Seit fast 17 Jahren wohnen wir in Hamburg, also wird es endlich Zeit für eine Stadtrundfahrt. Und Süßschnäbel wie wir sollten uns auch das frischeröffnete Chocoversum am Meßberg ansehen. „Eine richtige Touritour“, vorfreut sich Ms. Columbo, „nur ohne Anreise.“
An den Landungsbrücken erwischen wir die besten Sitze oben im Doppeldeckerbus, und schon kreuzen wir gemütlich durch unsere Stadt, untermalt von einem (natürlich) auf Ortsfremde gemünzten Soundtrack inklusive uralter Herrenwitze („Wissen Sie, warum der Neue Wall auch Schick-Scheck-Schock-Straße genannt wird? Weil die Dame erst was schick findet, dann den Scheck zückt und der Mann zu Hause einen Schock kriegt.“).
Wir erfahren auch, warum wir Zugezogenen „Quiddjes“ genannt werden. Irgendwann in grauer Vorzeit nämlich sollen die Hamburger von Auswärtigen, die ihre Stadt betreten wollten, Eintrittsgeld verlangt haben. Dafür wurde ihnen eine Quittung ausgestellt, auf Plattdeutsch „Quiddje“ …
Jedenfalls plaudert unser Reiseführer munter vor sich hin, verweist auf dies und das, identifiziert für uns die rosa Villa von Karl Lagerfeld, ohne dessen Namen zu nennen – doch irgendetwas fehlt. Eine der größten hiesigen Attraktionen spart der Mann merkwürdigerweise aus, obwohl wir zweimal dran vorbeifahren: die Elbphilharmonie.
Das kommt mir sehr komisch vor, und ich frage ihn am Ende der Rundfahrt, warum er dieses so berühmte wie berüchtigte Halbmilliardengrab mit keiner Silbe erwähnt hat.
„Weil die Stadt das nicht möchte“, sagt er freimütig. Alle Rundfahrtbetreiber, erzählt er, hätten ein Schreiben bekommen, in dem sie darum gebeten worden seien, die Elbphilharmonie tunlichst nicht zu erwähnen.
Habe ich das richtig verstanden? Ganz Deutschland liest ständig etwas über neue Kostenexplosionen dieses Prestigebaus, der die Skyline Hamburgs auf Generationen prägen wird, aber hier, vor Ort, Aug in Aug mit seinen Bullaugenfenstern, wird die Existenz Ihrer Exzellenz vor den Touristen totgeschwiegen?
Olaf Scholz hat also quasi eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen mit dem Ziel, eine Veröffentlichung zu verhindern, und falls die Rundfahrtbetreiber sich nicht dran halten, ist der Rubikon überschritten, und es wird Krieg geführt, oder was …?
Diese anscheinend öffentlich noch gar nicht bekannte „Bitte“ des Senats trägt jedenfalls Früchte; denn kein unbedarfter Tourist erfuhr heute während unserer Stadtrundfahrt, welch kapriziöses Gebäude an der Kehrwiederspitze gen Himmel wächst und warum sein Anblick so dröhnend verschwiegen wird.
Eine Blamage für Hamburg – und ein peinlicher Beweis dafür, wie sehr die Stadt sich mittlerweile schämt für ein Projekt, das einst als das genaue Gegenteil geplant war: als hanseatischer Imagebooster.
Nach dieser derart kurios geendeten Rundfahrt ging es noch ins sogenannte Chocoversum, das angesichts seiner Größe und Ausstattung eher Chocohütte heißen sollte. Und trotz 9,50 Euro Eintritt rücken sie nicht mal eine kostenlose Rippe Schokolade raus – hach, Hachez, so wird das nix.
Die Sache mit der Elbphilharmonie sehe ich ziemlich gelassen. Wenn man sich den Hickhack um den Bau des Opernhauses in Sydney anguckt, dann wird es auch in Hamburg ein gutes Ende nehmen.
AntwortenLöschenHm, Schoki klingt ja immer gut :) Aber bei "Chocoladen Erlebnis Welt" vergeht mir angesichts von soviel Sprachanbiederung direkt wieder die Lust.
AntwortenLöschenIn Hamburg ist die Welt aber offensichtlich noch in Ordnung und man folgt den Anweisungen (Bitten) der Obrigkeit peinlichst genau getreu dem Motto "Guten Tag! Mein Name ist Schmidt und ich marschiere immer mit!"
AntwortenLöschenHerr Scholz will die Veröffentlichung nicht verhindern, sondern nur verschieben ;) Sobald das Ding in voller Pracht vollendet im Hafen steht (vermutlich so um das Jahr 2030), dürfen die Reiseführer dann auch dieses Bauwerk in ihrer Stadtführung beschreiben. Wahrscheinlich aber nur unter der Bedingung, über die immensen Kosten dieses Gebäudes kein Wort zu verlieren.
AntwortenLöschenklarer fall von wulfferei.
AntwortenLöschenoder die mit den Wulffen heulen.
AntwortenLöschenIch bin dieses Wochenende ein paarmal nach Einbruch der Dunkelheit durch den Hafen gefahren, und mir fiel dabei auf, dass die Elbphilharmonie nicht angestrahlt wird. Mir scheint, das war nicht immer so.
AntwortenLöschenKann das jemand bestätigen?
Junge, das kennt man doch in Hamburg spätestens aus dem Hafen: Der Touristengeschichtenerzähler auf den Barkassen heißt "He lücht." Die Touristengeschichtenerzähler übersetzen das mit "er leuchtet". So einen hast Du getroffen.
AntwortenLöschenGenau...das Opernhaus in Sidney...
AntwortenLöschenSieht zwar aus der Nähe absolut beschissen aus,
aber wenigstens aus der Distanz macht es was her.
Dummerweise ist es mittlerweile geschlossen, weil
es so stark reparaturbedürftig ist, das man es eigentlich abreisssen müsste.
End of Life nennt man sowas...und Sidney hat
dafür (bedauerlicherweise?) kein Geld.
Das blüht dem Schrottbau an der Elbe vermutlich auch nach nur wenigen Jahrzehnten Betriebszeit.
Mit dem Unterschied, das man nottfalls auch den
kompletten Ruin der Stadt zu ihrem Erhalt in Kauf nehmen würde.......
Hm, wie wir im Mai in hamburg waren, wurde bei Rundfahrt fleißig Witze über die Elbphilharmonie gerissen.
AntwortenLöschenAber sogar hier in der österreichischen Provinz wird darüber diskutiert. Also nicht nur ganz Deutschland. :)
Ich denke, dass das ganze Philharmonie-Theater im Mai noch nicht so akut war und die Bitte der Stadt an die Rundfahrtveranstalter (so es sie denn gab) erst später verschickt wurde. Natürlich auch möglich, dass man das ganze unter dem Thema "he lücht" verbuchen muss, ich traue der Stadt Hamburg so eine Bitte/ Anweisung aber ohne Probleme zu. Vielleicht mal im Rathaus nachfragen...
AntwortenLöschenMich würde zusätzlich brennend interessieren, was die Bewohner der österreichischen Provinz, die ja genügend Abstand zu dem ganzen Bauvorhaben haben (und auch nicht mit ihren Steuergeldern dafür aufkommen müssen), davon halten. Wird das ganze da eher positiv oder negativ gesehen?
menno, hab heut übers Smartphone kommentiert, aber scheinbar kams net an, daher hier nochamals:
AntwortenLöschenes erzählte, nach seiner Nacktkatze befragt, der tolkiensche Elb: " Viel haart die nie!"
Wer glaubt, es handele es sich um eine Erfindung des Reiseführers, der sollte auch mit einer plausiblen Alternativtheorie aufwarten, warum die Elphilharmonie während der Fahrt totgeschwiegen wurde. Mir fällt keine ein.
AntwortenLöschenAuf das Opernhaus in Sydney zu verweisen, ist ja wirklich eine tolle Idee (aber wahrscheinlich kein so schlechter Vergleich). Immerhin hat dort aber der Architekt das Projekt vor Fertigstellung wutentbrannt verlassen und ist nie wieder zurückgekehrt - mehr geht da wohl nicht. Architektonisch war es ja trotzdem ein voller Erfolg, wie man sich innerhalb und außerhalb Australiens überzeugen kann (vor einigen Jahren war ich mal in Sydney).
AntwortenLöschenIn der Tat ist es so, daß offenbar zum jetzigen Zeitpunkt die Elbphilharmonie in Deutschland bekannter und gewissermaßen populärer ist als in Hamburg selbst. Und in Österreich offenbar auch. Jetzt müßte sich nur noch die Schweiz melden!
Was ich nicht recht verstehe: Wenn es tatsächlich eine solche Anweisung zum Veschweigen des Projektes durch die Stadt Hamburg gibt, wieso halten sich die Tourveranstalter denn daran? Schon rein rechtlich ist das doch m. E. völlig haltlos. Und sonst auch. Man sollte also das Publikum dieser Fahrten anspitzen, daß auf jeder Tour mindestens ein Teilnehmer laut und deutlich nach dem betr. Bau fragt.
@anonym:
AntwortenLöschenEs werden hier vorallem vergleiche zu ähnlichen Projekten gezogen. Aber es wird meist als absoluter Irrsinn gesehen.
Wie die Stadt solche Witze verhindert, kann ich mir vorstellen: Da dauern dann Genehmigungen und dergleichen plötzlich länger als üblich usw. usw.
@ Hab
AntwortenLöschenTrotzdem denke ich, zugegeben aus der Distanz, daß obige Kommentatorin vielleicht recht behalten wird, die sinngemäß sagt, am Ende, wenn soundsoviel Wasser die Elbe zur Nordsee runtergeflossen ist und das Gebäude längst in Betrieb ist, werden nachher doch alle zufrieden sein. Vermutlich stehen die Chancen da nicht so schlecht.
Um mich von vornherein zu outen: ich bin der Pressesprecher der Elbphilharmonie. Und um keine Legenden entstehen zu lassen: Eine Bitte oder gar eine Anweisung der Stadt an Busunternehmer, Fremdenführer oder andere Guides, die Elbphilharmonie nicht zu erwähnen, hat es nicht gegeben. Das wäre auch ziemlicher Unsinn. Wir versuchen übrigens im Gegenteil, so vielen Menschen wie möglich einen Eindruck von der Baustelle zu geben. Jährlich haben wir 20.000 Besucher auf der Baustelle, und zwar überwiegend Leute, die sich im Internet Karten für die Baustellenführungen organisieren.
AntwortenLöschenDanke für die Klarstellung. Bleibt die Frage, warum Stadtführer solche Dinge herumerzählen.
AntwortenLöschenKarl Olafs Kommentar hat wohl gesessen. Danach keine weiteren Meldungen mehr!
AntwortenLöschenWell done, Mr Petters!!!