
Ich radle durch die Annenstraße, die zwar eigentlich eine Einbahnstraße, für Fahrräder aber in beide Richtungen befahrbar ist, als mir ein Auto entgegenkommt.
Es visiert eine Parklücke an – allerdings eine auf meiner Seite und zudem genau in dem Moment, als ich vorüberradeln will.
Beide steigen wir in die Eisen, ich vermeide es in letzter Sekunde, dem Wagen dekorativ über Kühlerhaube, Dach und Heck zu rollen – und bin sauer. Und zwar mit allem Recht, das die Straßenverkehrsordnung herzugeben in der Lage ist.
Der Fahrer leiert die Scheibe runter. „Sagen Sie mal …“, hebe ich an, als er auch schon losblökt. „Ich hab den BLINKER gesetzt“, schreit er, „weißte nich, was’n BLINKER ist?“
Wie immer, wenn Leute, die ich gerade aus einer Position moralischer Überlegenheit heraus anblaffen will, stattdessen mich anblaffen, bin ich derart verblüfft, dass ich nicht in adäquater Eloquenz reagieren kann.
„Wenn Sie einparken wollen, müssen Sie doch erst mal den Gegenverkehr …“, versuche ich eine Belehrung, doch er – ein Mittfünfziger mit Sorgenfurchen um die Lippenwinkel, dessen eigentlich beeindruckend üppige Haarpracht dadurch immens an Wirkung einbüßt, dass er sie trägt wie Jürgen Drews 1977 – haut dazwischen.
„Ich muss GAR NICHTS!“, brüllt er, „und jetzt fahr weiter!“ Dann leiert er die Scheibe hoch. Was schade ist.
Denn ich hätte ihm einerseits noch sehr gerne erläutert, dass er als PS-starker Beweger einer ganzen Tonne Stahl 76-Kilo-Radler grundsätzlich wie Mingvasen behandeln sollte, auch und gerade beim ordnungswidrigen Versuch, die Fahrbahn trotz Gegenverkehrs zu queren.
Und zum andern hätte ich ihm auch gerne noch in wohlgesetzt harschen Worten dafür kritisiert, mich ohne Not geduzt zu haben. So aber blieben mir nur dumpfer Groll sowie zwei Überzeugungen: Dieser Mann kann unmöglich St. Paulianer sein – und er gibt Blogstoff ab.
Und so geschah es dann ja auch.
PS: Einen Vorteil hat es ja, die Szene vor lauter Schreck nicht fotografisch dokumentiert zu haben: Ich kann irgendwas hier reinstellen. Sogar ein Foto des hübschen Graffitis am Lieblingshaus der Wildpinkler an der Großen Freiheit, Ecke Schmuckstraße.