20 August 2007

Das Espressorätsel

Früher bestellte ich den Espresso immer lungo, also mit Wasser verlängert. Seit einiger Zeit arbeite ich an einer Geschmacksverfeinerung und bin im Zuge dessen auf doppio umgestiegen: gleiche Stärke, aber doppelte Menge.

Heute Abend nun gesteht mir Ms. Columbo, sie sei davon überzeugt, beide meiner speziellen Vorlieben beeinflussten seit Jahren die Qualität ihres Espressos, und zwar keineswegs zum Guten.

„Wenn du einen Lungo oder Doppio bestellst“, klagt sie, „kriege ich automatisch immer einen Verlängerten.“ Und das möge sie nicht.

Sie habe diesen Effekt über lange Zeit stillschweigend beobachtet, erläutert sie, und heute Abend sei es nun so weit, mich mit diesem inzwischen empirisch fundierten Forschungsergebnis zu konfrontieren.

Meine Zweifel an dieser Theorie erweisen sich augenblicks als noch größer als mein Amüsement, und wir beschließen die Probe aufs Exempel. In der Pizzeria am Großneumarkt, wo wir im milden Abendsonnenschein draußen sitzen können und uns fühlen wie im Romurlaub, ordert sie einen normalen Espresso, ich einen doppelten.

Woran wir überhaupt erkennen könnten, frage ich vorsorglich, ob ihr Einzelespresso wirklich über Gebühr verlängert worden sei. Sie wisse sehr wohl, welche Menge man gemeinhin beim Italiener serviert bekomme, antwortet sie mit charmanter Schnippischkeit. Dann warten wir. Es ist aufregend.

Zwischendurch frage ich zunächst mich und dann sie, wie man überhaupt einen italienischen Ober herbeirufe. In Frankreich käme man mit einem entschlossenen „Garçon!“ ja durchaus weiter, doch hier und jetzt – vielleicht „Signore“? Nein, erläutert Ms. Columbo als kompetente Halbsardin, es hieße schlicht „scusi“, „Entschuldigung“.

Und da kommt er auch schon, der Signore Scusi. Mit einem Doppio und einem – Cappuccino … Eine Fehllieferung. Der Cappuccino geht zurück, ein Einzelespresso muss nachbestellt werden. Und das verwässert natürlich die Versuchsanordnung völlig.

„Der Effekt“, merkt Ms. Columbo spitzfindig an, „tritt natürlich nur dann auf, wenn wir eine gemeinsame Bestellung aufgeben.“ Was zu beweisen gewesen wäre. Wir werden dranbleiben.

Ober heißt auf Italienisch übrigens „cameriere“.

19 August 2007

Meditieren auf der Reeperbahn

Mehrfach jährlich herrscht hier auf dem Kiez die sonische Hölle. Zum Beispiel beim Schlagermove („Fiesta Mexicana“-grölende Kampftrinker in Schlaghosen), dem Christopher-Street-Day (Tunten in Tüll und Karnevalsklamotten) oder den Harley Days (rollende Bierbäuche mit applizierten Graubärten).

Müsste ich mich entscheiden, welchen dieser empörenderweise sogar polizeiunterstützten Terrorakte ich zum Teufel wünschen sollte, so fiele mir das leicht: alle drei.

Außerdem gibt es hier noch ein Radrennen, die CyClassics. Auch das führt zu Lärmentwicklung. Denn tausende von Menschen stehen gewöhnlich an der Strecke und nerven akustisch die schutzlosen Fahrer.

Doch dank der Tour de France war heute alles anders. Zwar rauschte das Fahrerfeld zig-mal über die Reeperbahn, nur stand da kaum jemand rum. Radelnde Chemiedepots? Braucht wohl keiner mehr.

Weil aber natürlich trotzdem alles für den Autoverkehr gesperrt war, herrschte heute auf dem Kiez plötzlich eine himmlische Ruhe. Dafür danke ich Leuten wie Ullrich, Fuentes und Sinkewitz von Herzen. Bitte immer weiterspritzen, ja?

Natürlich nutzte ich auch die unverhoffte Chance, mich mal mitten auf die verwaiste Reeperbahn zu stellen und diese sonst tagtäglich so gequälte Straße einmal im verträumten Dämmerzustand zu fotografieren.

Ein bisschen war’s wie meditieren. Ommm.

Und sie bewegt sich doch!



Die vor einigen Wochen von mir ins Spiel gebrachte Aktion „Anna muss bloggen!“ ist ein voller Erfolg – denn Anna bloggt!

Sherlock Matt hat die ebenso scheue wie enigmatische Saarländerin in den Weiten des Webs aufgespürt. Nun möchte ich alle Doc Watsons da draußen – vor allem Olaf – ermuntern, es mir gleich zu tun.

Einfach so ausplaudern werde ich ihre URL natürlich nicht. Andererseits: „Jeder Mensch ist käuflich, es ist nur eine Frage des Preises“, schrieb mal ein bedeutender Philosoph im 25. Kommentar zu diesem Text, und wenn das richtige Angebot rüberkommt – wer weiß.

Tipp für den Anfang: Sie nutzt Wordpress, und ihren Blogkopf ziert das abgebildete stimmungsvolle Foto. Wer als erster ihre Blogadresse in einem Kommentar erwähnt, erhält natürlich einen der weltberühmten CD-Sampler aus original Reeperbahnrückseitenproduktion.

Das könnte vielleicht auch ein Outinganreiz für Anna selber sein …

18 August 2007

Die Pissnelke



In Winterklamotten gehen wir in dieser kalten Augustnacht rüber ins Millerntorstadion, angezogen von den cineastischen Verheißungen des 60er-Jahre-Trashfilms „Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn“.

Wir sehen Erstaunliches. Nämlich den jungen Fritz Wepper, wie er sich mit einer nackten Frau in den Laken wälzt. Wir sehen Leute, die LSD konsumieren, wir sehen bloße Brüste, und das in einem deutschen Film von 1967!

Gegen halb 11 geht drüben auf dem Dom das Feuerwerk los. Der Verständlichkeit der Filmdialoge nützt das natürlich wenig, doch das macht nichts – denn dafür fällt ein atmosphärischer Clip dabei ab, den man nirgendwo sonst auf der Welt drehen könnte.

Als ich mich auf dem Heimweg unserem Haus nähere, höre ich plötzlich eine Frau „Nicht schauen!“ kreischen. Der Imperativ dringt mir nur halb ins Bewusstsein; er wird auf die übliche Weise automatisch herausgefiltert.

Denn unter unserem Balkon geschieht allwochenendlich sowieso viel zu viel Seltsames und letztlich Harmloses, als dass man sich über Gebühr darum kümmern sollte.

Als ich fast an der Haustür bin, kreischt es indes wieder und sehr viel lauter „Nicht schauen!“. Ebenso hätte mich irgendjemand auffordern können: „Denk bitte jetzt gerade mal nicht an die Kleine Hufeisennase“, und an was hätte ich zwanghaft gedacht? Genau.
Natürlich schaue ich also jetzt hin und sehe eine ungefähr 19-Jährige, wie sie aufgebrezelt, großäugig und breit grinsend dahockt mit heruntergelassenen Hosen und auf den Gehweg pisst. Daneben steht ihre Freundin und überwacht die Situation.

„NICHT schauen!“, schreit die Pissnelke, und ihre Riesenohrringe wackeln im Wind. Ich schaue weg, schließe wortlos die Haustür auf und betrete die Wohnung.

Natürlich hätte ich sie aufs öffentliche Klo drüben auf der Reeperbahn hinweisen können, doch wozu? Es gibt schließlich Ziele, die viel eher zu erreichen sind, als Wildpinkler auf dem Kiez zur Rückkehr in die menschliche Zivilisation zu bewegen – zum Beispiel Weltfrieden.


16 August 2007

Zwischen Strand und Spritzenplatz

Ms. Columbo lacht sich halb kaputt über die Fortbewegungsart unbeholfener Seeelefanten auf 3Sat. In der Tat: Wenn die Viecher loskrauchen, sieht das wirklich aus, als wallten Wellen durch eine Presswurst voller Fettgeschwabbel.

„Wer denkt sich so was bloß aus!“, gluckst Ms. Columbo, „das allein ist doch schon eine Widerlegung der Schöpfungstheorie!“ Stimmt, jeder Kreationist müsste vom Glauben abfallen beim Betrachten eines x-beliebigen Seeelefantenfilms.

Apropos Wellen: Während einer unserer üblichen spitzfindigen Sprachdiskussionen kommen wir auf „La Ola“, bekannt als „Die La-Ola-Welle“. Da „La Ola“ aber übersetzt einfach „die Welle“ heißt, ist der Ausdruck „die La-Ola-Welle“ nichts weiter als eine ziemlich bescheuerte Verdopplung: „Die die Welle Welle“.

Warum reden wir so? Warum müssen Seeelefanten übern Strand walken, als wallten Wellen durch eine Presswurst voller Fettgeschwabbel?

Und warum hat mein Arzt seine Praxis ausgerechnet am Spritzenplatz und treibt auch noch seine typografischen Späßchen damit?

Clever und dreist



Gut, dieser stattliche Mensch war heute Abend vielleicht nicht der typischste aller Stones-Fans. Aber er war einer der cleversten.

Ich zum Beispiel hatte nicht mal mit dem Gedanken gespielt, unterm Hemd eine Abstellfläche fürs Bier in die Arena zu schmuggeln.

Die Rolling Stones höchstselbst waren
hingegen noch dreister: Sie schleppten gleich ein ganzes Parkhaus (ca. aus den Spätsechzigern) mit ins Stadion und versuchten es als Bühnenaufbau zu tarnen.

Hat nicht funktioniert.

14 August 2007

Tag der Stecher

Zunächst rauschte nachmittags eine Wespe volley in meinen USB-Ventilator. Keine Millisekunde später zappelte sie verdattert und verteidigungsunfähig auf der Schreibtischplatte.

Ich erwog sie mithilfe des WOM-Magazins zu erlösen, doch ihr progressives Zucken schien eine leichte Erholung anzudeuten. Also schob ich sie auf ein Blatt und schubste sie aus dem Fenster. Taumelnd und flugunfähig sank sie hinab in den Abgrund. Was aus ihr wurde, werde ich nie erfahren.

Im Gegensatz zu den Moskitos, deren Schicksal ich abends sehr genau mitbestimmen konnte. Über Jahre hinweg habe ich mich professionalisiert. Was mit einer Fliegenklatsche begann, führte über eine hand- und schlaggerecht gerollte Zeitschrift zu strombetriebener Technik: Moskitos jage ich inzwischen nur noch mit dem Staubsauger.

Eine effektive und saubere Methode – großer Radius und keine Flecken auf der Tapete. Das Teleskoprohr wird ausgefahren, die Bürste abgezogen und halali.

Es gehörte allerdings keineswegs zum Plan, mit dem Staubsaugerschlauch mehrere Flaschen Alkoholika vom Kachelofen zu fegen. Taumelnd und flugunfähig rauschten sie hinab in den Abgrund, doch merkwürdigerweise zerbrachen sie nicht, als sie aufs Parkett krachten.

Der Tresterbrand (Kallfelz, Mosel) schäumte lediglich entrüstet auf, und die Roséflasche (Sella & Mosca, Sardinien) entledigte sich protestierend ihres Korkens, so dass eine blutähnliche Weinlache den Boden aufhübschte. Und alles nur wegen ein paar winziger Lebewesen, die so leicht sind wie Luft.

Immerhin saugte ich nach den Aufräumarbeiten insgesamt drei von ihnen ins Beutelnirvana und installierte danach zur Sicherheit noch das unbezahlbare Moskitonetz im Schlafzimmer.

Das ging erstaunlich pannenlos vonstatten, obwohl ich doch mit einem Hammer hantieren musste. Wahrscheinlich ist Ms. Columbo ziemlich stolz auf mich. Ich auf mich auf alle Fälle.

Foto: Micropolitan.org

Haarige Sache



Beim Konzert von Devendra Banhart im Knust muss ich frustriert feststellen: Dieser dünne Amerikaner ist praktisch unfotografierbar. Dabei wendet er eine grundsätzlich andere Taktik an als einst Graf Dracula, der als Abbild – ob im Spiegel oder auf Fotos – einfach unsichtbar blieb.

Nein, Herr Banhart kehrt dir entweder den bestürzend schmalen Rücken zu, was fototechnisch unbefriedigend bleibt, oder du knipst ihn seitlich oder von vorne und hast trotzdem nur Bart und Haare drauf.

Ich erinnere mich, mir einst aus purer Neugierde mal den viele Jahre alten Vollbart abrasiert zu haben, nur um zu erfahren, wie ich überhaupt aussehe.

Devendra Banhart scheint dieses Bedürfnis noch nicht zu verspüren, nicht mal im Ansatz. Der Mann ist völlig zugewachsen. In botanischen Kategorien ausgedrückt wäre er der brasilianische Regenwald und ich die Wüste Gobi.

Doch ob haarig oder nicht: Wer so wie er Townes’ „Colorado girl“ covert, kann kein schlechter Mensch sein, im Gegenteil.

12 August 2007

Auf der Dorfdisco

Nach fünfstündiger Bahnfahrt, während der mir nahe Northeim das Himmelsbild gelang, verbringen wir ein Wochenende in meinem hessischen Heimatdorf am Fuße des Westerwaldes. So vertraut, so fremd.

Die Verwandtschaft zum Beispiel hat die Angewohnheit, so fröhlich wie lautstark durcheinanderzuplappern. Eine von A angefangene Geschichte wird von B begeistert zu Ende erzählt, was A aber nicht dazu bewegt, den Staffelstab einfach loszulassen.

Nein, munter spinnt er die Geschichte ebenfalls fort, und die so entstehende kommunikative Kakophonie ergibt erstaunlicherweise am Ende doch eine recht runde Story.

Abends Oldiedisco in der einzigen Kneipe des Dorfes. Man erkennt mich, nötigt mir Bier auf, tätschelt mir die Glatze, lobt lallend Hamburg, artikuliert gesteigerten Besuchswillen.

Oft nicke und lächle ich einfach freundlich, weil ich im brachialen Lärm der Oldiedisco eh nichts verstehe und klar ist, dass eine Nachfrage kaum mehr Klarheit ins semantische Dunkel brächte.

Heute, am Tag danach, habe ich allerdings den Verdacht, durch unbewusstes Abnicken mehreren reisefreudigen Dorfdiscobesuchern persönliche Kieztouren und weitere Betreuungsangebote in Aussicht gestellt zu haben.

Übrigens ist nicht nur eine generelle Kakophonie typisch für meine Familie, sondern auch eine beeindruckende Gestaltungshöhe im Ethisch-Moralischen. „De Marga erzeehld Geschichde“, informiert man mich mit latenter Empörung über den geistigen Dämmerzustand einer Heiminsassin, „dej sei gor ned wuhr!“

Selbst eigentlich entlastende Demenz vermag also einen gottesfürchtigen Protestanten nicht davon abzuhalten, auf die generelle Sündhaftigkeit des Lügens hinzuweisen.

Zum Ausgleich sehe ich auf der Rückfahrt am Marburger Bahnhof eine junge Frau, die ein T-Shirt mit der Aufschrift „Back from Hell“ trägt. Und direkt hinter ihr gehen zwei Nonnen.

10 August 2007

Kostbare Sekunden

Einer der schönsten Momente heute war der, als der Rührarm unserer Brotbackmaschine plötzlich im gleichen Takt lief wie der im Hintergrund laufende Song „Amelia“ von Michael Hall.

Eine kleine unverhoffte Harmonie im ansonsten konsequent asynchronen Alltagsgeschehen. Allerdings hielt sie nur wenige Sekunden vor.

Es waren die kostbarsten.

Von Gefriertüten und Eiderenten

Dieser Artikel auf Spiegel online über das Glück auf einer kleinen norwegischen Insel ist fast zu kuschelig, um wahr zu sein. Doch er glänzt mit einem wunderbaren deppenbindestrichlosen Wort. Es heißt „Eiderentendaunenschulden“.

Das Wort ist nicht einfach erfunden, sondern sorgsam eingebetteter Bestandteil einer Geschichte, die fast zu kuschelig ist, um wahr zu sein.

Überraschenderweise muss man das Wort kuschelig neuerdings auch auf den sprichwörtlich rustikalen Franken anwenden. Der mit allen Weihwassern gewaschene Grobmotoriker hegt und pflegt zu Hause eine umfangreiche Sammlung von DVDs, und genau eine einzige davon hat er unlängst aus Gründen des besseren Staub- und Erosionsschutzes eingeschlagen – und zwar in eine Gefriertüte.

Für Außenstehende klingt das wahrscheinlich nicht sonderlich liebevoll; es hätte gewiss für mehr öffentlichen Applaus gesorgt, wenn der Franke eine Schmuckschatulle verwendet hätte.

Doch für uns, die wir das Pech haben, tagtäglich mit seinem landsmannschaftlich typischen Rumgepoltere und seiner unterfränkischen Stoffeligkeit konfrontiert zu werden, steckt in der übergestülpten Gefriertüte eine rührende Symbolik.

Irgendwo nämlich, tief versteckt unterm Unterfrankenpanzer, scheint doch so etwas wie ein Herz zu pochen, wenn auch sehr, sehr leise.

Die interessanteste Frage aber ist die, welcher Film denn nun in den Genuss seiner schier zärtlichen Anwandlung kam. Uns erwartet eine überraschende Antwort.

Denn weder handelt es dabei um eine Scheibe seines geliebten Harald Schmidt, noch wurde einem David-Lynch-Film die Gefriertütenehre zuteil. Nicht einmal seine „Twin Peaks“-DVDs erfreuen sich der Spezialunterbringung.

Nein: Es ist die „Sissi“-Box!

Kramer und ich starren ihn an, als übte er gerade im Baströckchen einen Balztanz für den nächsten Christopher-Street-Day. „Weil das Cover aus Samt ist!“, ruft der Franke in einem lächerlichen Versuch, sich zu verteidigen. „Alles andere kann man abwischen!“

Er hat ausgerechnet die „Sissi“-Box in eine Gefriertüte gesteckt. Das ist unglaublich kuschelig. Und hätte der Franke bei irgendjemand Eiderentendaunenschulden, ich würde sie bezahlen, eventuell.


Das Foto der Eiderentenfedern schoss Ian Walker.

09 August 2007

Das Plattenrätsel



Eine Wand seines Musikzimmers tapeziert Andreas immer wieder neu mit wechselnden Plattencovers, die stets eine Gemeinsamkeit aufweisen, zum Beispiel Obstmotive, Leute mit Hut oder Bands, die uns den Rücken zuwenden – alles ist denkbar.

Neuerdings hängt bei ihm das abgebildete Ensemble, welches ich direkt vorm Platziertwerden ablichten konnte. Ich tumber Tor stand indes ratlos davor und kam einfach nicht auf das gemeinsame Kriterium, welches all diese Cover als homogene Gruppe definiert.

Doch bestimmt ist nicht jeder so begriffsstutzig wie ich, und deshalb lobe ich mal wieder einen selbstkompilierten CD-Sampler aus für jenen Schlaumeier, der mir als erstes per Mail mitteilt, aus welchem Grund wohl Andreas ausgerechnet auf dieses Plattencoverensemble gekommen ist.

Er hat’s mir schließlich verraten – und natürlich fiel es mir sofort wie Schuppen aus den Haaren. Aber hinterher ist man ja immer schlauer.

Andreas selbst, seine Verwandten und Leute mit unmittelbarem Zugang zu seinen Kontaktdaten sind natürlich von der Verlosung ausgeschlossen. Und nicht schummeln – das gibt schlechtes Karma!

Blogprobleme

Blogger.com hat momentan technische Probleme, man kann keine Fotos hochladen. Und ohne Fotos kein Beitrag.
Das wird sich aber bestimmt sehr bald wieder ändern.

07 August 2007

Ich dünge den Stadtpark

Grundsätzlich ist es natürlich kein Problem, ein Magnum Mandel zu möfeln, während man in der Abendsonne das überraschende Duett von M. Ward mit Norah Jones genießt. Doch dann erzählt Ward etwas von einem Stück, das man jetzt spielen werde, und zwar habe es ein amerikanischer Songpoet verfasst, der wahrscheinlich öfter durch Deutschland als durch seine Heimat getourt sei. 

Noch scheint es so, als habe diese Ansage rein gar nichts zu tun mit meinem Magnum Mandel. Noch. Jedenfalls werde ich nicht nur extrem hellhörig, nein, bei mir schrillen sogar alle Alarmglocken, und vor meinem inneren Auge blinken große Warntafeln mit der Aufschrift „Townes Van Zandt! Townes Van Zandt!“ 

Nur er kann gemeint sein, und wer meine Verehrung des Texaners kennt, ahnt vielleicht, welche Drüsen gerade unter Hochdruck anfangen zu pumpen, nämlich die für Adrenalin zuständigen. Fahrig taste ich nach der Kamera in meiner Hosentasche, denn wenn M. Ward und Norah Jones jetzt wirklich gemeinsam einen Townes-Van-Zandt-Song singen sollten, ohne dass ich diesen kostbaren Moment konservieren würde, so müsste ich mich selbst ohrfeigen. Nicht nur dabei allerdings wäre ein Magnum Mandel eher hinderlich. Nein, auch beim Aktivieren der Kamera entpuppt sich das Halbgefrorene am Stil als wenig nützlich. 

Rechtshändig drücke ich an meiner widerwilligen Kamera herum, während mir links der erste Vanilletropfen den Daumenansatz kühlt. Beim sofortigen Abbeißen der suppenden Stelle fallen zudem die ersten größeren Schokoladenplättchen zu Boden. Übrigens passiert mir das immer beim Magnummandelmöfeln, selbst wenn ich beide Hände frei zur Verfügung habe. Entweder ein Konstruktionsfehler oder Matt’sche Tollpatschigkeit, ich weiß es nicht. 

Was ich jedoch weiß: Ich würde meine Karriere aufgrund mangelnder Steigerungsmöglichkeiten sofort beenden, sobald ich es schaffte, ein Magnum Mandel verlustfrei zu inkorporieren. Hier und jetzt ist daran aber nicht zu denken, im Gegenteil. Während das Eis weiter tropft und bröckelt, ist die blöde Kamera endlich soweit. Und schon erklingen die ersten Takte von „Loretta“, Townes’ Song über eine Bardame. Ja, in der Tat: M. Ward und Norah Jones covern Zandt. 

Ein unwirklicher Moment, ein magischer Moment. Denn sie tun es gut, die beiden, schleppend und zart, er mit dieser angerauten Rock’n’Roll-Stimme, die immer ein wenig klingt, als sänge er durch ein Megafon; sie mit diesem melancholischen Kleinmädchentimbre, es ist ein Genuss. Ich filme schleckend, sabbernd und bröckelnd mit, zwar aus viel zu großer Ferne, aber immerhin – und nach gut drei Minuten drücke ich statt auf den Stop- auf den Ausschaltknopf.  

Datei. Nicht. Gespeichert. 

Dafür habe ich den Stadtparkboden mit erheblich mehr Schokoladenplättchen gedüngt als üblich. Ich. Könnte. Heulen.  

(Townes-Foto von Claus-Marco Dieterich, Marburg 1993)

 

06 August 2007

Vom Knüppeln in verschiedenen Varianten

Auf dem heiligen Rasen des Millerntorstadions, wo am Wochenende mein FC St. Pauli noch sensationell Bayer Leverkusen wegknüppelte, steht jetzt eine große Leinwand. Freiluftkino – und das in einer warmen Sommernacht!

Auf dem Programm: Klaus Lemkes ebenso dilettantischer wie charmanter Hamburgklassiker „Rocker“ von 1971. Das Tollste am Film ist neben der unfreiwilligen Komik der derbe Kiezsprech jener Zeit.

„Komm mit raus, Torte!“, pflaumt da ein vom Feminismus noch völlig unbeleckter Koteletten- und Schnäuzerträger seine Ex an. Und ein Ganove namens Ulli fragt seinen kleinen Bruder: „Hast du schon mal ne Alte geknüppelt?“ Hat er nicht.


Parallel zur Filmspule dreht sich drüben auf dem Dom majestätisch das Riesenrad, von der Achterbahn und der Überschlagsschaukel (Foto) wehen die Lustschreie der Teenies herüber, und wir versuchen auf den Schalensitzen der Haupttribüne eine halbwegs bequeme Position zu finden.

Tags darauf schauen wir uns eine Dokumentation über eine Seychelleninsel an. Ein 150 Jahre alter Schildkrötenbulle kommt vor, der gerade eine gepanzerte Dame besteigt.

„Ich würde auch gern mit 150 noch ne Alte knüppeln können“, sage ich versonnen zu Ms. Columbo. Die Torte grinst süffisant, und ich nippe entschlossen optimistisch an meinem Single Scotch Malt (Laphroaig, 10-jährig).

Kein Lamm, nirgends

Der Angestellte der Tankstelle am Spielbudenplatz will mir auf den 12er-Kasten Warsteiner kein Pfand geben. Diese Konfiguration, wird mir kühl beschieden, hätte man nicht im Angebot, ergo erfolge auch keine Rücknahme. Nur die Flaschen könne ich dalassen.

Das versuche ich auch, doch der zuständige Automat ruckelt und piept zwar eifrig, folgt aber seiner einzigen Bestimmung hienieden nicht: Flaschen zu schlucken und dafür einen Bon auszuspucken. Streik also nicht nur bei der Bahn.

Frustriert packe ich den Kasten draußen auf den Gepäckträger des Fahrrads und schlendere über den Flohmarkt – in der Hoffnung, die Kiste geklaut zu bekommen und somit diese Last ohne weitere Mühe, aber auch ohne Erlös los zu sein. Doch heute streiken selbst die Diebe.

Später versuche ich, Lammfilets zu kaufen, weil Ms. Columbo vom Fischmarkt aus irgendwelchen Gründen Bohnen heimbrachte. Und was kann man zu Bohnen schon essen außer Lamm? Also muss ich los.

Doch die Frustrationsserie reißt nicht ab. Bei Penny: kein Lamm. Bei Lidl: dito. Da wohnen wir schon in einem Viertel mit gefühlt mehr als 50 Prozent kleinasiatischer Bevölkerung, der doch wohl eine deutliche Lammaffinität unterstellt werden darf – und der hiesige Einzelhandel setzt dennoch voll auf Huhn und Schwein.

Vorm Lidl-Markt schläft übrigens ein besoffener Teenager im Stehen und hat sich zur Unterstützung seines vegetativen Nervensystems, das neben der Atmung auch seine aufrechte Haltung sichern soll, an einen Pfosten gelehnt.

Während er also dalehnt und sanft schwankend schläft, dreht er sich in Höhe der Körpermitte eine Zigarette. Ganz erstaunlich.

Heute Abend gab es dann übrigens weder Lamm noch Bohnen, sondern Käse und Salat. Auch lecker.

04 August 2007

Schrei nach Liebe

Wahrscheinlich hattet auch ihr heute diesen infamen Prospekt des Deutschen Atomforums im Briefkasten, der meinen Tag kontaminierte.

Darin jammert die Atomindustrie uns einen vor: Sie fühlt sich missverstanden, zu Unrecht ungeliebt. Außerdem listet sie fünf Gründe auf, weshalb sie der wahre Klimaschützer sei.

Nur eins kam in diesem rührenden Schrei nach Liebe schamhafterweise nicht vor: Plutonium.

Deshalb hier kurz eine Ergänzung, damit der Prospekt auch vollständig ist: Die ungeliebten Klimaschützer produzieren tagtäglich das tödlichste Gift der Welt, ohne auch nur den Schimmer einer Ahnung zu haben, wo es am Ende hin soll.

Sie produzieren das tödlichste Gift der Welt und halsen es einfach unseren Nachfahren auf, und zwar für die nächsten 24 000 Jahre – also fast zehnmal so lange, wie die gesamte bisherige Geschichte der menschlichen Zivilisation andauert.

Mal ehrlich, ihr armen ungeliebten Klimaschützer: Dann. lieber. Klimawandel.

Amputate in Plastikfolie

Unsere Nachbarn haben heute im Erdgeschoss einen schicken Laden für chinesische Möbel eröffnet. Er heißt „38 Geister“, was ein sehr geheimnisvoller Name ist – und hoffentlich den Flaneuren ausreichend vermittelt, worum es hier überhaupt geht.

Bei der Eröffnungsparty stieß ich nicht nur auf exotische Schränke und patinöse Plakate aus Post-Pu-Yi-Zeiten, sondern unvorbereitet auch auf eingeschweißte Hühnerfüße.

„Die gibt’s dort an jedem Imbiss“, winkte einer der Inhaber lässig ab. Dank des luftdichten Verschlusses sollen die wenig appetitlichen Amputate recht lange haltbar sein. Mich erinnern sie übrigens an Menschenhände.

Doch sie sind natürlich kleiner, und deshalb dürfte man beim Hühnerfußfuttern kaum richtig satt werden, wie mir auch das Betasten durch die Folie hindurch zu bestätigen schien. Reizvoll sind sie wohl nur für jene, die von einem Leben als Nager träumen oder eine Party in Schwung bringen wollen.

Ob es an chinesischen Imbissständen auch eingeschweißte Hundenasen oder Kuhschwanzquasten gibt? Das habe ich leider vergessen zu fragen.

Doch ich komme ja öfter vorbei. Geradezu täglich.


03 August 2007

Von Humor- und anderen Bomben



Im schwäbische Kneipenrestaurant Brachmanns Galeron in der Hein-Hoyer-Straße sind wir die ersten Gäste.

Als wir eintreten, läuft dissonanter Avantgardepop mit extremem Nervpotenzial, der bestimmte Lebenssituationen durchaus adäquat illustrieren könnte (zum Beispiel eine Kniespiegelung), doch keinesfalls ein Abendessen mit Ms. Columbo.

„Sind Sie wirklich sicher“, frage ich den Ober, „dass diese Musik appetitanregend wirkt?“ Er grinst säuerlich. Sie hätten diese Platte, führt er ernst aus, „nur zum Aufbauen“ aufgelegt, wobei mir nicht ganz klar ist, was er mit Aufbauen meint.

Ist ja auch nicht wichtig, solange er die Musik wechselt. Das tut er, und ein schöner Abend schließt sich an, einer mit Lachs auf Linsen, Rösti mit Rauke, Hefebrand nach Grauburgunder.

Am Ende möchte ich mit Karte zahlen. „Tut mir Leid“, sagt der Avantgardepop-Ober, „nur bar.“

„Na gut“, antworte ich, „können wir dann Teller waschen?“ Sein säuerliches Grinsen ist am Tisch bereits bekannt. Eine echte Humorbombe, der Mann.

Eine Bombe spielt übrigens auch eine wichtige Rolle in diesem kleinen bösen Clip von heute. Und wer das jetzt empörend mühsam zusammengebogen findet, der hat völlig Recht.

02 August 2007

Audienz beim Fußballgott

Natürlich, objektiv gesehen ist das völlig gaga, schon klar. Doch für mich hat es etwas unbeschreiblich Erhebendes, im gleichen Stadion ein- und auszuatmen wie Alessandro Del Piero

Nur wenige Meter von mir entfernt schreitet der Fußballgott zur Eckfahne, und ich bin verzückt, auch wenn der Ball im Strafraum versandet. Hach, der Atem der Fußballgeschichte! Am Ende verliert Del Piero mit Juventus Turin 0:1 beim HSV in einem bedeutungslosen Testspiel, das ich mir jedoch legendär zu reden versuche. Denn wir sehen nirgends Fernsehkameras, diese Partie findet unter Ausschluss der medialen Öffentlichkeit statt, und das hat man ja heutzutage nicht mal mehr auf dem Kiez

Mir wird ganz pathetisch beim Gedanken daran. „Dieses Spiel“, raune ich dem Franken zittrig zu, „wird ausschließlich in unserer Erinnerung weiterexistieren!“ „Und auf tausenden Digicams“, lässt der tumbe Aurakiller ungerührt die Luft aus meinem Pathos und filmt den nächsten Freistoß. 

Verdammt, er hat Recht. Also knipse ich Del Piero, wie er sich den Ball zur Ecke zurechtlegt. Ein Moment, den mir niemand mehr nehmen kann.  

PS: Hier gibt es drei Minuten lang Del-Piero-Tore.

01 August 2007

Sinkewitz’ gelöschte Lüge



Wieso eigentlich kaufen die Chinesen plötzlich unsere ganze Milch? Ich dachte immer, sie könnten sie gar nicht verdauen.

Nein, mit Logik kommt man manchmal einfach nicht weiter. Zum Beispiel gibt es Radrennfahrer, die schmieren sich abends ein Testosterongel auf den Arm, obwohl sie wissen, dass der Missbrauch der Paste pipileicht auffliegt.

Wie Patrik Sinkewitz, der heute endlich alles zugegeben hat. Am 18. Juli klang das noch einen Tuck anders, wie mein vorsorgliches Bildschirmfoto seiner Webseite dokumentiert.

Seitdem habe ich auf zweierlei gewartet: auf Sinkewitz’ Einknicken und das Verschwinden seines Dementis. Heute geschah beides. Er gab alles zu, und unterm 18. Juli steht auf einmal etwas ganz anderes.

Pinocchio Sinkewitz hat die dreiste Lüge flugs gegen ein dopingbereinigtes Bulletin ausgetauscht; jetzt betreibt der Mann auch noch Geschichtsklitterung. Ts, ts.

Übrigens verdamme ich das Lügen nicht grundsätzlich; schließlich soll das jedem von uns rund 200-mal pro Tag unterlaufen, meistens unmerklich. Doch man sollte lieber keine Lüge wagen, deren Entdeckung einen dazu zwingt, monatelang mit hochrotem Kopf rumzulaufen.

Sinkewitz tat fatalerweise genau das, und er dachte, jetzt lösch ich den peinlichen Quatsch einfach und behebe damit das Problem. War aber nix.

Uns Normallügnern droht gemeinhin nur dank eines Sonnenbrands ein hochroter Kopf, doch den zu erwerben fällt in diesem grausamen Juli immens schwer. Dafür bietet der pflichtvergessene Monat wenigstens weiterhin den Vorteil eines actionreichen Himmels.

Über den Kiez ziehen zurzeit gewaltige Wolkenwattebäusche, die geformt sind wie Walhaimünder oder wie Riesenmäuseköpfe mit liegenden Nixenkörpern. Manche sehen sogar aus wie der Drache Fuchur, und einer erinnerte mich geradezu an ein plattes Fahrrad.

Wobei der letzte Vergleich erstunken und erlogen ist. Aber sonst stimmt alles, ehrlich.

31 Juli 2007

Ein alberner Beitrag, der gerade noch die Kurve kriegt

Vor 544 Jahren verschwand der mutmaßliche Mörder, Magister und geniale Dichter François Villon spurlos. Er war 32, und man hörte nie mehr etwas von ihm, sein Leichnam wurde nie entdeckt.

Genau genommen gibt es also keinen Beweis für seinen Tod. Vielleicht ist der Fall Villon gar ein Indiz für die Unrichtigkeit der statistisch sonst gut belegten These von der Sterblichkeit des Menschen. Vielleicht geistert Villon seit 544 Jahren durch die Weltgeschichte, mal hier, mal da.

Wenn ja, dann scheint er sich zurzeit immer noch in Frankreich aufzuhalten, allerdings unter einem lachhaft leicht zu durchschauenden Pseudonym. Der aktuelle französische Premierminister heißt nämlich – François Fillon … Da Mord nicht verjährt, sollte man Monsieur le Premier bald mal mit den forensischen Erkenntnissen von 1455 konfrontieren.

Diese alberne Überlegung hat zumindest einen Vorteil: Sie verschafft mir mal wieder die Gelegenheit, auf die so lebenstrunkene wie wehmütige Vertonung von Villons Gedicht „Cylea“ durch Christian Redl hinzuweisen und dringend den Kauf seines eigentlich vergriffenen, aber gebraucht hie und da noch erhältlichen Albums anzuregen. Es heißt „14 und ein viertel Jahr“, wurde 1991 aufgenommen und ist unbedingt dem jüngeren und viel schwächeren „CR singt François Villon“ vorzuziehen.

Wie komme ich nach dieser Verzettelung bloß wieder zurück auf den Kiez? Vielleicht über ein verdienstvolles Projekt der Künstlerin Gabriele Horndasch. Sie suchte nach deutschen Synonymen für „Hure“ und sammelte verblüffenderweise fast 600, darunter „Zwitscherliese“ und „Amüsierfleisch“.

Die meisten davon fand sie mit Sicherheit hier, auf dem Kiez. Wo Villon übrigens nie war – aber das könnte Fillon ja nachholen.

29 Juli 2007

Wenn es Nacht wird auf St. Pauli

In der Kiezklause nahe dem Hans-Albers-Platz brüllt uns aus der Musikbox Ballermannmucke das Hirn aus dem Schädel.

Als dann auch noch ein als Mensch getarnter Panzerschrank mit Glatze und riesigem „Thor Steinar“-Schriftzug auf dem Rücken an der Theke auftaucht, verlassen wir den Laden – nicht ohne dass GP ein Naserümpfen der Missbilligung und des Ekels Richtung Tresendame schickt. Hoffentlich hat sie verstanden.

Nächste Station: der Club Inside. Er liegt im Keller, ein DJ spielt ausschließlich Musik der 80er, doch meinen Wunsch („Electricity“, OMD) kann er trotzdem nicht erfüllen. Im Inside hängen halbierte Discokugeln an der Decke, und wenn man hochschaut durch die Kellerfenster, kann man den Huren unter die Röcke sehen.

Beim Weiterziehen Richtung Kogge verliert sich unsere Gruppe binnen zehn Metern, so viel Trubel herrscht hier nachts um eins, und wir müssen uns zusammentelefonieren. GP versucht noch schnell in einer Kneipe aufs Klo zu gehen, doch er kommt schon nach wenigen Sekunden wieder zurück. „Geht nicht“, sagt er, „da kotzt gerade einer die Treppe voll.“

Später, gegen zwei, auf dem Weg ins nächste Kneipenirgendwo, begegnen wir einem Typen, der an die ehrwürdigen Mauern der Davidwache pinkelt, doch es ist keine despektierliche Kritik an der Ordnungsmacht, sondern pures Laufenlassenmüssen in Verbindung mit Faulheit.

„Drüben an der Reeperbahn ist eine öffentliche Toilette!“, belle ich den Neandertaler an und hoffe, dass ihm vor lauter Scham der Strahl erstirbt, während ich gleichzeitig versuche, das über den Gehweg schäumende Rinnsal zu umtänzeln.

Er stammelt etwas Unverständliches, während sein Genital weiter in der kalten Julinacht baumelt und einen unbeeindruckt kräftigen Strahl gegen die Davidwache pladdern lässt. Es ist alles so vergeblich, so hoffnungslos.

Und darüber verliert sich erneut die Gruppe, wir stehen unversehens nur noch zu zweit auf dem Spielbudenplatz, schauen hin und her – doch die anderen sind verschwunden, verschluckt von den Menschenmassen, und es ist zu spät, um sich zum zweitenmal in dieser Nacht zusammenzutelefonieren.

Also verabschieden wir uns, ich kämpfe mich gegen den Strom die Reeperbahn hoch und frage mich eine Sekunde lang ernsthaft, was diese Menschen überhaupt alle hier wollen. Aber ich weiß es ja, und deshalb frage ich keinen einzigen von ihnen.

Zum Trost hing heute ein Regenbogen überm Kiez. Alles war gut.

28 Juli 2007

Nass und baff

Wenn man an einem Samstag genau dreimal das Freie aufsucht, und das Wetter geruht, jeweils genau dann einen brachialen Wolkenbruch zu inszenieren – dann fühlt man sich auf einmal ganz schön wichtig. Und nass. Dreifach.

Wie ich außerdem erstaunt erfahren muss, sind die
Tagesschau-Damen Laura Dünnwald und Caroline Hamann beide gleichzeitig schwanger – und ich wusste nicht mal, dass die beiden überhaupt einen Unterkörper haben.

Merkwürdiger Tag, echt.

27 Juli 2007

Ratten kreuzten seinen Weg

Auf dem Gehweg an der Schmuckstraße, wo die Transen stehen, hocken zwei Tauben, als ich mit dem Fahrrad angeradelt komme. Flöge eine Fee herbei und gewährte mir die Erfüllung eines Dutzend Wünsche, so könnte ich nicht ausschließen, ihr nach Weltfrieden, genereller Genesung und einem 1976er Chateau d’Yquem auch das Bedürfnis nach spurloser Verpuffung aller Hamburger Tauben vorzutragen. 

Trotz dieses düsteren Wunsches, der gewiss einen Schatten auf meinen Charakter wirft, bringe ich es aber nie übers Herz, der noch immer nicht aufgetauchten Fee vorzugreifen und diese Vögel bei passender Gelegenheit plattzufahren. Die beiden vor mir auf dem Gehweg wissen das genau und bleiben gelangweilt sitzen – zumal sie sich im Recht wähnen dürfen: Sie sind zu Fuß, ich radle, und das auf dem Gehweg. 

Als ich mich schon schicksalsergeben auf einen Slalomkurs einzustellen beginne, betritt von links ein weiteres unsympathisches Tier die Szenerie, nämlich eine kapitale Ratte. Düpierend gemächlich hoppelt sie quer über den Weg, ohne mich oder mein Fahrrad auch nur eines Blickes zu würdigen. Interessanterweise reagieren die Tauben ebenfalls mit versnobter Ignoranz auf den immerhin spitzzahnigen Nager. 

Anscheinend hat hier auf St. Pauli niemand mehr vor irgendjemand Respekt oder gar Schiss, und beim Weiterradeln bin ich darüber seltsam verärgert. Ich denke, dieses Gefühl werde ich sublimierend am Franken oder an Kramer auslassen. Jedenfalls nicht an Ms. Columbo, in deren Anwesenheit ich abends auf dem Weg ins Kino dieses Foto vom Heiligengeistfeld schieße.

Sexy auf Sächsisch

Wegen der neuesten Skandale bei der Tour de France, die ich mit fröhlicher Häme verfolge, möchte ich mir mal wieder die Mopo kaufen. Also stoppe ich morgens am mobilen Kiosk des urigen Sachsen von der Kreuzung.

„„Döss iss heude owwer de falsche Zeidung“, strahlt er mich augenzwinkernd an.“ Was denn die richtige sei heute, merke ich interessiert auf. „Ei, de BILD!““, juchzt er hochvergnügt. „Weil, die had heude ’’n sexy Bild!““

In meinen Ohren klingt das nach der üblichen Busentussi von Seite eins. Doch der Sachse, das weiß ich aus Erfahrung, hat es fingerdick hinter den Ohren und sicher noch einen Überraschungspfeil im Köcher.

Also begehre ich unverzüglich den Beweis für seine Behauptung präsentiert zu bekommen. Das hat der Fuchs vorausgesehen. Vorfreudig in sich hineinkichernd zückt der fidele Weißbart eine bereits beweiskräftig zurechtgefaltete BILD-Ausgabe und hält sie mir erwartungfroh hin.

Ich sehe Angela Merkel, sie trägt ein von oben bis unten fliederfarbenes Kostüm.

„Jö, döss is dor Frihling!“, gluckst der Sachse und genießt mein verunsichertes schiefes Grinsen. „Fliederforbm!“, klopft er sich im übertragenen Sinne auf die Schenkel, dass es kracht, „döss is owwer werglich wos fir Männerohchen, nich wohr?“

Ich komme nicht umhin, vorbehaltlos zuzustimmen. Danach muss ich ihm dennoch eröffnen, die bei mir eh schlecht beleumundete BILD nun erst recht nicht mehr kaufen zu wollen, da ich ja das sexy Bild schon gesehen habe, und welche größere Attraktion könnte mir die BILD darüberhinaus
schon noch bieten?

„Döss konn ich verschdähn!““, ruft der Sachse lachend aus. Dann packt er frohgemut die BILD wieder ein und eine Mopo aus.

Über die letzten Skandale bei der Tour de France steht dann aber gar nichts drin, nur über die vorletzten.


26 Juli 2007

Doping, überall

„Ich fahre nicht mehr Rad. Die sind ja eh alle gedopt“, hat Jan Ullrich der Zeitschrift L’Equipe gesagt. Er meinte das witzig. Doch der Wahlschweizer ist einfach kein Harald Schmidt – und sagt unfreiwillig nur was über sich selbst.

Apropos Chemie auf zwei Rädern: Ich plante heute bei der Leitung der Tour de France anzuregen, die beiden Führenden Rasmussen und Contador einfach allein fahren zu lassen, weil offenbar nur sie unter den absolut gleichen Voraussetzungen antreten.

Dummerweise wurde aber kurz vorm Klick auf den Sendeknopf Rasmussen rausgeschmissen, so dass mein hübscher Vorschlag verpufft. Natürlich könnte man auch Contador ganz alleine fahren lassen, was ebenfalls seine Reize hätte.

Nachteil: Die Zuschauer müssten sich um die dramatisch reduzierte Anzahl weggeworfener Trinkflaschen – die begehrtesten Toursouvenirs – geradezu prügeln. Und das kann keiner wollen; es gibt eh zu viel Gewalt auf der Welt.

Apropos Gewalt: „Ich mach das tot!“, droht der Franke lauthals dem Insekt, das gerade in einer Ritze der Fensterbank verschwunden ist. Kramer versucht die Kreatur zu retten, doch beeinflusst von jüngsten mittäglichen Diskussionen um Sein oder Nichtsein faselt der Franke sarkastische Sachen wie: „Es stirbt ja nicht, es wird nur eins mit dem Weltganzen!“

In diesem Moment wird mir klar, warum Esoteriker nicht einfach nur nette Spinner sind. Obwohl der Franke natürlich gar keiner ist, das muss hier klargestellt werden. Doch manchmal verhelfen einem auch Leute zu Erkenntnissen, die das Gegenteil derer sind, die einem eigentlich zu diesen Erkenntnissen verhelfen müssten.

Mann, was für ein mäanderndes Gefasel heute … Gerät dieses Blog etwa allmählich an seine Grenzen? Vielleicht sollte ich einfach nicht mich, sondern den Staffelstab übergeben, und zwar an Anna oder Olaf.

Obwohl auch die beiden manchmal wirken wie gedopt.

PS: Wie so oft seht das heutige Davidstraßenfoto in einem allenfalls krampfhaft herbeigebogenen Zusammenhang mit diesem Beitrag. Komischerweise ist mir das aber völlig egal.

25 Juli 2007

Botanischer Dialog

Matt: Mensch, schau mal: Die Sonnenblume macht schlapp!
Ms. Columbo: Vielleicht gießt du sie zu wenig.
Matt: Jeden Tag!
Ms. Columbo: Vielleicht gießt du sie zu viel.
Matt: Aber sie säuft alles weg.
Ms. Columbo: Etwas Ähnliches passiert, wenn man Kindern Snickers hinlegt – und ist auch nicht gut.
Matt: Ich mag Snickers.
Ms. Columbo: Ich auch.

23 Juli 2007

Fundstücke (34)

1. Neulich schlenderte ich durch die Kastanienallee, wo auch das bezaubernde Bordell Leierkasten seinen triebgenerierten Betrieb betreibt. Im Schaufenster meines Whiskyhändlers bemerkte ich im Vorübergehen ein hübsch dekoriertes Flaschenarrangement. Allerdings war mir die Marke des Alkoholikums völlig unbekannt: Es hieß „Ficken“.

Das Stöffche dürfte unabhängig von seiner objektiven Qualität vor allem in die Mallorquiner Schinkenstraße passen wie die Faust aufs Maul – Sangria war gestern. Auf der Webseite des Hersteller wird übrigens gerade ein „Rückenetikettenspruchwettbewerb“ durchgeführt, was ich vorbehaltlos unterstütze, weil der Fickenlikörhöker es mit dieser Schreibweise überraschend schafft, in keine der aufgebauten Deppenbindestrichfallen zu tappen. Kompliment.

2. Arne Beekmann vom Hannoveraner Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung sucht für eine wissenschaftliche Studie Leute, die schon einmal private oder kommerzielle Blogs genutzt haben. Betroffen sind also quasi alle, die hier mitlesen. Wer mag, kann den Fragebogen ausfüllen; habe ich auch getan. Und warum? Weil’s der Wahrheitsfindung dient.

3. Neulich lieferte GP mit dem Satz des Tages auch zugleich eine neue Diagnosemethode: „Ich vergesse immer, wo ich parke – Parkinson!“ Genial.

Dazu passt ein hübscher Patzer der Sportstudiomoderatorin Katrin Müller-Hohenstein vom letzten Samstag. Im Interview mit dem Formel-1-Küken Sebastian Vettel informierte sie ihn so gekonnt wie nebenbei über ihre Sachkenntnis in Sachen Motorsport: „Immer nur testfahren ist auch nicht gut – irgendwann braucht man auch mal Fahrpraxis.“

Sie weiß offensichtlich nicht, dass wahrscheinlich niemand auf der Welt mehr Kilometer runterreißt als ein Formel-1-Testfahrer. Zu Vettel fällt mir übrigens sofort der passende Song ein: Paul Simons „Baby Driver“, hier auch zum Reinhören.

4. Als ausgewiesener Kalauerfan muss ich diesem Schlusssatz einer Promotermail von heute höchsten Respekt zollen: „Yehudi desto Menuhin!“ Doch genug des Lobes – demnächst gibt es zum Ausgleich wieder mal eine Reihe von Fehlleistungen jener Berufsgruppe. Freut euch drauf.

22 Juli 2007

Letzte Geheimnisse: Das Herrenklo (6)



Fitnessstudio, Toilette. In der Nachbarkabine schnauft es schwer, und mir fallen dafür gerade nur zwei denkbare Gründe ein.

Apropos: Die beliebte Herrenkloserie geriet etwas in Vergessenheit, doch heute soll sie fortgesetzt werden. Diesmal dran: das Örtchen im Windjammer in der Davidstraße.

Die Verantwortlichen dort begegnen innerhäusiger Graffiti offensichtlich mit sehr großem Wohlwollen. An eine Entfernung der Höhlenmalereien denken sie jedenfalls im Traume nicht.

Und warum auch? Zum einen werden sie erfahrungsgemäß in 30 000 Jahren mal wichtig, zum anderen geben die typografisch eigenwilligen Nachrichten aus einer verborgenen Männerwelt dem Windjammerklo genau jene eigentümliche Spezifik, die blanke Kacheln nun mal nicht liefern können.

Ich habe mich dort jedenfalls recht wohl gefühlt. Irgendwie.


Der lausigste Verkäufer der Welt

Der „Nachtflohmarkt“ auf dem Spielbudenplatz beginnt für uns schon um 16 Uhr.

Dass Andreas und ich zunächst ratlos vor der simplen Mechanik unseres Tapeziertischs stehen, mag bei ihm an gestern Nacht liegen, bei mir aber einer grundsätzlichen Begriffsstutzigkeit angesichts simpler Mechanik.

Schließlich schaffen wir es doch, und ein traumhafter Sommertag beginnt. Fast acht Stunden lang, bis kurz vor Mitternacht, genießen wir das Defilee des Kiezvolks, gönnen uns zwischendurch Bratfisch vom Stand gegenüber und später – trotz Windjammer – einen Sixpack von der Tankstelle schräg hinter uns.

Ein sehr erholsamer Stillstand, der dennoch die Zeit wundersam beschleunigt: Acht Stunden sind plötzlich rum wie nix. Am Ende habe ich nicht mal die Tageszeitung geschafft, bin aber mindestens eine Kiste Zeugs losgeworden.

Irgendwann ist St.Pauli-Präsident Corny Littmann kubabraun vorbeigelaufen, hat aber unseren Stand ignoriert, obwohl wir beide Vereinsmitglieder sind. Hmpf.

Andreas entpuppt sich übrigens als der lausigste Flohmarktverkäufer aller Zeiten. Seine fatale Taktik besteht darin, derart niedrige Preise anzusetzen, dass selbst der zarteste Kundenwunsch nach Verhandlung präventiv im Keim erstickt wird.

Ich meine: Für die DVD „Butch Cassidy and the Sundance Kid“ will der Scherzbold nur zwei Euro! „Vier Euro, mindestens!“, zische ich ihm zu, nachdem der vor Glück fassungslose Kunde die DVD kopfschüttelnd an seine Brust gepresst hat und davongeeilt ist.

Beim nächsten Kunden wagt er sich in seiner Preisgestaltung trotzdem nur vor bis drei Euro. Ich verziehe vernehmlich das Gesicht. Es kommt, wie es kommen muss: Der Kunde hält zwei Euro dagegen, Andreas sagt unter völliger Verkennung des Lernziels: „Nein, drei Euro“, und der Kunde geht muffelnd ab, natürlich ohne DVD.

Ich versuche meinem Standkumpel das Prinzip der Verhandlungsmasse begreiflich zu machen. Hätte er nämlich vier Euro gewollt, wäre er die DVD für drei losgeworden, weil der Kunde sich über den Verhandlungserfolg gefreut hätte.


Aber nein: Bis zum Schluss bleibt Andreas entweder zu defensiv oder zu störrisch. Ein hoffnungsloser Fall.

Immerhin stärkt das letztlich sein Karma, um mal im Duktus des zurzeit hier weilenden Dalai Lama zu sprechen. Der kam übrigens ebensowenig an unseren Stand wie Corny Littmann. Ignoranten.

21 Juli 2007

Erst Wind-, dann Katzenjammer

Zwar befindet man sich im Windjammer in der Davidstraße im tiefsten, dunkelsten und zugleich fröhlichsten Herzen St. Paulis, doch ein Besuch wirft auch Probleme auf, die mithilfe einer einfachen Rechnung ganz und gar nicht abbildbar sind.

Denn Windjammerwirt Fred (66) und seine polnische Komplizin Isabella (ca. 33) neigen dazu, dich nebenbei den ganzen Abend samt Nacht lang mit illuster gefärbten kryptischen Schnäpsen zu versorgen (die am Ende – das ist der Trick – natürlich trotzdem auf der Rechnung auftauchen …).

Einmal frage ich ratend Richtung Isabella „Eierlikör?“ und ernte nur ein präempörtes Stirnrunzeln. Denn die korrekte Kombination dieses gelblichen Teufelsbräus lautet: Kokos vs. Ananas. Plus Promille natürlich.

Dies alles – in Kombination mit Andreas' buchstäblicher Schnapsidee, Jägermeisterlokalrunden zu schmeißen – führt generell nicht dazu, Freds Begründungen für seine robuste Gesundheit („Gene plus Sport“) viel Aufmerksamkeit zu schenken. Zumal er sie unverdrossen rauchend, trinkend und mit blaue Flecken erzeugender Gestik untermauert. Dass man zwischendurch Freds immensen Bizeps betasten muss, belegt seine Philosophie dennoch eindrucksvoll.

Beim Heimwärtstaumeln fällt mir ein Gesprächsfetzen ein, den ich zuvor am Hamburger Berg aufschnappte: „Hör auf zu betteln, geh ackern!“

Ein weiser Rat, auch wenn ich nicht zur Zielgruppe gehöre.


19 Juli 2007

Das blaue Wunder

Re:Re: Ihre Anfrage vom 16.07.2007: Produktverbesserungsvorschläge

Sehr geehrter Herr Bxxxx, sehr geehrter Herr Pxxxxxxx,

dass ich mich heute erneut bei Ihnen melde, liegt an keinem Geringeren als dem Bundesgerichtshof. Nicht schlecht, was?

Denn unser kleiner Disput über Ihre SMSse, die Sie mir trotz meines ausdrücklichen Widerwillens störrischerweise immer weiter zusenden wollen, fand heute lustigerweise seine Entsprechung in den Hauptnachrichten.

Wie Sie gewiss vernommen haben, billigt der BGH Handynutzern nun das Recht zu, die Versender unverlangter SMS-Nachrichten zu ermitteln. Der jeweilige Netzanbieter muss also den Namen des Spammers rausrücken, damit der gequälte Adressat den Unhold dingfest machen und nach Gutdünken vermöbeln kann (im übertragenen Sinne, haha).

Das ist sehr, sehr gut so, dafür liebe ich den Bundesgerichtshof sogar ein bisschen, denn unverlangte SMS-Nachrichten sind nicht nur die Pest, sondern auch illegal. In unserem Fall ist es sogar noch simpler: Denn Sie, blau.de, mein eigener Telefonanbieter also, sind höchstselbst der Unhold, der mir unverlangte SMSse schickt. Unglaublich, aber wahr!

Auf mein daher doch eigentlich sehr gut nachvollziehbares Begehr, dies sofort zu unterlassen, teilten Sie mir mehrfach bedauernd mit, das Versenden dieser SMS-Spams sei leider nicht zu stoppen, da „systemgeneriert“.

Interessante Begründung, blau.de. Nein: gewagte Begründung. Denn wenn ich Sie richtig verstehe, ist die Sachlage höchst brisant: Sie haben eine Technik erfunden, die systematisch illegale Handlungen Ihrerseits planbar, durchführbar und vor allem unstoppbar macht – und Sie geben das sogar zu. Wow!

Aber mal ehrlich: Nehmen Sie wirklich ernsthaft an, damit über alle Instanzen hinweg siegreich zu bleiben ...?

Tut mir Leid, blau.de: Ich bezweifle das. Daher bin ich ganz gelassen und trotz der Allmacht Ihres „Systems“ sehr optimistisch, wenn ich Sie hiermit ultimativ auffordere: Behelligen Sie mich nie, nie, niemals mehr mit unverlangten SMS-Nachrichten. Verständlich?

Wenn ja, dann können Sie mir das bestimmt auch umgehend bestätigen. Oder wollen wir das doch lieber in andere Hände geben, zum Beispiel in die eines Verbraucherschutzverbandes?

Von mir aus gerne, doch es liegt ganz an Ihnen.

Ich bin gespannt auf Ihre Entscheidung. Nein: sehr gespannt.

Mit freundlichen Grüßen

Matt Wagner

PS: Sie haben sicherlich Verständnis dafür, dass ich diesen Fall wegen seines besonderen öffentlichen Interesses auch in meinem Blog offen zur Diskussion stelle. Ihre Namen werde ich natürlich nicht nennen, das ist Ehrensache.

18 Juli 2007

Der Ring blieb heil

Vorm Showcase des – glaubt mir einfach – kommenden Popstars Peter Cincotti drückt mir der Deutschlandchef von Warner Music die Hand, und zwar brutalstmöglich.

Augenblicklich wird sie physisch spürbar, die geballte Kraft des Global Players, der verbissen gegen die Zeitläufte ankämpft.

Sofort danach überprüfe ich verstohlen den Zustand des goldenen Rings, den ich einst gemeinsam mit Ms. Columbo als Symbol unserer Liebe bei Wempe an der Reeperbahn auserkor und seither praktisch ununterbrochen trage.

Ergebnis: Er ist nicht verbogen. Den Auftritt Peter Cincottis verfolge ich daher deutlich wohlgesonnener.


Später werde ich dem Künstler vorgestellt. Lächelnd, doch mit grimmiger Entschlossenheit drückt er mir die Hand, so fest es einem Menschen möglich ist, der davon lebt, seine Finger über eine Ansammlung toter Elefantenzähne tanzen zu lassen.

Dabei bleibt Cincotti natürlich deutlich hinter der Barzahl seines Chefs zurück. Offensichtlich ist er jemand, der Risiko und Chance sorgsam abzuwägen vermag.


Wie gesagt: ein kommender Popstar. Glaubt mir einfach.

PS: Das Foto erweckt zwar nicht den Eindruck, doch Cincotti verfügt wirklich über zwei Hände.

Arme Touristen

A. und ich sitzen hoch überm Hafen auf einem warmen Grashügel unter einer Blechpalme. Wir trinken Bier und schauen in der Dämmerung den Kränen in den Docks zu.

Und plötzlich geht mir auf, wie ungemein großartig es doch ist, dies einfach so tun zu können, auf die simpelste, schlichteste Weise: indem man aus dem Haus tritt mit einer Tasche voll Bier, dort hingeht zum warmen Grashügel und in der Dämmerung unter einer Blechpalme den Kränen in den Docks zuschaut, während der Rest der Welt sich schon eine ganze Reise zumuten muss, um das tun zu können – und es dann doch nicht tut, sondern in irgendein Musical stolpert.

Und darauf stoßen wir an.


PS: Das Foto zeigt zwar die Blechpalmen, wurde aber nicht heute Abend aufgenommen, weil ich die Hände nicht frei bekam – da war einfach kein gerader Platz auf dem warmen Grashügel, wo ich die Bierflasche hätte abstellen können.

16 Juli 2007

Sehr geehrter Jan Ullrich!

Datum: 11. Juli 2007 22:44:51 MESZ
An: jan@janullrich.de


Sehr geehrter Herr Ullrich,

ich habe auf Ihrer Homepage gelesen, Sie seien für ein großes Enthüllungsinterview auf der Suche nach dem richtigen Medium, eins, dem Sie vertrauen können und das Ihre Wahrheit unverfälscht druckt.

Nun, Sie haben es gerade gefunden: mein Weblog „Die Rückseite der Reeperbahn“!

Warum ein Weblog?, werden Sie sich fragen. Nun, dafür gibt es Gründe.
Ein Weblog ist supermodern, unmittelbar und interaktiv, und die alten, verkrusteten Medien – also jene, die sich die Wahrheit solange zurechtbiegen, bis sie zu den Werbekunden passt –, schauen zurzeit schockstarr auf Weblogs, weil dort genau die aufregenden Dinge passieren, die sie, die alten Medien, sich wegen ihrer Verstrickungen in die Verwertungszusammenhänge des Raubtierkapitalismus längst nicht mehr trauen (dürfen).

Also sollte das Medium Ihrer Wahl unbedingt ein Weblog sein, zumal Sie damit eine überraschende Affinität zum Zeitgeist signalisierten, die Ihnen – seien wir ehrlich – viele nicht mehr zutrauen.

Unbedingt ein Weblog also! Kein Beckmann, kein Aust, kein DiLorenzo. Und ich hoffe, Sie erwählen mich als Blogpartner für die große Jan-Ullrich-Geschichte.

Sie wären damit, wie ich nicht ohne Stolz behaupten kann, in den besten Händen. Seit vielen Jahren habe ich Erfahrung mit Interviewpartnern (darunter Sharon Stone, Lemmy von Motörhead oder der Hochstapler Gert Postel). In meinem täglichen Blog erzähle ich dagegen meist vom drogengeprägten Leben auf St. Pauli (natürlich nur Astra und Schnaps, haha ...).

Und ebendort, auf St. Pauli, sind wir uns auch schon einmal begegnet: Bei den HEW-Classics nämlich stand ich irgendwann Anfang des 21. Jahrhunderts mal am Rande der Reeperbahn, als Sie Teufelskerl in nullkommanix an mir vorbeirasten. Wahrscheinlich haben Sie mich gar nicht gesehen, ich Sie aber.

Als Interviewer, das kann ich Ihnen jedenfalls versichern, bin ich ein einfühlsamer und kompetenter Gesprächspartner, dem nichts ferner liegt als die Verdrehung von Fakten. Hart in der Sache, sanft im Ton: mein Motto.

Mit zurzeit täglich rund tausend Besuchern kann ich Ihnen zudem eine zunächst mittelgute Verbreitung im Internet zusichern, die sich durch unser großes Enthüllungsinterview aber sofort ins Unermessliche steigern würde. Kurz: Wir würden beide enorm davon profitieren, es wäre eine perfekte Win-Win-Situation – und Sie als Spitzensportler wissen ganz genau, was das bedeutet.

Wann sollen wir uns zum Vorgespräch treffen, um die Rahmenbedingungen abzuklären? Für einen Terminvorschlag bin ich jederzeit offen, auch noch während der Tour de France. Denn die gucke ich sowieso nicht mehr, seit Sie nicht mehr dabei sind.

Mit herzlichsten Grüßen und in der Hoffnung auf eine baldige Antwort empfiehlt sich

Ihr Matthias Wagner

Erläuterung: Bereits vor fünf Tagen mailte ich Jan Ullrich dieses Angebot. Seine Reaktion? Null. Deshalb jetzt dieser öffentliche Aufbau einer Druckkulisse. Ich will doch nur sein Bestes.


15 Juli 2007

Die gefühlte Zechprellerei

Die Rechnung im Restaurant beläuft sich auf 71,90 Euro. Das ist überraschend niedrig. Nach meiner Empfindung müsste sie ungefähr zehn Euro höher liegen.

Ich studiere den Beleg. Aha: Das 4-Gänge-Menü taucht versehentlich mit nur drei Gängen auf. Was nun?

„Selber schuld“, flüstert Ms. Columbo.
„Na gut, dann sage ich 78 Euro“, flüstere ich zurück.
„76“, zischt Ms. Columbo.
„Waaas?“, brülle ich lautlos, „sie haben sich zu unseren Gunsten verrechnet, und ich soll ein Popeltrinkgeld geben?“

Ms. Columbo schaut stählern. „Genau“, sagt sie.

Der Ober kommt. „78 bitte“, sage ich mit unmerklichem Zittern in der Stimme.


Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein.

Wir gehen und klingeln zwei Straßen weiter bei GP. Der Messerblock in seiner Küche scheint irgendwie den Abend zu kommentieren. Doch ich will lieber nicht darüber nachdenken, wie sich das alles dereinst auf unsere Lebensbilanz auswirken wird.

Übrigens waren die Tagliatelle, die es als zweiten Gang gab, lau und ungesalzen. Zum Glück.


14 Juli 2007

Fahrraddieb am Werk (2)

(Fortsetzung dieses Beitrags)

20:22 Uhr, Polizeiwache 16, Lerchenstraße.


Ich: (trete an den verwaisten Tresen; aus dem Nebenraum kommt eine Polizistin. Sie ist burschikos, ihre Unterlippe hängt ein wenig, sie mustert mich von unten.)
Polizistin: Ja?
Ich: Guten Tag. (halte den abgebrochenen Schlüssel hoch) Gestern Abend ist mir dieser Schlüssel im Fahrradschloss abgebrochen, und jetzt habe ich eine Flex dabei, um es durchzuschneiden. Das wollte ich Ihnen nur sagen, damit Sie mich nicht verhaften, wenn Sie mich dabei erwischen.
Polizistin: (stutzt kurz, schaut triefäugig, dann:) Machense ma.
Ich: (überrascht) Ja?
Polizistin: Ja.
Ich: Danke. Auf Wiedersehen.
Polizistin: (im Abgehen) Wiedersehn.

15 Minuten später, am Bunker.

Das Fahrrad lehnt noch am Baum. Irgendjemand hat einen tadellosen lila Rucksack auf den Gepäckträger gepackt. Ein saumseliger Passant steht in der Nähe und sinniert in der Gegend herum. Überhaupt herrscht eine überraschende Bevölkerungsdichte.

Ich tue unschuldig, wage es aber noch nicht, die Flex zu zücken. Wenn von rechts gerade keine Touristentruppe Richtung U Feldstraße schlendert, kommt von links mindestens eine Fahrradkolonne. Verdammt.

Ich beginne zu schwitzen. Dabei will ich doch nur mein eigenes Fahrrad losschneiden. Plötzlich eine Passantenstromlücke. Ich zücke die Flex, ich setze sie an – und sehe auf der anderen Straßenseite eine Frau im lockeren Schanzenlook auf dem Geländer sitzen. Sie raucht und beobachtet mich.

Egal, denke ich, besser nur eine als gleich zwölf, und schneide. Die Flex kreischt, als folterte man ein Schwein, das hört man bestimmt noch in Altona, und der Funkenkranz, den sie schlägt, ginge auch als Freitagsfeuerwerk auf dem Dom durch.

Die Frau schaut nicht nur, sie schaut misstrauisch, wenn nicht alarmiert. Ich schwitze stärker, ich drücke die kreischende Flex auf die Fahrradkette, ich stehe im Funkenregen – und klack, die Kette ist durch.

Fahrig stecke ich das Teufelsgerät in die Umhängetasche, mir doch egal, wenn das Schneiderad heiß ist, Hauptsache schnell weg. Ich ziehe am Rad, die Frau stiert, sie vergisst sogar zu rauchen. Panisch schwinge ich mich auf den Sattel, spüre die Verdunstungskälte des Schweißes im Nacken, ich fahre los, sie ist halb aufgestanden, ich trete heftig in die Pedale, schneller, schneller – und bin in Sicherheit.

Sie ist die Einzige, die eine Personenbeschreibung abgeben kann. Und dann wird sich die triefäugige Polizistin auf Wache 16 hoffentlich an mich erinnern und das Verfahren einfach stillschweigend einstellen.

Meine einzige Chance.

13 Juli 2007

Fahrraddieb am Werk (1)

16:17 Uhr, Polizeistation Davidwache, am Tresen.

Ich
: (hoffe auf die Aufmerksamkeit des konzentriert arbeitenden Polizisten)
Polizist: (ohne aufzublicken) Sie wünschen?
Ich: Ich brauche Ihren fachmännischen Rat.
Polizist: (schaut auf) Dann schießen Sie mal los.
Ich: (halte mein Schlüsselfragment hoch) Gestern Nacht wollte ich am Bunker an der Feldstraße mein Fahrrad losbinden, dabei brach mir der Schlüssel im Schloss ab. Wenn ich jetzt mit einem Bolzenschneider dort auftauche, sieht das irgendwie … blöd aus.
Polizist: (mit feinem Lächeln) Da haben Sie Recht.
Ich: … und deshalb brauche ich Ihren fachmännischen Rat. Was soll ich tun?
Polizist: (grinst) Ein klassischer FaW also: Fahrraddieb am Werk.
Ich: Ja, genau, haha.
Polizist: (wieder ernst) Haben Sie Belege über das Fahrrad?
Ich: Nein. War ein Flohmarktkauf. Ich habe nur ein Foto.
Polizist: Hm, wenn Sie beim Aufschneiden von jemand beobacht werden und der ruft die Kollegen, dann kommen die mit drei Wagen angerast.
Ich: Ich sehe, Sie verstehen mein Problem.
Polizist: … und dann müssen Sie die Geschichte noch mal erklären, das gibt Papierkram, vielleicht Ermittlungsverfahren. Ich würde Sie ja dann gehen lassen, aber …
Ich: … aber die vielleicht nicht.
Polizist: (schaut hilflos in den hinteren Raum, dann mehr zu sich selbst) Wir haben gerade keinen Wagen da …
Ich: Ich habe sowieso noch gar keinen Bolzenschneider.
Polizist: Am besten gehen Sie zur Wache 16, mit Bolzenschneider.
Ich: Ist das die an der Stresemannstraße?
Polizist: Lerchenstraße, Ecke Stresemann. Erzählen Sie den Kollegen, was Sie vorhaben. Vielleicht haben die auch einen Wagen da.
Ich: Gut. Dann besorge ich mir erst mal einen Bolzenschneider.
Polizist: Viel Glück.
Ich: Danke.

19:44 Uhr, beim Nachbarn. Er hat keinen Bolzenschneider. Aber er hat, wie er sagt, „etwas viel Besseres“: eine Flex. Er zeigt mir, wie sie funktioniert.


„Sei bloß vorsichtig“, mahnt er, „das Ding ist gefährlich. Die Funken fressen sich sogar in die Brille.“

(Fortsetzung folgt)

12 Juli 2007

Eher eine Großigkeit

Natürlich, eigentlich ist es nur eine Kleinigkeit.

Doch wenn du aus dem Bunker fliehst, wo dir das MySpace-Freikonzert der französischen Band Justice außer geschickt programmierten Beats nur musikalische Ödnis geboten hat, derweil du fast erstickt bist im Qualm und dir den 1. Januar 2008, also den (Feier-)Tag des Rauchverbotes in öffentlichen Räumen, innerlich herbeigesehnt hast (was verdammt noch mal nicht funktionierte), wenn du dann wie betäubt unten aus dem Lift taumelst, dein am Baum angekettetes Fahrrad losbinden willst und dir dabei der Schlüssel im Schloss abbricht:

Dann ist das eben doch keine reine Kleinigkeit mehr.

Also trottest du, während du dich mit der Anschaffung eines Bolzenschneiders anfreundest, fluchend zur U-Bahn, wo dich – ausgerechnet dich! – ein Herumhänger um eine Kippe anschnorrt, der dir nicht glaubt, dass du Nichtraucher bist, und ein anderer dir die Wartezeit mit einem geblökten Handygespräch in einem hässlichen afrikanischen Dialekt versüßt:

Dann ist das inzwischen fast schon eine Großigkeit.

Trotzdem war ich früher zu Hause, als es das Foto nahelegt, und das war eigentlich das Beste am ganzen Abend.

11 Juli 2007

Voll fürn Haarsch

Anfangs befiel das Virus nur reine Friseurläden. Nachdem solche Etablissements jahrhundertelang mit Namen wie „Salon Renate“ zufrieden gewesen waren, führte der Virusbefall nun zu unkontrollierter Kalaueritis.

Aus dem soliden „Salon Renate“ wurde krankheitsbedingt plötzlich „Bel Hair“, „Schopfgeldjäger“, „CreHaartiv“, „Haarcienda“ oder gar „Philhaarmonie“ – Herr Sick hat eine ganze Horrorliste solcher Symptome zusammengetragen.

Ein befallener Laden könnte natürlich auch jederzeit „Hair-vorragend“ heißen, wobei ich persönlich aber erst bei „Voll fürn Haarsch“ bewundernd die Braue höbe.

Dank der pandemischen Ausmaße dieser friseurtypischen Erkrankung ist jedenfalls nichts mehr unmöglich. Allerdings beschränkte sich der Befall bisher auf die genannte Innung. Hier auf St. Pauli gibt es jetzt allerdings einen ersten Hinweis, dass unser Virus die Artengrenze zu überschreiten im Begriffe ist.

Beim Grünen Jäger nämlich stand ich unlängst erstaunt vor einem Laden namens „pony & kleid“. Die Erkrankten offerieren parallel Haarschnitte und Oberbekleidung, und diese unmittelbare Nähe zweier eigentlich unvereinbarer Metiers erlaubte wohl auch dem Virus, das bisher scharf umrissene Verbreitungsgebiet der reinen Friseurläden in Richtung Bekleidungsbranche zu verlassen.

„pony & kleid“ also. Hoffentlich wissen die arglosen Kunden, worauf das phonetisch anspielt – auf ein Verbrecherpärchen nämlich, das in den 30er Jahren für mindestens 13 Morde verantwortlich war.

Daran müsste ich ehrlich gesagt ständig denken, wenn ich hilflos auf einem Friseurstuhl säße und jemand näherte sich mir von hinten mit einer Schere.

Doch vor diesem Problem stehen ja nur Leute, die noch Haare haben, harhar.

PS: Bonnie Parker von Bonnie und Clyde hat übrigens kurz vor ihrem Tod ein recht romantisches, in seiner Conclusio aber scharfsinniges und verblüffend prophetisches Gedicht geschrieben. Hier ist der Link.

10 Juli 2007

Puler unter sich

Auf Kiezkneipentour mit A. Als Startpunkt designiert war die Hasenschaukel, doch die hat überraschend erst ab mittwochs auf.

Also rein in den benachbarten Silbersack, eine legendäre Kneipe mitten im Rotlichtviertel, die aber auch nicht mehr das ist, was sie mal war. Ihren Ruhm in den Reiseführern verdankt sie vor allem ihrer Vinylmusikbox mit Schlagern, doch die ist: weg, nicht mehr da, Geschichte.

Schlimmer noch: Sie wurde schnöde ersetzt durch eine CD-Box. So geht’s natürlich nicht, Silbersack, und vielleicht ist deswegen auch niemand da, als wir gegen 21.30 Uhr eintreffen.

Nach zwei Astra ziehen wir weiter in die Kogge, ein uriger Schummerladen mit kostenlosem Kicker, einem DJ, der den ganzen Abend famosen 50er-Jahre-Countryswing spielt, und einem kerzensatten Tresen, der zugleich eine Rezeption ist, denn die Kogge fungiert in einem halbgeheimen Zweitleben auch als Hotel, allerdings mit Dusche auf dem Flur und Klo im Keller. Aber das Flair!

Wir hocken am Tresen resp. der Rezeption und widmen uns zufrieden der fortgesetzten Astrabekämpfung. Dabei stellen A. und ich eine gemeinsame Macke fest: Wir pulen beide an Flaschenetiketten.

A. gesteht mir seine geheime Obsession fürs Silberpapier an den Hälsen von Jeverbuddeln. Ich hingegen preise die versteiften Aluminiumummantelungen von Sektflaschenkorken, die sich wunderbar knüllen, zwirbeln und zerkrumpeln lassen.

Momentan aber habe ich – wie gesagt – nur eine Astrapulle zur Hand, was nicht gut ist. Zum einen hat sie keine befingerbare Halskrause, sondern nur ein Bauchetikett. Und sobald du davon den ersten Zipfel vom Glas gelöst hast, kannst du mit der nötigen Feinfühligkeit, die freilich jeder passionierte Friemler wie nebenbei erwirbt, das ganze Etikett auf einmal von der Flasche ziehen, und zwar mit einem sanften Ritsch, das fast untergeht im Countryswing.

Doch das macht keinen Spaß, das geht zu leicht, zu schnell, das ist, als käme man zu früh. Man muss also immer neue Flaschen Astra ordern, und vielleicht will die sardonische Brauerei genau das und schlingt den Flaschen deswegen keine Krausen um den Hals.

Mit Erörterungen wie diesen geht der Abend dahin, und plötzlich ist es 2 Uhr morgens und Zeit zu gehen. Eine Hure spricht uns an in der Friedrichstraße, sie sagt den üblichen Spruch: „Ihr zwei, kommt ihr mal mit?“ Und zum wiederholten Male verpasse ich es, „Klar, wann hast du Feierabend?“ zurückzufragen. Ich wüsste zu gern, was sie antworten würde.

Na, beim nächsten Mal.

09 Juli 2007

Die Lücke



Diese unfassbare Szenerie präsentierte sich mir heute Abend um 20:34 Uhr, als ich übers Balkongeländer blickte: ein freier Parkplatz!


Wenn das mal keine Topmeldung in den Tagesthemen wird.

08 Juli 2007

Mein Schutzengel darf flügellahm sein

Dieses Kiezwochenende hat es in sich. Nach der gestrigen Konfrontation mit dem Schlagermove radle ich mich heute mittag in etwas fest, das verkehrstechnisch genauso fatale Folgen hat: einem Motorradgottesdienst.

Für diese merkwürdige Veranstaltung (warum gibt es so etwas nicht für Dreiräder, Herpeskranke, Goldplombenverweiger oder Leute mit Verwandten im Saarland?) hat man die komplette Willy-Brandt-Straße dichtgemacht.

Dort stehen nun auf einem Kilometer Länge 35.000 Motorräder im Weg herum. Geh- und Radwege hingegen sind voll mit Motorradbesitzern wie Mekka mit Moslems. Ich stecke mit meinem Fahrrad mittendrin und ziemlich fest.

Fürs Umkehren ist es zu spät, vorwärts geht’s auch nur zentimeterweise. Unfreiwillig muss ich daher der Predigt lauschen, die live aus dem Michel übertragen wird.

Taktisch klug haben die Eventmanager des Motorradgottesdienstes alle paar Meter eine Lautsprecherbox montiert, so dass mir kein Wort entgeht, während ich mich und mein Fahrrad irgendwie durch das Gewusel der Ledergestalten zu wühlen versuche.

Dass die meisten dieser sog. Biker ihre Helme lässig am Arm baumeln lassen, erhöht ihren Platzbedarf enorm, zu meinen Ungunsten. (Ich schaffe es kaum, meine Kamera kontrolliert zu zücken und diese massengestützte Manifestation der Irrationalität zu dokumentieren; deshalb gibt es heute auch nur ein Foto aus Wedel, wo wir abends das Hafenfest besuchten.)

Jedenfalls geht die Predigt im Gegensatz zu mir ihren Gang, und irgendwann sagt der Zeremonienmeister eine Gastsängerin an. Siehe da, es ist die unvergleichliche Rocklegende Inga Rumpf, die ihre Kunst inzwischen allerdings in den Dienst höherer Mächte und Motorradgottesdienste gestellt hat.

„Fahr nicht schneller, als dein Schutzengel fliegen kann“, singt sie und ahnt nicht, wie das in meinen Ohren klingen muss, nämlich wie Hohn.

Weil ich eh nichts Besseres zu tun habe, übertrage ich Rumpfs Rat auf meine aktuelle Situation. Ergebnis: Wer auch immer dafür zuständig ist, er kann zu meinem Schutz einen senilen, von Fersenabszessen geplagten und praktisch komplett flügellahmen Engel abordnen; denn selbst eine Engelshöchstgeschwindigkeit von lachhaften 2 km/h kann ich zurzeit nicht toppen.

Manchmal wünschte ich, ich lebte in Kempten. Aber nur ganz kurz.