07 Mai 2010

Handys sind großartig – aber aus anderen Gründen

Nicht weit weg vom Levantehaus (Foto) in der Mönckebergstraße wühlt eine Frau, die buchstäblich so breit ist wie hoch, barhändig tief in einem Mülleimer. Doch was auch immer sie sucht, sie wird nicht fündig.

Dann wendet sie sich umstandslos einer offenen Telefonzelle direkt neben dem Mülleimer zu – und nimmt mit der gleichen Hand, die gerade noch tief im Müll steckte, den Telefonhörer ab, ehe sie (vergebens) nachschaut, ob Münzgeld im Ausgabefach vergessen wurde.

Der überragende Nutzen der Inidividualtelefonie ist mir noch nie so klargeworden wie in diesem Moment.


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11 Kommentare:

  1. Der überragende Nutzen der Inidividualtelefonie ist mir noch nie so klargeworden wie in diesem Moment
    was soll denn der sch...?
    am besten bindest du dir noch deine augen zu damit du die arme frau nicht sehen must!

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  2. Sie können sich gern weiter Gegenstände ans Gesicht drücken, die gerade von einer Müllpfote kontaminiert wurden. Ich hingegen nutze lieber mein Handy.

    Mit der Frau hat das alles allerdings überhaupt nichts zu tun. Außerdem sollten wir doch die Form der Anrede wahren. Oder kennen wir uns etwa?

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  3. Ja nun, Matt, Sie sind aber auch ein zynischer Bakterienhasser: Sie sollten eigentlich nackt in diesen Mülleimer springen, Halleluja brüllen und sich daran freuen, daß Sie fortan noh viel mehr Artenreichtum auf Ihrem Körper ermöglichen.

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  4. Ja, ich weiß. Ich bin da erheblich empfindlicher als Herr oder Frau Anonymus da oben. Vielleicht gibt es dagegen ja Selbsthilfekurse, die anonymen Hygieniker oder so.

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  5. Ich finde Pöbeleien doof...

    Bei dieser Dame hat man es halt mal gesehen, aber wieviele Pottsäue verlassen die WC´s dieser Welt, ohne den Wasserhahn nur anzugucken?

    OT: Ein wunderbarer(s) Blog!

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  6. Es ist immer wieder wichtig, daß einem die Gefahren des Lebens auch mal vor Augen geführt werden. Daher laufe ich beispielsweise gerne mit der Axt durch Hamburg.

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  7. Ich schwanke zwischen Mitgefühl mit der scheinbar nicht sesshaften Frau und Ekel.
    Die Vorstellung, Bakterien, Keime, Viren, Pilze, was-auch-immer am Ohr bzw. im Gesicht zu haben, wenn ich einen Telefonhörer aufnehme, ist einfach gruselig.
    Ich gebe übrigens Martin W. Recht - sich nach dem Toilettengang ist bei Männern und Frauen ein großes Problem.
    Besonders interessant finde ich das Pseudoändewaschen... so für 3 Sekunden die Fingerspitzen unter fließendes Wasser halten, definieren manche schon als Händewaschen (vor wenigen Tagen erst gesehen).
    Sehr merkwürdiges Hygieneverständnis, was die Menschen so haben...

    Liebe Grüße,
    Josie

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  8. blogg-hittn-wirtin07.05.10, 22:51

    Herbert, trink das!
    (Falls die Kampagne in Deutschland nicht geläufig ist: http://www.herbert-trink-das.at) Sehr unterhaltsam und liebenswert, wie ich finde.

    Nein, im Ernst: Ist schon gruselig, was man da den ganzen Tag so einsammelt, was über die "gesunde Portion" Dreck hinausgeht. Öffentliche Telefone waren mir immer schon ein Greuel. Ich habe seit bestimmt 15 Jahren keines mehr benutz, aber immer noch habe ich den Geruch der Sprechmuschel in der Nase und den werde ich bestimmt mein Lebetag nicht mehr los ... wie übelster Mundgeruch. Schlimm ...

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  9. Daran hätten Sie mich keinesfalls erinnern dürfen …

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  10. Labels: Obdachlose, Typen...

    ..., Untermenschen.

    Individualtelephonie is the new Reihenhaus and Rechtschreibung the new Eichenfunier-Schrankwand.

    An ihren Schilderungen von ach so "ekelhaften" Unterschichtlern, die es in Ihrem Blog ja schon zu einem eigenen Label gebracht haben, fällt auf, wie sehr Sie sich zu ihnen hingezogen fühlen.

    Wieder einmal so etwas von Ihnen lesen zu müssen - o.k. ich muss ja nicht - erinnert mich an eine schöne Passage von Adorno über das Riechen, die mich an Ihre ambivalente Beziehung zu dem ganzen und vermeintlichen Müll, der Sie umgibt, Ihren Ekel sowie Ihre Faszination erinnert:

    "In den vieldeutigen Neigungen der Riechlust lebt die alte Sehnsucht nach dem Unteren fort, nach der unmittelbaren Vereinigung mit umgebender Natur, mit Erde und Schlamm. Von allen Sinnen zeugt der Akt des Riechens, das angezogen wird, ohne zu vergegenständlichen, am sinnlichsten von dem Drang, ans andere sich zu verlieren und gleich zu werden. Darum ist Geruch, als Wahrnehmung wie als Wahrgenommenes - beide werden eins im Vollzug - mehr Ausdruck als andere Sinne. Im Sehen bleibt man, wer man ist, im Riechen geht man auf. So gilt der Zivilisation Geruch als Schmach, als Zeichen niederer sozialer Schichten, minderer Rassen und unedler Tiere. Dem Zivilisierten ist Hingabe an solche Lust nur gestattet, wenn das Verbot durch Rationalisierung im Dienst wirklich oder scheinbar praktischer Zwecke suspendiert wird. Man darf dem verpönten Trieb frönen, wenn außer Zweifel steht, daß es seiner Ausrottung gilt. Das ist die Erscheinung des Spaßes oder des Ulks. Er ist die elende Parodie der Erfüllung. Als verachtete, sich selbst verachtende, wird die mimetische Funktion hämisch genossen. Wer Gerüche wittert, um sie zu tilgen, »schlechte« Gerüche, darf das Schnuppern nach Herzenslust nachahmen, das am Geruch seine unrationalisierte Freude hat. Indem der Zivilisierte die versagte Regung durch seine unbedingte Identifikation mit der versagenden Instanz desinfiziert, wird sie durchgelassen. Wenn sie die Schwelle passiert, stellt Lachen sich ein."

    Ich fahre zweimal im Monat in die Innenstadt, um im Levantehaus frisch gerösteten Kaffee für meinen Siebträger zu kaufen, und mir würde eine solche Szene gar nicht oder ganz anders auffallen und sie würde in mir auch kaum etwas auslösen, ausser Mitleid, da ich seit ich weiss nicht wievielen Jahren keine Telefonzelle mehr benutzt habe. Und, das unterstelle ich einmal ganz frech: Sie auch nicht.

    Aber Sie müssen sich geradezu zwanghaft das Alibi verschaffen, diese Telefonzelle vielleicht einmal benutzen zu müssen, als Vorwand, um Ihren Ekel und Ihre Verachtung zelebrieren zu dürfen.

    Ein wenig weniger Selbstzufriedenheit und ein wenig mehr Reflexion würde Ihnen ganz bestimmt nicht schaden.

    Dirk

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  11. Keine Ahnung, wo Sie und Theodor W. aus Alltagsbeobachtungen den Tatbestand der „Verachtung“ herleiten wollen. Ich könnte Ihnen zig Empathiebelege aus dem Blog präsentieren, aber das könnten Sie ja auch selber, wenn Sie Ihren Tunnelblick nicht pflegen würden.

    Dass Sie nicht über die körperliche Reaktion des Ekels verfügen, ist übrigens ein Defekt, auf den stolz zu sein sich von selbst verbietet. Denn er (mit)ermöglichte die relativ unfallfreie Evolution des Menschen – und somit unser beider Existenz.

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