30 Januar 2006

Der suchende Hund

Der Eingang des Tabledance-Schuppens an der Reeperbahn ist voll verspiegelt. Jeden Morgen versammeln sich dort die Tauben. Vielleicht fühlen sie sich wohler, wenn sie das Gefühl haben, viele zu sein.

Der Spiegel verdoppelt sie. Sie scheinen Kraft zu tanken für einen harten Tag aus unablässigem Picken, Verscheuchtwerden, Autosausweichen, Umsfutterstreiten – oder Vögeln. Neulich sah ich auf dem Flachdach gegenüber den recht freudlosen, vor allem aber außerordentlich kurzen Akt. Zwei, drei Sekunden, und schon war die Grundlage gelegt für eine weitere Taubengeneration. Es hört nie auf.

Als ich abends aus der Sauna komme, steht ein zotteliger Terrier (im Stammbaum der Hundreassen etwa Nr. 124) im Mittelpunkt der Geschehnisse. Er kommt mir auf der U-Bahntreppe halb entgegentrippelt, schaut sich um, blickt erneut nach unten mit aufmerksamem, gleichsam intelligentem Blick. Er sieht offenbar nicht das, was er sucht, und huscht hoch, erforscht mit gerecktem Kopf die Lage vor der Station.

Als ich die Fußgängerampel zur Reeperbahn überquere, geht er mit, bleibt aber mitten auf der Straße stehen, immer noch hochkonzentriert die Umgebung musternd, in alle Richtungen. Ich überlege, ob ich ihn ermuntern soll, mir auf den Millerntorplatz zu folgen. Immerhin wird er dort in zehn Sekunden nicht von einer brüllenden Meute äußerst bremsunwilliger Autos überrollt.

Doch dann trifft er allein die richtige Entscheidung, läuft eifrig hinüber auf den Platz. Und von dort tönt plötzlich ein Pfiff, der Hund schießt los mit jener sehnigen Energie, die große Freude nun mal verleiht, und umtobt schier geck sein Herrchen.

Ich muss noch öfter an die Besorgnis dieses Hundegesichts denken, an diesen wachen, sondierenden Blick und die planmäßige Suche, und mich beschleicht das Gefühl, die Vorstellung von der Einmaligkeit unserer Intelligenz könnte nichts weiter sein als ein schrecklicher arroganter Irrtum.

Vorm verspiegelten Tabledance-Schuppen sitzen jetzt keine Tauben mehr. Wo sind sie eigentlich nachts? Haben sie Nester? Warum sieht man niemals Taubenküken?

Der Hund hat übrigens kein einziges Mal gebellt.

Ex cathedra: Die Top 3 der besten Songs, in denen Vögel vorkommen
1. „Albatros“ von Fleetwood Mac
2. „White bird“ von It's A Beautiful Day
3. „Bluebirds“ von Adam Green


7 Kommentare:

  1. Das mit den Taubenkücken hab ich mich auch neulichs gefragt? Außerdem haut es mit der Rate zwischen Tauben und überfahrenen Tauben nicht hin, wo gehen alte Tauben hin wenn sie merken das sie sterben werden?

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  2. Es hört nie auf, haha. Genau. Man sieht zwar nie Taubenküken, man kann sie aber sehr wohl hören: Wenn am U/S-Bahnhof gerade mal keine Bahn rumpelt, kann man im Frühjahr schon öfter mal hysterisches Taubenkinder-Fiepen von vollgekackten Stahlträgern hören. Sieht nicht gut aus, hört sich nicht gut an, will man eigentlich nicht.

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  3. Protest! Adam Green (wer war das gleich?) hat in keiner Top 3 der Welt etwas zu suchen (höchstens in der der kurzzeitig überbewertetsten Künstler aller Zeiten). Um Platz 3 in der ansonsten korrekten Liste sollten sich vielmehr "Blackbird" von den Beatles und "Bird On The Wire" - nein, nicht von Johnny Cash, sondern in der Originalversion von Leonard Cohen - streiten. Weitere Songs, hinter denen sich Greens "Bluebirds" anzustellen hätte:

    "Surfin' Bird" (Trashmen/Ramones/Cramps, sind alle gut)
    "Swans" (Prefab Sprout)
    "High Flyin Bird" (Jefferson Airplane)
    "This Little Bird" (Marianne Faithful)
    "Mockingbird" (Charlie & Inez Foxx)
    Und natürlich "Eagle" von Abba!

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  4. Andreas, ich finde ja, dass Abba in keiner Liste etwas zu suchen haben … ;-)

    Aber allein die verdienstvolle Aufzählung weiterer acht (!) Songs für eine Top-3-Liste verdeutlicht das schlechthinnige Grundproblem des ganzen Unterfangens, weshalb ich meine Position mit der kleinen „Ex cathedra“-Präambel geschickt immunisiert habe.

    daiko, ich glaube nicht, dass alte Tauben etwas vom Sterben wissen. Wahrscheinlich wundern sie sich einfach, wieso es plötzlich dunkel wird.

    herr herrner, Sie haben eine Wissenslücke bei mir geschlossen. Ich werde im Frühjahr akustisch ganz anders konditioniert unter den Brücken hindurchlaufen.

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  5. Wo die alten Tauben hingehen:

    http://www.flickr.com/photos/95213101@N00/93646880/
    http://www.flickr.com/photos/95213101@N00/93646852/

    Kirchturm!

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  6. Sweet shot. Did you go in and see the show?? ;-)

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  7. I passed by early in the morning, the club was closed … ;-)

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