23 Februar 2007

Lauter pointenlose Belanglosigkeiten

Manche Arztpraxen öffnen irrsinnigerweise morgens um 7. Und mancher Volldepp von Patient lässt sich um diese Zeit einen Termin aufschwatzen.

Heute morgen also klingelt mein Wecker um 6.14 Uhr, oder besser: Er traktiert mich mit seinem üblichen Ätherrauschen aus Wort- und Musikfetzen, denn seine Antenne ist wirklich mies – ein plastikummantelter Draht, der schlaff im Nichts baumelt und nur widerwillig Funkwellen einfängt, die er noch widerwilliger in beliebige Geräusche übersetzt. Egal: Er weckt.

Um diese Jahreszeit ist es morgens um kurz vor 7 noch dunkel auf dem Kiez, und ich hege die morbid romantische Hoffnung, über leere Straßen nach Altona radeln zu können, ja, ich hoffe insgeheim sogar auf die postnukleare Aura eines Films wie „Quiet Earth“, wo die verschonten letzten Menschen durch entvölkerte Städte ziehen, Tankstellen und Supermärkte plündern und vergnügt falsch herum durch Einbahnstraßen brettern.

Doch die Hoffnung zerstiebt schnell, ich bin keineswegs allein: Die fleißigen Lieschen der Stadtreinigung kurven lärmend und stinkend überall herum, vor allem auf den Radwegen, es ist verdammt noch mal gefährlicher als zur Rushhour. Von wegen Quiet Earth.

Wenn man morgens um 7.15 Uhr einen Arzt aufsucht, der gerade mal eine Viertelstunde vorher seine Praxis aufschloss, erwartet man zügig bedient zu werden, denn wo um alles in der Welt kann der Doktor zwischen 7 und 7.15 Uhr schon viel Zeit verlieren, hm? Nun, meiner schafft das. Erst um viertel vor 8 bin ich dran, nach einer Minute Gedankenaustausch mit ihm muss ich in ein anderes Zimmer, wo die Arzthelferin von neulich (heute ist ihr String weiß!) mich seltsamen Tests unterzieht, in denen Schwachstrom und ein Elektrodentrio wichtige Rollen spielen.

Danach darf ich mich wieder vorm ersten Behandlungsraum platzieren. Ein privilegiertes Gefühl gegenüber den armen Wartezimmerwürsten, die heute noch gar nicht vorgelassen wurden zum Weißkittel, während ich bereits auf meinen zweiten Termin warte, ha!, und das im gedimmten Licht des Vorraums, wo ich mich in eine ähnliche Situation hineindämmere wie einst Kafkas verlorener Held vor der Tür des Gesetzes. Allerdings drohe ich unablässig wegzunicken, was Kafka nicht gerecht wird.

Später geschieht zu Hause Denkwürdiges. Als ich die Wasserflasche zum Trinken ansetze, entgleitet mir der Drehverschluss und fällt zu Boden, wo er polternd herumhoppelt. Doch anstatt in die hinterste Ecke zu kullern, also durch den schmalen Gang zwischen LP-Phalanx und schwer verschiebbarem Weinklimaschrank bis zu jener Stelle, wo eine kleine Lücke unter der Altbaufußleiste klafft, in die er, der
Drehverschluss, mit ein wenig Trickserei auf Nimmerwiedersehen hineingepasst hätte; statt also genau das zu tun, was herunterfallenden Drehverschlüssen genetisch imprägniert ist, liegt er nach all seinen Rumgetänzel direkt unterm Stuhl, zwischen meinen Füßen.

Ich kann ihn einfach so aufheben, im Sitzen.
Ein irrer Tag.

4 Kommentare:

  1. Schon im ersten Satz der Geschichte ist die Pointe mit dem Drehverschluss angelegt! Chapeau! :-))

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  2. Haralt Martenstein, u.a. seines Zeichens Kolumnist bei der ZEIT, hat sich auch einmal in einer seiner Kolumnen darüber aufgerekt, dass Ärzte die einzigen sind, die es schaffen, mehreren Patienten einen Termin zur gleichen Uhrzeit zu geben. Würde man einen Termin um 9.00 Uhr bekommen und im Wartezimmer die anderen Patienten fragen, wann sie einen Termin haben, würde da öfters die gleiche Uhrzeit fallen. Schlechtes Zeitmanagement nennt man so etwas.

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  3. Sehr schön, wirklich sehr schön. Sie erinnern uns privilegierte Privatpatienten immer wieder daran, wie gut es uns doch geht. Übrigens sind wir auch daran schuld, daß Ärzte keine Termine einhalten. Denn wenn da mal so ein Kerl mit der PKV-Karte wedelt, bekommt der Arzt die Eurozeichen in die Augen und läßt alles stehen und liegen. Menschen, die nur noch einen Tag zu leben haben, sollen morgen wiederkommen,Patienten mit klaffenden Wunden bekommen Mobilat, damit der PKV-Patient Linderung für seinen selbstverschuldeten Raucherhusten bekommt.

    Schuld daran ist natürlich weder Patient noch Arzt, sondern ein völlig dämliches System, das diese beiden Klassen angelegt hat.

    Sehr schön auch, daß Sie „Quiet Earth“ erwähnen - gehört zu meinen absoluten Lieblingsfilmen und ist auch der einzig wirklich ernstzunehmende Apokalypsenfilm.

    Und „Vor dem Gesetz“ war meine Einstiegsdroge zu Kafka.

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  4. Nun ja, eine Flasche Wasser im Örtchen öffnen ist manchmal hilfreich.
    Und der turtelig torkelnde Verschluß klödert wohin er will.
    Wenn er unter dem Stuhl zu liegen kommt, so hindert ihn das ja auch am Weiterklickern.
    Aber sauber gelöst!

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