01 August 2006

Kollateralschäden der Klimakatastrophe

Jetzt, wo die Hitze Atempause macht, ist die Gelegenheit günstig, über ihre Nachteile zu sprechen. Hitze nämlich ist gefährlich. Nicht nur unmittelbar, auch indirekt.

Kramer zum Beispiel schlurft seit Tagen nur noch barfuß durch die Räume, und gestern rollte ihm der Franke mit seinem Stuhl versehentlich über den linken großen Zeh.

Hätte Kramer Gummistiefel getragen oder eisenbeschlagene Straßenschuhe, wie es etwa winters durchaus Usus ist, nichts wäre geschehen. So aber brüllte er auf wie Godzilla, der gerade einen Panzerfausteinschlag im Schritt wegstecken muss.

Bestürzt stürmte ich rüber ins Nachbarbüro. „Nicht lachen“, mahnte der Franke bei meinem Eintritt beschwörend und mit ernster Miene, während Kramer durch wildes Fluchen und Herumspringen die Phase des akuten Schmerzgebrülls zu überbrücken suchte.

Keine Stunde später drang erneut ein urtümlicher Schrei aus diesem Abu Ghureib Ottensens, und wieder war unverkennbar Kramer das Opfer. Diesmal gemahnten Timbre und Ausdruckskraft seiner vokalen Eruptionen eher an King Kong auf dem Empire State Building (Remakefassung). Was war denn jetzt schon wieder passiert?

Gelassener als beim ersten Mal begab ich mich zur Erkundung der näheren Umstände hinüber. Der Franke hatte erneut diesen warnenden „Bloß nicht lachen!“-Blick, während Kramer durchs Büro marodierte wie eine amoklaufende Abrissbirne. Offenbar war er intuitiv zu der Überzeugung gelangt, es sei ein probates Mittel zur Linderung seines Leids, unschuldige Gegenstände wie Bücher, Sandalen oder halbplatte Minilederbälle in alle Büroecken zu pfeffern. Mir schien zwar spontan eine Packung Thomapyrin geeigneter, doch ich hielt schön den Mund.

Kramer jedenfalls hüpfte auf dem vor einer Stunde noch immobilen Fuß herum, was diesmal klar das rechte Pendant als geschädigt auswies. Allmählich kristallisierten sich auch vage die Details des Zwischenfalls heraus. Eine seiner Lautsprecherboxen war wohl durch letztlich unklärbare Umstände vom Tisch gerutscht und ihm dann direkt auf den rechten großen Zeh gedonnert – offenbar mit der Ecke voran, so dass sich die kinetische Energie der Box sehr effizient auf einer kleinen Stelle der Kramerschen Gesamtkonstruktion entladen konnte.

Den genauen Verlauf durch Rückfragen zu klären, kam keinesfalls in Frage. Dazu fehlte sowohl dem Franken als auch mir der Mut. So betrachteten wir stumm unser geschundenes Mitgeschöpf, welches seiner schmerzbefeuerten Wut auf Gott und die Welt und jedes Grad Celsius freien Lauf ließ und keinerlei Ansprache mehr zugänglich war.

Später, als ich noch einmal vorsichtig um die Ecke ins Nachbarbüro lugte, sah ich Kramer auf seinem Stuhl kauern und mit einem Eisbeutel hantieren. Für ein freundliches Wort war es aber immer noch zu früh. Und schuld ist wer? Die Klimakatastrophe.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Schmerz
1. „Hurt" von Johnny Cash
2. „Pain killer" von Turin Brakes
3. „A pain that I'm used to" von Depeche Mode

6 Kommentare:

  1. 4. Pain, Elton John

    Ja es tut gut, endlich mal wieder mit Decke im Bett zu liegen und sich nicht wie in Death Valley aufhaltend dabei vorzukommen.

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  2. Wieder ein großartiger Artikel ;) Da schmeckt der morgendliche Kaffee gleich doppelt so gut.

    Ps. Nicht aus sadistischen Gründen ;)

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  3. 5. Tree of pain (Soulfly)
    Nur noch mit Klompen ins Büro!

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  4. vielen dank für dieses bild. tränen lachen ist was feines..

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  5. Wie man so was Banales so lustig beschreiben kann!

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  6. 6. "Pain" von Alice Cooper

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