23 Januar 2008

Warum in Hessen, wo am Sonntag gewählt wird, die Todesstrafe nicht abgeschafft werden kann

Von: mattwagner
Betreff: Todesstrafe in Hessen
Datum: 13. Januar 2008 21:18 MEZ
An: Roland.Koch@
******.de

Sehr geehrter Herr Koch,

laut Artikel 21 der hessischen Verfassung droht das Land bei besonders schweren Verbrechen noch immer mit der Todesstrafe. Können Sie mir sagen, ob Sie sich im Falle einer Wiederwahl für die Abschaffung einsetzen werden und wenn ja, in welchem Zeitraum?

Sofern dies nicht auf Ihrer Prioritätenliste stehen sollte, wüsste ich gerne, warum nicht.
Vielen Dank für Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Wagner


Von: Roland.Koch@******.de
Betreff: Ihre Mail vom 13. Januar 2008
Datum: 23. Januar 2008 17:11:15 MEZ
An: mattwagner


Sehr geehrter Herr Wagner,

(… ) In Art. 21 Abs 1 Satz 2 der Hessischen Verfassung heißt es, dass jemand bei besonders schweren Verbrechen zum Tode verurteilt werden kann. Die Todesstrafe wird in Art. 109 Abs. 1 Satz 3 der Hessischen Verfassung ein weiteres Mal erwähnt.

Zum Verständnis dieser Regelungen der Hessischen Verfassung muss berücksichtigt werden, dass die Hessische Verfassung die erste Verfassung eines deutschen Landes war, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und noch in Kraft ist. Als sie am 1. Dezember 1946 in einer Volksabstimmung angenommen wurde, war die Todesstrafe im damals geltenden Strafgesetzbuch bei besonders schweren Verbrechen noch vorgesehen. Nach dem Krieg ist sie in Deutschland in mehr als 100 Fällen auch verhängt, in Hessen allerdings nie vollstreckt worden. Erst das Grundgesetz hat sie durch seinen Art. 102 im Jahre 1949 abgeschafft. Seitdem gibt es sie auch in Hessen nicht mehr.

Da das Grundgesetz die Todesstrafe verbietet, darf kein Bundesland sie wieder einführen. Dass die Todesstrafe im Text unserer Landesverfassung noch enthalten ist, hat also keine praktische Bedeutung mehr.

Um den Wortlaut der Verfassung gleichwohl zu ändern, wäre allerdings (…) eine Volksabstimmung nötig. Nach Art. 123 erfordert eine Verfassungsänderung zunächst ein mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl der Mitglieder des Landtags beschlossenes Gesetz, dem anschließend das Volk mit der Mehrheit der Abstimmenden zustimmt.

In diesem Fall könnte die Bevölkerung aber nur darüber abstimmen, ob die Todesstrafe weiter im Verfassungstext stehen soll, obwohl es darauf wegen des Verbots der Todesstrafe im Grundgesetz nicht ankommt. Eine solche Volksabstimmung, die sich isoliert auf die Frage der Todesstrafe bezieht, haben bisher alle politischen Parteien in Hessen nicht für sinnvoll gehalten.

Der hierfür primär zuständige hessische Gesetzgeber hat sich in der zu Ende gehenden Legislaturperiode eingehend mit der Frage des grundsätzlichen Veränderungs- und Ergänzungsbedarfs der Hessischen Verfassung beschäftigt.
(…) Die angestrebte Einvernehmlichkeit für einen Gesetzentwurf zur Änderung der Hessischen Verfassung, der selbstverständlich auch die Aufhebung der Passagen zur Todesstrafe beinhalten würde, konnte jedoch nicht erzielt werden.

Der Bedeutung einer Reform der Hessischen Verfassung würde es nicht gerecht werden, wenn seitens Landesregierung durch die Einbringung eines Gesetzesentwurfs in den Hessischen Landtag eine beabsichtigte Verfassungsänderung vorgegeben würde. Es bleibt vielmehr auch in der künftigen Legislaturperiode Aufgabe aller im Hessischen Landtag vertretenen demokratischen Parteien, einen für alle Seiten tragfähigen Konsens zu finden, was aus meiner Sicht zu begrüßen wäre.

Mit freundlichen Grüßen

Roland Koch


Foto: Wikipedia

13 Kommentare:

  1. Schwarzenegger sollte Hessischer Ministerpräsident werden, dann könnte man auch den bestehenden Hessischen Jugendgulag in Richtung Sibirien wissenschaftlich erklären, der wohl konform mit der Hessischen Verfassung, dem Hessischen Landtag und dem Hessischen Ministerpräsidenten usw. geht. Oder auch nicht.

    Ich meine, wenn Klinsmann bei Bayern, könnte doch auch Arnold in Hessen ...

    Grüße aus dem Dreiländereck,
    J.

    btw: Die Arbeit in der Pressestelle des Hessischen Landtags oder als Referent des Herrn Koch muss grausam sein.

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  2. Tja - zwiespältig das ganze. Es möchte einfach niemand erleben, daß womöglich eine einfache Mehrheit in Hessen die Todesstrafe aufrechterhalten oder nicht abschaffen will. Wäre ja auch ein schwer vermittelbares bzw. vertretbares Ergebnis und vermutlich deshalb "nicht sinnvoll". Und es gab ja in dieser Republik Zeiten, wo es traditionsgemäß hieß "Aufhängen", wahlweise "Rübe, Schwanz, Hände ab", als es um APO, RAF, böse Mordsachen oder Sexualdelikte u. ä. ging und die Volksseele (was auch immer das sein soll) ganz geBILDet am Dampfen war.
    Den "für alle Seiten tragfähigen Konsens" (?) wird es vermutlich nie geben, sondern wenn überhaupt eher ein Gehacke erster Güte, wenn diese Frage zum Politthema würde (irgendwo ist immer Wahlkampf und was da so brutalstmöglich ist, können wir uns ja gerade in Hessen ansehen).
    Eigenartige Sackgasse. Also schweigt man besser darüber. Hat sich ja wohl bisher bewährt. Ist jemandem etwas von einer Beschäftigung oder gar einer Debatte des "zuständigen hessischen Gesetzgebers" dazu bekannt ? Vermutlich gab es in Wirklichkeit auch gar keine.
    Es wäre aufschlußreich zu erfahren, wie andere Parteien oder Kandidaten auf Ihre Frage antworten bzw. geantwortet hätten.

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  3. Wunderbar!

    Damit ist doch wieder sehr deutlich und mit vielen Worten gesagt, daß man seitens der Politik an solchem Unsinn (oder dem tatsächlichen Notausgang Todesstrafe) festhalten will.

    Man fürchtet die Meinung des Volkes, man will es nicht erwecken. Was wäre, wenn sich das Volk über dieses Relikt aufregt und ein Volksbegehren startet, die Regierung zu kippen?

    Was wäre, wenn das Volk die Todesstrafe WILL?

    Es würde auf jeden Fall die hessische und die bundeseinheitliche Regierung lächerlich machen. Und das ist es, was ich aus diesem Schreiben lese. Die Angst vor der Lächerlichkeit.

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  4. Versteh das einer wer will. Ich als chronischer Leserbriefschreiber, an irgendwelche in der Öffentlichkeit stehende Persönlichkeiten (auch Politiker) schreibender Erbsenzähler, der zu aktuellen Themen Stellung bezieht (ja, auch ich habe vor kurzem an Roland Koch geschrieben) bekomme kaum Antworten und da stellst du einfach lapidar die Frage nach der Todesstrafe in Hessen und prompot ergiest sich Roland Koch in aller Förmlichkeit in einer Antwort. Was mache ich falsch? Liegt es daran, dass ich Roland Koch nichts gefragt sondern nur unterstellt habe? Und er darauf hin pikiert dachte, was will der Erbsenzähler aus Hamburg von mir? Der kann mich eh nicht wählen. Also, Schwamm drüber?

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  5. @toronto: ich denke, du hast es genau erfasst...! :-D

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  6. Also hier in Bayern stand die Todesstrafe auch bis vor kurzem noch in der Verfassung (kein Problem - Bundesrecht bricht ja Landesrecht), doch vor ein paar Jahren wurde der Absatz gestrichen. Ich glaube auch per Volksentscheid. Wenn das hier geschafft werden kann, finde ich es bedenklich, dass Herr Koch einen entsprechende Maßnahme in seinem Freistaat nicht für nötig hält.

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  7. Ermittlungen des BaziND ergaben, daß Koch auf seinem Nachtschränkchen
    das Buch "Todesstrafen" von Kurt Rossa aus dem Jahre 1966 liegen hat.

    Buchbesprechung: http://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1967/1967-09-b-568.pdf
    Seite 573
    1966 noch forderten über 2/3 der Deutschen die Todesstrafe für Mord an
    Taxifahrern !!!

    /Schäubling

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  8. Anonym, ist das jetzt hoch oder niedrig? Könnte doch sein, dass 1966 drei Viertel der Deutschen die Todesstrafe für Mord an Kiezzuhältern befürworteten, die Taxifahrermörder also recht milde beurteilt wurden …

    Toronto21, ich habe natürlich pfiffigerweise meine alte Heimatadresse angegeben, und die war natürlich durch und durch hessisch.

    Cekado, Olaf, mich überzeugt die Argumentation auch nicht richtig. Doch man möchte wohl eher mit dem ewigen Schandfleck leben, als irgendein Risiko einzugehen.

    Joshuatree, bestimmt handelt es sich dabei um einen Formbrief, der immer verschickt wird, sobald irgendein Nervtyp mal wieder nach diesem doofen Thema fragt.

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  9. @ Olaf


    „Ist jemandem etwas von einer Beschäftigung oder gar einer Debatte des "zuständigen hessischen Gesetzgebers" dazu bekannt ? Vermutlich gab es in Wirklichkeit auch gar keine.“

    Schauen Sie dazu hier:
    http://tinyurl.com/2ce56c

    Glück auf!

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  10. ich find die todesstrafe in hessen gut. das gibt dem eher farblosen volk sowas archaisches. hessen ist doch ansonsten eigentlich sowas wie der msv duisburg unter den bundesländern...

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  11. Es würde zu weit führen, verehrter Herr Matt, all meine Erinnerungen
    hier darzulegen. Dem Volk aufs Maul zu schauen hat bisher immer
    auch Gewinne abgeworfen.
    Als vor Jahren zum Leidwesen der Christparteien die Todesstrafe für
    Taximörder nicht durchsetzbar war (trotz BLÖD Kampagne) wurden
    flugs Trennscheiben gesetzlich vorgeschrieben.
    (Trennwandverordnung 1966 - 1969)
    Wie schön, das VDO schon vorproduziert hatte.
    VDO ?
    Ja, dem Christian Schwarz-Schilling seiner Frau ihre Firma.

    Würde das Volk heute prutalstmöglich befragt, ob für bestimmte schwere
    Delikte die TS verhängt werden müsse (Kindesentführung mit Tötung
    des Kindes z.B.) würden XX % dafür stimmen.
    Und diese XX % macht nicht nur mir Angst sondern auch den Vertretern
    des abstimmenden Volkes.

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  12. @ corax -
    vielen Dank für diesen link. Dann scheinen sich ja seit 2005 "alle vier Fraktionen" in dieser Frage einig zu sein (E. 1, S. 36) - dennoch mag wohl niemand dieses zur Volksabstimmung stellen und u. U. die Büchse der P. zu öffnen. Zugleich halte ich diese Diskussion zum Thema für durchaus lehrreich, wenn sie denn seriös geführt würde. Und da habe ich eben meine Zweifel, gar Dreifel.

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  13. Wissen Sie, was ich als Politiker in Hessen täte? Genau das Gleiche wie Herr Koch. Also in diesem Fall.

    Einen Artikel, der sowieso keinerlei Bewandnis hat, weil er sowieso niemals angewandt werden kann, würde ich auch in der Verfassung stehen lassen, als Geld dafür zu verschwenden, diese Formsache zu diskutieren. Wenn Sie sich einmal bitte überlegen, wieviel Geld ein einzelner Hesse – sagen wir mal, Ihr Vater – dafür bezahlte, nur damit etwas aus der Verfassung gestrichen werden könnte, was, s.o., sowieso niemals relevant würde.

    Übrigens ist das ja nicht Herr Koch oder die CDU alleine. Keine Partei in Hessen hat dieses Thema als wichtig angesehen.

    Und ganz nebenbei: Ich traue dem Volksentscheid eh nicht. Ich glaube, daß die Menschen sich zu einfach manipulieren lassen. Wenn dann am Ende herauskommt, daß viele Hessen die Todesstrafe befürworten, ja, was dann? Dann lacht sich auch wieder jeder über den Politiker kaputt, der das verbockt hat. „Hätte dem doch klar sein müssen”

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