02 Juni 2007

Versuch einer Busfahrt

Seit 15 Jahren schon hat der notorische CO2-Privatproduzent und Klimawandelbeschleuniger GP keinen Bus mehr bestiegen, aus diversen Gründen: weil sie ihm immer zu voll waren und zu prollig, weil die Mitfahrer stanken und ein bestürzender Mangel an rahmengenähten Schuhen ihm jede Fahrt vergällte.

Das ist im 21. Jahrhundert alles nicht mehr so, hatte ich ihn immer mal wieder zu beruhigen versucht. Gerade im Schnellbus, trumpfte ich gelegentlich auf, seien freie Platzwahl und dezente Passagiere schier an der Tagesordnung. Es handle sich bei einer solchen Unternehmung quasi um eine Stadtrundfahrt, nur viel billiger.

Als wir nun gestern Abend eine gemeinsame Party im nicht gerade fußnahen Uhlenhorst aufsuchen wollten, ließ er sich endlich einmal breitschlagen zum Busfahren, nach 15 abstinenten Jahren. Ich stieg an der Davidstraße zu, GP saß schon drin. Mir schwante sofort Übles.

Der Bus nämlich war voll wie die Reeperbahn nachts um halb eins. GP hatte zwar noch einen Platz ergattert, fuhr allerdings rückwärts und wurde von benachbarten Passagieren räumlich eingeengt. Gleichwohl versuchte der Gentleman in ihm, den ausgestrahlten Missmut nicht als Vorwurf an mich rüberkommen zu lassen.

„Was ist denn los?“, fragte ich und versuchte meinerseits, die Bestürzung, die mich sowieso bereits ergriffen hatte, mimisch als Erlebnis einer absoluten Ausnahmesituation zu codieren, so dass GP keinesfalls dem Glauben verfallen könnte, im Bus sei es immer so, wie sich die momentane Lage darstellte (was er ja sowieso 15 Jahre lang angenommen hatte).

Eine erfahrene Hanseatin im eleganten Kostüm klärte mich auf: „Die S-Bahn fährt nicht – Personenschaden. Da weiß man ja schon, was los ist.“ Sie lächelte so schmerzlich wie verschwörerisch. Ja, das weiß man in der Tat.

Ich stellte mich in den Gang und versuchte mimische Entschuldigungssignale Richtung GP auszusenden. Er sah aus dem Fenster. Zeitgleich wurde ich abgelenkt, und zwar olfaktorisch.

Neben mir nämlich stand ein grauer älterer Herr mit Pennytüte, dessen Haare seinem hellgrauem Jacketkragen einen feinen Fettschmier aufpinselten; und von ihm ging eine warme Dunstwolke aus, die mich inzwischen schmeichelnd umschloss und ihr Volumen stetig vergrößerte, und zwar in Richtung GP.

Die Dunstwolke roch nach Urin.

In diesem Augenblick zerbrach etwas in mir, vor allem meine bereits hektisch imaginierte Argumentationskette, mit der ich GP nach dem Aussteigen einen weiteren Busfahrversuch in näherer Zukunft hatte abringen wollen.

Nein, das war’s. Die Quote rahmengenähter Schuhe brauchte ich nicht mal mehr zu ermitteln. Zumal ich auch selbst keine trug.

19 Kommentare:

  1. Unlängst hatte selbst ich als Sozialfall mit Raubtiergeruch Anlaß, den 37er bereits nach einer Station wieder zu verlassen und an der Haltestelle Davidstrasse auf den Folgebus in Richtung Rathaus zu warten.

    Eine ältere Dame mit ausgesprochen hanseatischem Flair und keinesfalls betrunken kotzte im Fünfsekundentakt in eine große Lache im Mittelgang. Seelenruhig. Es roch streng säuerlich nach halbverdautem Döner, das zu Tage geförderte Produkt sah auch so ähnlich aus.

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  2. Ich hoffe, das wird GP niemals lesen.

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  3. Volles Verständnis für GP. Die Gründe decken sich mit meinen zum Verzicht auf ÖPNV seit 15 Jahren.
    Zwiegenäht oder Taiwanverpappt ist mir bei fremden Tretern allerdings wurscht.

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  4. Ich hasse Busfahren und danke hiermit für den Artikel, der mich noch mehr in meiner Busfahr-Aversion bestätigt. (Ich habe das Wort getrennt, sonst stünde jetzt da "Busfahraversion", was sich nach einer "Gammelsprech"-neudeutsch-Aussprech-Version von "Eine Art von Busfahrer" anliest!)

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  5. Keine Sorge, Matt, GP wird das nicht lesen. Oldman / Anna: Ich wußte doch, ich bin nicht der einzige Mensch der Welt, der das Busfahren ablehnt. Mir gefällt die Busfahraversion übrigens in der Gehttosprechvariante äußerst gut. Mußte doch herzhaft schmunzeln (wie auch immer das gehen soll).

    Jedenfalls war es in der Tat ein Abenteuer, dieses Benutzen des ÖPNVs.

    Daß Sie aber, werter Matt, ebenfalls dem Gammelsprech verfallen, überrascht doch, und zwar vor allem mich. Meinten Sie nicht vielmehr, Sie daß Sie gleichzeitig abgelenkt wurden, und nicht etwa zeitgleich? Denn soweit ich mich erinnere, traten beide Ereignisse zum gleichen Zeitpunkt auf, unterschieden sich aber sehr wohl in ihrer Dauer. Wir sollten Schäuble fragen.

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  6. Busfahren macht also auch noch gammelsprech im Kopf! Das wird ja immer schlimmer!
    Ich habe heute noch Albträume von meinen zwei Busfahrten hier in dieser Stadt, die für ihre psychotischen, sadistischen, brutalneurotischen Busfahrer berühmt ist. Ich würde sie für den Kriegsnobelpreis vorschlagen, wenn es ihn den gäbe!

    GP, schön dass Ihnen Busfahra-Ghettoblastersprech gefällt und es Sie vielleicht von dem am Boden kauernden Kebap abgelenkt hat?

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  7. Vielen Dank für Ihre Gammelsprechreduktionsbemühungen, verehrter GP. Erstaunt muss ich feststellen, doch noch nicht alles gewusst zu haben. Dabei war ich davon überzeugt.

    Der Dönerbelag, liebe Anna, pflasterte allerdings den Boden eines anderen Busses. Immer genau lesen, ja? ;-)

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  8. Hab ich, hab ich. :)

    Ich war ja bei KEINER der beiden anheimelnden Busfahrten dabei, weder bei Ihrer (Urinwolke!) noch bei der von Opa (Dönergebrech!). Und mein Bedauern über mein Fehlen würde, so glaube ich, nicht besonders überzeugend ausfallen.
    Ich bezog mich mit meinen tröstlichen Worten auf Ihren Kommentar "hoffentlich liest das GP nicht" und versuchte mit meinen Busfahrageplänkel den Herren GP abzulenken, erinnerte ihn aber wieder an den Kommentar von Opa (Döner..) und habe, so vermute ich, auf der ganzen Linie kläglich versagt!

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  9. Oder ich – das ist bei meiner momentanen Pechsträhne wahrscheinlicher.

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  10. Die erkläre ich hiermit einfach für beendet. Vielleicht hilft's ja?

    Meine eigene (seit Januar 2000) scheint in den letzten Zügen zu liegen, denn ich habe heute kurz mit dem Kauf eines Döner geliebäugelt, wirklich wahr, und war dann eben bei der sehr anschaulichen und poetischen Schilderung von Opa SEHR froh, dass ich dem widerstanden hatte.

    So schnell können sich Dinge ändern, sehen Sie.

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  11. Auf Edi zu hören ist übrigens stets eine gute Wahl. Quod erat demonstrandum.

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  12. Ich vermeide Busfahren seitdem ich jahrelang mit dem total überfüllten Bus zur Schule fahren musste. Seitdem laufe ich lieber.
    U-Bahn, S-Bahn und Zug fahren hingegen finde ich angenehm - die Bahn kann wenigstens nicht falsch abbiegen.
    Andererseits - nach einmal chinesischem Überlandbus genießt man wahrscheinlich den ÖPNV in Hamburg (siehe hier: http://yellowwings.sinocidal.com/?p=89 - habe ich auch so erlebt). ;-)

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  13. Erstmal will mit meiner Zweitmeldung Opas Spezialwissen bewundern.
    Ich hätte nicht gewußt, wie halbverdautes Döner aussieht, das mal
    nachsehen will, wie es in einem Bus aussieht.
    Mit geschlossenen Augen könnte man glatt einen schwäbischen Wurstsalat
    für einen gekotzten Döner halten. So von der Nase her.

    Hätte ich bei einer meiner letzten S-Bahn Fahrten die Augen geschlossen,
    hätte ich mich in einem Ziegenstall gewähnt.
    Dabei hatte nur ein langer Mensch seine Hand schwungvoll an der Haltestange verkrallt. So, daß seine Achselhöhle, bedeckt durch ein nasses Waschlappenteil
    seines Oberhemdes, direkt vor meiner Nasenspitze verharrte.
    Ich verharrte nicht, täuschte einen Niesanfall vor - ihm mitten ins Gesicht.
    Hätte ich die Hühnergrippe gehabt, wäre das lange Ferkel an der Tröpfcheninfektion
    eingegangen. Nach der fälligen Entschuldigung hatten mein Autos mich für immer wieder.

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  14. Da reihe ich mich mal ein, auch ich hasse Busfahren aus eben denselben Gründen wie cheffe. 13 jahre fast jeden Tag fast 2 Stunden Bus fahren reicht für mehrere Leben, für meines auf alle Fälle.
    Und lieber Herr Wagner, auch ich muss feststellen dass ihnen das Busfahren nicht nur olfaktorisch sondern irgendwie auch sprachlich ein wenig zugesetzt hat. Sie meinten doch sicher, dass sie gemeinsam mit GP eine Party besuchen wollten, und nicht eine gemeinsame Party? Und falls doch nicht, wie sieht es aus, wenn man eine gemeinsame Party besucht? So wie beschrieben? FragenüberFragen.

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  15. och ,ich weiß schon ,warum ich NICHt Bus fahre

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  16. Jetzt macht ihr mich echt alle fertich. Aber ich hab's ja nicht besser verdient.

    Andererseits: Die Party war wirklich ziemlich gemeinsam – nämlich mit uns am gleichen Ort …

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  17. Ich halte die Form der Sozialisierungsversuche für GP durchaus für angemessen.
    ;-)

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  18. Wenn ich aufgefordert werde, aus meinem kuscheligen Eimsbüttel in die fremden Weiten der Hansestadt vorzustoßen, und ich mir beim Routenplaner des HVV die zu bewältigende Strecke anschaue, wähle ich bei der Form des Verkehrsmittels immer (!): "Bus - unbedingt".

    So sieht man nämlich erstaunlich viel mehr von der Stadt.

    Allerdings muss ich dazu sagen, dass es mich selten in sozial schwierige Viertel verschlägt. die Kampfhund-/Kotz-/Urin-Dichte hält sich also meist in sehr gesunden Grenzen.

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