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08 Juni 2013
Der Kiez von unten und von oben
„Da drüben“, sage ich zu Ms. Columbo, „gab es neulich diese Schießerei. Und gegenüber vorm Kiosk ist letztes Jahr einer erschossen worden.“
Wir sitzen draußen vor der neuen Trattoria Palermo, die natürlich getestet werden muss. Sie liegt direkt an der Kreuzung Seiler-/Hein-Hoyer-Straße und zahlt wahrscheinlich eine Pacht in Schutzgeldhöhe. Denn kiezmittiger geht es praktisch nicht.
Hier pulsiert das Leben, manchmal auch bis zum letzten Tropfen.
Während wir uns an Bruschette und Antipasti delektieren, hält neben unserem Tisch ein Mercedes-Cabrio, Schätzpreis 80.000 Euro. Vier dreitagebärtige Sonnenbrillenmuskelshirttypen sitzen drin, sie erzählen sich Geschichten über einen gewissen „Alda“ und einen anderen namens „Digga“ und fahren dann weiter Richtung Davidstraße, wo gigantische Hafenkräne in den Himmel ragen.
„Wenn jetzt ein großes Kreuzfahrtschiff vorbeikäme“, sinniert Ms. Columbo, die den Südblick genießt, „könnte man es von hier aus sehen.“
Der Pastagang kommt. Eine Gruppe besoffener Engländer hat den Tisch neben uns unter großem Palaver okkupiert. Einer schmeißt lallend etwas in die Luft, und ich überlege kurz, wie ich reagieren soll, wenn das unbekannte Etwas mir in den Maccheroni landet, doch es kehrt zu ihm zurück wie ein Bumerang. Es ist ein Strohhut.
Das Palermo ist Nachfolger von Don Camillo e Peppone, dessen kugeliger Wirt Lillo alle Italienerklischees zu verkörpern versuchte, was ihm auch ziemlich gut gelang. Doch uns – besonders Ms. Columbo – wurde die Lillo’sche Leutseligkeit irgendwann gar zu heftig, zumal sie mehr von taktisch-merkantilen Überlegungen als von südländischer Gastfreundschaft getrieben zu sein schien.
Egal, Lillo ist Geschichte, wahrscheinlich hat er seine Gäste gleichsam wegumarmt, und jetzt ergänzt die Trattoria Palermo das kieztypische Überangebot an italienischen Restaurants.
Es macht seine Sache gut. Schon die Crema des oben abgebildeten Espressos zeugt von jener handwerklichen Qualität, die man gemeinhin nur südseits deutscher Grenzen zu entdecken vermag, und auch geschmacklich gibt es nichts zu mäkeln. Na gut, vielleicht eine Spur zu viel Röstaromen.
Das größte Manko des Palermo liegt – anders als bei Da Benito hundert Meter weiter an der Ecke Seiler-/Detlev-Bremer-Straße – darin, dass man vorm Abkassieren keinen Grappa spendiert bekommt. Vielleicht wäre das ja anders gewesen, hätten wir abschließend Dolce bestellt, doch zu spät, wir sind schon auf dem Weg rüber ins Empire Riverside.
Dort fahren wir in den 20. Stock zur 20-up-Bar, wo wir dank meines Gieves-&-Hawkes-Nadelstreifenanzugs nicht mal wie üblich skeptisch von oben bis unten gemustert, sondern sofort lächelnd eingelassen werden. Wir finden sogar – was ausschließlich der frühen Stunde zuzuschreiben ist – einen Fensterplatz mit Südwestblick.
Von hier oben, aus 65 Metern Höhe, sieht St. Pauli hinreißend aus, in alle Richtungen. Linker Hand der Strom, am gegenüberliegenden Ufer die hohen Kräne, die wie riesige Gottesanbeterinnen auf Beute zu lauern scheinen, dann die kleine Allee, die sich schnurgerade Richtung Fischmarkt zieht, rechts Richtung Norden die jetzt noch hurenlose Davidstraße (was sich erst 20 Uhr ändert), an ihrem Ende die unablässig vom Verkehr durchtoste Reeperbahn.
Von hier oben, das ist sicher, bekäme man auch von der heftigsten Schießerei an der Kreuzung Seiler-/Hein-Hoyer-Straße nichts mit.
Wir bestellen zwei Flamingos. Sie leuchten orangerot in der Abendsonne.
05 Juni 2013
Ohne Gaddafi wär das alles nicht passiert
Als Treibgut der Weltpolitik sind kürzlich ein paar Hundert Flüchtlinge aus Libyen in Hamburg gelandet. Irgendwie hatten sie es nach Italien geschafft. Dort drückte man ihnen 500 Euro in die Hand und expedierte sie zu uns.
Jetzt sind sie hier, und keiner weiß was mit ihnen anzufangen. Sie treiben halt- und hilflos durch die Stadt, und der Senat blamiert sich mit Schulterzucken – kein offizieller Status, kein offizielles Handeln.
Etwa 70 Afrikaner sind allerdings jetzt hier auf dem Kiez untergekommen. Genauer: in der St.-Pauli-Kirche am Pinnasberg. Dort können sie erst mal übernachten, bis die Politik sich bequemt, eine Lösung zu finden. Aber es fehlt ihnen an vielen Dingen des täglichen Lebens.
Der zuständige Pastor Sieghard Wilm hat heute eine Liste an hochwillkommenen Sachspenden rundgemailt:
– intakte Männerschuhe ab Größe 42
– gefütterte oder wasserabweisende Jacken
– originalverpackte Socken und Unterwäsche
– Rucksäcke und Taschen
– Schlafsäcke, Isomatten, Klappmatratzen
– Schreibmaterial und z. B. Wörterbücher
– Einmalgeschirr
– Hygieneartikel wie Duschzeug, Einwegrasierer, Rasierschaum, Zahnbürsten, Zahnpasta
Auch selbstgebackener Kuchen und Spenden (St. Pauli Kirche, Konto 1206 123 331; Haspa, BLZ 200 505 50, Stichwort: Afrikaner) werden freudig entgegengenommen. Als Anlaufstelle fungiert eine frisch eröffnete „Botschaft der Hoffnung“ im Kirchgarten.
Auch ehrenamtliche MItarbeit ist erforderlich. „Wer macht Frühstück? Wer macht Abendimbiss? Wer bleibt über Nacht, um die Gäste zu schützen?“, fragt Wilm völlig zu recht und bittet Interessenten, morgens um 8 Uhr oder abends um 21 Uhr in die Kirche kommen und sich dann zu verpflichten.
Also: Es gibt noch mehr Probleme auf der Welt als Hochwasser. Und zwar direkt an den Plastikpalmen von St. Pauli.
02 Juni 2013
Fundstücke (174)
Seine Einhornzucht war ein furchtbarer Flop gewesen. Frustriert versuchte er es danach mit der Produktion von Luftgitarren, doch er scheiterte an der Unzuverlässigkeit der Zulieferer.
Auch seine folgende Geschäftsidee – Im- und Export von WLAN-Kabeln – scheiterte schon im Ansatz. Werner wusste: Als Unternehmer hatte er nur noch eine Chance.
Und dann kam ihm endlich jene geniale Idee, die noch keiner vor ihm gehabt hatte.
Entdeckt in Eppendorf.
31 Mai 2013
Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli Hamburg (85)
Da sitzt und süffelt man behaglich am Övelgönner Elbstrand mit Leuten wie German Psycho, Ms. Columbo und dem Franken und denkt sich, schöner kann’s ja eigentlich in einem Mai hierzulande nicht mehr werden – und dann fährt plötzlich die prachtvoll von der Abendsonne illuminierte MS Deutschland alias „Traumschiff“ ins Bild wie bestellt, und ich denke: Das ist aber jetzt mal eine obergemütliche Ecke hier.
Und schon habe ich den nächsten Teil der gleichnamigen Serie im Kasten. Ship happens!
29 Mai 2013
Wieder mal woanders
In der Seilerstraße, wo wir wohnen, gab es heute Vormittag eine Schießerei, bei der ein lebensmüder Bewaffneter vom Mobilen Einsatzkommando (MEK) mit Schüssen in die Beine gestoppt wurde.
Zum Glück hatte ich die Stelle (Ecke Hein-Hoyer-Straße) auf dem Weg ins Büro bereits passiert, als es losging, und Ms. Columbo ist eh in die entgegengesetzte Richtung unterwegs.
Abends war die Straße noch immer weiträumig abgesperrt, die Polizei ließ mich nicht durch. Auf dem Asphalt leuchteten dort, wo die Patronenhülsen gelegen hatten, noch gelbe Markierungskreise.
Wahrscheinlich ist es reines Glück, dass wir in mehr als anderthalb Kiezjahrzehnten noch nie in echte Schwierigkeiten geraten sind. Denn hier mangelt es nun wirklich nicht an Freaks und sehr, sehr merkwürdigen Menschen.
Doch im Ernstfall sind wir immer gerade woanders. Möge diese Glückssträhne noch lange halten – oder sich im Bedarfsfall wenigstens just ein MEK bei Freddy an Hähnchenschenkeln laben.
Zum Glück hatte ich die Stelle (Ecke Hein-Hoyer-Straße) auf dem Weg ins Büro bereits passiert, als es losging, und Ms. Columbo ist eh in die entgegengesetzte Richtung unterwegs.
Abends war die Straße noch immer weiträumig abgesperrt, die Polizei ließ mich nicht durch. Auf dem Asphalt leuchteten dort, wo die Patronenhülsen gelegen hatten, noch gelbe Markierungskreise.
Wahrscheinlich ist es reines Glück, dass wir in mehr als anderthalb Kiezjahrzehnten noch nie in echte Schwierigkeiten geraten sind. Denn hier mangelt es nun wirklich nicht an Freaks und sehr, sehr merkwürdigen Menschen.
Doch im Ernstfall sind wir immer gerade woanders. Möge diese Glückssträhne noch lange halten – oder sich im Bedarfsfall wenigstens just ein MEK bei Freddy an Hähnchenschenkeln laben.
Ein Spiegel-Bashing aus gegebenem Anlass
Barbara Supp, stellvertretende Ressortleiterin „Gesellschaft und Reportagen“ beim Spiegel, erzählt in der aktuellen Druckausgabe (Foto), wie sie mit heftigen Krankheitssymptomen in die Hände eines Homöopathen fiel und trotzdem überlebte.
Supp will uns nach überstandenem Typhus anscheinend warnen vor wirkungslosen Zuckerkügelchen. Wow. Doch sie schießt sich und ihrem Magazin mit dieser Story voll ins eigene Knie – und zwar mit einem Dum-Dum-Geschoss.
Das wirklich Erschreckende an Supps Erfahrungsbericht ist nämlich nicht die Binsenweisheit, dass Homöopathie Humbug ist, sondern die Tatsache, dass eine stellvertretende Ressortleiterin bei einem der Aufklärung verbundenen Medium wie dem Spiegel über so wenig Skepsis, so wenig gesunden Menschenverstand und stattdessen derart verrostete Hirnrisssensoren verfügt, dass sie sich dem lebensgefährlichen Verdünnungsflachsinn eines Homoöpathen auslieferte.
Hat diese Frau das vergangene Jahrhundert, das sie immerhin 41 Jahre lang miterleben durfte, komplett verschlafen? Nur so nämlich ist erklärlich, dass erst unmittelbare Todesgefahr sie vom Glauben an magische Vorstellungen erlöste – und das sogar trotz des tragischen Schicksals einer Freundin, die vergeblich glaubte, ihren Krebs mit Globuli behandeln zu können.
Es ist erschütternd und erschreckend, dass beim Spiegel Leute von derart treuherziger Naivität beschäftigt sind. Und es es ist erschütternd und selbstzerfleischend, wenn diese Leute ihre treuherzige Naivität auch noch öffentlich darstellen dürfen, ohne dass eine noch höhere interne Instanz sie vor sich selbst und damit den Ruf des Spiegel als der Aufklärung verbundenem Magazin schützt.
Immerhin wissen wir jetzt wenigstens eins: Vom Spiegel als Hort der Investigation, als Medium der Wahrheitsfindung ist nicht mehr viel übrig. Dort arbeiten Menschen, denen erst mit 41 Grad Fieber in der Klinik allmählich dämmert, dass sie drauf und dran waren, der Scharlatanerie zum Opfer zu fallen. Sie arbeiten nicht beim Goldenen Blatt, nicht bei der Freizeit-Revue – beim Spiegel.
Und statt vor Scham feuerrot anzulaufen und alle Mitwisser zu bitten, diese Peinlichkeit nie, nie, niemals öffentlich werden zu lassen, kriegen sie im Spiegel ausgiebig Raum, um alles zuzugeben – und nutzen ihn auch noch.
Kurz: Ich will Augstein wieder haben. Oder zur Not auch Aust.
PS: Homöopathiegläubige bitte ich übrigens inständig, von Kommentaren abzusehen – und stattdessen Zuckerkügelchen gegen aufflammende Empörung zu schlucken.
27 Mai 2013
Pareidolie (61): Beim Barte des Propheten
Entdeckt neben einem freievangelischen Gemeindehaus im hessischen Dorf Medenbach.
PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.
26 Mai 2013
Eine Ratte
Buslinie 25. Am Bahnhof Altona schließt der Fahrer die Tür vor der Nase einer alten Dame, die zunächst verdutzt guckt statt empört.
An der Holstenstraße hingegen hält der Fahrer extra noch mal an, um eine herbeistürzende attraktive 25-Jährige mit Pferdeschwanz noch einsteigen zu lassen.
Wenig später, an einer Ampel an der Fruchtallee, läuft plötzlich eine Ratte über die Straße. Der Fahrer schaut sich um zu mir und sagt mehr verdutzt als empört: „Eine Ratte!“
Und was soll ich sagen: Der Mann hat recht.
An der Holstenstraße hingegen hält der Fahrer extra noch mal an, um eine herbeistürzende attraktive 25-Jährige mit Pferdeschwanz noch einsteigen zu lassen.
Wenig später, an einer Ampel an der Fruchtallee, läuft plötzlich eine Ratte über die Straße. Der Fahrer schaut sich um zu mir und sagt mehr verdutzt als empört: „Eine Ratte!“
Und was soll ich sagen: Der Mann hat recht.
25 Mai 2013
Auf dem Elbjazzfestvial
Pianomeister Chilly Gonzales bittet vor seinem Auftritt darum, keine Handyaufnahmen zu machen.
Haha – das ist ungefähr so, als würde man von Fischen verlangen, für anderthalb Stunden die Kiemenatmung einzustellen. Es ist 2013, Chilly, der Geist ist aus der Flasche, die Büchse der Pandora steht sperrangelweit offen!
Derweil gibt es Ärger am Eingang der Halle, weil niemand mehr reingelassen wird. In der Tat wirkt die Location, wie wir Medienleute sagen, halbleer; ein Anblick, den die draußen Wartenden mit eskalierendem Unmut quittieren.
Irgendwann schaffen sie es sogar, sich zum Chor zu solidarisieren. Ihr „Wir wollen rein!“ erinnert mich an „Wir sind das Volk!“ von Leipzig, 1989. Und wie damals fällt schließlich auch hier die Mauer, allerdings nur für jeweils so viele, wie die Halle verlassen.
Dazu gehöre auch ich bald. Ich bin leicht verstimmt, weil man mich a) mit Getränkebons versorgt hatte, die man sich b) nun weigert einzulösen.
Na gut, schaue ich mir eben c) die Girls In Airports im Golem gegenüber an – ein Plan, der schnell scheitert, weil nunmehr ich zu jenen gehöre, die wegen „Überfüllung“ oder aus „Sicherheitsgründen“ nicht eingelassen werden. Der Rückweg in die Fischauktionshalle ist nun natürlich ebenfalls versperrt.
Klingt, als sei ich gefangen in the middle of nowhere, doch wir sind hier beim Elbjazzfestival, da geht immer auch noch was anderes. Zum Beispiel ein paar hundert Meter weiter westlich im beeindruckend hohen Atrium des Holzhafens.
Dort spielt d) das wunderbare Don Friedman Trio unter LED-illuminierten Glas- und Klinkerflächen. Und weil der altgediente Klaviervirtuose Friedman von keinem Fisch der Welt verlangen würde, die Kiemenatmung einzustellen, gelingt mir e) ein geometrisches Foto fürs Blog.
Morgen geht das Festival weiter. Mal gespannt, wie viele Leute sich bei The Notwist in der Fischauktionshalle einfinden werden – Anpfiff … äh … Konzertbeginn ist f) (wie Fußball) kurz vorm Champions-League-Finale.
24 Mai 2013
Schlipsbinden leicht gemacht
„Ich bevorzuge ja den doppelten Knoten“, sagt A. lässig, „der ist ganz einfach. Die Falte in der Mitte finde ich dabei besonders elegant.“
Da ich mir gerade einen großen Stapel Seidenschlipse angeschafft habe, bin ich – als Novize bisher nur in zufälligen Ausnahmefällen zu einem maximal einfachen Knoten fähig – höchst neugierig auf sein Herrschaftswissen. Zumal der Satzteil „ganz einfach“ mich elektrisiert.
Ich schlage A. vor, mir das ganz Einfache einfach mal zu zeigen, während ich den Prozess mitfilme. Immer, wenn ich mir hinfort einen doppelten Schlipsknoten binden möchte (obwohl das natürlich ganz einfach ist und ich das im Rahmen meines passablen IQ bestimmt in Nullkommanix gelernt haben werde), habe ich dann den Film als Erinnerungsbackup in der Hinterhand.
Soweit mein Kalkül. Doch A. reagiert auf meinen Vorschlag erstaunlicherweise verhaltener, als ich es mir gewünscht hätte. Statt schneidig „Na klar! Schmeiß die Digimühle an!“ auszurufen, murmelt er etwas von „muss erst mal proben“.
Ich reiche ihm einen meiner zahlreichen Seidenschlipse. „Seide?“, sagt A. und runzelt missbilligend die Stirn. Ich bin verunsichert. Gilt Seide nicht als Königsmaterial der Schlipse?
Nun, einerseits. Anderseits, führt A. fachmännisch aus, rutsche Seide immer so leicht, sie sei gleichsam zu glatt, ja geradezu doppelknotenfeindlich. Da ich aber zufällig gerade keine Krawatte aus grobem Sackleinen verfügbar habe, begnügt er sich grummelnd mit einer aus Seide und verzieht sich in eine entlegene Wohnzimmerecke, um für sich zu proben.
Von dort höre ich ihn von Zeit zu Zeit Dinge murmeln. Es wehen Satzfetzen herüber, so was wie „schon lang nicht mehr gemacht“, „wie ging das noch mal“, auch ein „ich mein, das müsste von unten obendrüber. Oder doch von hinten unten durch?“ vermag ich herauszuhören.
Nach drei Versuchen mit differierender Erfolgsquote mahne ich vorsichtig das Ende der Probenphase an und präsentiere ihm meine gezückte Kamera. Bereit, wenn er es ist. Doch er ist es nicht. „Einer noch“, wimmelt er mich ab und hantiert fahrig an seiner Brust herum.
Zehn Minuten später nähere ich mich ihm erneut, natürlich mit der Demut eines Schülers, der dem Zenmeister ein Stückchen Weisheit ablauschen möchte. Unwirsch bedeutet er mir, mich zu trollen. Auch kaum verhohlene Polemiken gegen den Werkstoff Seide meine ich seiner Suada entnehmen zu können. Doch irgendwann ist es endlich so weit. Ich darf filmen.
Das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen. Finde ich. Gut, das schmale Ende baumelt unten raus, lappt gar übern Gürtel, während die Krawattenspitze hoch unterm Rippenbogen die Aussicht genießt, und ihre Mittenfalte hat durch eine deutliche Verlagerung Richtung Rand einen Großteil ihrer Eleganz eingebüßt.
Doch ich habe zweifellos die technische Ausführung eines Krawattendoppelknotens auf Band und kann jetzt üben.
Ganz einfach. Im Grunde.
PS: Nein, den Lehrfilm werde ich NICHT auf YouTube hochladen. Darüber herrscht zwischen A. und mir eine Art stummes Einverständnis.
Da ich mir gerade einen großen Stapel Seidenschlipse angeschafft habe, bin ich – als Novize bisher nur in zufälligen Ausnahmefällen zu einem maximal einfachen Knoten fähig – höchst neugierig auf sein Herrschaftswissen. Zumal der Satzteil „ganz einfach“ mich elektrisiert.
Ich schlage A. vor, mir das ganz Einfache einfach mal zu zeigen, während ich den Prozess mitfilme. Immer, wenn ich mir hinfort einen doppelten Schlipsknoten binden möchte (obwohl das natürlich ganz einfach ist und ich das im Rahmen meines passablen IQ bestimmt in Nullkommanix gelernt haben werde), habe ich dann den Film als Erinnerungsbackup in der Hinterhand.
Soweit mein Kalkül. Doch A. reagiert auf meinen Vorschlag erstaunlicherweise verhaltener, als ich es mir gewünscht hätte. Statt schneidig „Na klar! Schmeiß die Digimühle an!“ auszurufen, murmelt er etwas von „muss erst mal proben“.
Ich reiche ihm einen meiner zahlreichen Seidenschlipse. „Seide?“, sagt A. und runzelt missbilligend die Stirn. Ich bin verunsichert. Gilt Seide nicht als Königsmaterial der Schlipse?
Nun, einerseits. Anderseits, führt A. fachmännisch aus, rutsche Seide immer so leicht, sie sei gleichsam zu glatt, ja geradezu doppelknotenfeindlich. Da ich aber zufällig gerade keine Krawatte aus grobem Sackleinen verfügbar habe, begnügt er sich grummelnd mit einer aus Seide und verzieht sich in eine entlegene Wohnzimmerecke, um für sich zu proben.
Von dort höre ich ihn von Zeit zu Zeit Dinge murmeln. Es wehen Satzfetzen herüber, so was wie „schon lang nicht mehr gemacht“, „wie ging das noch mal“, auch ein „ich mein, das müsste von unten obendrüber. Oder doch von hinten unten durch?“ vermag ich herauszuhören.
Nach drei Versuchen mit differierender Erfolgsquote mahne ich vorsichtig das Ende der Probenphase an und präsentiere ihm meine gezückte Kamera. Bereit, wenn er es ist. Doch er ist es nicht. „Einer noch“, wimmelt er mich ab und hantiert fahrig an seiner Brust herum.
Zehn Minuten später nähere ich mich ihm erneut, natürlich mit der Demut eines Schülers, der dem Zenmeister ein Stückchen Weisheit ablauschen möchte. Unwirsch bedeutet er mir, mich zu trollen. Auch kaum verhohlene Polemiken gegen den Werkstoff Seide meine ich seiner Suada entnehmen zu können. Doch irgendwann ist es endlich so weit. Ich darf filmen.
Das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen. Finde ich. Gut, das schmale Ende baumelt unten raus, lappt gar übern Gürtel, während die Krawattenspitze hoch unterm Rippenbogen die Aussicht genießt, und ihre Mittenfalte hat durch eine deutliche Verlagerung Richtung Rand einen Großteil ihrer Eleganz eingebüßt.
Doch ich habe zweifellos die technische Ausführung eines Krawattendoppelknotens auf Band und kann jetzt üben.
Ganz einfach. Im Grunde.
PS: Nein, den Lehrfilm werde ich NICHT auf YouTube hochladen. Darüber herrscht zwischen A. und mir eine Art stummes Einverständnis.
22 Mai 2013
Das Geheimnis der Fußleiste
Unser Haus ist deutlich über hundert Jahre alt, und die Fußleisten bestimmt kaum jünger, wenn überhaupt. Beim Renovieren mussten sie nun einmal abgenommen werden.
Dahinter tauchte unversehens ein Stapel handschriftlicher Dokumente auf. Sie waren angesengt, verrußt, von den Zeitläuften deformiert und gewellt. Aufregend!
Ich beugte mich konzentriert über die gestochen scharfe Sütterlinschrift. Allerdings konnte ich kaum etwas entziffern. Nur ein paar Datumsangaben und hie und da ein Wort wie „verwundet“ oder so ähnlich.
Vielleicht stammten die Aufzeichnungen aus einem der beiden Weltkriege. Waren wir etwa auf die echten Hitler-Tagebücher gestoßen? Sollte ich Gerd Heidemann – immerhin wohnt er in Ottensen – um eine Expertise bitten?
Ich beschloss, damit noch zu warten und zunächst meine betagten Eltern zu konsultieren, beide des Sütterlins nicht unkundig. Sie beugten sich interess- und konzentriert über die gestochen scharfe Schrift.
Aus den Bruchstücken, die sie enträtseln konnten, schloss ich indes leicht enttäuscht rück auf eine profane Schularbeit. Vielleicht ein Diktat. Es gab rot angestrichene Wörter und ein Kapitel, das klar lesbar mit „Verbesserung“ überschrieben war.
Eine ausführliche sachkundige Exegese der historischen Artefakte steht allerdings weiter aus, Überraschungen sind also ohne weiteres noch drin. Alles ist möglich!
Wenn der Stern Interesse hat, soll er mir bitte ein Angebot machen.
Dahinter tauchte unversehens ein Stapel handschriftlicher Dokumente auf. Sie waren angesengt, verrußt, von den Zeitläuften deformiert und gewellt. Aufregend!
Ich beugte mich konzentriert über die gestochen scharfe Sütterlinschrift. Allerdings konnte ich kaum etwas entziffern. Nur ein paar Datumsangaben und hie und da ein Wort wie „verwundet“ oder so ähnlich.
Vielleicht stammten die Aufzeichnungen aus einem der beiden Weltkriege. Waren wir etwa auf die echten Hitler-Tagebücher gestoßen? Sollte ich Gerd Heidemann – immerhin wohnt er in Ottensen – um eine Expertise bitten?
Ich beschloss, damit noch zu warten und zunächst meine betagten Eltern zu konsultieren, beide des Sütterlins nicht unkundig. Sie beugten sich interess- und konzentriert über die gestochen scharfe Schrift.
Aus den Bruchstücken, die sie enträtseln konnten, schloss ich indes leicht enttäuscht rück auf eine profane Schularbeit. Vielleicht ein Diktat. Es gab rot angestrichene Wörter und ein Kapitel, das klar lesbar mit „Verbesserung“ überschrieben war.
Eine ausführliche sachkundige Exegese der historischen Artefakte steht allerdings weiter aus, Überraschungen sind also ohne weiteres noch drin. Alles ist möglich!
Wenn der Stern Interesse hat, soll er mir bitte ein Angebot machen.
19 Mai 2013
Fundstücke (173)
… und wir sind Rechtschreibschwach! Und wir haben trotzdem Bald unsern bachelor!
Entdeckt in der Universitätsstadt (!) Marburg.
18 Mai 2013
15 Mai 2013
Ein Baur zieht nicht ein
Beim Baur-Versand ein Sofa (Beispielfoto) auf Rechnung bestellt.
Nach einigen Tagen kommt eine Mail, in der mir mitgeteilt wird, der Auftrag werde nur dann weiterbearbeitet, wenn ich eine Anzahlung von 120 € leiste. Das Übliche also, wenn man mit der Postleitzahl 20359 geschlagen ist: Keiner traut einem.
Wie, der wohnt auf St. Pauli? OMFG! Halt bloß die Geldbörse fest!
Ich seufze tief, erteile dem Baur-Versand per Mail eine einmalige Einzugsermächtigung über den Gesamtbetrag und wende mich anderen Dingen zu.
Einige Stunden später ruft mich eine Baur-Mitarbeiterin an und teilt mir mit, ein Einzug sei „aus technischen Gründen“ nicht möglich. Ich solle doch am besten den kompletten Auftrag stornieren, eine neue Bestellung des gleichen Inhalts aufgeben und dann …
Kann mir bitte mal einer erklären, warum ich überhaupt auf die Schnapsidee gekommen bin, etwas NICHT bei Amazon zu bestellen?
Nach einigen Tagen kommt eine Mail, in der mir mitgeteilt wird, der Auftrag werde nur dann weiterbearbeitet, wenn ich eine Anzahlung von 120 € leiste. Das Übliche also, wenn man mit der Postleitzahl 20359 geschlagen ist: Keiner traut einem.
Wie, der wohnt auf St. Pauli? OMFG! Halt bloß die Geldbörse fest!
Ich seufze tief, erteile dem Baur-Versand per Mail eine einmalige Einzugsermächtigung über den Gesamtbetrag und wende mich anderen Dingen zu.
Einige Stunden später ruft mich eine Baur-Mitarbeiterin an und teilt mir mit, ein Einzug sei „aus technischen Gründen“ nicht möglich. Ich solle doch am besten den kompletten Auftrag stornieren, eine neue Bestellung des gleichen Inhalts aufgeben und dann …
Kann mir bitte mal einer erklären, warum ich überhaupt auf die Schnapsidee gekommen bin, etwas NICHT bei Amazon zu bestellen?
13 Mai 2013
Wie ich mal Safranbutter kaufen wollte
Die reizende Frau Twelectra hatte uns neulich beim Raclette mit aromatisierten Buttersorten verwöhnt, die es nur bei Lidl gibt, dort aber fatalerweise nur zeitweise verfügbar sind.
Seither schnürte ich ab und zu durch Lidl-Gänge auf der Suche nach Safranbutter, stets erfolglos. Heute erhielt ich eine Twitternachricht von Frau Twelectra, die mich auf eine neue Lieferung aufmerksam machte.
Elektrisiert radelte ich zu Lidl an der Reeperbahn und stürzte mich in den Kühlgang. Allerdings fand ich nirgends Safranbutter. Daraufhin wandte ich mich hilfesuchend an einen dumpf vor sich hin packenden Handelsfachpackergehilfsgehilfen, der mir mit einem „nix verstehen“ zu verstehen zu geben versuchte, für alles mögliche nicht zuständig zu sein, vor allem nicht für Safranbutter.
Ein zweiter Kollege zuckte bräsig mit den Schultern und verwies in ähnlich rumpeligen Worten an die Leute an der Kasse. Inzwischen auf 166 sprach ich eine Frau an, die erstaunlicherweise sogar fähig und willens schien, sich meines Problems anzunehmen.
Ich folgte ihr zum Kühlregal, doch wir fanden auch gemeinsam keine Safranbutter. Daraufhin enteilte sie zwecks Beschaffung eines Wochenprospektes, den sie in meiner Gegenwart von vorne bis hinten und von hinten bis vorne durchblätterte, ohne auch nur einen Hauch Safranbutter entdecken zu können.
Selbstverständlich zweifelte ich während dieser ganzen Phase keine einzige Nanosekunde lang an der Verlässlichkeit von Frau Twelectras Information, schließlich hatte sie diese sogar mit dem oben abgebildeten Beweisfoto untermauert. Nein, der Fehler musste woanders liegen, und zwar bei Lidl.
„Sie können es natürlich auch“, wandte sich die Verkäuferin an mich, „in einer anderen Penny-Filiale versuchen.“
In einer anderen Penny-Filiale …?
Ich stierte sie an, als hätte sie behauptet, der Papst habe auf Fuerteventura mit lauter Ladyboys einen Harem gegründet. Dann sah ich den Prospekt, den sie in der Hand hielt. Ein Penny-Prospekt. Ich war gar nicht bei Lidl.
100 Meter weiter auf der anderen Seite der Reeperbahn, bei Lidl, erwischte ich problemlos ein Päckchen Safranbutter.
Es duftet wunderbar.
Seither schnürte ich ab und zu durch Lidl-Gänge auf der Suche nach Safranbutter, stets erfolglos. Heute erhielt ich eine Twitternachricht von Frau Twelectra, die mich auf eine neue Lieferung aufmerksam machte.
Elektrisiert radelte ich zu Lidl an der Reeperbahn und stürzte mich in den Kühlgang. Allerdings fand ich nirgends Safranbutter. Daraufhin wandte ich mich hilfesuchend an einen dumpf vor sich hin packenden Handelsfachpackergehilfsgehilfen, der mir mit einem „nix verstehen“ zu verstehen zu geben versuchte, für alles mögliche nicht zuständig zu sein, vor allem nicht für Safranbutter.
Ein zweiter Kollege zuckte bräsig mit den Schultern und verwies in ähnlich rumpeligen Worten an die Leute an der Kasse. Inzwischen auf 166 sprach ich eine Frau an, die erstaunlicherweise sogar fähig und willens schien, sich meines Problems anzunehmen.
Ich folgte ihr zum Kühlregal, doch wir fanden auch gemeinsam keine Safranbutter. Daraufhin enteilte sie zwecks Beschaffung eines Wochenprospektes, den sie in meiner Gegenwart von vorne bis hinten und von hinten bis vorne durchblätterte, ohne auch nur einen Hauch Safranbutter entdecken zu können.
Selbstverständlich zweifelte ich während dieser ganzen Phase keine einzige Nanosekunde lang an der Verlässlichkeit von Frau Twelectras Information, schließlich hatte sie diese sogar mit dem oben abgebildeten Beweisfoto untermauert. Nein, der Fehler musste woanders liegen, und zwar bei Lidl.
„Sie können es natürlich auch“, wandte sich die Verkäuferin an mich, „in einer anderen Penny-Filiale versuchen.“
In einer anderen Penny-Filiale …?
Ich stierte sie an, als hätte sie behauptet, der Papst habe auf Fuerteventura mit lauter Ladyboys einen Harem gegründet. Dann sah ich den Prospekt, den sie in der Hand hielt. Ein Penny-Prospekt. Ich war gar nicht bei Lidl.
100 Meter weiter auf der anderen Seite der Reeperbahn, bei Lidl, erwischte ich problemlos ein Päckchen Safranbutter.
Es duftet wunderbar.
11 Mai 2013
Pareidolie (60)
Entdeckt in einem Hochhaus an der Reeperbahn.
PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.
PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.
10 Mai 2013
Tage des Elends
Was vom Herrentag übrigbleibt, liegt danach gerne mal in der Seilerstraße rum.
Eine Stunde später war die fotografierte Stelle allerdings schon wieder verwaist – wenn man von der langsam trocknenden undefinierbaren Flüssigkeit absah, die breitflächig Richtung Rinnstein rann.
Es sind Tage des Elends, fürwahr. Gestern stand ich am Bahnhof Altona, als ein – wie man so schön sagt – distinguierter Herr um die 70 den Bahnsteig abschritt.
Sein Haar war weiß und schütter, sein Sakko saß gut, er trug einen Regenschirm, Jeans und tadellose Schuhe. So weit, so gut, doch plötzlich war nichts mehr gut.
Denn er beugte sich über den vierlöchrigen Mülleimer, schaute in jede Öffnung, griff hinein, wühlte drin herum, fand nichts und ging zur einfahrenden Bahn, als sei er nichts weiter als ein distinguierter Herr.
Beim Einsteigen bedeutete er höflich einem jüngeren Mann, er möge vor ihm die Bahn betreten, der lehnte ab, bat seinerseits den Herrn, ihm voranzugehen, und der nahm lächelnd an.
Wahrscheinlich stieg er schon an der Holstenstraße wieder aus. Dort gibt es den nächsten Mülleimer.
Eine Stunde später war die fotografierte Stelle allerdings schon wieder verwaist – wenn man von der langsam trocknenden undefinierbaren Flüssigkeit absah, die breitflächig Richtung Rinnstein rann.
Es sind Tage des Elends, fürwahr. Gestern stand ich am Bahnhof Altona, als ein – wie man so schön sagt – distinguierter Herr um die 70 den Bahnsteig abschritt.
Sein Haar war weiß und schütter, sein Sakko saß gut, er trug einen Regenschirm, Jeans und tadellose Schuhe. So weit, so gut, doch plötzlich war nichts mehr gut.
Denn er beugte sich über den vierlöchrigen Mülleimer, schaute in jede Öffnung, griff hinein, wühlte drin herum, fand nichts und ging zur einfahrenden Bahn, als sei er nichts weiter als ein distinguierter Herr.
Beim Einsteigen bedeutete er höflich einem jüngeren Mann, er möge vor ihm die Bahn betreten, der lehnte ab, bat seinerseits den Herrn, ihm voranzugehen, und der nahm lächelnd an.
Wahrscheinlich stieg er schon an der Holstenstraße wieder aus. Dort gibt es den nächsten Mülleimer.
07 Mai 2013
06 Mai 2013
Die Ausgangssperre kann kommen
Etwas abseits der Weinstraße führten unsere Gastgeber uns zu einem jungen Winzerpaar, mit dem sie befreundet sind.
Dort, in Wachenheim, gibt es keinen rebenumrankten Garten mit Bierbänken und Lampions, es stehen keine pittoresken Eichenfässer an der Einfahrt. Im Hinterhof dagegen trocknen alte Reben (Foto) vor sich hin und still der Grillsaison entgegen.
Die Schmucklosigkeit dieses Gutes, dessen Lagen im Grenzbereich von Rheinhessen und Pfalz angesiedelt sind und das deshalb Weine aus zwei Regionen im Sortiment hat, fällt sofort auf. Es putzt sich nicht heraus, es brüstet sich nicht, alles hier sieht aus nach Mühe, Plage, Arbeit.
So lockt man natürlich keine Touristen oder Verkostungsflaneure an. Das aber hat einen großen Vorteil: ein umwerfendes Preis-/Leistungsverhältnis.
Nehmen wir den köstlichen 2011er Riesling Mölsheimer Zellerweg, dem der rheinhessische Kalksteinboden eine knackige Mineralität mit auf den (hoffentlich kurzen!) Lebensweg gab: Der Wachenheimer Winzer will für die Literflasche dieses Tröpfchens bei Abholung nur 2,90 €! Ich wiederhole: zwei Euro neunzig. Für einen Liter.
Selbst wenn er ihn für vier Euro die Flasche verschicken würde (was er wahrscheinlich nicht mal tut), wäre das immer noch ein Preis, bei dem jedes beliebige Hamburger Restaurant, das noch für die letzte 0,2-Literplörre vierfuffzig haben will, vor Scham dornfelderesk erröten müsste.
Und die vor lauter Dichte geradezu kaubare 2011er Trockenbeerenauslese von der Huxelrebe kostet hier in Wachenheim pro halber Flasche unwiderstehliche 10,50 €. Klar, dass ich mir den Reisekoffer voll machte bis zum Bizepsriss. Und jetzt ist es sogar bereits geschafft, alle Flaschen sind unter Mühen und Ächzen, doch unbeschadet in St. Pauli angelandet. Die Ausgangssperre kann kommen.
Den Namen dieses Weinguts behalte ich aber für mich, sonst kaufen Sie mir noch die ganzen Trockenbeerenauslesen weg, ich kenne Sie doch.
Dort, in Wachenheim, gibt es keinen rebenumrankten Garten mit Bierbänken und Lampions, es stehen keine pittoresken Eichenfässer an der Einfahrt. Im Hinterhof dagegen trocknen alte Reben (Foto) vor sich hin und still der Grillsaison entgegen.
Die Schmucklosigkeit dieses Gutes, dessen Lagen im Grenzbereich von Rheinhessen und Pfalz angesiedelt sind und das deshalb Weine aus zwei Regionen im Sortiment hat, fällt sofort auf. Es putzt sich nicht heraus, es brüstet sich nicht, alles hier sieht aus nach Mühe, Plage, Arbeit.
So lockt man natürlich keine Touristen oder Verkostungsflaneure an. Das aber hat einen großen Vorteil: ein umwerfendes Preis-/Leistungsverhältnis.
Nehmen wir den köstlichen 2011er Riesling Mölsheimer Zellerweg, dem der rheinhessische Kalksteinboden eine knackige Mineralität mit auf den (hoffentlich kurzen!) Lebensweg gab: Der Wachenheimer Winzer will für die Literflasche dieses Tröpfchens bei Abholung nur 2,90 €! Ich wiederhole: zwei Euro neunzig. Für einen Liter.
Selbst wenn er ihn für vier Euro die Flasche verschicken würde (was er wahrscheinlich nicht mal tut), wäre das immer noch ein Preis, bei dem jedes beliebige Hamburger Restaurant, das noch für die letzte 0,2-Literplörre vierfuffzig haben will, vor Scham dornfelderesk erröten müsste.
Und die vor lauter Dichte geradezu kaubare 2011er Trockenbeerenauslese von der Huxelrebe kostet hier in Wachenheim pro halber Flasche unwiderstehliche 10,50 €. Klar, dass ich mir den Reisekoffer voll machte bis zum Bizepsriss. Und jetzt ist es sogar bereits geschafft, alle Flaschen sind unter Mühen und Ächzen, doch unbeschadet in St. Pauli angelandet. Die Ausgangssperre kann kommen.
Den Namen dieses Weinguts behalte ich aber für mich, sonst kaufen Sie mir noch die ganzen Trockenbeerenauslesen weg, ich kenne Sie doch.
04 Mai 2013
Der hat Humor, der Pfälzer
Während angeblich in Hamburg die Sonne scheinen soll, tapern wir triefend durch die Weingebiete der regennassen Pfalz. Auch Speyer statten wir einen Besuch ab.
Dort zaubern gleich mehrere merkwürdige Schilder (s. Fotos) große Fragezeichen über unsere Köpfe. Unsere Ratlosigkeit sieht ein im Einstein-Look frisierter Speyrer Zausel und kommt – wie es Pfälzer Art ist – eilends herbei.
„Schpresche Se Deutsch?“, fragt er. Wir bejahen. „Verschtehnse dess Schild nett?“, fragt er. Wir bejahen. Und dann erläutert er den auf dem Schlauch stehenden Touristen mit sischtlischem Vergnügen die hintersinnige Semantik.
Wenn ein Fahrrad also fährt, so dämmert uns unter Pälzer Ägide allmählich, dann ist das Abstellen, was während der Fahrt ja eh nicht möglich wäre, verboten. Sobald es allerdings steht, das Rad, darf es das auch dort tun.
Ein Schild mit der Aufschrift „Fahrrad abstellen erlaubt“ hätte also die gleiche Aussage gehabt. Aber so ist er nun mal nicht gestrickt, der Pfälzer, wenn ich mir diese eigentlich unzulässige Verallgemeinerung erlauben darf.
Auch zum zweiten Schild, dem mit dem Hauseckenverweis, liefert der eifrige Zausel eine weitschweifige Exegese, die ich aber wieder vergessen habe.
Was natürlich auch mit dem abendlichen Besuch des Weinfestes in Haardt zu tun haben könnte, aber wer weiß das schon so genau.
02 Mai 2013
Beinah wollte ich wieder nur helfen
Morgens auf dem Weg zum Brötchenholen sehe ich in einer Parklücke eine junge Frau im kleinen Schwarzen. Um sie herum verstreute Sachen. Ihre Sachen, wie es scheint.
Es liegen da: diverse Kleidungsstücke. Ihre Handtasche. Und der Inhalt ihrer Handtasche. Sie steht mittendrin und bürstet sich wütend die Haare.
Ich spüre den kurzen Impuls, sie zu fragen, ob alles in Ordnung sei, doch sogleich kommt mir ein unschöner Vorfall vom Juni vergangenen Jahres wieder in den Sinn, und ich nehme von jedweder Intervention Abstand.
Als ich vom Brötchenholen zurückkomme, ist die Frau immer noch da, und auch ihre Sachen liegen immer noch auf der Straße herum. Sie dreht sich mehrfach um die eigene Achse, als führe sie einen tribalen Volkstanz auf.
Dann beugt sie sich runter und greift nach einem Stück Stoff. Es ist ihr Slip.
Ich fahre schnell nach Hause. Das Frühstück wartet.
Es liegen da: diverse Kleidungsstücke. Ihre Handtasche. Und der Inhalt ihrer Handtasche. Sie steht mittendrin und bürstet sich wütend die Haare.
Ich spüre den kurzen Impuls, sie zu fragen, ob alles in Ordnung sei, doch sogleich kommt mir ein unschöner Vorfall vom Juni vergangenen Jahres wieder in den Sinn, und ich nehme von jedweder Intervention Abstand.
Als ich vom Brötchenholen zurückkomme, ist die Frau immer noch da, und auch ihre Sachen liegen immer noch auf der Straße herum. Sie dreht sich mehrfach um die eigene Achse, als führe sie einen tribalen Volkstanz auf.
Dann beugt sie sich runter und greift nach einem Stück Stoff. Es ist ihr Slip.
Ich fahre schnell nach Hause. Das Frühstück wartet.
27 April 2013
Ottilie echauffiert sich
Alle paar Monate ruft mich eine ältere Dame namens Ottilie auf dem Handy „zurück“, weil ich sie angeblich angerufen hätte.
Sie verlangt dann mit Berliner oder Brandenburger Zungenschlag eine gewisse Katharina Wagner zu sprechen, mit der ich allerdings trotz des geteilten Nachnamens nicht aufwarten kann.
Ottilie ist immer sehr aufgeregt, sie versteht schon nach wenigen Sekunden die Welt nicht mehr und verlangt immer ultimativer, Katharina Wagner ans Telefon zu holen. Beim letzten Mal drohte sie mir sogar mit der Polizei.
Während des zweiten Telefonats mit ihr, es muss im Februar gewesen sein, gelang es mir immerhin in mühsamer rhetorischer Kleinarbeit, ihr die Telefonnummer zu entlocken, von der aus ich sie angeblich öfter anrufe. Und siehe da: Es ist eine Internetnummer mit Hamburger Vorwahl, die ich mir mal beim Anbieter Sipgate zugelegt habe.
Meine Fritzbox habe ich so eingerichtet, dass sie auf dieser Sipgate-Nummer eingehende Anrufe automatisch auf mein iPhone weiterleitet – ein kleiner Trick, der dem Anrufer Kosten spart. Gedacht war diese Nummer für meine Mutter, die über keinen Pauschaltarif verfügt. Auf der ganzen weiten Welt ist sie deshalb die einzige, die diese Nummer kennt.
Und Ottilie natürlich.
Wer die Gute allerdings von dieser Nummer aus angerufen hat, ohne dass ich als Anschlussinhaber dabei meine Finger im Spiel habe, ist mir schleierhaft. Ottilie geht es genauso, doch das ist ihr kreuzegal. Sie will nun mal Katharina Wagner sprechen, jeder Einwand ist zwecklos, vor allem und gerade, wenn er von mir kommt. Schließlich habe ich mich im Lauf des zurückliegenden Vierteljahres in ihren Augen mit meiner störrischen Haltung komplett disqualifiziert.
Dass ich im Verlauf unserer stets sehr munteren Gespräche manchmal ein Glucksen nicht unterdrücken kann, verbessert die emotionale Gesamtsituation nicht unbedingt. Bislang konnte ich zudem kaum Details von Ottilies Gesamtproblematik in Erfahrung bringen, denn eine strukturierte Darlegung komplexer Sachverhalte ist ihr fremd.
Sie vermag dieses Manko allerdings mühelos auszugleichen mit einem übergroßen Maß an Echauffage. Ihre Empörung ist dabei mit einer stark vorwurfsvollen Haltung mir gegenüber verbunden, und das schmerzt. Ich fühle mich nämlich unschuldig, komplett unschuldig.
„Ja, hören Se mal, dit is ja eene eenzije Abzogge!“, hub Ottilie heute Nachmittag hocherregt an, als ich ihr eröffnete, Katharina Wagner leider nicht ans Telefon holen zu können.
„Ne eenzije Abzogge!“, schimpfte sie, „dit hat mir ooch die Polizei schon jesacht! Und der Herr Koch ooch! Aber mit uns alte Leute könnses ja machen! Jrade wenn wir aus der ejemalijen DDR kommen!“
Wer ist denn jetzt Herr Koch … ? Ich glaube, ich lege mir eine neue Sipgate-Nummer zu. Oder eine Katharina Wagner.
Sie verlangt dann mit Berliner oder Brandenburger Zungenschlag eine gewisse Katharina Wagner zu sprechen, mit der ich allerdings trotz des geteilten Nachnamens nicht aufwarten kann.
Ottilie ist immer sehr aufgeregt, sie versteht schon nach wenigen Sekunden die Welt nicht mehr und verlangt immer ultimativer, Katharina Wagner ans Telefon zu holen. Beim letzten Mal drohte sie mir sogar mit der Polizei.
Während des zweiten Telefonats mit ihr, es muss im Februar gewesen sein, gelang es mir immerhin in mühsamer rhetorischer Kleinarbeit, ihr die Telefonnummer zu entlocken, von der aus ich sie angeblich öfter anrufe. Und siehe da: Es ist eine Internetnummer mit Hamburger Vorwahl, die ich mir mal beim Anbieter Sipgate zugelegt habe.
Meine Fritzbox habe ich so eingerichtet, dass sie auf dieser Sipgate-Nummer eingehende Anrufe automatisch auf mein iPhone weiterleitet – ein kleiner Trick, der dem Anrufer Kosten spart. Gedacht war diese Nummer für meine Mutter, die über keinen Pauschaltarif verfügt. Auf der ganzen weiten Welt ist sie deshalb die einzige, die diese Nummer kennt.
Und Ottilie natürlich.
Wer die Gute allerdings von dieser Nummer aus angerufen hat, ohne dass ich als Anschlussinhaber dabei meine Finger im Spiel habe, ist mir schleierhaft. Ottilie geht es genauso, doch das ist ihr kreuzegal. Sie will nun mal Katharina Wagner sprechen, jeder Einwand ist zwecklos, vor allem und gerade, wenn er von mir kommt. Schließlich habe ich mich im Lauf des zurückliegenden Vierteljahres in ihren Augen mit meiner störrischen Haltung komplett disqualifiziert.
Dass ich im Verlauf unserer stets sehr munteren Gespräche manchmal ein Glucksen nicht unterdrücken kann, verbessert die emotionale Gesamtsituation nicht unbedingt. Bislang konnte ich zudem kaum Details von Ottilies Gesamtproblematik in Erfahrung bringen, denn eine strukturierte Darlegung komplexer Sachverhalte ist ihr fremd.
Sie vermag dieses Manko allerdings mühelos auszugleichen mit einem übergroßen Maß an Echauffage. Ihre Empörung ist dabei mit einer stark vorwurfsvollen Haltung mir gegenüber verbunden, und das schmerzt. Ich fühle mich nämlich unschuldig, komplett unschuldig.
„Ja, hören Se mal, dit is ja eene eenzije Abzogge!“, hub Ottilie heute Nachmittag hocherregt an, als ich ihr eröffnete, Katharina Wagner leider nicht ans Telefon holen zu können.
„Ne eenzije Abzogge!“, schimpfte sie, „dit hat mir ooch die Polizei schon jesacht! Und der Herr Koch ooch! Aber mit uns alte Leute könnses ja machen! Jrade wenn wir aus der ejemalijen DDR kommen!“
Wer ist denn jetzt Herr Koch … ? Ich glaube, ich lege mir eine neue Sipgate-Nummer zu. Oder eine Katharina Wagner.
24 April 2013
Wie der FC Bayern den Frikadellenabsatz fördert
Wenn man unvorsichtigerweise den Franken zum Fußballgucken eingeladen hat, müsste man eigentlich vorher bei allen Nachbarn klingeln und sie mental einstimmen auf Schalleruptionen, die sonst nur unter Gorillas in der Brunft verbreitet sind.
Wenn dann auch noch sein Verein, der FC Bayern, Messi viernull weghaut, sollte zur Sicherheit aller Be- und Anwohner unbedingt ein Statiker anwesend sein.
War aber nicht.
Trotzdem wurden wir heute vom Hauseigentümer nicht spontan entmietet, und das liegt an zweierlei:
1. Des Franken Stimme verabschiedete sich zum Glück im Lauf der zweiten Halbzeit in etwas vergleichsweise angenehm Röchelhaftes, wodurch die sonische Belastung des Viertels erheblich gemindert wurde.
2. Er und Kramer sprachen hochgestimmt und zunehmend herzhaft – vulgo: bis zur Neige – dem Mirabellenwasser zu. Das hatte einen deutlich kalmierenden Effekt. Auf alles.
Heute Morgen sah ich den Franken im Büro wieder. Er saß matt am Schreibtisch und murmelte was von „brauche Frikadellenbrötchen“. Dann schlurfte er tatsächlich los und besorgte sich welche, um halb zehn in der Früh.
Wenig später stand der Verzehr der Frikadellenbrötchen unmittelbar bevor – ein Ereignis, welches mitzuerleben ich tunlichst vermied, nicht nur aus optischen, auch aus olfaktorischen Gründen.
Zum Rückspiel werde ich übrigens beim Franken in Eimsbüttel zu Gast sein. Die Seilerstraße (Beispielfoto) kann aufatmen – und die Ohrstöpsel rausnehmen.
Wenn dann auch noch sein Verein, der FC Bayern, Messi viernull weghaut, sollte zur Sicherheit aller Be- und Anwohner unbedingt ein Statiker anwesend sein.
War aber nicht.
Trotzdem wurden wir heute vom Hauseigentümer nicht spontan entmietet, und das liegt an zweierlei:
1. Des Franken Stimme verabschiedete sich zum Glück im Lauf der zweiten Halbzeit in etwas vergleichsweise angenehm Röchelhaftes, wodurch die sonische Belastung des Viertels erheblich gemindert wurde.
2. Er und Kramer sprachen hochgestimmt und zunehmend herzhaft – vulgo: bis zur Neige – dem Mirabellenwasser zu. Das hatte einen deutlich kalmierenden Effekt. Auf alles.
Heute Morgen sah ich den Franken im Büro wieder. Er saß matt am Schreibtisch und murmelte was von „brauche Frikadellenbrötchen“. Dann schlurfte er tatsächlich los und besorgte sich welche, um halb zehn in der Früh.
Wenig später stand der Verzehr der Frikadellenbrötchen unmittelbar bevor – ein Ereignis, welches mitzuerleben ich tunlichst vermied, nicht nur aus optischen, auch aus olfaktorischen Gründen.
Zum Rückspiel werde ich übrigens beim Franken in Eimsbüttel zu Gast sein. Die Seilerstraße (Beispielfoto) kann aufatmen – und die Ohrstöpsel rausnehmen.
20 April 2013
Pareidolie (59): A-H …!
Mal ehrlich: Erinnert Sie das Ende dieses mastartigen Gebildes mit seinem (wenn auch etwas verrutschten) Schnauzbart nicht auch an einen gewissen Völkermörder, der heute zum Glück schon seit 68 Jahren seinen Geburtstag nicht mehr feiern kann?
Mich auf jeden Fall, daran ändern auch die Pippi-Langstrumpf-artigen Zöpfe nichts. Und das Blöde daran: Er ragt vor meinem Ottenser Bürofenster hoch und lugt mir tagein, tagaus auf die Tastatur.
Wenn ich wenigstens die Funktion dieses Dings begriffe, wäre mir schon wohler. Aufklärung bitte in den Kommentaren, danke.
PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.
Mich auf jeden Fall, daran ändern auch die Pippi-Langstrumpf-artigen Zöpfe nichts. Und das Blöde daran: Er ragt vor meinem Ottenser Bürofenster hoch und lugt mir tagein, tagaus auf die Tastatur.
Wenn ich wenigstens die Funktion dieses Dings begriffe, wäre mir schon wohler. Aufklärung bitte in den Kommentaren, danke.
PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.
19 April 2013
Acht Jahre bis zum Boss
Zwei historische Ereignisse waren entscheidend dafür, dass ich just heute in Hosseinis Stellinger Änderungsschneiderei vor einem Spiegel stand und sich mir ein kleiner Afghane mit einem vollbestückten Nadelkissen näherte.
Eins dieser beiden Ereignisse geschah 1991. Damals entschloss sich der US-amerikanische Autor Bret Easton Ellis, einen Roman namens „American Psycho“ zu schreiben.
Das hätte aber noch nicht gereicht für meinen heutigen Auftritt vor Hosseinis Spiegel in Stellingen. Hinzukommen musste – neben der unabdingbaren Erfindung des Internets 1969, die ich aber jetzt mal besser nicht mitzähle, sonst lande ich irgendwann noch beim Urknall –, hinzukommen musste 14 Jahre später Ereignis Nummer zwei: meine Entdeckung des Blogs Lyssas Lounge.
Ellis’ Roman löste vor 22 Jahren bei einem österreichischstämmigen Hamburger einen bis heute anhaltenden Fetisch für Herrenmode aus – und Lyssas lesenswerte Schreibe bei mir das Bedürfnis, selber das Bloggen anzufangen.
Dem österreichischstämmigen Hamburger gefiel, was er ab 2005 hier, auf der Rückseite der Reeperbahn, zu lesen bekam, weshalb er den Kontakt suchte. Nach anfänglichem Fremdeln wurde daraus Freundschaft, doch erst acht lange Jahre später – nämlich neulich – infizierte er mich (endlich) mit seiner Manie für hochwertige Herrenmode, als er mir notorischem Sparfuchs riet, mich doch mal auf Ebay nach all diesen Schurwollpreziosen umzuschauen.
Dort nämlich, raunte er, müsse man nicht etwa die üblichen vier-, sondern mit etwas Glück nur zweistellige Beträge für gebrauchte Spitzenware zahlen.
Was soll ich sagen: Der Mann hat recht. Und deshalb stand ich heute in Stellingen vor einem Spiegel, während mir ein kleiner Afghane Nadeln in den Hugo-Boss-Selection-Anzug steckte und ich von hinten German Psycho sagen hörte: „Die Ärmel müssen aber noch etwas kürzer.“
Ohne Bret Easton Ellis wäre das alles niemals passiert. Ohne Lyssa auch nicht. Und natürlich auch nicht ohne den Urknall.
Eins dieser beiden Ereignisse geschah 1991. Damals entschloss sich der US-amerikanische Autor Bret Easton Ellis, einen Roman namens „American Psycho“ zu schreiben.
Das hätte aber noch nicht gereicht für meinen heutigen Auftritt vor Hosseinis Spiegel in Stellingen. Hinzukommen musste – neben der unabdingbaren Erfindung des Internets 1969, die ich aber jetzt mal besser nicht mitzähle, sonst lande ich irgendwann noch beim Urknall –, hinzukommen musste 14 Jahre später Ereignis Nummer zwei: meine Entdeckung des Blogs Lyssas Lounge.
Ellis’ Roman löste vor 22 Jahren bei einem österreichischstämmigen Hamburger einen bis heute anhaltenden Fetisch für Herrenmode aus – und Lyssas lesenswerte Schreibe bei mir das Bedürfnis, selber das Bloggen anzufangen.
Dem österreichischstämmigen Hamburger gefiel, was er ab 2005 hier, auf der Rückseite der Reeperbahn, zu lesen bekam, weshalb er den Kontakt suchte. Nach anfänglichem Fremdeln wurde daraus Freundschaft, doch erst acht lange Jahre später – nämlich neulich – infizierte er mich (endlich) mit seiner Manie für hochwertige Herrenmode, als er mir notorischem Sparfuchs riet, mich doch mal auf Ebay nach all diesen Schurwollpreziosen umzuschauen.
Dort nämlich, raunte er, müsse man nicht etwa die üblichen vier-, sondern mit etwas Glück nur zweistellige Beträge für gebrauchte Spitzenware zahlen.
Was soll ich sagen: Der Mann hat recht. Und deshalb stand ich heute in Stellingen vor einem Spiegel, während mir ein kleiner Afghane Nadeln in den Hugo-Boss-Selection-Anzug steckte und ich von hinten German Psycho sagen hörte: „Die Ärmel müssen aber noch etwas kürzer.“
Ohne Bret Easton Ellis wäre das alles niemals passiert. Ohne Lyssa auch nicht. Und natürlich auch nicht ohne den Urknall.
17 April 2013
Ade Warmluft
Seit Jahren lagern mutmaßlich polnische Obdachlose vor den Plakatwänden an der Simon-von-Utrecht-Straße.
Natürlich sind es nicht die konsumistischen Jubelsprüche, die diesem Ort seine Anziehungskraft für Berber verleihen. Nein, es sind die vergitterten Abluftschächte an der Mauer, aus denen stets wohligwarme Luft strömt.
Im Winter ist das für die Polen eine ganz feine Sache. Denn die Lungenentzündungsgefahr wird sicher nicht höher, wenn man mitten im Frost von Warmluft umfächelt wird. Doch diese beliebte Komfortzone für Wohnsitzlose ist seit neuestem Geschichte.
Irgendwer nämlich hat einen riesigen Blechkasten auf die Schächte gestellt. Ade Warmluft.
Heute waren prompt auch keinerlei Polen mehr zugegen, nur ein paar muffige Klamotten, Taschen und Stützkissen verdämmerten dort still den Frühlingstag. Wer für die Baumaßnahme verantwortlich ist, ob die Stadt oder der Eigentümer der Abluftschächte, entzieht sich meiner Kenntnis.
Dass der Blechkasten aber erst aufgestellt wurde, als der härteste Winter vorbei war, muss man wohl unter Feinfühligkeit verbuchen.
Natürlich sind es nicht die konsumistischen Jubelsprüche, die diesem Ort seine Anziehungskraft für Berber verleihen. Nein, es sind die vergitterten Abluftschächte an der Mauer, aus denen stets wohligwarme Luft strömt.
Im Winter ist das für die Polen eine ganz feine Sache. Denn die Lungenentzündungsgefahr wird sicher nicht höher, wenn man mitten im Frost von Warmluft umfächelt wird. Doch diese beliebte Komfortzone für Wohnsitzlose ist seit neuestem Geschichte.
Irgendwer nämlich hat einen riesigen Blechkasten auf die Schächte gestellt. Ade Warmluft.
Heute waren prompt auch keinerlei Polen mehr zugegen, nur ein paar muffige Klamotten, Taschen und Stützkissen verdämmerten dort still den Frühlingstag. Wer für die Baumaßnahme verantwortlich ist, ob die Stadt oder der Eigentümer der Abluftschächte, entzieht sich meiner Kenntnis.
Dass der Blechkasten aber erst aufgestellt wurde, als der härteste Winter vorbei war, muss man wohl unter Feinfühligkeit verbuchen.
16 April 2013
Fundstücke (172)
1. Während des Abendessens bei German Psycho und Twelectra ergab es sich, dass ich den Sanitärbereich aufsuchte – und vor dieser Fußmatte stand. Im Haus der Addams Family stieße man bestimmt auf weniger interessante Überraschungen. Übrigens hing dort auch noch ein Handtuch …
2. Kaum habe ich mir HD angeschafft, geruht man mich mit den Schattenseiten zu konfrontieren. „Aus lizenzrechtlichen Gründen“ hat mein Receiver schulterzuckend die Aufnahme einer ZDF-Sportübertragung verweigert. Der technische Fortschritt lässt mich also in die Röhre gucken. Wo kann ich mich gegen diese Gängelung wehren? Wo zur Revolte gegen die Aushebelung meines souveränen Mitschneidewillens aufrufen? Momentan, das kann ich versichern, sind hier in der Seilerstraße nicht nur die Fernsehprogramme hochaufgelöst, sondern auch ich. Vor Zorn.
3. Na ja, sie meinen es bestimmt nur gut. Entdeckt im Schaufenster einer Apotheke in der Neustadt.
4. Ursache und Wirkung … Entdeckt auf dem Amazon-Marketplace.
13 April 2013
Time to say goodbye (5)
So, meine sehr verehrten Damen und Herren: Unsere schon seit einer gefühlten Ewigkeit wie sauer Bier angebotenen Bücher sind jetzt wirklich weg.
Drei kräftige, teils untersetzte Männer mit wenig Haupthaar und viel Bizeps luden sie in Kisten und trugen sie fort. Am Ende hingen nur noch Streben an der Wand, worauf die leeren Massivholzbretter lagen.
„Möchten Sie vielleicht auch die Bretter mitnehmen?“, fragte ich den Chef des Trios.
„Gärrnä! Sind gute Brättär. Kann ich gebrrauchän fürr Bau von Vögelhaus.“
„Sie meinen wahrscheinlich Vogelhaus. Mit o.“
„Ja, gännau: Haus fürr Vögeln!“
„Nein, nein, Vorsicht. Der Plural ist Vögel, also ohne n. Das könnte leicht missverständlich …“
„… Wie sagän noch in Teutsch zu Vögelhaus? Issä Puff? Gännau das will ich bauän mit Brättär!“
„Oh.“
Nun, der Dialog nahm nach dem absolut authentisch geschilderten Auftakt nicht ganz diesen Verlauf, das gebe ich zu.
Doch am Ende waren auch die Bretter weg, und das ist die Hauptsache.
11 April 2013
Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (83)
Angeblich kostet es im Jahr 2000 Euro Mitgliedsgebühr, um nach Lust und Laune das Uppereast im East-Hotel betreten und dort die erstaunlichen Getränkepreise zahlen zu dürfen.
Dafür hängen dort dann aber auch nicht nur Leute mit einem ab, die ebenfalls 2000 Euro Jahresgebühr hingeblättert haben, sondern mindestens ebensoviele Birnen von der Decke. Siehe Foto.
Wir wissen das natürlich nicht etwa deshalb, weil wir uns widersinnigerweise zu einer 2000-Euro-Uppereast-Mitgliedschaft entschlossen hätten, oh nein, sondern weil wir anlässlich des Barjubiläums dort eingeladen waren.
Im Großen und Ganzen erwies sich das Uppereast dabei als Raum von verblüffend eingeschränktem Liebreiz. Vermutlich reißt die Qualität seiner 2000-Euro-Mitglieder alles wieder raus, vielleicht geht hier ja samstagsnachts z. B. Sylvie van der Vaart auf die Balz.
Ich erstand während der Party runtergesetzte Hummel-Turnschuhe, die dort zugunsten einer Aidsstiftung vertickt wurden. Dadurch, dass ich weise auf den Kauf weiterer 68 Paar verzichtete, habe ich mir jetzt quasi die Jahresmitgliedschaft im Uppereast zusammengespart.
Mit Hummels an den Füßen würden sie mich dort aber wahrscheinlich gar nicht einlassen.
Dafür hängen dort dann aber auch nicht nur Leute mit einem ab, die ebenfalls 2000 Euro Jahresgebühr hingeblättert haben, sondern mindestens ebensoviele Birnen von der Decke. Siehe Foto.
Wir wissen das natürlich nicht etwa deshalb, weil wir uns widersinnigerweise zu einer 2000-Euro-Uppereast-Mitgliedschaft entschlossen hätten, oh nein, sondern weil wir anlässlich des Barjubiläums dort eingeladen waren.
Im Großen und Ganzen erwies sich das Uppereast dabei als Raum von verblüffend eingeschränktem Liebreiz. Vermutlich reißt die Qualität seiner 2000-Euro-Mitglieder alles wieder raus, vielleicht geht hier ja samstagsnachts z. B. Sylvie van der Vaart auf die Balz.
Ich erstand während der Party runtergesetzte Hummel-Turnschuhe, die dort zugunsten einer Aidsstiftung vertickt wurden. Dadurch, dass ich weise auf den Kauf weiterer 68 Paar verzichtete, habe ich mir jetzt quasi die Jahresmitgliedschaft im Uppereast zusammengespart.
Mit Hummels an den Füßen würden sie mich dort aber wahrscheinlich gar nicht einlassen.
08 April 2013
Serviettendeppen
Die „Teigtasche“ ist angeblich das weltweit einzige litauische Restaurant auf dem Kiez und überhaupt in Deutschland. Deshalb mussten wir auch endlich hin.
Neulich waren wir also da und suchten nach den Servietten. Bevor es Ihnen auch so geht: Lupfen Sie doch mal vorsichtig die Laschen der Ledertaschen, die auf jedem Tisch stehen.
Bei dem so leckeren wie öligen Brot (Foto) werden Sie sie brauchen. Nicht die Ledertaschenlaschen, sondern die Servietten.
Das litauische Bier ist übrigens auch köstlich. Aber im Vergleich zu Astra ist natürlich jedes Bier … ich verzettel mich. Besser zurück zu den Servietten: Die haben wir Cleverles natürlich nicht selber entdeckt, die Kellnerin musste sie uns zeigen.
Und damit hat sich die ernsthaft erwogene Geheimdienstkarriere wohl erledigt.
Neulich waren wir also da und suchten nach den Servietten. Bevor es Ihnen auch so geht: Lupfen Sie doch mal vorsichtig die Laschen der Ledertaschen, die auf jedem Tisch stehen.
Bei dem so leckeren wie öligen Brot (Foto) werden Sie sie brauchen. Nicht die Ledertaschenlaschen, sondern die Servietten.
Das litauische Bier ist übrigens auch köstlich. Aber im Vergleich zu Astra ist natürlich jedes Bier … ich verzettel mich. Besser zurück zu den Servietten: Die haben wir Cleverles natürlich nicht selber entdeckt, die Kellnerin musste sie uns zeigen.
Und damit hat sich die ernsthaft erwogene Geheimdienstkarriere wohl erledigt.
07 April 2013
Die allerletzte Butze
Inzwischen denkt ja jeder dahergelaufene Hipster, es sei obercool, in St. Pauli zu wohnen – also zwischen Huren, Hundekacke und anderen Hipstern.
Deshalb steigen hier zwangsläufig die Mieten, und Hauseigentümer bekommen auch noch die letzte Butze für teuer Geld an den Mann.
Wenn ich letzte Butze sage, dann meine ich seit heute übrigens auch: Friseurstühle.
Aber kann man darauf überhaupt auf Dauer vernünftig schlafen?
(Entdeckt in der Hein-Hoyer-Straße.)
Deshalb steigen hier zwangsläufig die Mieten, und Hauseigentümer bekommen auch noch die letzte Butze für teuer Geld an den Mann.
Wenn ich letzte Butze sage, dann meine ich seit heute übrigens auch: Friseurstühle.
Aber kann man darauf überhaupt auf Dauer vernünftig schlafen?
(Entdeckt in der Hein-Hoyer-Straße.)
05 April 2013
Die Seilbahn kommt!?
Bisher wurde ja der Plan, eine Seilbahn zwischen Millerntor und Musicaltheater im Hafen einzurichten, vom Bezirksamt Mitte abgelehnt. Begründung: Die Mehrheit der St. Paulianer sei dagegen.
Uns, St. Paulianer seit 1996, hat allerdings keiner gefragt. Deshalb, Bezirksamt Mitte, nimm das: Sobald die Seilbahn fertig ist, kauf ich mir ne Dauerkarte. Und Ms. Columbo auch.
Foto: Handelskammer Hamburg
Uns, St. Paulianer seit 1996, hat allerdings keiner gefragt. Deshalb, Bezirksamt Mitte, nimm das: Sobald die Seilbahn fertig ist, kauf ich mir ne Dauerkarte. Und Ms. Columbo auch.
Foto: Handelskammer Hamburg
04 April 2013
Ein Paket, drei Planeten
Das Paket, welches da mit allem gängigen DHL-Pipapo (Bote in Gelb, Funkerfassungsgerät, Unterschrift) zugestellt wurde, gab keinerlei Hinweise auf seinen Inhalt.
Was bloß hatte ich da wohl mal wieder bestellt in diesem Internet?
Nun, es war ein USB-Stick.
Die versendende Firma Conrad hatte es opportun gefunden, ihn in einen umbauten Pappraum von etwa sechs Litern Fassungsvermögen zu packen und inmitten von Pi mal Daumen zweitausend Styropornupsies stoßfest zu lagern.
Einen USB-Stick.
An dieser Stelle müsste ich jetzt eigentlich ausführen, wie mir durch diese Verpackungswahl die These veranschaulicht wurde, dass wir bei unserem Lebensstil mindestens drei Planeten brauchen.
Aber in Wahrheit habe ich mich einfach über einen schönen Karton fürs Altpapier gefreut.
Was bloß hatte ich da wohl mal wieder bestellt in diesem Internet?
Nun, es war ein USB-Stick.
Die versendende Firma Conrad hatte es opportun gefunden, ihn in einen umbauten Pappraum von etwa sechs Litern Fassungsvermögen zu packen und inmitten von Pi mal Daumen zweitausend Styropornupsies stoßfest zu lagern.
Einen USB-Stick.
An dieser Stelle müsste ich jetzt eigentlich ausführen, wie mir durch diese Verpackungswahl die These veranschaulicht wurde, dass wir bei unserem Lebensstil mindestens drei Planeten brauchen.
Aber in Wahrheit habe ich mich einfach über einen schönen Karton fürs Altpapier gefreut.
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