29 Oktober 2008

Betrag zu hoch!

Seit bekannt geworden ist, welch apokalyptische Folgen der Individualverkehr hat, fährt ja praktisch niemand mehr Auto.

Wir aber waren Ende der 90er echte Avantgardisten, als wir nach dem Diebstahl des Fiats einfach sagten: Du wirst nicht ersetzt, Uno!

Vorher waren wir mit ihm für den Wocheneinkauf stets zu Toom in Altona gefahren, wo am Eingang des Parkplatzes eine Schranke war, die sich hob, wenn man eine Parkkarte zog.

Kurioserweise waren die Ausfahrtschranken meist oben, so dass ich die jeweilige Parkkarte gar nicht am Toom-Automaten auslösen musste. Eine vergessene alte Karte befand sich daher schon seit einiger Zeit in meiner Börse. Spaßeshalber steckte ich sie eines Tages mal in den Automaten, um die inzwischen aufgelaufenen Parkgebühren zu ermitteln. Sie waren dreistellig. Das war lustig.

In den Folgemonaten, ja -jahren wurde die alte Parkkarte zum running gag. Meine Schuld beim Toom-Parkplatz wuchs und wuchs. Irgendwann sagte der Automat Sachen wie „30 553 DM – Betrag zu hoch!“.

Wenn dann gerade zufällig ein Toom-Kunde in der Nähe war, starrte ich länger als notwendig aufs Display, seufzte tief auf, zog kopfschüttelnd die Karte aus dem Automaten und schlurfte von dannen – einer düsteren Zukunft als Fußgänger entgegen, während mein Wagen den Rest seiner rostigen Jahre unausgelöst auf dem Parkplatz von Toom verbringen musste. Denn 30 553 Mark hatte ich selten dabei.

Irgendwann hatten wir dank der Diebe kein Auto mehr. Wir kauften nun dort ein, wo man zu Fuß hingehen konnte. Toom, sein Parkplatz und der Automat gerieten in Vergessenheit. Doch heute morgen, viele Jahre und eine Währungsumstellung später, fand ich die Parkkarte wieder. Sie lag in einem verstaubten ehemaligen Gewürzgurkenglas, in dem sich außerdem noch ein Klebezettelblock und viele kleine Münzen befanden, darunter sogenannte „Groschen“, die Älteren unter uns werden sich noch erinnern.

Die Parkkarte jedenfalls weckte nostalgische Gefühle – und führte mich in Versuchung. Ich brach etwas früher zur Arbeit auf, um vorher noch bei Toom vorbeizufahren. Einfach mal schauen, wie hoch der Betrag jetzt wäre, ungefähr acht Jahre nach der historischen Meldung „30 553 DM – Betrag zu hoch!“.

Ich betrat Toom voll nervöser Vorfreude. Der Parkautomat stand noch immer im Eingangsbereich, wie damals. Ich ging hin und führte die Karte ein. Meine Hände zitterten leicht. Was würde er sagen? Läge ich schon bei einer Million, und zwar Euro?

Der Automat surrte und summte, er checkte die Karte, und dann … spuckte er sie wieder aus wie ein trockener Alkoholiker die Weinbrandbohne.

Welch eine Enttäuschung: Der Parkautomat gehörte einer neueren Generation an. Es handelte sich um ein anderes, aktualisiertes Modell. Mein alte Parkkarte war ihm so fremd wie meinem MacBook eine Floppydisc. Wie schade.

Ich seufzte tief auf, obwohl kein anderer Toom-Kunde in der Nähe war, zog kopfschüttelnd die Karte aus dem Automaten und schlurfte geschlagen von dannen.

Vielleicht haben sie den alten Automaten ja nur deswegen ausgetauscht, weil ihn die Meldung „30 553 DM – Betrag zu hoch!“ irgendwann depressiv gemacht hatte.

Ja, so war es, bestimmt.


13 Kommentare:

  1. whatever happened to yesterday sein blog - ich hoffe, es war es wert...

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  2. Das war bestimmt Truerabatt, wer so lange bei toom einkauft, muss dort zwangslaeufig sein Leben verbringen, daher wurde alle Schuld als getilgt angeshen. Ist doch ein netter Zug von toom.

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  3. moin moin
    ich weiss nicht ob das gut oder schlecht ist, aber das ist der erste lesenswerte beitrag seit viel zu langer zeit. wegen solcher geschichtelchen begann ich einst damit blogs (eigentlich nur dies eine) zu lesen.

    danke matt
    ;)

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  4. Sie hätten also fast Ihr Abo gekündigt? Puh, Schwein gehabt … ;-)

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  5. Das erinnert mich daran, dass ich als Jugendlicher in einen Computer Club eingetreten bin, einen monatlichen Beitrag von 10 DM zahlen musste, diesen Club verlassen habe, aber nie offziell meinen Austritt erklärte.

    Hoffentlich finden die mich nicht.

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  6. mein beitrag in diesem club heißt kommentar und ist vollkommen freiwillig! ;)

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  7. Man in Metropolis, Sie HABEN diesen Club nicht verlassen. Und die finden Sie.

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  8. Herr Matt,
    eine rührende Geschichte.
    War das ein Bruder von Marvin ?
    (Wer Marvin nicht kennt, der in "Per Anhalter durch die Galaxis" herumjammert:
    Marvin ist ein Roboter der Sirius-Kybernetik-Corporation und gehört zur Ausstattung des Raumschiffs Herz aus Gold. Er hat „ein Gehirn von der Größe eines Planeten“ und ist der Prototyp für Roboter mit „Echtem Menschlichen Persönlichkeitsbild“ [EMP]. Seine Persönlichkeit zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er sich ständig über alles beklagt und depressiv ist. Auf dem Planeten Magrathea rettet er Arthur, Ford, Trillian und Zaphod das Leben, indem er sich mit dem Bordcomputer eines feindlichen Raumschiffs unterhält und ihm seine Ansichten über das Universum darlegt. Das feindliche Raumschiff begeht daraufhin Selbstmord.

    Seine Intelligenz beweist Marvin, als er unbewaffnet einem Kampfroboter gegenüber steht und ihn nur durch Worte dazu bringt, sich selbst zu zerstören. Das kommentiert er anschließend mit den Worten: „Was für eine deprimierend dämliche Maschine!“

    Marvin hat außerdem ständig Schmerzen in den Dioden auf der linken Seite, dem einzigen Teil von ihm, das durch das ganze Buch hindurch nicht ausgewechselt wird.

    Marvin „stirbt“ auf dem Planet Preliumtarn, nachdem er mit Mühe Gottes letzte Botschaft gelesen hat, da er durch den Marsch durch die Wüste dorthin ziemlich ramponiert war. Außerdem war er schon in die Jahre gekommen. Durch die vielen Zeitsprünge ist Marvin zum Schluss 37 mal älter als das Universum selbst.

    Außerdem weiß Marvin, wie die Frage zu der Antwort „42“ [beantwortet von Deep Thought] lautet, wird aber auch auf Aufforderung nie gebeten, sie mitzuteilen.

    [Aus: Wiki])

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  9. So gut habe ich meinen Parkautomaten gar nicht kennengelernt. Es war immer nur die alte Rein-raus-Geschichte.

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  10. "die alte Rein-raus-Geschichte"...
    Ja ja. Wäre ich jetzt eine Feministin, so würde ich sie jetzt folgendes aus mir sprechen lassen: "Wie lieblos."
    Bin aber keine.
    Immerhin beschreiben Sie ihn als "meinen" Parkautomaten.
    Wo er jetzt wohl sein mag ? Steht er einsam und frierend im Regen auf einem Schrottplatz ? Oder hat er wenigstens Gesellschaft ? Vielleicht einen Flipper, einen Colaautomaten, gar eine alten Zuse ?

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  11. Viel romantischer wäre es, wenn er sich ein Seniorenwohnheim teilte mit unserem gestohlenen Uno. Spielberg, verfilmen Sie!

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  12. Wenigstens hat der Automat Ihren Parkschein wieder ausgespuckt, so dass Ihnen eine schöne Erinnerung an viele gemeinsame Stunden geblieben ist. Es hätte ja auch sein können, dass er den alten Schein frisst wie ein Geldautomat ungültige EC-Karten.

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  13. ;-) eine schöne Idee, Herr Matt. Der Titel könnte lauten "Lost and found" (war das nicht auch ein Titel von den Kinks ?) Oder könnte Fatih Akin (war das jetzt so richtig ? Ich bin ein wenig Kulturbanause) das nicht auch ?
    Das ganze könnte bei Kiesow spielen. Nebel, Nieselregen, ein einäugiger Fiat Uno weint, weil die Hinterachse schmerzt, Ihr Parkautomat schnarrt tröstend und eine kaputte Schranke daneben streichelt den Uno mit stumpfem Auf und ab.
    So könnte es anfangen.

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