man das schon daran, dass er mit seinem Geburtsnamen „Egon Hugo Balder“ derart unzufrieden war, dass er sich den Künstlernamen „Hugo Egon Balder“ gab.

Er
und Zacher: Das sind jedenfalls zwei über jeden Zweifel erhabene Typen, die es immer geschafft haben, zwischen Drama, Trash und Komik ihr Ding durchzuziehen.

Gestern Abend waren wir ins Zwick an der Reeperbahn eingeladen, wo Balder sein neues Album live spielen wollte. Natürlich mussten wir hin. Wir wären ja auch zu Rolf Zacher gegangen.

Balders Begleitband waren Rudolf Rock & Die Schocker, eine routinierte Kombo nah am Rentenalter, was einige Bandmitglieder allerdings nicht davon abhielt, Karottenfrisuren wie Rod Stewart anno 72 vorzuführen, nur in Eisgrau. Die betagten Elbletten bei uns am Tisch teilten wohl insgeheim diese Haarfarbe, hätten sie sich nicht einer Wasserstoffperoxidbehandlung unterzogen. Ihr Pseudoblond kontrastierte mit Lippenstiftfarben, die selbst dem Regisseur von „Hostel“ zu grell gewesen wären.

Noch während Ms. Columbo und ich über diese Damen giggelten, kam der Franke krank vor Hunger angehetzt und flehte die Bedienung um ein Schnitzel mit Pommes an. Ihre Antwort – „Erst nach dem Konzert wieder, tut mir Leid“ – stürzte ihn in eine Existenzkrise, doch drei Blechdosen mit gesalzenen Erdnüssen, die er wegsaugte wie ein Walhai den Krillschwarm, milderten die allerärgste Not.

Derweil begann Balder zu singen, und zwar Sachen wie „You are the hottest girl in town, you have me really umgehaun“ oder so ähnlich. Manifeste eines Berufsjugendlichen. Während wir halb unter den Tisch krochen vor Fremdscham und Karl Dall spontan auch noch sein linkes Auge auf Halbmast flaggte, nässten sich die Elbletten vor Lachen fast ein.

Wahrscheinlich hofften sie so ihre Chance auf eine persönliche Aftershow mit Hugo Egon resp. Egon Hugo zu verbessern, denn der Mann ist auch mit 61 noch eine Schnitte, trotz allmählich wachsendem Rundbuckel.

Inzwischen sang er „Der frühe Vogel kann uns mal“, ein wie von Twitter geklauter Satz. Und kurz nachdem er mit stets geblecktem Gebiss die wirklich gute Zeile „Wir sind übern Berg, von nun an geht’s bergab“ rausgeröhrt hatte, packten wir den Franken und schoben ihn en passant ins Texas Bar-B-Q an der Reeperbahn, wo er augenblicklich ein formidables Burgermassaker anrichtete, wie uns später zu Ohren kam.

Das alles geschah natürlich bereits am Donnerstag, denn gestern – wie wir alle wissen – hätte selbst eine coole Socke wie Hugo Egon Balder nicht singen dürfen, vom hottest girl in town schon mal gar nicht.

22 April 2011

Alles verboten

Weil die Kirche es irgendwie geschafft hat, dem ganzen Land am Karfreitag das Singen, Tanzen und Spielen zu untersagen, herrscht auch auf dem Kiez heute tote Hose. Selbst zum Luftgitarrensolo in der Friedrichstraße wird es garantiert nicht kommen.

Und da ich unsicher bin, ob die Kirche es nicht auch irgendwie geschafft hat, am Karfreitag das Bloggen zu untersagen, mache ich hier vorsichtshalber Schluss.

21 April 2011

Home, sweet home



Vergangene Nacht, während wir noch auf Mosel und Rhein kreuzten, brannten auf St. Pauli acht Autos. Wer da gezündelt hat, scheint nicht gerade ein Umweltfreund zu sein, denn den missliebigen Klimawandel beschleunigt so was eher.

Das Motiv des Täters (ja, liebe Besserwisser, es kann auch eine Täterin gewesen sein. Oder drei.) liegt jedenfalls im Dunkeln – ähnlich wie der Anlass, der zum sorgsamen Beschriften des abgebildeten Zettels geführt haben könnte. Vielleicht hängt ja sogar beides zusammen, die brennenden Autos am Wohlers Park und der „Vorsicht Digger!“-Wisch heute Nachmittag in der Hein-Hoyer-Straße.

Das sind so Gedanken, die man sich an Rhein und Mosel wahrscheinlich niemals machen muss.



19 April 2011

Was man in Koblenz ungestraft mit Köchen machen kann



Wie kontrastreich doch das Leben sein kann.

In Cochem baten wir um Leitungswasser zum Espresso, und die Bedienung sagte: „Das dürfen wir nicht herausgeben.“ Weltweit stellen sie Leitungswasser zum Espresso, von Rio bis Reykjavik, aber in Cochem an der Mosel ist das untersagt.

Aufs alternativ für drei Euro angebotene Mineralwasser verzichteten wir daraufhin dankend, zumal der Espresso – eine ungenießbar dünne, cremalose Plörre von empörender Indifferenz – bereits mit sagenhaften 2,95 das Tässchen zu Buche schlug.

Es handelte sich um den überteuertsten Espresso unseres Lebens, und er bekam nicht mal Geleitschutz von Leitungswasser. Welch ein Schicksal.

Wir schipperten also weiter nach Alkem und kehrten abends in die Straußwirtschaft Rindsfüßer ein, wo wir mit einer ganz und gar gegenteiligen Philosophie konfrontiert wurden. Dabei schien es zunächst, als parodierte Frau Rindsfüßer die unhaltbaren Cochemer Zustände.

Meine Schwester nämlich – trotz ihres sinnenfrohen Bruders mit Abstinenz geschlagen – bestellte ein stilles Wasser. „Hawwe mer net“, blaffte Frau Rindsfüßer, „awwer mer wolle ma gugge, was mer tun könne.“

Und dann servierte sie ein fröhlich sprudelndes Mineralwasser zusammen mit einem batteriebetriebenen Milchaufschäumer. Sie nahm das Gerät, warf es an und tauchte es ins Glas, woraufhin die Kohlensäure unter allen Anzeichen von Panik die Flucht ergriff.

Binnen kurzem verfügte meine Schwester so über das gewünschte stille Wasser. Am Tisch stieß diese unkonventionelle Methode auf lauthalse Begeisterung, was nicht unwesentlich dazu beitrug, dass der nichtabstinente Rest der Gesellschaft den Abend über ordentlich bei Frau Rindsfüßer nachorderte.

Bei 80 Cent fürs 0,1er Glas Hauswein war das keine große Leistung, gebe ich zu, doch so schmeckte das preiswerte Tröpfchen auch, was allerdings durch die alternative 2007er Rieslingspätlese nachhaltig wieder wettgemacht wurde.

Am nächsten Tag auf der Bundesgartenschau in Koblenz entdeckte ich dann das abgebildete Schild. Es besagt ganz offensichtlich, dass es erlaubt ist, Köche zu köpfen, und zwar mit handelsüblichen Baseballschlägern.


Warum als Erklärung aber was ganz anderes obendrüber steht, verstehe ich ehrlich gesagt überhaupt nicht.



18 April 2011

Balanceakt



Eine kunterbunte Familienkreuzfahrt auf Rhein und Mosel, mit Eltern, Schwiegereltern, Schwägern, Neffen, Nichten und Gattin.

Unfassbare Dinge geschehen. Und läsen sie nicht alle hier mit, könnte ich auch drüber schreiben.

17 April 2011

Da hilft nur Stadionverbot



Noch niemals in meiner dekadenlangen Fankarriere habe ich den 1. FC Köln öfter in einer Saison live gesehen als in dieser, nämlich bereits dreimal.

Im Januar spielte er in Eiseskälte beim FC St. Pauli. Ich bibberte auf der Gegengerade und sah die Kölner mit 0:3 untergehen. Wenigstens gingen die Punkte an St. Pauli, das milderte den Schmerz.

Im März fuhr ich ins HSV-Stadion, wo ein lustloser 1. FC mit 2:6 abgefackelt wurde. Ich redete mir den Nachmittag mit der Torquote schön. Na ja, ich versuchte es wenigstens. Ein bisschen. Okay, eigentlich gar nicht.

Ganz klar, um mein Team siegen zu sehen, musste ich mir ein Heimspiel anschauen, in Köln. Das würde den Fluch brechen, zumal das Team sieben Spiele in Folge zu Hause gewonnen hatte. Das war Vereinsrekord, der durch einen achten Triumph noch ausgebaut werden würde.

Heute Nachmittag war ich also erwartungsfroh im Rhein-Energie-Stadion und schaute mir die Partie gegen den VfB Stuttgart an. Effekt: Köln ergab sich vollkommen widerstandslos einer 1:3-Klatsche. Wenigstens erwischte ich einen ziemlich inoffiziellen, aber passgenau hybriden Schal, der mein Herz erwärmte.

Meine Livebilanz in dieser Saison lautet also: 0 Punkte und 3:12 Tore.

Beim 1. FC Köln rätseln sie nach diesen Niederlagen immer, wie die unerklärliche Kraftlosigkeit zustande kommt, dieses Fehlpassfestival, die Unfähigkeit zu kämpfen, diese bleierne Demotivation.

Nun, ich kenne den Grund: Weil ich im Stadion bin. Auf mein Team wirke ich wie Kryptonit auf Superman.

Es gibt daher nur eine Lösung: Ich beantrage hiermit für mich ein bundesweites Stadionverbot. Sie soll für alle Partien gelten, an denen der 1. FC Köln beteiligt ist. Wo immer sie auch stattfinden.

Am liebsten wäre es mir übrigens, wenn Wolfang Overath diese Anweisung unterzeichnete. Um der alten Zeiten willen.

15 April 2011

Eine Überraschung zwischen Wasserschlangen



Was hier mitten auf St. Pauli alles um die Ecke ist (also in maximal zwei Fußminuten Entfernung; assoziative Reihenfolge):

Kneipen, Postfiliale, Disco, Theater, Musicalhaus, Kneipen, Banken, Tankstelle, Sexshops, Pornokinos (alle Fachrichtungen), Kneipen, Bordelle, Daddelhallen, Museen, Galerien, Supermärkte, Kneipen, Fußballstadion, Restaurants, Fahrradladen, Kneipen, Blumenladen, Fußpflegestudio, Schuster (stopp: hat gerade dichtgemacht), Bäckereien, Kneipen, Fischgeschäft, Boutiqen, Geschäft für Tiernahrung, Jahrmarkt, Apotheken, Reisebüro, Ärzte, Kneipen, Straßenstrich, Burger-/Döner-/Hot-Dog-/Currywurstbräter, Kentucky Fried Chicken, Hotels, Bars, Kneipen, Nippesläden, Spielplätze, Schulen, Eisdielen, Cafés, Wochenmarkt, Kneipen, Gemüseläden, Liveclubs, U-Bahn, S-Bahn, Bushaltestellen, Zeitungskioske, Ortsamt, Polizeiwache, Kneipen und …

… ein Hallenbad.

Als ich neulich vormittags dort meine Runden drehte, musste ich mir das Becken teilen mit einem exorbitant sich breit machenden Wassergymnastikkurs. Er wurde gebildet von größtenteils adipösen älteren Menschen, deren Wasserschlangen mir immer wieder frech in die Bahn ragten.

Doch das war weit weniger verdrießlich, als ich erwartet hätte, denn ein außergewöhnliches Phänomen milderte jeden anderen Missstand: Es lief saugute Musik. Normalerweise rechnet man ja vormittags im von Strampelrentnern bevölkerten Hallenbad mit Udo Jürgens oder Marianne & Michael, aber nein:

Meine baffen Ohren vernahmen Songs von MARK LANEGAN, von dem ein Kollege mal schrieb: „Seine Songs sind von depressiver Schönheit, sein Gesang ist ein Flüstern. Wenn er erzählt, klingt es, als betete er.“ Und von dem ich mal das hier behauptet habe.

Lanegan also im Hallenbad von St. Pauli. Vor Menschen, zwischen deren stämmigen Schenkeln Wasserschlangen ein wenig beneidenswertes Dasein fristeten.

Ich paddelte hinüber zum Bademeister, einem ebenfalls recht stattlichen Mann, dessen beeindruckende Physis von einem Kinn- und Backenbart unterstrichen wurde. Ich hievte mich halb auf den Beckenrand und fragte: „Sagen Sie mal, wer ist eigentlich für die Musik verantwortlich?“

Der Bademeister wurde sofort durchzuckt von einem natürlichen Abwehrreflex, fing sich aber recht rasch wieder. „Der Kursleiter der Wassergymnastik“, antwortete er mit deutlichen Anzeichen der Erleichterung darüber, dass er jemand verantwortlich machen konnte. „Jeder bringt seine eigene Musik mit.“

„Tolle Auswahl“, sagte ich, „bitte übermitteln Sie ihm meine Hochachtung.“

Der Mann wirkte verdattert, doch allmählich keimte Freude über die unverhoffte Wendung der Dinge. Ich wandte mich wieder dem Becken zu und schwamm weiter. Und ich werde wiederkommen.

Sind ja nur
maximal zwei Fußminuten.

PS: Habe ich eigentlich Kneipen erwähnt?

14 April 2011

Fundstücke (130)



1. Diese Anweisung findet man auf der verdienstvollen Webseite esowatch. Leider informiert sie nicht über die Sanktionen, die drohen, falls man sie nicht beherzigt. Bei Gelegenheit werde ich deshalb mal einen Heilpraktiker fragen.



2.
Manchmal beeinflusst die Frage, wer dich zu einem „Event“ einlädt, entscheidend die Neigung, daran teilzunehmen oder nicht. Wenn einer wie Kalle Schwensen einlädt – und sei es zur „Nacht der Sünde 2 / SM- und Fetisch-Party“ –, dann wäre es jedenfalls schon besser, man ginge hin. Aber ein bisschen Angst hätte ich schon vor dieser Veranstaltung. Na ja, am besten lasse ich Ms. Columbo entscheiden.




3. Neulich beim Scrabble gelang das Unglaubliche: mit einem Begriff drei dreifache Wortwerte abzuräumen. Natürlich bedurfte dieses Wort, um akzeptiert zu werden, einer guten Hintergrundgeschichte, und verdammt, sie war gut.



4. Selbst wer vorher genau wusste, wo z. B. rechts ist (nämlich da, wo der Daumen links ist), dürfte nach längerem Starren auf diese Produktverpackung jedes Gefühl für Seitendefinitionen verloren haben. Mir ging’s jedenfalls so, und ich bin heilfroh, kein Fahrzeug mit vier Rädern mehr zu besitzen.


13 April 2011

Was Fußball und Fahrräder gemeinsam haben







Abstiegsplatz, Geisterspiel und jetzt auch noch Stanislawski auf dem Absprung: Als Fan des FC St. Pauli fühlt man sich zurzeit zerfleddert, ruiniert und doch weiterhin festgekettet.

Also ungefähr so wie diese Fahrradleichen, über die ich ständig stolpere.

12 April 2011

Das billige Perpetuum mobile



Zwei dieser verboten köstlichen Walnussbrötchen kosten beim Backhus im Brauquartier (Foto) 1,30 Euro. Ich sammle mein Kleingeld zusammen und komme – in Ermangelung eines Ein-Cent-Stückes, allerdings u. a.mit Hilfe dreier Zwei-Cent-Münzen – auf 1,31 Euro.

Dieser minimale Überschuss bietet die wunderbare Gelegenheit, mit einem fröhlichen „Den Glückscent schenke ich Ihnen!“ ein Lächeln aufs Antlitz des Backhus-Verkäufers zu zaubern und so generell die allgemeine Weltstimmung zu heben.

Eine solche Geste nämlich ist gleichsam ein soziales Perpetuum mobile. Der Verzicht auf den einen Cent (oder auch auf 10, 20 oder 50, das sind letztlich nur graduelle Unterschiede) verbessert das mentale Klima in unmittelbarer Nähe weit mehr, als diese mikrogeneröse Geste deiner Vermögenssituation schadet. Einstein wäre begeistert.

Doch zurück zu den 1,31 Euro für die beiden verboten köstlichen Walnussbrötchen. Ich lege also das recht unübersichtliche Münzensammelsurium auf den Tresen, und gerade, als ich meinen weltstimmungsverbessernden Text „Den Glückscent schenke ich Ihnen!“ salbungsvoll hersagen möchte, schiebt der Verkäufer das Häufchen ohne nachzuzählen umstandslos in die Kasse und bedankt sich.

Mein Vorhaben verpufft also völlig wirkungslos; es ist nicht mal mehr ansprechbar, ohne mich sofort der Lächerlichkeit preiszugeben. Oder wie hätte das laufen sollen – etwa so:

„Übrigens habe ich Ihnen einen Cent zu viel hingelegt, ich wollte Ihnen den als Glückscent schenken, aber jetzt …“
„Was, Sie haben mir zu viel bezahlt? Das tut mir Leid, das habe ich nicht gewollt! Entschuldigen Sie bitte vielmals, nehmen Sie bitte …“
„Nein, Sie verstehen nicht, ich wollte den Cent nicht zurück, sondern …“
„Aber ich bestehe darauf, hier, Ihr Cent!“
„Nein, behalten Sie diese doofe Münze doch, verdammt! Ich will diesen blöden Cent nicht mehr zurück!“
„Das kann man auch in einem anderen Ton sagen!“
„Was habe ich denn in welchem Ton gesagt, hä? Was denn?“
„Mir reicht’s! Hier: 1,31 Euro, bitte schön, für Sie. Und jetzt gehen Sie, raus! Halt, die Brötchen bleiben hier! Lassen Sie sich bloß nie mehr blicken! Wegen einem Cent ein solches Theater, unglaublich!“


Na ja, und so weiter. Kurz: Die Situation lässt eine Selbstthematisierung aus intrinsischen Gründen nicht zu.

Allerdings schmeichelt mir das Vertrauen, welches der Backhus-Verkäufer mir mit seinem ungeprüften Einkassieren entgegenbringt. Und deshalb verzaubert plötzlich ein verblüfftes Lächeln mein Antlitz. Nehme ich zumindest mal an (denn es ist gerade kein Spiegel in der Nähe).

Auf dem Heimweg bleibt zudem der Trost, dass der Verkäufer wenigstens beim abendlichen Kassensturz ein unverhofftes Tagesplus von einem Cent vorfinden wird. Ein doppelter Weltstimmungsaufheller also. Was will man mehr an einem sonnigen Frühlingstag auf dem Kiez?


Höchstens noch Weltfrieden.



11 April 2011

Was Hafencity und Kim Jong-il gemeinsam haben

Ein Ausflug in die Hafencity bringt jedesmal neue und bisweilen erstaunliche Erkenntnisse – vor allem, wenn man (wie wir) nur alle paar Monate dort aufkreuzt.

So posieren dort neuerdings Erpel auf einem Bein, als bewürben sie sich für Germany's next topduck. Im Pavillon der Elbphilharmonie haben sie derweil das Publikum offensichtlich nach der Ästhetik des nordkoranischen Parlaments modelliert.

Und am Dalmankai … doch sehen Sie selbst.







10 April 2011

Der fehlgeleitete Grabscher



Geburtstagsparty einer Freundin in einer Schanzenkneipe.

Ich unterhalte mich gerade mit der Gastgeberin, als ich plötzlich spüre, wir mir zwei kräftige Hände parallel an den Hintern fassen und ihn in eine Wippbewegung versetzen (was dank der muskulär beeindruckenden Grundkonsistenz meines Hinterns selbstverständlich nur von kurzer Dauer ist. Das Wippen.).

Ich drehe mich um und erblicke einen mir völlig unbekannten Mann um die 40. Er sieht mich an und erblickt in mir einen völlig unbekannten Mann um die 50.

„Oh“, sagt er, „ich dachte, du seist Olaf.“

Warum er es indes für nötig hielt, diesem Olaf den Glutaeus Maximus zu kneten, ließ sich an diesem Abend nicht mehr klären.

Interessante Party jedenfalls – und von all dem konnte die mittags abgelichtete Gießkanne natürlich überhaupt noch nichts ahnen.

09 April 2011

Fundstücke (129)



Da haben wir’s: Das Internet gefährdet Beziehungen. Es ist somit rundheraus abzulehnen.

Gefunden in der Seilerstraße.

Nachtrag 10.4.2011:
Auf mehrfachen Wunsch folgt hier nun auch die Abbildung der Vorderseite, die ich in weiser Voraussicht ebenfalls fotografiert hatte.



08 April 2011

Vive le Käse, vive le Lachs!



Wie heißt es so schön? Den Camembert in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf. Seinen Duft übrigens auch nicht, wie wir heute Abend entzückt in der Villa Verde feststellen konnten.

Dort besuchten wir den weltweit ersten Hamburger Käsestammtisch. Neun formidable Rohmilchkäsesorten warteten duftend vor Vorfreude auf geneigte Connaisseure, also uns, und die patente Sommelière Ina Finn vermochte das Sortiment erwartungsgemäß mit kongenialen Weinen zu flankieren.

Initiiert wurde die Veranstaltung von der französischen Milchwirtschaft, die sich deutlich größere Absatzerfolge in Deutschland vorstellen kann. Denn leider laufen die Deutschen mehrheitlich immer noch zu Aldi und kaufen dort blutjungen Billiggouda, statt sich – wie es dem zivilisatorischen Stand des Homo sapiens weit eher entspräche – den dialektischen Freuden des Reblochonverzehrs zu widmen.

Deshalb jetzt also dieser Stammtisch, wofür sich die Marketingagentur allerdings einen Titel ausgedacht hat, bei dem man leicht errötet vor Fremdscham: „Vive le Käse“.

„Die glauben, ,Vive le fromage’ würden die Deutschen nicht verstehen“, raunt Frau Finn konspirativ und rollt ein wenig entschuldigend mit den Augen, während sie mir einen ergötzlichen Sauvignan Blanc eingießt.

Weil sie schon im Vorhinein ahnte, dass die Käsestammtischpremiere angesichts der deutschen Rohmilchskepsis womöglich nicht ganz so überlaufen sein würde wie zum Beispiel ein Take-That-Konzert, hatte sich die findige Geschäftsfrau einen weiteren Präsentator ins Haus geholt, und zwar das Taschen-, Schuh- und Ledergürtellabel Elbkind.

Besonderheit: Alle Elbkind-Produkte sind aus Fischleder. Vor allem die bisher scheinbar nutzlose Außenhaut des verehrungswürdigen Salms wird von der Firma weiterverwertet. Vive le Lachs sozusagen.

Olfaktorisch hätte der weiter fleißig vor sich hin laufende Camembert also möglicherweise einer taffen Konkurrenz gewärtig sein müssen, doch als ich zum Stand hinüberschlich, mir die noch immer faszinierend schuppigen Schuhe zur Nase führte und heimlich beschnupperte, war da überhaupt nichts Fischiges, nirgends.

Der nächste Käsestammtisch findet übrigens am 5. Mai statt, und einmal dürfen Sie raten, wer wieder da sein wird.

07 April 2011

Strategien gegen Architektur

In der Altonaer Großen Bergstraße bauen sie ein neues Ikea-Möbelhaus. Besser gesagt: Momentan reißen sie noch die alten Gebäude ab und planieren die Fläche.

Es gab einigen Widerstand gegen das Projekt, aber als man in Altona eine Volksbefragung durchführte, entschied sich die Mehrheit der Bürger dafür. Demokratie ist manchmal unberechenbar.

Die Gegner sind gleichwohl noch aktiv und bekleben den Bauzaun gern mit antischwedischen Parolen in Blau-Gelb. Manche davon sind allerdings ein wenig arg simpel gestrickt, zum Beispiel die hier:



Sehr viel gelungener hingegen finde ich die unten folgende. Ihr vielschichtiger popkultureller Anspielungsreichtum korrespondiert aufs Entzückendste mit der absoluten Knappheit des Ausdrucks. So soll, so muss es sein.



Und wer jetzt nicht zu Hause sein Billyregal zu Klein(sperr)holz macht, glaubt wohl immer noch an Volksbefragungen.

06 April 2011

Zwischenfall mit Handschellen



Ein Schrei unter unserem Balkon. Mitten auf der Seilerstraße liegt ein dunkelhäutiger Mensch, zwei hellhäutige Jeans- und Sweatshirttypen knien über ihm.

Ein Auto muss bremsen und beleuchtet die bizarre Szenerie. Ich gehe routiniert in den Flur, hole das Telefon, gehe wieder zurück. Inzwischen steht das Trio am Straßenrand, und gerade, als ich die Davidwache anrufen und Rassismus, Übergriff, Raub etc.pp. anzeigen will, zückt einer der Männer Handschellen und legt sie dem Dunkelhäutigen an.

Zivilfahnder? Zivilfahnder.

Ich lasse das Telefon sinken und verlege mich aufs abwartende Beobachten. Jetzt wird der Gefesselte durchwühlt. Passanten gehen vorüber, keiner fragt, was los sei. Sie drehen sich nicht mal um. Eine irgendwie besinnliche Ruhe liegt über der Szenerie.

Der Pass des Verhafteten wird ausgiebig studiert, man blättert in Papieren, keiner spricht. Und irgendwann nehmen sie den Gefangenen in die Mitte und schlendern gemütlich davon, Richtung Davidwache.

Na ja, wieder einen Anruf gespart.



05 April 2011

Ein toter Hase

Der dicke obdachlose Langbart trägt einen Filzzopf bis auf Rippenhöhe. In seinem Einkaufswagen, den er irgendwo konfisziert hat, stapeln sich prallvolle Pennytüten.

Wir stehen in der Königstraße an einer Fußgängerampel, als der verwahrloste Riese uns anspricht. Denn er hat eine Information für uns.

„Da liegt ein toter Hase“, sagt er und grinst über beide zugewucherte Backen, dass der Filzzopf wackelt.

Dann zückt er ein Teppichmesser – und schabt vorsichtig den Aufkleber „Ultra St. Pauli“ von einem Vorfahrtschild.

In einigen Metern Entfernung liegt wirklich ein toter Hase, mitten auf dem Gehweg. Vielleicht auch ein Kaninchen.

Ein verstohlener Seitenblick auf sein Teppichmesser zeigt keine Blutflecken. Dann wird die Ampel grün.


04 April 2011

Vorsicht: Körperflüssigkeiten!

In der altehrwürdigen „Kiez Klause“ (sic!), einer Kneipe mit CD-Musikbox, von der man auch schon mal in brutalstmöglicher Lautstärke „The winner takes it all“ ins Hirn geblasen bekommt, steht ein Getränk auf der Karte namens „Monatsblutung“.

Der Wortbestandteil „blut“ ist dabei rot eingefärbt, und zwar für all jene, die immer auch aufs Offensichtliche erst gestoßen werden müssen. Es gibt manche solcher Menschen; für sie ist eine solche visuelle Hilfe segensreich.

Wie auch immer: Eine spontane Umfrage im Mittrinkerkreis ergab eine äußerst geringe Bereitschaft, die „Monatsblutung“ einmal auszuprobieren. Möglicherweise hat sie ein Image- und sicher auch phasenweise ein Lieferproblem: Denn was ist, wenn die in … ähem … vollem Saft stehende Bedienung einmal nicht kommen kann? Serviert die „Kiez Klause“ dann statt „Monatsblutung“ einen unzureichenden Ersatz wie – sagen wir – Tomatensaft?

Ohne dieses Problem, dessen Thematisierung nur mit der mitternächtlichen Stunde und bestimmten zuvor konsumierten Flüssigkeiten erklärbar ist, befriedigend gelöst zu haben, fiel mir bereits das nächste auf: Die Tür des Herrenklos in der „Kiez Klause“ lässt sich nur halb öffnen, weil die CD-Musikbox, von der man auch schon mal in brutalstmöglicher Lautstärke Stücke von Haddaway (!) ins Hirn geblasen bekommt, direkt davorsteht.

Nehmen wir zum Beispiel an, Otti Fischer würde mal hier in der „Kiez Klause“ abhängen und nach acht bis zwölf Gläsern „Monatsblutung“ auf einmal dringend müssen, so gelänge es ihm mit an Sicherheit grenzender Wahscheinlichkeit nicht, das Herrenklo unfallfrei zu betreten.

Stattdessen würde der stattliche Bayer sich heillos im Türspalt verklemmen und käme erst wieder frei, nachdem er es einfach pladdern gelassen und so ausreichend an Volumen verloren hätte.

Das alles wäre natürlich schlimm und zu verurteilen, doch in Wahrheit ist die „Kiez Klause“ selbst daran schuld, weil sie ihre Musikbox, von der man auch schon mal in brutalstmöglicher Lautstärke ein Stück von Fury In The Slaughterhouse (!!) ins Hirn geblasen bekommt, zu nah an der Klotür aufgestellt hat.

Otti Fischers Malheur wäre freilich trotz seiner Außergewöhnlichkeit immer noch eine weit geringere Sensation als jenes der gleichen Sphäre zugehörige Kunststück, das ein Amazonverkäufer in seiner Produktbeschreibung anzukündigen weiß.

Dort steht nämlich: „SCHIFFE AUS PORTLAND, OREGON, USA“.

So was geht natürlich nur mit unglaublich viel Druck auf der Leitung – und den dauerhaft garantieren zu können, dafür gebührt diesem tapferen Amerikaner jener Respekt, den man Otti Fischer trotz allem nur eingeschränkt entgegenbringen möchte.