13 Februar 2007

Das Rolltreppentabu

Als ich in St. Pauli aus der U-Bahn steige und gen Ausgang strebe, bietet sich mir ein seltsam asymmetrisches Bild: Auf der fünf Meter breiten festen Treppe zähfließender Verkehr kurz vorm Vollstau, dagegen null Menschen rechts auf der defekten Rolltreppe. Die ich verwundert natürlich benutze.

Und während ich fröhlich und unbehindert hochfedere wie eine verspielte Bergziege, huscht mein Blick links hinüber zur dichtgedrängten Phalanx verärgerter Treppenschnecken, die meine gänzlich freie Bahn wie auf ein Kommando rechts liegengelassen haben.

Warum bloß wirkt eine nicht mehr rollende Rolltreppe auf einen Schlag nur noch so anziehend wie eine doppelt brustamputierte Pamela Anderson?

Ich meine: Die Stufen sind doch weiterhin da, auch wenn sie sich nicht mehr bewegen. Man kann sie benutzen, eine nach der anderen, ich bin der lebende Beweis. Aber nein, die Masse meidet sie mit instinktiver Scheu.

Vielleicht – und das ist ein beunruhigender Gedanke – stimmt ja auch mit mir etwas nicht.

16 Kommentare:

  1. Ach was, wozu sind denn Rolltreppen da, doch um sich transportieren zu lassen. Eine die nicht läuft, ist überflüssig wie ein Kropf, meist gibt es daneben eine feste Treppe mit angenehmer Stufengröße

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  2. Deiner faszinierenden Geschichte über die Lemmings stimme ich natürlich gerne zu.
    Beunruhigend finde ich den Einsatz des Bildes der doppelt brustamputierten Frau, auch weil ich diesen Stil von Dir nicht kenne, um ehrlich zu sein. Ich bin sicher, Du hattest tausende Bilder mehr.

    Stiländerung?

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  3. Die Stufen einer Rolltreppe sind höher, als die normalen Treppenstufen. D.h. es ist ungleich anstrengender diese hochzusteigen. Man muß die Beine ca. 5 cm höher heben. Es ist also die instinktive Faulheit, die den Menschen von Stahl zu Beton treibt.
    Beruhigend daran ist die Unlogik: denn wenn man dann mal gemütlich auf einer fahrenden Rolltreppe steht, kommen sie alle hektisch an und wollen "mal kurz vorbei". Obwohl sie auf der leeren Betontreppe sehr viel schneller wären, weil diese natürlich leer ist. Aber da sich die Rolltreppe bewegt geht man davon aus, daß man dann ebenfalls schneller ist. Und nicht ganz so alleine.

    Eigentlich ist das richtig tragisch, wenn ich darüber nachdenke.

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  4. Genau ihre Gedanken habe ich mir auch gemacht Herr Joshuatree!
    Vielleicht sind gewisse Gedankengänge auch Nebenwirkungen von Tablettenkrümmeln...
    Wir können gespannt weiterlesen ;-)

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  5. Matt, du verhältst dich eben antizyklisch und das schätze ich an dir. Ich versuche auch, mich antizyklisch zu verhalten und ärgere mich über jeden, der dies nicht tut. Wobei, wenn es jeder täte, wäre es ja nicht mehr antizyklisch und ich müsste mir eine neue Strategie, sprich zyklisch angewöhnen.

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  6. tachchen
    naja vielleicht haben viele leute noch die nachricht vom dicken kanzler im hinterkopf. der stand ja angeblich auch mal wegen stromausfalls 4stunden auf einer rolltreppe - und wer will schon seinen feierabend auf einer rolltreppe verbringen!

    blondyonly

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  7. Herr Wagner, ich glaube, eine irrationale Angst vor der defekten Rolltreppe spielt auch eine, nicht unerhebliche Rolle: Sie könnte doch durchbrechen, während sie da so kaputt rumsteht und alle auf ihr rumtrampeln...

    Das Phänomen der kaputten Rolltreppen kenne ich nur zu gut. Hier bei uns in Dortmund ist es einen roten Kringel im Kalender wert, wenn sie denn mal funktionieren (besonders an der Universität und am und um den Hauptbahnhof herum) - was jedoch nicht unbedingt heißt, dass sich die potentiellen Fahrgäste anders verhalten als bei Ihnen in Hamburg.
    Ich könnte mir vorstellen, dass auch ein wenig Verachtung (>Scheiß Treppe ist immer noch/schon wieder/ausgerechnet jetzt kaputt, dann benutze ich sie eben nicht *schmoll*<) zumindest in Studentenkreisen für eben jenes Phänomen sorgt, welches auch in Hamburg die Rolltreppen freihält.

    Mal nebenbei: Sind Sie denn schon mal auf einer kaputten Rolltreppe ausgerutscht und eventuell gestürzt?
    Solch Unfall kommt ja hin und wieder vor und soll auch sehr unangenehm sein, da sich die geriffelten Metallkannten der Stufen geradezu blutrünstig danach sehnen, sich in lebendiges Fleisch zu graben ...was einerseits arg weh tut und andererseits auch sehr unschön aussieht.
    Diejenigen, denen es passiert, ernten maximal leicht mitleidige Blicke, eher spöttische oder gar höhnische.
    Sie hätten ja nicht die Botschaft der ruhenden Rolltreppe mißachten dürfen, die klar und deutlich aussagt, dass die Rolltreppe nicht betriebsbereit ist - demnach RUHEN will!

    Nehmen Sie sich also in Acht, Herr Wagner!
    Die geheimen Rollträppenkräfte gibt es auch in Hamburg und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie sich rächen ...

    (bis dahin sind Sie mit Sicherheit jedoch schneller und entspannter am Ziel :D )

    Es grüßt ganz herzlich
    FranMaBe

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  8. Bei zwei parallelen Rolltreppen führt meist eine
    hinauf, eine hinunter. Da die Lemminge hochfuhren,
    hüpftest Du die abwärts führende Treppe hoch.
    Ein Vorfall aus S. macht deutlich, daß das nicht
    ungefährlich ist.
    Der junge Sportler sah aus, als sei er mit dem
    Gesicht in einen Eierschneider gefallen, als die
    Treppe sich plötzlich sagte:
    "Dann woll'n wir mal wieder".

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  9. Nein, nein, Herr oldman, so modern sind wir in Dortmund nicht
    ... Parallel laufende Rolltreppen ... ha, wo denken Sie denn hin?...
    ... sowas haben wir hier nur an ganz, ganz wenigen Stellen im Stadtgebiet ... und zwar fast ausschließlich nur an solchen, an denen es gar keine eigentlichen Steintreppen gibt....
    dafür gibt es hier diese ekelig versifften, immer nach *nicht näher definiert werden will* stinkenden Aufzüge....

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  10. Der einzige Grund für die Nichtbenutzung ist die unterschwellige Angst der Menschen, dass, wenn sie die kaputte Rolltreppe betreten haben und genau auf halber Höhe sind, jene Treppe plötzlich beginnt, sich in entgegengesetzter Laufrichtung zu bewegen.

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  11. mouchi, Sie würden doch auch nicht den Stau auf einer vierspurigen Straße ansteuern, wenn daneben eine einspurige völlig freies Vorankommen verhieße, oder?

    Joshuatree und chuchichäschtli: Für ein starkes Bild werfe ich selbstverständlich jede Hemmung über Bord; das nur als Warnung für die Zukunft. Kurzzeitig erwog ich auch die Einführung eines hirnamputierten Stephen Hawking, fand aber Pam doch reizvoller.

    zoee, Sie haben recht, in jeder Hinsicht.

    Stefan, deine Ausführungen kann man auf den Nenner bringen, dass das Zyklische von heute das Antizyklische von gestern ist und umgekehrt. Ich will damit sagen: Es gibt IMMER die Chance, sich antizyklisch zu verhalten. Das macht das Leben ja spannend. Und das Bloggen.

    Anonymous, vom Fall, den Sie schildern, habe ich noch nie gehört. Ich giere nach Belegen, gern auch fotografischen.

    FranMaBe, bisher habe ich Rolltreppen als harmlose Gesellen eingestuft, von denen kaum Ungemach droht, auch wenn mir nun der Fall eines bedauernswerten langhaarigen Mädchens wieder ins Gedächtnis rückt, welches von einer Rolltreppe skalpiert wurde. Ja, Sie haben sicher recht.

    oldman, Ihre Theorie in allen Ehren, aber ich kenne meine St.Pauli-Rolltreppe wie meine Cargohosentasche: Sie fährt immer und ausschließlich aufwärts. Die Lemminge, wie Sie sie nennen, benutzten die feste Treppe. Ihr Bild vom Eierschneider könnte übrigens bei Joshuatree auf Stirnrunzeln treffen … ;-)

    Phil, das Schicksal, halt die halbe Treppe wieder abwärts transportiert zu werden, ist ja ein nicht gar zu schreckliches – ein vertretbares Risiko also. Zumindest gehe ich es stets wohlgemut und freudig ein.

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  12. Nee, würde ich natürlich nicht, aber die Schnellstrecke ist die Betontreppe neben der stehenden Rolltreppe

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  13. Was zu beweisen war:

    http://www.youtube.com/watch?v=znVgbp1-7UA

    http://www.youtube.com/watch?v=Vxq366mjldE

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  14. hallo matt

    naja ich dachte schon, dasz meine bemerkung eindeutig als satire zu verstehen wäre.
    die belege müsstest du bei RTL-samstag-nacht suchen und zwar in einer der ersten staffeln als man sich noch vor lachen kringeln konnte und die werbung zum luftholen absolut notwendig war.
    ein bild hatten die zu dem bericht auch (helmut k. auf ner rolltreppe) ;)
    frag mal esther schweins und stefan jürgens (die damaligen nachrichtensprecher).
    übrigens: karl ranseier ist tot.

    blondyonly

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  15. Danke, Matt, für den Hinweis, den ich übrigens nicht als Warnung ansehe.

    Ich darf Dich also nun eng mit dem Kunstbegriff des l´art pour l´art in Verbindung bringen.

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  16. Korrekt, als einziger die stehende Rolltreppe zu benutzen ist "antizyklisches Verhalten".

    Noch antizyklischer aber ist es, an der lahm stehend nach unten fahrenden Menschenmenge auf dem "Geländer", diesem Handband, nach unten zu rutschen! Das erfreut die Lemminge...

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