08 Januar 2006

Die Forellen

Bisher kennen wir das Steakhaus an der Reeperbahn nur von außen, heute, vorm Kino, wollen wir doch mal sehen, wie sich diese Toplage auf Innendeko und kulinarisches Konzept auswirkt. Um es kurz zu machen: nachteilig.

Die Tische sind kaum größer als die Teller, ich werde im Lauf des kurzen Aufenthaltes – das Essen kommt so schnell, wie die leeren Teller uns wenig später wieder entrissen werden – mit dem Ellbogen innig an der Wandtäfelung schaben. Und als mir Tölpel einmal die Gabel herunterfällt, stellt sich heraus, dass es praktisch unmöglich ist, unter den Tisch zu langen. Meine Bewegungsfreiheit erinnert ans Innere eines Computertomografen. Bei der Bergung der Gabel hole ich mir eine Rippenprellung.


Doch ich greife vor. Erst mal soll bestellt werden. Auf der Speisekarte fällt eine echte Weltsensation auf: „Lebend – frische Forelle vom Grill“. Offenbar springen die Teufelskerle einem vom Gitterrost auf den Teller und müssen, obgleich braungebacken, erst mal mit Messer und Gabel gebändigt werden. Die englische Erläuterung darunter – wir sind in einem multilingualen Touristenladen – bringt Klarheit: „freshly killed“ steht da in kaltherziger Lakonie.


Erwähnte ich schon unseren Platz direkt neben dem Aquarium? Zwar bin ich ein großer Freund von Fischen in jedweder zubereiteten Form, doch nach erstem Augenkontakt mit den treuherzig ahnungslosen Salmoniden ist es mir natürlich schlechterdings unmöglich, sie noch zu ordern.

Ich weiß, ich weiß: Ausschließlich solche Lebewesen zu verzehren, die in konspirativer Heimlichkeit von sabbernden Schlachtern und sardonisch grinsenden Köchen gemetzelt wurden, ist feige, inkonsequent und im Sinne Walter Benjamins geradezu unanständig. Aber diese vier hier neben mir … nein, das geht nicht. Man kennt sich inzwischen, wenn auch nur flüchtig, da grillt man sich nicht mehr.


Also läuft es bei Ms. Columbo und mir auf Steaks hinaus. Dann fällt mir die Gabel herunter, ich hole mir eine Rippenprellung, man entreißt uns die Teller, wir zahlen bar. Die Steakhausstoiker verkneifen sich routiniert jede geheuchelte Vorfreude auf ein baldiges Wiedersehen.

Klar: Sie halten uns für Touristen; die sieht man nur einmal im Leben.


Die Forellen schauen uns treuherzig nach. Sie ahnen nichts.


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Burn baby“ von Mother Tongue, „Refugees“ von The Tears und „Someone“ von Thee Hypnotics.


8 Kommentare:

  1. Ich hoffe, die Rippenprellung(en?) wirst Du trotz Schmerzhaftigkeit bald kuriert haben. Ich nehme an, die Bezahlung in diesem "Restaurant" wurde auch noch an einer zentral-anonymen Kasse am Ausgang erledigt? Ohne Gruß an den Koch?

    Zum frohen Konsumieren von wirklich frischen Forellen gehe ich den säkularisierten Umweg dorthin:

    "http://www.abtei-neuburg.de/Klosterprofil/Anfang.htm"

    An diesem Wochenende wählte ich als Koch "Rindfleisch mit Grünkern". Das ist praktisch, weil ein solcher Eintopf am nächsten Tag fast noch besser schmeckt.

    btw: Am 6.01. musste ich im Rahmen der Feier des Bruders der Schwiegermutter in einer mir bis dato unbekannten Pizzeria eine "Spaghetti Vongole" vorsetzen lassen, die tatsächlich nur aus gekochten (! Danke!) Spaghetti und Vongole mit diesem penetranten Dosensaft bestand.

    Ich hoffe auf baldige Genesung, Matt! ;-)

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  2. Danke für die kulinarischen Hinweise, im Guten wie Bösen …

    Und natürlich für die Genesungswünsche, die allerdings weitgehend verpuffen, denn ich muss eine leichte Dramatisierung der ganzen Rippenprellungsgeschichte eingestehen.

    Trotzdem sehr aufmerksam – merci!

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  3. suuuuper beschrieben, und absolut (fast) wahrheitsgetreu! ich war da auch schon... nicht zu fassen.. ;)

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  4. der laden war schon vor fünf jahren genauso schlecht wie du ihn beschrieben hast. allerdings haben die kellner damals keine vorfreude geheuchelt. sie waren offen und ehrlich - unfreundlich.

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  5. Uns gegenüber habe Sie ja auch keine Vorfreude geheuchelt; da scheint meine Formulierung missverständlich gewesen zu sein. Also: Sie waren uninteressiert, unfreundlich und darauf erpicht, uns so schnell wie möglich wieder draußen zu haben.

    Mit nachhaltiger Wirkung, wie ich bekennen muss.

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  6. hast du gut formuliert, ich lese zu schnell. und anscheinend nicht gründlich dabei. :-))

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  7. Ist das das Steakhaus gegenüber der Davidwache?
    Da war ich auch schon mal! Habe die Fische nicht gesehen- habe aber sowieso ein Steak gegessen. Das hat wirklich ganz gut geschmeckt- aber zu viert an solch einem Tisch war sehr- sagen wir- kuschelig beengt....
    Dafür war die Aussicht auf unsere Freunde in Grün klasse und wir haben uns kaum zu unterhalten brauchen...

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  8. Inzwischen ist das Steakhaus umgezogen, weil an der Davidwache schwer gebaut wird. Jetzt steht es auf der anderen Seite der Reeperbahn, etwa 100 Meter weiter östlich. Sonst ist alles beim Alten.

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