Für einen Ex-Pornodarsteller ist A. ein erstaunlich scheues Reh. Er will sich einfach nicht zu mir vor die Bühne im Hafenklang stellen, auf der die Flowerpornoes spielen.
Dort steht sonst niemand, und wenn wir da stünden, dann versperrten wir Tom Liwa & Co. wenigstens ein bisschen den Blick auf den todtraurigen Saal. Denn kaum 30 Leute verlieren sich bühnenfern und schüchtern im Halbdunkel, inklusive A.
Sollen sie doch. Ich hingegen schaue mir Liwa näher an, der sich heute Abend für ein merkwürdiges Outfit entschieden hat. Auf dem Kopf trägt er eine übergroße schlammfarbene Zipfelmütze, die mich an den Film „7 Zwerge – Der Wald ist nicht genug“ erinnert, obwohl ich ihn nie gesehen habe. Liwas Torso wird zudem umschlottert von einem weißen Nachthemd, wahrscheinlich aus dem Nachlass seiner Großmutter.
Es reicht ihm bis zu den Knien, darunter folgt nur noch nacktes Bein. Liwas Waden sind erstaunlich trainiert; die Muskulatur tritt geradezu eckig hervor. Natürlich ist der Zipfelmützenmann im Omahemd barfuß. Das ist nur konsequent.
Einmal kniet er sich hin, um ein Gitarrensolo zu spielen, der Mützenzipfel rutscht ihm ins Gesicht, er sitzt gebeugt da, und im orangen Licht des Hafenklangsaals wirkt Liwa plötzlich wie ein Häftling auf Guantanamo Bay.
Man kann sich von alldem einfach nicht mehr frei machen, nie mehr.
„3000 Plattenkritiken“ | „Die Frankensaga – Vollfettstufe“ | RSS-Feed | In memoriam | mattwagner {at} web.de |
14 November 2007
12 November 2007
Cruise grinst Hitler weg
Gestern sahen wir im Kino den Trailer zum Film „Walküre“ über das Attentat auf Hitler vom Juli 1944. Hollywoodstar Tom Cruise spielt Claus Schenk Graf von Stauffenberg, also die Hauptrolle.
Eine kleine Sequenz aus diesem Trailer pflanzte mir den Stachel der Skepsis ins Hirn, und dort wird er bleiben bis nächsten Sommer, wenn „Walküre“ ins Kino kommt.
Sie geht so: Einer der Mitverschwörer spricht gegenüber Stauffenberg von der Todesgefahr, in der sie alle schweben, und Tom Cruise antwortet so was wie: „Wie werden dem Tod heute noch öfter begegnen.“ Das ginge ja vielleicht noch durch als üblicher Hollywoodsprech für pathetische Situationen, in denen die Furchtlosigkeit des Helden durchscheinen soll. Doch während Cruise das sagt, grinst er auf seine hundertfach erprobte Weise aasig sarkastisch, als wäre er ein Broker, der als nächstes die Chefsekretärin flachlegen will.
Weiter entfernt vom realen Stauffenberg können diese zwei Cruise-Sekunden einfach nicht sein, dafür umso näher am draufgängerischen Sonnyboy, der diesem schrägen Diktator jetzt mal zeigen will, was ’ne richtige Harke ist – let’s roll!
Oh Mann. Der Film wird bestimmt ganz, ganz furchtbar. Und für solche Cruise-Momente durften sie im Bendlerblock drehen.
Wahrscheinlich werden Ms. Columbo und ich uns „Walküre“ trotzdem ansehen. Aber nur, wenn parallel kein EM-Spiel läuft.
PS: Wer generell wissen will, was zurzeit im Kino sehenswert ist und was man tunlichst meiden muss, sollte sich donnerstags auf Gunnars brandneuem Kinoblog Orientierung holen. Selbst wenn er einen Film noch nicht gesehen hat: Eine Meinung dazu hat er immer, garantiert …
Eine kleine Sequenz aus diesem Trailer pflanzte mir den Stachel der Skepsis ins Hirn, und dort wird er bleiben bis nächsten Sommer, wenn „Walküre“ ins Kino kommt.
Sie geht so: Einer der Mitverschwörer spricht gegenüber Stauffenberg von der Todesgefahr, in der sie alle schweben, und Tom Cruise antwortet so was wie: „Wie werden dem Tod heute noch öfter begegnen.“ Das ginge ja vielleicht noch durch als üblicher Hollywoodsprech für pathetische Situationen, in denen die Furchtlosigkeit des Helden durchscheinen soll. Doch während Cruise das sagt, grinst er auf seine hundertfach erprobte Weise aasig sarkastisch, als wäre er ein Broker, der als nächstes die Chefsekretärin flachlegen will.
Weiter entfernt vom realen Stauffenberg können diese zwei Cruise-Sekunden einfach nicht sein, dafür umso näher am draufgängerischen Sonnyboy, der diesem schrägen Diktator jetzt mal zeigen will, was ’ne richtige Harke ist – let’s roll!
Oh Mann. Der Film wird bestimmt ganz, ganz furchtbar. Und für solche Cruise-Momente durften sie im Bendlerblock drehen.
Wahrscheinlich werden Ms. Columbo und ich uns „Walküre“ trotzdem ansehen. Aber nur, wenn parallel kein EM-Spiel läuft.
PS: Wer generell wissen will, was zurzeit im Kino sehenswert ist und was man tunlichst meiden muss, sollte sich donnerstags auf Gunnars brandneuem Kinoblog Orientierung holen. Selbst wenn er einen Film noch nicht gesehen hat: Eine Meinung dazu hat er immer, garantiert …
11 November 2007
Man trägt Damenhandtasche
In der Tankstelle am Spielbudenplatz stehe ich hinter einem älteren Herrn in der Schlange. Er trägt ein teures hellbraunes Lederjacket, dessen Farbe perfekt mit der seiner Haare harmoniert.
Auf den Tresen legt er aber nicht etwa die Financial Times Deutschland, sondern die Gala und die Bunte – und bezahlt den Kleckerbetrag mit einer goldenen American-Express-Karte. Erlebt man so etwas nur auf St. Pauli? Wahrscheinlich schon.
Genauso wie den etwa 65-jährigen Mann abends im Bus, der auf eine Weise adrett gekleidet ist, wie man es Mitte der 70er war oder Dustin Hofman in „Tod eines Handlungsreisenden“. Er brabbelt mit unstetem Blick vor sich hin, ohne dass es ihm peinlich wäre. Als wir uns der Haltestelle St. Pauli nähern, brüllt er plötzlich: „ST. PAULI! ST. PAULI!“
Auf dem Sitz neben ihm steht seine Damenhandtasche. Ms. Columbo und ich entwickeln auf dem Heimweg Theorien über diesen Mann. Dass er mit hoher Sicherheit allein lebt und sich dabei für ihn selbst unmerklich lautstarke Selbstgespräche angewöhnt hat, darüber herrscht Konsens. Nur nicht über die Damenhandtasche.
Ms. Columbo vermutet Geiz. Er streifte, so ihre These, durch Kaufhäuser und fand nur für Damenhandtaschen Grabbeltische, weshalb er sich für die leicht merkwüdige, aber preisgünstige Variante entschied.
Meine Theorie hingegen ist folgende: Die Handtasche ist in Wirklichkeit die seiner Frau, und die liegt bei ihm zu Hause in der Tiefkühltruhe.
Selbst Ms. Columbo muss meiner Theorie eine größere Interessantheit zugestehen.
Nach der Flut
Wenn die Elbe in die Stadt hineinströmt, dann strömen die Hamburger Richtung Elbe. Natürlich auch ich, Sturmflut kucken.
Am Fischmarkt war Land unter, dort zog man Autos aus den graugrünen Fluten. Oben am Pupasch hatte man Flutschutzmauern hochgezogen, man musste drübersteigen, um auf die Landungsbrücken zu gelangen.
Dort freilich sah alles aus wie immer; sie schwimmen ja, die Landungsbrücken, sie gehen seit eh und je auf und ab mit Ebbe und Flut, und man musste sich schon bewusst machen, dass man sich dreieinhalb Meter höher aufhielt als gewöhnlich, um dem Thrill der Sturmflut nachhängen zu können.
Doch wie hoch das Wasser auch stieg, wieviele Autos auch absoffen, wie durchweicht meine Turnschuhe auch waren nach dem Waten über den Fischmarktparkplatz: Die beschissene Gegenwart ist immer die gute alte Zeit von übermorgen.
Das war das Wort zum Sonntag.
10 November 2007
Nur keine Hemmungen
Tagtäglich verschlägt es mich berufsbedingt in die Zeisehallen, und ebenso oft streift mein Blick ein Gitterkonstrukt, welches hier als schwarzes Brett fungiert.
Die an dünnen Metallstreben befestigten Aushänge flattern und fleddern schon nach kurzer Zeit zerzaust vor sich hin. Es sei denn, sie sind ganz frisch, wie der abgebildete. Ein wirklich erstaunlicher Aushang. Sowohl sein Zielpublikum als auch die dahinter sich verbergende Lehre sind mir zwar völlig schleierhaft. Dennoch begann ich innerlich zu juchzen und zu jauchzen, und alles nur wegen des Textes zum Tryptichon.
Kein einziger Deppenbindestrich, trotz der prachtvoll entwickelten Komposita! Wo findet man das heutzutage noch? Ich erwog, meine Begeisterung in eine spontane Schüttelanwendung münden zu lassen, merkte aber, dass dies mit Hilfe einer Enthemmungsmusikrassel erheblich einfacher zu bewerkstelligen wäre. Doch ich hatte zufällig keine zur Hand.
Und der Obdachlose mit dem hygienisch bedenklichen Dreijahresbart, der immer hinterm Gitterzaun sitzt und mich täglich fragt, ob er mich malen dürfe, hatte nicht einmal ein geeignetes Ansprechpartnergesicht zu bieten. Im Gegenteil.
Noch Stunden danach beschäftigte mich der Zettel. Welche speziellen Hemmungen soll die Enthemmungsmusikrassel nach dem Willen des Zettelaufhängers überhaupt lösen? Eine Frage, die mich einfach nicht mehr loslässt.
09 November 2007
Sehen wir uns zum Buhen?
Am Samstagabend um 20.30 Uhr spielt mein Freund und sporadischer Bloggast Mark (r.) mit seiner komischen Musiziertruppe in der Prinzenbar. Das ist wohl so ähnlich gelaufen wie damals mit den Blues Brothers, nach dem Motto „Wir bringen die Band wieder zusammen“ oder so.
Vielleicht will Mark damit ja ebenfalls ein Waisenhaus retten. Denn obwohl der feine Herr in seinem Leben gefühlte tausendmal mit mir gemeinsam auf Gästelisten stand und sich auf diese Weise die größten Popstars der Welt für lau reingepfiffen hat, legt er bei seinem eigenen Gig keine Gästeliste aus, nicht mal die klitzekleinste, sondern der Mann will GELD. Mal wieder typisch.
Jedenfalls kostet der „Spaß“ empörende fünf Euro. Selbst ich muss zahlen. Dabei habe ich das zuletzt … Moment … 1995 bei Dave Edmunds in der Großen Freiheit gemusst. Aber ich tu’s, verdammt, weil es Mark ist und er bei mir ein eigenes Tag hat. Und nicht, weil die Band besser aussieht als die Chippendales.
Ihr müsst auch alle kommen – zum Buhen. Damit er mal sieht, wie das ist, der feine Herr Mark.
PS: Parallel dazu spielt Tish Hinojosa um 21 Uhr in Anna's Country & Western Saloon in Meiendorf. Da müssen wir natürlich auch alle hin. Hmm.
Vielleicht will Mark damit ja ebenfalls ein Waisenhaus retten. Denn obwohl der feine Herr in seinem Leben gefühlte tausendmal mit mir gemeinsam auf Gästelisten stand und sich auf diese Weise die größten Popstars der Welt für lau reingepfiffen hat, legt er bei seinem eigenen Gig keine Gästeliste aus, nicht mal die klitzekleinste, sondern der Mann will GELD. Mal wieder typisch.
Jedenfalls kostet der „Spaß“ empörende fünf Euro. Selbst ich muss zahlen. Dabei habe ich das zuletzt … Moment … 1995 bei Dave Edmunds in der Großen Freiheit gemusst. Aber ich tu’s, verdammt, weil es Mark ist und er bei mir ein eigenes Tag hat. Und nicht, weil die Band besser aussieht als die Chippendales.
Ihr müsst auch alle kommen – zum Buhen. Damit er mal sieht, wie das ist, der feine Herr Mark.
PS: Parallel dazu spielt Tish Hinojosa um 21 Uhr in Anna's Country & Western Saloon in Meiendorf. Da müssen wir natürlich auch alle hin. Hmm.
07 November 2007
Fundstücke (35)
1. Gestern lenkte ein wohlmeinender Kollege meine Aufmerksamkeit auf die Webseite von Martha Olschewski. Sie hat eine besondere Dienstleistung im Angebot, die sie auch hier auf dem Kiez in einem Ladenlokal offerieren könnte: das „Genitallesen“.
„Wie schon ihre Mutter“, erläutert die gebürtige Georgierin bereitwillig, „brachte meine Mutter mich mit 12 mit dem Genitallesen in Kontakt.“ Mit 12! Und mit Folgen: „Bis irgendwann eine gute Freundin mir vorschlug, das Genitallesen doch nebenberuflich auszuüben. Mir gefiel die Idee, und auch mein Mann meinte, dass es durchaus einen Versuch wert sei.“
Auch ihr Mann also. Heute ist die Olschewski, die wahrscheinlich mehr Schniedel in Händen hielt als Domenica und Dolly Buster zusammen, längst selbstständig. Sie liest Tausenden die Zukunft aus Pimmeln und Muschis, ob Einzelpersonen oder Unternehmen. Interessante Vorstellung übrigens: Die Firma Letzte Ruhe Bestattungs-GmbH geht geschlossen zum Genitallesen.
Jedenfalls hat Martha Olschewski eine echte Marktlücke entdeckt und geni(t)al besetzt: „Das Genitallesen“, eröffnet sie uns denn auch offen und ehrlich, „ist heute eine nur noch wenigen Menschen bekannte Technik.“
Ja, das ist eine ganz, ganz großartige Seite. Ich bitte nur darum, das Gästebuch nicht noch mehr zu versauen, als es eh schon ist. OKAY?
2. „Hundertmal werd ich’s euch sagen und tausendmal: Irrtum ist Irrtum! Ob ihn der größte Mann, ob ihn der kleinste beging.“ Sagt Friedrich Schiller. Leider hat er die Frauen vergessen.
3. „Das Internet ist so etwas wie eine offene Form der geschlossenen Anstalt. Auch von mir selbst weiß ich manchmal nicht so genau, ob ich nun Pflegekraft oder Patient bin. Aber ich bemühe mich wenigstens darum, mich nicht ganz offensichtlich wie ein Patient zu verhalten.“ Gefunden an der Blogbar.
4. „Man fühlt sich erdrückt von einer um sich greifenden öffentlichen Dummheit, der man kein korrektes Urteil in den elementarsten Dingen zutrauen kann.“ Hannah Arendt nach ihrem Besuch in Deutschland 1949 – übrigens das Jahr, in dem Martha Olschewski geboren wurde.
„Wie schon ihre Mutter“, erläutert die gebürtige Georgierin bereitwillig, „brachte meine Mutter mich mit 12 mit dem Genitallesen in Kontakt.“ Mit 12! Und mit Folgen: „Bis irgendwann eine gute Freundin mir vorschlug, das Genitallesen doch nebenberuflich auszuüben. Mir gefiel die Idee, und auch mein Mann meinte, dass es durchaus einen Versuch wert sei.“
Auch ihr Mann also. Heute ist die Olschewski, die wahrscheinlich mehr Schniedel in Händen hielt als Domenica und Dolly Buster zusammen, längst selbstständig. Sie liest Tausenden die Zukunft aus Pimmeln und Muschis, ob Einzelpersonen oder Unternehmen. Interessante Vorstellung übrigens: Die Firma Letzte Ruhe Bestattungs-GmbH geht geschlossen zum Genitallesen.
Jedenfalls hat Martha Olschewski eine echte Marktlücke entdeckt und geni(t)al besetzt: „Das Genitallesen“, eröffnet sie uns denn auch offen und ehrlich, „ist heute eine nur noch wenigen Menschen bekannte Technik.“
Ja, das ist eine ganz, ganz großartige Seite. Ich bitte nur darum, das Gästebuch nicht noch mehr zu versauen, als es eh schon ist. OKAY?
2. „Hundertmal werd ich’s euch sagen und tausendmal: Irrtum ist Irrtum! Ob ihn der größte Mann, ob ihn der kleinste beging.“ Sagt Friedrich Schiller. Leider hat er die Frauen vergessen.
3. „Das Internet ist so etwas wie eine offene Form der geschlossenen Anstalt. Auch von mir selbst weiß ich manchmal nicht so genau, ob ich nun Pflegekraft oder Patient bin. Aber ich bemühe mich wenigstens darum, mich nicht ganz offensichtlich wie ein Patient zu verhalten.“ Gefunden an der Blogbar.
4. „Man fühlt sich erdrückt von einer um sich greifenden öffentlichen Dummheit, der man kein korrektes Urteil in den elementarsten Dingen zutrauen kann.“ Hannah Arendt nach ihrem Besuch in Deutschland 1949 – übrigens das Jahr, in dem Martha Olschewski geboren wurde.
Nur ein Bier, BITTE!
Vorm Tätowierladen in der Barner Straße, den die meisten Leute, die ich kenne, seit einiger Zeit „Tättushobb“ nennen, steht ein großer Hund vor der Tür und schaut sehnsüchtig hinein.
Hunde haben einen fantastischen Geruchssinn, vielleicht riecht er Blut. Das Blut all der lustvoll gepeinigten Masochisten, die Kunden sind im Tättushobb. Oder er beobachtet sein Frauchen, das an der Theke lehnt und wahrscheinlich gerade die Modalitäten eines Arschgeweihs bespricht.
Egal, mein Bus kommt, die Sache bleibt ungeklärt. Abends beim Konzert von Lucinda Williams (Foto) in der Fabrik schleiche ich mich zwischendurch raus, um in der Pizzeria nebenan kurz die Zwischenergebnisse der Champions-League-Spiele zu erfahren. Pro Forma bestelle ich ein Bier. Doch der Ober lehnt ab: „Wir sind keine Bar.“
Zehn Minuten, barme ich, nur zehn lächerliche Minuten, dann sind die Spiele zu Ende und ich verschwinde wieder und lasse die deutschitalienische Gastronomie in Ruhe mit meinen empörenden Konsumwünschen.
Er ist gnädig, räumt aber mit deutlicher Muffigkeit die gewaltige kreidebeschriftete Tafel wieder ab, die er wie einen stummen Vorwurf auf den Stuhl gegenüber gestellt hatte. Nach dem Abpfiff gebe ich trotzdem 50 Cent Trinkgeld, aber ich hasse mich dafür.
Soviel Selbstachtung muss sein.
Hunde haben einen fantastischen Geruchssinn, vielleicht riecht er Blut. Das Blut all der lustvoll gepeinigten Masochisten, die Kunden sind im Tättushobb. Oder er beobachtet sein Frauchen, das an der Theke lehnt und wahrscheinlich gerade die Modalitäten eines Arschgeweihs bespricht.
Egal, mein Bus kommt, die Sache bleibt ungeklärt. Abends beim Konzert von Lucinda Williams (Foto) in der Fabrik schleiche ich mich zwischendurch raus, um in der Pizzeria nebenan kurz die Zwischenergebnisse der Champions-League-Spiele zu erfahren. Pro Forma bestelle ich ein Bier. Doch der Ober lehnt ab: „Wir sind keine Bar.“
Zehn Minuten, barme ich, nur zehn lächerliche Minuten, dann sind die Spiele zu Ende und ich verschwinde wieder und lasse die deutschitalienische Gastronomie in Ruhe mit meinen empörenden Konsumwünschen.
Er ist gnädig, räumt aber mit deutlicher Muffigkeit die gewaltige kreidebeschriftete Tafel wieder ab, die er wie einen stummen Vorwurf auf den Stuhl gegenüber gestellt hatte. Nach dem Abpfiff gebe ich trotzdem 50 Cent Trinkgeld, aber ich hasse mich dafür.
Soviel Selbstachtung muss sein.
05 November 2007
Von Pumpen und Ratten
Zum ersten Mal im Leben Kegeln gewesen, in „Frank’s Kegel-Eck“ in Eimsbüttel. Fazit: sehr unterhaltsam. Wenn man vom Finanziellen absieht.
Anfangs warf ich einige sogenannte Pumpen; ein erfahrener Kollege nannte diese öffentlichen Blamagen auch Ratten, wahrscheinlich um mich aufzumuntern. Das ist, wenn du die Kugel so lachhaft mies wirfst, dass sie von der Bahn abkommt und sich via Regenrinne elegant an den stumm feixenden Kegeln vorbeidrückt. Matt: zero points.
Während ich dafür mit Spott, Gejohle und einer eisig schmallippig kuckenden Teamkapitänin davonkam, erwiesen sich meine größten Erfolge als letztlich schlimmer. Sie bestanden nämlich aus zweimal alle Neune, yeah.
Dafür aber wurde jedesmal, wie die zahlreichen Experten mir eilfertig und erwartungsfroh erklärten, eine Runde Saure für alle fällig. Alle: Das waren 18 Kegler. Dennoch überwog die Freude. Ich meine: alle Neune!
Insgesamt schlug ich mich recht passabel. Nur blöd, dass ich einmal die Kugel frohgemut und vehement Richtung Kegel drosch, die putzigen Gesellen aber von der drögen Automatik noch gar nicht wieder hingestellt worden waren. Der Spielleiter, das muss ich gestehen, hatte sogar noch verzweifelt an die Scheibe hinter mir geklopft, hatte „Matt, stopp! STOPP!“ geschrien, doch im Ignorieren wohlgemeinter Ratschläge bin ich spitze.
Die Aktion zählte natürlich trotz null umgeworfener Kegel nicht als Pumpe resp. Ratte, denn die Kugel war ja 1a die Bahn entlang gerollt; nur stand halt am Ende nix rum.
Am nächsten Tag zwickte es Ms. Columbo im rechten Oberschenkel, ich verfügte über Muskelkater im linken Glutaeus maximus.
Vom Kegeln! Sachen gibt’s.
Anfangs warf ich einige sogenannte Pumpen; ein erfahrener Kollege nannte diese öffentlichen Blamagen auch Ratten, wahrscheinlich um mich aufzumuntern. Das ist, wenn du die Kugel so lachhaft mies wirfst, dass sie von der Bahn abkommt und sich via Regenrinne elegant an den stumm feixenden Kegeln vorbeidrückt. Matt: zero points.
Während ich dafür mit Spott, Gejohle und einer eisig schmallippig kuckenden Teamkapitänin davonkam, erwiesen sich meine größten Erfolge als letztlich schlimmer. Sie bestanden nämlich aus zweimal alle Neune, yeah.
Dafür aber wurde jedesmal, wie die zahlreichen Experten mir eilfertig und erwartungsfroh erklärten, eine Runde Saure für alle fällig. Alle: Das waren 18 Kegler. Dennoch überwog die Freude. Ich meine: alle Neune!
Insgesamt schlug ich mich recht passabel. Nur blöd, dass ich einmal die Kugel frohgemut und vehement Richtung Kegel drosch, die putzigen Gesellen aber von der drögen Automatik noch gar nicht wieder hingestellt worden waren. Der Spielleiter, das muss ich gestehen, hatte sogar noch verzweifelt an die Scheibe hinter mir geklopft, hatte „Matt, stopp! STOPP!“ geschrien, doch im Ignorieren wohlgemeinter Ratschläge bin ich spitze.
Die Aktion zählte natürlich trotz null umgeworfener Kegel nicht als Pumpe resp. Ratte, denn die Kugel war ja 1a die Bahn entlang gerollt; nur stand halt am Ende nix rum.
Am nächsten Tag zwickte es Ms. Columbo im rechten Oberschenkel, ich verfügte über Muskelkater im linken Glutaeus maximus.
Vom Kegeln! Sachen gibt’s.
Brat Kartoffeln, aber pronto!
Korinthenkacken ist Volkssport auf der Rückseite der Reeperbahn. Heute kriegt das die Fertigessenfirma Marena zu spüren.
Der Hersteller offerierte uns heute bei Penny eine Nahrungsmittelpackung letztlich unklaren Inhalts. Draußen drauf stand nämlich in hartem Kommisston lediglich der Befehl „Brat Kartoffeln“, wobei Marena versehentlich das Ausrufezeichen vergessen hatte und uns zudem noch unziemlich duzte.
Ja, klar briete ich mir Kartoffeln, Marena, so ich denn welche hätte! Doch woher nehmen?
Also brat sie dir doch selber – so du welche hast.
Der Hersteller offerierte uns heute bei Penny eine Nahrungsmittelpackung letztlich unklaren Inhalts. Draußen drauf stand nämlich in hartem Kommisston lediglich der Befehl „Brat Kartoffeln“, wobei Marena versehentlich das Ausrufezeichen vergessen hatte und uns zudem noch unziemlich duzte.
Ja, klar briete ich mir Kartoffeln, Marena, so ich denn welche hätte! Doch woher nehmen?
Also brat sie dir doch selber – so du welche hast.
04 November 2007
Etwas hat überlebt: das MacBook
Hinterher fiel es mir wieder ein: Ich hatte schon etwas gespürt, als ich gegen ein Uhr nachts wegen des Lärms auf den Balkon getreten war. Etwas schien mich am Kopf gestreift zu haben, etwas Leichtes, Luftiges, und ich hatte es im Dunkeln mit der Hand beiseite gewischt.
Dachte ich zumindest.
Danach ging ich zurück ins Zimmer, schloss die Tür, setzte mich wieder an den Tisch und die Kopfhörer auf. Ich war gerade dabei, einen Ordner mit Songs von Bert Jansch und John Renbourn auf den iPod zu kopieren, als mich ein leichtes Kitzeln am rechten Arm störte.
Ich schaute gedankenlos hin – und sah eine tintenschwarze, fettbeinige, fleischige Spinne auf meinem Oberarm. Ohne allzuviel Jägerlatein möchte ich ihre Größe etwa auf die eines Zweieurostücks schätzen (Foto: ähnlich). Allerdings rekonstruierte ich das erst hinterher, denn meine Reaktion war gleichsam nicht mehr menschlich, sondern beängstigend … archaisch.
Aufstöhnen, mit der linken Hand panisch das Tier vom rechten Bizeps fetzen, dabei den Körper nach links werfen, wobei ich a) fast vom Stuhl fiel und b) mit der Kopfhörerleitung das futschneue MacBook bis an die äußerste Tischkante riss: All das geschah in einer nanohaften Geschwindigkeit, die dem Willen nicht mehr unterworfen war, sondern ausschließlich irgendeinem verlässlichen Instinkt, der damals in der afrikanischen Savanne entstanden sein muss, vor x-Millionen Jahren.
Keuchend riss ich mir dann den Kopfhörer ab, sprang vom Stuhl und stierte fahrig und fiebrig auf den Boden. Dieses Tier musste raus aus der Wohnung, aber schnell.
Allerdings war es nicht mehr zu sehen, trotz seiner Ausmaße. Ich suchte alles ab, auch die Wände. Selbst zur Decke schaute ich hoch, obwohl es unrealistisch war, dass die Spinne es in der kurzen Zeit dorthin geschafft haben könnte. Doch das Insekt blieb spurlos verschwunden und mein Puls noch minutenlang auf 180.
Das MacBook hat überlebt. Das ist alles, was zählt.
Dachte ich zumindest.
Danach ging ich zurück ins Zimmer, schloss die Tür, setzte mich wieder an den Tisch und die Kopfhörer auf. Ich war gerade dabei, einen Ordner mit Songs von Bert Jansch und John Renbourn auf den iPod zu kopieren, als mich ein leichtes Kitzeln am rechten Arm störte.
Ich schaute gedankenlos hin – und sah eine tintenschwarze, fettbeinige, fleischige Spinne auf meinem Oberarm. Ohne allzuviel Jägerlatein möchte ich ihre Größe etwa auf die eines Zweieurostücks schätzen (Foto: ähnlich). Allerdings rekonstruierte ich das erst hinterher, denn meine Reaktion war gleichsam nicht mehr menschlich, sondern beängstigend … archaisch.
Aufstöhnen, mit der linken Hand panisch das Tier vom rechten Bizeps fetzen, dabei den Körper nach links werfen, wobei ich a) fast vom Stuhl fiel und b) mit der Kopfhörerleitung das futschneue MacBook bis an die äußerste Tischkante riss: All das geschah in einer nanohaften Geschwindigkeit, die dem Willen nicht mehr unterworfen war, sondern ausschließlich irgendeinem verlässlichen Instinkt, der damals in der afrikanischen Savanne entstanden sein muss, vor x-Millionen Jahren.
Keuchend riss ich mir dann den Kopfhörer ab, sprang vom Stuhl und stierte fahrig und fiebrig auf den Boden. Dieses Tier musste raus aus der Wohnung, aber schnell.
Allerdings war es nicht mehr zu sehen, trotz seiner Ausmaße. Ich suchte alles ab, auch die Wände. Selbst zur Decke schaute ich hoch, obwohl es unrealistisch war, dass die Spinne es in der kurzen Zeit dorthin geschafft haben könnte. Doch das Insekt blieb spurlos verschwunden und mein Puls noch minutenlang auf 180.
Das MacBook hat überlebt. Das ist alles, was zählt.
02 November 2007
Kein Puffzipfelchen, nirgends
Es ist fast unmöglich, auf der Reeperbahn und drumherum nicht ständig über irgendein Bordell zu stolpern, wo richtige, echte Prostituierte arbeiten.
Man könnte im Flanieren praktisch wahllos irgendetwas knipsen, und es wäre mit recht hoher Wahrscheinlichkeit irgendwo ein Puffzipfelchen zu sehen. Es ist also einfach. Spiegel online gelang es heute trotzdem nicht, ein solches Foto zu produzieren.
Dabei wäre es wichtig gewesen, es nicht zu vermasseln; Spon nämlich wollte damit das dank Alice Schwarzer alle 20 Jahre wieder eregierende Thema „Prostitution in Deutschland“ illustrieren.
Doch auf dem Bild zum Artikel (Foto) ist zwar viel zu sehen, was nach Schmuddel riecht – aber nirgends ein Bordell. Sondern nur zwei handelsübliche Sexshops, die es so ähnlich bestimmt auch in Paderborn gibt, sowie das altehrwürdige Café Keese.
Ich weiß das genau, denn wir wohnen da. Im SEXES zum Beispiel führe ich manchmal anschauliche Diskussionen über Vibratoren. Aber nur mit sachkundigen Beratern und nicht mit Prostituierten – die es dort ja auch gar nicht gibt.
Man könnte im Flanieren praktisch wahllos irgendetwas knipsen, und es wäre mit recht hoher Wahrscheinlichkeit irgendwo ein Puffzipfelchen zu sehen. Es ist also einfach. Spiegel online gelang es heute trotzdem nicht, ein solches Foto zu produzieren.
Dabei wäre es wichtig gewesen, es nicht zu vermasseln; Spon nämlich wollte damit das dank Alice Schwarzer alle 20 Jahre wieder eregierende Thema „Prostitution in Deutschland“ illustrieren.
Doch auf dem Bild zum Artikel (Foto) ist zwar viel zu sehen, was nach Schmuddel riecht – aber nirgends ein Bordell. Sondern nur zwei handelsübliche Sexshops, die es so ähnlich bestimmt auch in Paderborn gibt, sowie das altehrwürdige Café Keese.
Ich weiß das genau, denn wir wohnen da. Im SEXES zum Beispiel führe ich manchmal anschauliche Diskussionen über Vibratoren. Aber nur mit sachkundigen Beratern und nicht mit Prostituierten – die es dort ja auch gar nicht gibt.
01 November 2007
Harry und wer?
„Heute“, sage ich kleinlaut zu Ms. Columbo, „ist mir auf einmal nur noch einer der englischen Prinzen eingefallen. Und zwar Harry. Wie heißt noch mal der andere?“
„William“, sagt Ms. Columbo.
„Genau! William! Klar!“, schlage ich mir vor die Stirn, „aber warum ist mir dieser Name nicht mehr eingefallen? Warum?“
„Warum?“, sagt Ms. Columbo, und ich merke schon an ihrem Ton, dass sie diese Frage rhetorisch verstanden wissen will.
„Ich sage dir, warum“, fährt sie fort, „weil das farblose, langweilige Idioten sind.“
Ich schaue sie liebevoll an, und Bewunderung schwingt auch mit. „Natürlich“, geht mir ein ganzer Kron(!)leuchter auf, „du hast völlig Recht: weil das farblose, langweilige Idioten sind.“
So rettet Ms. Columbo mir mal wieder den Tag.
„William“, sagt Ms. Columbo.
„Genau! William! Klar!“, schlage ich mir vor die Stirn, „aber warum ist mir dieser Name nicht mehr eingefallen? Warum?“
„Warum?“, sagt Ms. Columbo, und ich merke schon an ihrem Ton, dass sie diese Frage rhetorisch verstanden wissen will.
„Ich sage dir, warum“, fährt sie fort, „weil das farblose, langweilige Idioten sind.“
Ich schaue sie liebevoll an, und Bewunderung schwingt auch mit. „Natürlich“, geht mir ein ganzer Kron(!)leuchter auf, „du hast völlig Recht: weil das farblose, langweilige Idioten sind.“
So rettet Ms. Columbo mir mal wieder den Tag.
Einmal Lach mit Wasser bitte
„Waaaaaa!“, schreie ich, als der Franke morgens mein Büro betritt, „du hast ja noch deine Halloweenmaske auf!“
Natürlich sieht der Franke aus wie immer, doch ich durfte diese hundertprozentige Torchance einfach nicht versemmeln. Der Sohn eines süddeutschen Bauernvolkes tut, als hätte ich gar nichts gesagt, und glaubt so Souveränität auszustrahlen.
Außerdem habe ich noch eine weitere Information für ihn. „Ich bin wieder da!“, strahle ich ihn nämlich mit ausgebreiteten Armen an, „heute Mittag gehen wir wieder essen!“
Nein, nein, erwidert der herzlose Angehörige einer grobschlächtigen Ethnie, ich sei wie einer jener armen Wichte, die nach Wochen halbverdurstet und -verhungert aus der Wüste zurückkehrten und augenblicks alles auf einmal in sich hineinschaufeln wollten, und das sei ganz schlecht.
„Du kriegst nur ein Möhrchen“, grinst der Teilhaber eines aufs Wesentliche reduzierten Genpools zufrieden, wobei seine Halloweenmaske die schauerlichsten Falten schlägt. Mit diesem Vorschlag kommt er freilich bei mir nicht durch. Barsch weise ich ihn zurecht und auf meinen freudig dem Lunch entgegenfiebernden Magen hin.
Mit Erfolg: Mittags finden wir uns im Mercado ein, und zwar am Sushistand. Dort verkaufen sie aus taktischen Gründen auch warme Gerichte. Das leckerste auf der heutigen Mittagskarte, die sich in nichts von den Mittagskarten der letzten sechs Monate unterscheidet, ist eine Lachsvariante, die auf beiden aufgestellten Tafeln als „Teriyaki-Lach“ ausgewiesen ist.
„Teriyaki-Lach“ finde ich meiner gehobenen Stimmung völlig adäquat, und ich bin fischgrätennah davor, genau so meine Bestellung aufzugeben: „Einmal Teriyaki-Lach und ein Wasser bitte.“
Allerdings sehe ich dann doch davon ab. Zu groß ist die Gefahr, die Japanerin vom Sushistand könnte dies nicht als humoristischen Ausdruck meiner Wiedergenesung, sondern als Veräppelung ihres Migrationshintergrundes auffassen. Nun, wir werden es nie erfahren.
Mein Teriyaki-Lachs ist jedenfalls vorzüglich. „Wenigstens beim Essen“, schimpfe ich behaglich mampfend den Franken, „solltest du deine Halloweenmaske abnehmen.“
Doch das Mitglied einer physiognomisch eher halbfertig konstruierten Volksgruppe denkt nur noch an sein Red Curry Chicken.
Natürlich sieht der Franke aus wie immer, doch ich durfte diese hundertprozentige Torchance einfach nicht versemmeln. Der Sohn eines süddeutschen Bauernvolkes tut, als hätte ich gar nichts gesagt, und glaubt so Souveränität auszustrahlen.
Außerdem habe ich noch eine weitere Information für ihn. „Ich bin wieder da!“, strahle ich ihn nämlich mit ausgebreiteten Armen an, „heute Mittag gehen wir wieder essen!“
Nein, nein, erwidert der herzlose Angehörige einer grobschlächtigen Ethnie, ich sei wie einer jener armen Wichte, die nach Wochen halbverdurstet und -verhungert aus der Wüste zurückkehrten und augenblicks alles auf einmal in sich hineinschaufeln wollten, und das sei ganz schlecht.
„Du kriegst nur ein Möhrchen“, grinst der Teilhaber eines aufs Wesentliche reduzierten Genpools zufrieden, wobei seine Halloweenmaske die schauerlichsten Falten schlägt. Mit diesem Vorschlag kommt er freilich bei mir nicht durch. Barsch weise ich ihn zurecht und auf meinen freudig dem Lunch entgegenfiebernden Magen hin.
Mit Erfolg: Mittags finden wir uns im Mercado ein, und zwar am Sushistand. Dort verkaufen sie aus taktischen Gründen auch warme Gerichte. Das leckerste auf der heutigen Mittagskarte, die sich in nichts von den Mittagskarten der letzten sechs Monate unterscheidet, ist eine Lachsvariante, die auf beiden aufgestellten Tafeln als „Teriyaki-Lach“ ausgewiesen ist.
„Teriyaki-Lach“ finde ich meiner gehobenen Stimmung völlig adäquat, und ich bin fischgrätennah davor, genau so meine Bestellung aufzugeben: „Einmal Teriyaki-Lach und ein Wasser bitte.“
Allerdings sehe ich dann doch davon ab. Zu groß ist die Gefahr, die Japanerin vom Sushistand könnte dies nicht als humoristischen Ausdruck meiner Wiedergenesung, sondern als Veräppelung ihres Migrationshintergrundes auffassen. Nun, wir werden es nie erfahren.
Mein Teriyaki-Lachs ist jedenfalls vorzüglich. „Wenigstens beim Essen“, schimpfe ich behaglich mampfend den Franken, „solltest du deine Halloweenmaske abnehmen.“
Doch das Mitglied einer physiognomisch eher halbfertig konstruierten Volksgruppe denkt nur noch an sein Red Curry Chicken.
30 Oktober 2007
Eine kleine Anti-Pop-up-Tirade
Wenn es um Pop-up-Werbung geht, ist da nur noch Hass – auf Webseiten, denen ihr eigener Inhalt so wenig wert ist, dass sie sich dafür bezahlen lassen, dass Müll ihn verdeckt.
Auf Firmen, die glauben, uns mit solchen Zumutungen zum Klicken bewegen zu können (Telekom: Vergiss es!).
Auf Leute, die so etwas programmieren und dabei sogar meinen Pop-up-Blocker austricksen.
Hass.
Mit Konsequenzen. Ich surfe solche Seiten nicht mehr an. Ich verweigere Firmen, die Pop-up-Werbung schalten, jeglichen Zutritt zu meinem Monatsbudget; sie landen auf einer Tabuliste.
Und wenn ich abends auf dem Kiez einen Informatiker kennenlerne, wird er abgeklopft, ob er charakterlos genug ist, sich an so etwas zu beteiligen. Wenn ja, dann zahlt er sein Bier selber.
Na gut, „Hass“ ist vielleicht etwas übertrieben. Doch heute, nach zwei Tagen ohne übliche Nahrungszufuhr und Kamillentee statt Wein, ist mir halt nach Übertreibungen.
Auf Firmen, die glauben, uns mit solchen Zumutungen zum Klicken bewegen zu können (Telekom: Vergiss es!).
Auf Leute, die so etwas programmieren und dabei sogar meinen Pop-up-Blocker austricksen.
Hass.
Mit Konsequenzen. Ich surfe solche Seiten nicht mehr an. Ich verweigere Firmen, die Pop-up-Werbung schalten, jeglichen Zutritt zu meinem Monatsbudget; sie landen auf einer Tabuliste.
Und wenn ich abends auf dem Kiez einen Informatiker kennenlerne, wird er abgeklopft, ob er charakterlos genug ist, sich an so etwas zu beteiligen. Wenn ja, dann zahlt er sein Bier selber.
Na gut, „Hass“ ist vielleicht etwas übertrieben. Doch heute, nach zwei Tagen ohne übliche Nahrungszufuhr und Kamillentee statt Wein, ist mir halt nach Übertreibungen.
29 Oktober 2007
Der Eimer
„Mir ist speiübel“, sage ich blass zu einem Kollegen, „könntest du mich vielleicht nach Hause fahren? Ich würde lieber dir ins Auto reihern als dem Busfahrer.“
Er reagiert begeistert. Vorher stand eine Stunde lang ein Sicherheitseimer auf meinem Schreibtisch. Erstmals übrigens. Und weil das keineswegs eine ausreichend breite empirische Basis bedeutet, konnte heute eine höchst dringliche Frage noch nicht final geklärt werden:
Gibt ein Eimer auf dem Schreibtisch nun die nötige Sicherheit oder eher den letzten Schubs?
Heute zumindest weder noch – und jetzt ab in die Koje. Ohne Bild, aus zahlreichen Gründen.
Er reagiert begeistert. Vorher stand eine Stunde lang ein Sicherheitseimer auf meinem Schreibtisch. Erstmals übrigens. Und weil das keineswegs eine ausreichend breite empirische Basis bedeutet, konnte heute eine höchst dringliche Frage noch nicht final geklärt werden:
Gibt ein Eimer auf dem Schreibtisch nun die nötige Sicherheit oder eher den letzten Schubs?
Heute zumindest weder noch – und jetzt ab in die Koje. Ohne Bild, aus zahlreichen Gründen.
Nichts einfaches als das
Weiß gar nicht, was alle gegen Vattenfall haben. Uns hat die Firma gerade ohne jede Vorwarnung 329,76 Euro zurückerstattet, weil wir in den vergangenen zwölf Monaten zuwenig Nachtstrom verbraucht haben.
Noch mal zum Mitschreiben: „zuwenig Nachtstrom“ und „zurückerstattet“.
Heute gingen wir auf Vattenfalls Kosten gleichwohl noch nicht groß essen, sondern tuckerten mit Wolfsburger Verwandten über die Elbe, stiegen am Dockland aus und die Freitreppe hoch, von wo aus ich (wieder mal) die Skyline der Hafenkräne fotografierte.
Als ich abends Schutzfolien für den neuen iPod kaufen wollte, stieß ich auf folgende Produktbeschreibung, der vermutlich eine werbende Absicht zugrunde liegt:
„Für iPod Bildschirm und 2. Erzeugung Nano, schlagen Sie einfach die Taste auf dem MicroMemo, um, für das neuere iPod zu notieren, das klassisch ist und 3. Erzeugung Nano, verwenden errichtet in der Schnittstelle auf dem iPod, um zu notieren, es ist einfaches das!“Ja, nichts einfaches als das. Ich habe trotzdem bei jemand anderem gekauft. Und hätte Vattenfall außer Nachtstrom auch iPod-Schutzhüllen im Angebot, wer weiß, was passiert wäre.
26 Oktober 2007
Der Riss nach dem Strick
Nachdem ich und zwei Dutzend Journalisten bereits knapp zwei Stunden der Pressevorführung von Anton Corbijns Biopic „Control“ durchgestanden haben, reißt kurz vorm Ende der Film.
„Control“ handelt in edler Schwarzweißtristesse vom kurzen tragischen Leben des Joy-Division-Sängers Ian Curtis, der sich im Mai 1980 erhängte, mit 23.
Der Film reißt in der Sekunde, als Curtis nach dem Strick greift.
Sofort geht das Licht an, und zwei Dutzend Journalisten schauen ratlos. Das könnte, rätseln wir, auch das Ende des Films sein, ein elliptisches, aber doch etwas … plötzlich. Doch im Projektionsraum wird hektisch gewerkelt, Minute um Minute, es wird also weitergehen.
Wir bleiben sitzen, und ich muss sagen: Es hat etwas sehr Makabres, mit zwei Stunden Tragödie in den Knochen im hell erleuchteten Saal darauf zu warten, dass Curtis sich endlich, endlich erhängt.
Irgendwann erlischt wirklich wieder das Saallicht, die Leinwand wird hell. Es geschieht, was geschah. Und Ende. Der Abspann ist unterlegt mit meinem Lieblingssong von Joy Division, „Atmosphere“.
Das Wochenende soll übrigens sonnig werden.
Wie Hund und Katz
Draußen unterm Bürofenster geht plötzlich ein nervenzerfetzendes Heulen und Jaulen los, als fiele ein großer Hund über einen kleinen her. Ich schaue raus und sehe einen großen Hund, der gerade über einen kleinen herfällt.
Der große ist braun und m. E. ein Dobermann, der kleine ist zottelig weiß und wäre auch als Wischmopp zu gebrauchen, ohne dass man auf die Idee käme, die 14-tägige Rückgabefrist in Anspruch zu nehmen. Zum Jaulen und Heulen, das der Wischmopp verständlicherweise alleine verantwortet, gesellen sich nun auch noch die Schreie einer Frau.
Sie tritt ins Bild und stürzt sich trotz ihrer beträchtlichen Körperfülle sofort beherzt dazwischen, rettet ihr Hündchen in die Vertikale, presst es an ihren wogenden Busen und schreit munter weiter. Der Dobermann zieht sich enttäuscht zurück, zumal sein jetzt ebenfalls sichtbares Herrchen, ein spitteriger Typ mittleren Alters, entsprechende Anweisungen gibt.
Es ist klar, dass sich der bisher rein canidaische Konflikt nun auch auf der menschlichen Ebene fortsetzen wird. Beide Parteien stehen sich gegenüber wie in einem Leone-Western, Frauchen deutlich bewegter als Herrchen. Es entspinnt sich ein sehr emotional geführter Dialog.
Eine so hübsche Pointe darf man natürlich nicht weiter zerreden.
PS: Der dokumentierte Zettel an der Wand passt nur ungefähr; doch immerhin ist er ebenfalls Ergebnis eines Konflikts. Das muss reichen.
Der große ist braun und m. E. ein Dobermann, der kleine ist zottelig weiß und wäre auch als Wischmopp zu gebrauchen, ohne dass man auf die Idee käme, die 14-tägige Rückgabefrist in Anspruch zu nehmen. Zum Jaulen und Heulen, das der Wischmopp verständlicherweise alleine verantwortet, gesellen sich nun auch noch die Schreie einer Frau.
Sie tritt ins Bild und stürzt sich trotz ihrer beträchtlichen Körperfülle sofort beherzt dazwischen, rettet ihr Hündchen in die Vertikale, presst es an ihren wogenden Busen und schreit munter weiter. Der Dobermann zieht sich enttäuscht zurück, zumal sein jetzt ebenfalls sichtbares Herrchen, ein spitteriger Typ mittleren Alters, entsprechende Anweisungen gibt.
Es ist klar, dass sich der bisher rein canidaische Konflikt nun auch auf der menschlichen Ebene fortsetzen wird. Beide Parteien stehen sich gegenüber wie in einem Leone-Western, Frauchen deutlich bewegter als Herrchen. Es entspinnt sich ein sehr emotional geführter Dialog.
Frauchen: „Warum nehmen Sie Ihren Hund nicht an die Leine?“
Herrchen: „Warum nehmen Sie Ihren Hund nicht an die Leine?“
Frauchen: „Wasss? Ihr Hund ist dreimal so groß wie meiner!“
Herrchen: „Na und? Sie sind auch dreimal so groß wie ich.“
Eine so hübsche Pointe darf man natürlich nicht weiter zerreden.
PS: Der dokumentierte Zettel an der Wand passt nur ungefähr; doch immerhin ist er ebenfalls Ergebnis eines Konflikts. Das muss reichen.
25 Oktober 2007
Alles keine Tauschkandidaten
Nach dem Lunch bummeln wir gewohnheitsmäßig durch die Gänge des Supermarktes. „Ha!“, ruft der Syrer plötzlich aus, „so was brauch ich!“ Er hält triumphierend fünf Liter Frostschutzmittel hoch.
„Damit“, jubiliert er, „kann ich die ganze Nacht lang draußen saufen!“ Ich wage nicht zu fragen, ob er eine innere oder äußere Anwendung plant und ob es wirklich komplette fünf Liter sein müssen.
Wenig später an der Kasse. Ein Kunde tritt von außen an den generell sarkastischen, heute aber sogar biestigen Kassenmann heran und fragt: „Haben Sie Butterschmalz?“ Der Kassierer schaut aus halbverschatteten Augen hoch, als hätte man ihm die dümmste Frage der Welt gestellt.
„Näh“, schnappt er dann, „wir haben kein Butterschmalz. Aber fragen Sie mal bei Rewe. Die haben auch bis 22 Uhr auf.“ Der Kunde zuckt schüchtern zusammen, murmelt ein leises „Ich frag ja nur“ und trollt sich. Wahrscheinlich zu Rewe.
„22 Uhr“, übernehme ich, und zwar im Bestreben, Öl ins Feuer der Stimmung des Kassenmanns zu gießen, „das blüht Ihnen bestimmt auch bald.“ Er lächelt schmerzlich. „Kommt bald“, nickt er knapp. Und dann noch mal, mehr zu sich selbst: „Kommt bald.“
Nein, mit ihm möchte ich nicht tauschen, das wird mir sofort klar. Obwohl ich das auch vorher schon wusste, aber eher latent. Doch ich verschweige ihm das; man muss schließlich wissen, wann’s gut ist.
Inzwischen ist der Syrer schon durch, ohne Frostschutz. Jetzt wird er doch frieren beim Draußensaufen. Auch er kommt nicht als Tauschkandidat in Frage. Was ich ebenfalls verschweige.
„Damit“, jubiliert er, „kann ich die ganze Nacht lang draußen saufen!“ Ich wage nicht zu fragen, ob er eine innere oder äußere Anwendung plant und ob es wirklich komplette fünf Liter sein müssen.
Wenig später an der Kasse. Ein Kunde tritt von außen an den generell sarkastischen, heute aber sogar biestigen Kassenmann heran und fragt: „Haben Sie Butterschmalz?“ Der Kassierer schaut aus halbverschatteten Augen hoch, als hätte man ihm die dümmste Frage der Welt gestellt.
„Näh“, schnappt er dann, „wir haben kein Butterschmalz. Aber fragen Sie mal bei Rewe. Die haben auch bis 22 Uhr auf.“ Der Kunde zuckt schüchtern zusammen, murmelt ein leises „Ich frag ja nur“ und trollt sich. Wahrscheinlich zu Rewe.
„22 Uhr“, übernehme ich, und zwar im Bestreben, Öl ins Feuer der Stimmung des Kassenmanns zu gießen, „das blüht Ihnen bestimmt auch bald.“ Er lächelt schmerzlich. „Kommt bald“, nickt er knapp. Und dann noch mal, mehr zu sich selbst: „Kommt bald.“
Nein, mit ihm möchte ich nicht tauschen, das wird mir sofort klar. Obwohl ich das auch vorher schon wusste, aber eher latent. Doch ich verschweige ihm das; man muss schließlich wissen, wann’s gut ist.
Inzwischen ist der Syrer schon durch, ohne Frostschutz. Jetzt wird er doch frieren beim Draußensaufen. Auch er kommt nicht als Tauschkandidat in Frage. Was ich ebenfalls verschweige.
23 Oktober 2007
Hierzu ist mir keine Überschrift eingefallen
Von nun an soll also der bislang goldschimmernde Herbst mehr ins Bleigraue lappen, wie man hört. Gut: Dann wird er hier eben konserviert, mit zwei Fotos aus Planten un Blomen vom Sonntag.
Wäre ich Droste, Rilke oder Regener, fiele mir bestimmt etwas Besinnliches zum Herbst ein, doch mir gelingt ja nicht mal eine Überschrift zu diesem Eintrag, und so sehr ich auch hin und her sinniere, ich muss immer nur an die anstehende Saison der tropfenden Nasen denken und an meine Grippeimpfung am Donnerstag.
Und an einen saisonübergreifend schnuffelnden Bekannten, der sich seine Lage geschickt schönredet: „So ein Grundschnupfen“, tröstete er sich neulich selbst, „ist nicht schlecht, der härtet ab.“ Doch vor was eigentlich – Schnupfen …?
Irgendetwas stimmt nicht mit diesem Spruch, soviel ist klar.
22 Oktober 2007
Mein klitzekleiner Kampf mit Klitschko
Heute, als ich nach einer leicht überwürzten Pizza mit Zwiebeln, Lachstatar und Kapern das Restaurant Eisenstein verlassen wollte, stand ich unversehens vor einer Wand aus graukariertem Flanell und kam nicht durch.
Ich schaute hoch – und starrte ins knapp unter der Zeisehallendecke schwebende Gesicht eines Boxweltmeisters. Ins Gesicht von Wladimir Klitschko.
Es war ein ausgesprochen sorgsam hergerichtetes Gesicht, es wirkte geradezu zart und unzerschlagen. Dabei war der riesige Ukrainer nicht mal telegen zurechtgeschminkt; warum auch, er wollte ja nur Pizza essen im Eisenstein. Vielleicht sogar die gleiche wie ich, eine mit Zwiebeln, Lachstatar und Kapern.
Klitschko schaute herab von knapp unter der Zeisehallendecke, schließlich versperrte nicht nur er mir den Weg, sondern gewissermaßen auch ich ihm. Er gewann.
Nach dieser doch irgendwie erhabenen Begegnung erwartete mich zu Hause wieder der profane Alltag. Gestern Nacht waren mir Tölpel beim ungeschickten Herumhantieren mit einem CD-Stapel einige Platten hinter den trutzigen Bisleyschrank gerutscht. Es war allerdings unmöglich gewesen, das Ungemach durch Abrücken des Trumms sofort zu korrigieren; die kompakte Nachbarin hätte sicher gleich zornesrot vor der Tür gestanden, und zwar im Nachthemd.
Ein Anblick, der nicht gerade heranreicht an das Vordertürstehen von – sagen wir mal – Tyra Banks. Also richtete ich mir für heute Abend um 19.30 Uhr eine computergestützte Erinnerungsmeldung ein, die oben abgebildet ist.
Bis Mitternacht kam ich allerdings aus diversen Gründen nicht zu Potte. Jetzt liegen die Platten noch immer hinterm Bisley, ich denke an die Nachbarin, an Tyra Banks und schließlich an eine weitere Erinnerungsmeldung, für morgen.
Ob Wladimir Klitschko auch mit solchen Problemen kämpft? Nein, wahrscheinlich kommandiert er einfach einen Lakaien ab zum Bisleywegrücken, selbst nachts um 3, und wenn bei ihm dann eine Nachbarin zornesrot vor der Tür steht, dann ist es wahrscheinlich wirklich Tyra Banks.
Ach, die Welt ist ungerecht.
Ich schaute hoch – und starrte ins knapp unter der Zeisehallendecke schwebende Gesicht eines Boxweltmeisters. Ins Gesicht von Wladimir Klitschko.
Es war ein ausgesprochen sorgsam hergerichtetes Gesicht, es wirkte geradezu zart und unzerschlagen. Dabei war der riesige Ukrainer nicht mal telegen zurechtgeschminkt; warum auch, er wollte ja nur Pizza essen im Eisenstein. Vielleicht sogar die gleiche wie ich, eine mit Zwiebeln, Lachstatar und Kapern.
Klitschko schaute herab von knapp unter der Zeisehallendecke, schließlich versperrte nicht nur er mir den Weg, sondern gewissermaßen auch ich ihm. Er gewann.
Nach dieser doch irgendwie erhabenen Begegnung erwartete mich zu Hause wieder der profane Alltag. Gestern Nacht waren mir Tölpel beim ungeschickten Herumhantieren mit einem CD-Stapel einige Platten hinter den trutzigen Bisleyschrank gerutscht. Es war allerdings unmöglich gewesen, das Ungemach durch Abrücken des Trumms sofort zu korrigieren; die kompakte Nachbarin hätte sicher gleich zornesrot vor der Tür gestanden, und zwar im Nachthemd.
Ein Anblick, der nicht gerade heranreicht an das Vordertürstehen von – sagen wir mal – Tyra Banks. Also richtete ich mir für heute Abend um 19.30 Uhr eine computergestützte Erinnerungsmeldung ein, die oben abgebildet ist.
Bis Mitternacht kam ich allerdings aus diversen Gründen nicht zu Potte. Jetzt liegen die Platten noch immer hinterm Bisley, ich denke an die Nachbarin, an Tyra Banks und schließlich an eine weitere Erinnerungsmeldung, für morgen.
Ob Wladimir Klitschko auch mit solchen Problemen kämpft? Nein, wahrscheinlich kommandiert er einfach einen Lakaien ab zum Bisleywegrücken, selbst nachts um 3, und wenn bei ihm dann eine Nachbarin zornesrot vor der Tür steht, dann ist es wahrscheinlich wirklich Tyra Banks.
Ach, die Welt ist ungerecht.
21 Oktober 2007
Ums Verrecken cool
„Das ist das Drama: Alles hat seinen Preis in der Marktwirtschaft, jeder Kauf entscheidet darüber, wie wir leben, und jene, die am wenigsten haben, sind gleichzeitig diejenigen, die mit der Kaufentscheidung dafür sorgen, dass es weiterhin Dampf für die Maschinerie des Niedergangs gibt.“ Don Alphonso
Zurzeit hält jeder Hype nur noch zehn Minuten. Die hippe MySpace-Band von heute Morgen ist schon mittags wieder öde. Dem noch gestern ultracoolen Laptop fehlt die Killerapplikation des Folgemodells. Und das iPhone gibt’s erst ab November. Verdammt.
So denken sie, die Trendlämmer.
So denken wir doch, nicht wahr?
Noch nie hatten die Profi(t)trendsetter uns Dummerchen so im Griff wie heute. Lemminggleich hecheln wir Teens, Twens und Berufsjugendlichen dem neuesten Hype hinterher und gleich danach dem allerneuesten. Wie die Karnickel sollen wir den geilen Akt des Konsumierens vollziehen – und wehe, es wird dank des überzogenen Dispos ein Coitus interruptus. Autsch.
Wir wundern uns, dass die Welt vor die Hunde geht – aber warum wundern wir uns bloß? Unser eigener Erneuerungswahn ist doch schuld daran. Denn dem geilen Konsumakt geht in aller Heimlichkeit etwas viel Ungeileres voraus: ein Akt der Zerstörung durch Produktion.
Das ist doof, das ist unschön, und deshalb sollten die Dinge am besten recht lange halten. Sollte man meinen. Doch ganz im Gegenteil: Nur das erwünschte Kaputtgehen und Uncoolwerden von allem und jedem hält uns Hamster im Riesenrad am Laufen – und verzehrt zugleich die Ressourcen, die wir doch retten wollten, als wir neulich auf Ökostrom umstiegen.
Mal ehrlich: Wer die Welt wirklich retten will, der muss aufhören, sie zu verbrauchen. So simpel ist das.
Und so schwer ist das.
Unser ganzer Lebensstil nämlich – und mit ihm diese Ikone namens Wachstum – gehört vor Gericht. Klingt übel, ist es auch. Aber es ist wahr.
Jeder, der sich neue Schuhe kauft, obwohl die alten noch halten, beteiligt sich an der Zerstörung, ob er nun Grün wählt oder nicht. Jeder, der Auto fährt, obwohl er auch laufen könnte, bricht ein Stückchen Substanz aus dem Gefüge der Dinge. Jeder, der irgendeinem Trend folgt, obwohl er bis jetzt auch ohne ganz zufrieden war, schubst die Erde weiter Richtung Abgrund, selbst wenn er ein Hemd von American Apparel trägt und Burger bäh findet.
Das Bescheuertste daran: Trendhörigkeit – also unsere hocherwünschte Jagd nach der Coolness, dem Hype, dem jüngsten Schrei – geht immer aus wie das Rennen zwischen Hase und Igel. Du kannst nicht gewinnen. Oder für höchstens zehn Minuten. Denn überall ist es cooler, wo wir nicht sind. Momentan zum Beispiel in den USA, wo sie das iPhone schon kaufen können. Verdammt.
Wer die Welt wirklich retten will, muss ans Eingemachte.
Er. Muss. Den. Kapitalismus. Abschaffen.
So einfach ist das.
Und so schwer ist das.
Denn natürlich heißt das nicht, dass ein anderes System automatisch die Welt retten würde. Doch keinem anderen ist die permanente Zerstörung des Bestehenden so sehr ein Herzenswunsch wie der – ähem – sozialen Marktwirtschaft. Ihre ganze Dynamik schöpft sie aus dem möglichst raschen Uncoolwerden all dessen, was verkauft ist. All das schon Bezahlte ist aus ihrer Sicht mausetot, und deshalb muss sie neue Hypes ausrufen, möglichst global. Sie muss das aus ihrer Sicht Tote, weil Bezahlte auch uns Dummerchen als tot suggerieren, selbst wenn’s noch wunderbar funktioniert.
Weil die Dinge nicht schnell genug verrecken, macht die Marktwirtschaft uns zu Trendlämmern – ums Verrecken.
Ihre schlimmsten Alpträume drehen sich deshalb um die Schrecken unkaputtbarer Kleidung und ewig brennender Glühbirnen. Sie gruselt’s beim Gedanken an rostfreie Autos, an korrosionsfeste Häuser. Und die schlimmsten Depressionen kriegt sie, wenn sie sich vorstellt, wir, die Konsumenten irgendwo hier draußen, würden keinen Hypes mehr folgen. Der Horror.
Deshalb muss die Marktwirtschaft mit ihren Hilfstruppen, den Werbern, die Coolness täglich neu definieren, muss panisch neue Hypes kreieren und befeuern.
Der Todfeind des Kapitalismus ist unsere Bedürfnislosigkeit. Doch nur sie würde die Welt retten.
Wer cool sein will, sollte das wissen. Und erst dann losgehen, um sich ein iPhone zu kaufen. Und natürlich die nächste Ausgabe des U_mag.
(Dieser Text steht auch in der Oktoberausgabe des U_mag.)
20 Oktober 2007
Ihr Logo ist gefährlich!
Von: matt
Betreff: Ihr Logo ist gefährlich
Datum: 20. Oktober 2007 02:50:16 MESZ
An: info@3sat.de
Liebes 3Sat,
seit einiger Zeit verfüge ich über einen Plasmafernseher. Er hat eine Bildschirmdiagonale von 106 Zentimetern und macht mir und Ms. Columbo viel Freude.
Es gibt nur ein Problem: Ausgerechnet beim längeren Kucken Ihres Senders, was ich gerne tue, brennt sich das 3Sat-Logo oben links in den Bildschirm ein. Wenn die weiße Drei und das brutale Rot des Kastens über Stunden die gleiche Stelle des Monitors beackern, dann verträgt das der Plasma ganz schlecht. Das geht nicht mehr richtig weg, selbst wenn ich umschalte. RTL zum Beispiel – was ich allerdings auch viel weniger kucke – macht das meines Wissens nicht mit meinem Plasma. Aber Sie, 3Sat.
Jetzt habe ich Angst, dass mein Plasma kaputt geht. Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten, das zu vermeiden: Ich muss weniger 3Sat kucken, aber das können Sie ja nun wirklich nicht wollen. Oder Sie gestalten ein dezenteres Logo. Noch besser wäre es, das Logo schliche gemächlich über den Bildschirm, so dass es einmal oben links zu sehen ist wie momentan, ein andermal aber oben rechts und dann wieder zurück. Wenn Sie mich fragen, wäre eine schneckenhafte Kriechbewegung über die ganze Breite des Bildes die beste Lösung. Also eine Art Wanderlogo.
Ich nehme stark an, Sie präferieren nach diesen Ausführungen meinen zweiten Vorschlag. Bitte sagen Sie mir doch, ab wann Sie ihn umsetzen werden, damit ich weiß, wann ich wieder stundenlang 3Sat kucken kann. Das tue ich nämlich sehr gern, vor allem Nano, Kulturzeit und diese ganzen Dokumentationen. Ich bräuchte im Grunde gar kein anderes Programm als 3Sat, aber nur, wenn es meinen Plasma nicht kaputtmacht.
Auf Ihre Antwort freut sich
Matt
Betreff: Ihr Logo ist gefährlich
Datum: 20. Oktober 2007 02:50:16 MESZ
An: info@3sat.de
Liebes 3Sat,
seit einiger Zeit verfüge ich über einen Plasmafernseher. Er hat eine Bildschirmdiagonale von 106 Zentimetern und macht mir und Ms. Columbo viel Freude.
Es gibt nur ein Problem: Ausgerechnet beim längeren Kucken Ihres Senders, was ich gerne tue, brennt sich das 3Sat-Logo oben links in den Bildschirm ein. Wenn die weiße Drei und das brutale Rot des Kastens über Stunden die gleiche Stelle des Monitors beackern, dann verträgt das der Plasma ganz schlecht. Das geht nicht mehr richtig weg, selbst wenn ich umschalte. RTL zum Beispiel – was ich allerdings auch viel weniger kucke – macht das meines Wissens nicht mit meinem Plasma. Aber Sie, 3Sat.
Jetzt habe ich Angst, dass mein Plasma kaputt geht. Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten, das zu vermeiden: Ich muss weniger 3Sat kucken, aber das können Sie ja nun wirklich nicht wollen. Oder Sie gestalten ein dezenteres Logo. Noch besser wäre es, das Logo schliche gemächlich über den Bildschirm, so dass es einmal oben links zu sehen ist wie momentan, ein andermal aber oben rechts und dann wieder zurück. Wenn Sie mich fragen, wäre eine schneckenhafte Kriechbewegung über die ganze Breite des Bildes die beste Lösung. Also eine Art Wanderlogo.
Ich nehme stark an, Sie präferieren nach diesen Ausführungen meinen zweiten Vorschlag. Bitte sagen Sie mir doch, ab wann Sie ihn umsetzen werden, damit ich weiß, wann ich wieder stundenlang 3Sat kucken kann. Das tue ich nämlich sehr gern, vor allem Nano, Kulturzeit und diese ganzen Dokumentationen. Ich bräuchte im Grunde gar kein anderes Programm als 3Sat, aber nur, wenn es meinen Plasma nicht kaputtmacht.
Auf Ihre Antwort freut sich
Matt
18 Oktober 2007
Völlig hinüber
Link: sevenload.com
Steven Ansell, den Drummer des britischen Duos Blood Red Shoes, habe ich heute Abend im D-Club manchmal minutenlang fassungslos angestarrt – als wäre er ein Kalb mit zwei Köpfen oder ein Alien von Beteigeuze.
Leider dokumentiert der Clip seinen stilistischen Wahnsinn nur sehr unzureichend, wir waren zu weit weg. „Blood Red Shoes“ ist übrigens ein unheimlicher, doch durchaus interessanter Name. Es gibt jedenfalls weitaus üblere Band- und Künstlernamen, von denen ich hier spontan ein paar aufzählen möchte.
Voilà, mit der Bitte um Ergänzung: Kind Im Magen, Dying Fetus, Throbbing Gristle (puslierender Knorpel …), Leslie Feist, Johnny Depp oder Richie Kotzen. Superglücklich ist eventuell auch Amalie von Hinüber nicht mit ihrer Namensbürde, doch sie ist wenigstens keine Künstlerin, sondern nur Pressefrau in einem Münchner Verlag.
Plante sie dennoch eine Karriere im Showbiz, so empföhle ich ihr dringend eine Präferenz fürs Kabarett, dann bräuchte sie nämlich erst gar nicht nach einem Künstlernamen zu suchen. Was das alles nun mit dem Trommeltier Ansell zu tun ist, ist mir jetzt leider entfallen.
Wahrscheinlich wollte ich mich einfach über die Zeit retten.
17 Oktober 2007
Gelegenheit macht „Diebe“
Eigentlich will ich im Supermarkt nur ein paar Strauchtomaten kaufen, doch als ich diesen herrenlosen Einkaufswagen im Gang herumstehen sehe, schreit die Situation unversehens auch nach dem Auffüllen unserer Direktsaftbestände.
Zunächst aber versuche ich schweifenden Blicks den Besitzer des Wagens zu ermitteln, zumal eine rote Pfandmarke aus dem Schloss hervorlugt. Doch niemand ist zu sehen. Derweil klingelt mein Handy, und während ich das Gespräch annehme, führe ich halb unbewusst den Wagen zum Saftregal.
Aus dem Augenwinkel sehe ich noch ein älteres Paar, das plötzlich um die Ecke kommt und sich ratlos umschaut. Ich habe sofort einen Verdacht – doch auch das Telefon in der einen Hand und den Wagen in der anderen. Ach, belassen wir’s dabei, denke ich im Stillen beim Multitasking (Labern links, Beladen rechts).
Eine Viertelstunde später passiere ich die Kasse, schiebe den Wagen in die -schlange, löse das Schloss und lasse die rote Pfandmarke offen drin liegen; schließlich gehört sie mir ja nicht, und ein Wagenentleiher bin ich schon, aber kein Dieb.
Im Weggehen höre ich plötzlich eine verärgerte männliche Stimme. „Sie haben Ihre Marke vergessen!“, ruft sie im deutlichen Bemühen, dieser Aussage eine sarkastische Färbung zu geben. Ich drehe mich um, und mir wird sofort alles klar. Vor der Wagenschlange steht das Paar von vorhin. Es hat hier die ganze Zeit gelauert auf den unbekannten Entwender. Die rote Marke musste ihn irgendwann entlarven, das war logisch; Nick Knatterton wäre stolz auf sie.
„Nein, schon gut“, sage ich unschuldig zu dem Mann, der eine typisch hanseatische Schiebermütze trägt und vor Ärger eine rote Gesichtsfarbe angenommen hat, „ich habe die Marke sowieso nicht bezahlt.“ Er nickt heftig und verbittert. „Das weiß ich!“, ruft er, „Sie haben nämlich unseren Wagen genommen!“
Jetzt ist der Moment gekommen, wo sich seine Frau in der Pflicht sieht, mäßigend auf die Situation einzuwirken. Ja, es sind immer die Frauen, die Frieden stiften, immer die Frauen.
„Sie sind gut erzogen“, schmeichelt sie mir und lächelt entschuldigend, doch eine Spur zu breit. „Ja, ja, von wegen!“, schimpft die Schiebermütze aus dem Hintergrund. Seine Frau dreht sich kurz zu ihm um, wendet sich aber sogleich wieder mir zu.
„Dann hat sich ja alles geklärt“, lächelt sie noch breiter und schiebt ihren beträchtlichen Umfang zwischen mich und ihren Mann. Jetzt kann ich ihn nicht mehr sehen. „Dann haben wir die Marke ja wieder“, sagt sie, „dann ist alles gut.“
Sie bemüht sich wirklich sehr, sie könnte im UN-Sicherheitsrat anheuern. „Entschuldigung“, sage ich, „mir schien der Wagen herrenlos.“ „Alles hat sich geklärt“, wiederholt sie, „alles ist gut.“
Sie möchte mich auf jeden Fall fernhalten von ihrem Mann. Allerdings weiß ich nicht, wen sie im Konfrontationsfall für gefährdeter hielte. Schließlich kann sie ja nicht ahnen, womit sie es bei mir zu tun hat: nämlich mit einem der harmlosesten Menschen zwischen hier und Hyderabad. Auf der Bösartigkeitsskala rangiere ich genau gegenüber von Osama Bin Laden.
All das weiß sie nicht, und deshalb verabschiede ich mich. Sie beeilt sich, die Verabschiedung zu erwidern, und lächelt sehr, sehr breit. Im Hintergrund grummelt die Schiebermütze. Dann gehe ich.
Noch eine ganze Weile lang muss ich schmunzeln bei der Vorstellung, wie das Rentnerpaar vor der Wagenschlange lauert, während ich ahnungslos und seelenruhig ihre Pfandmarke durch die Gänge schiebe. Eine Viertelstunde lang haben die zwei argwöhnisch jeden Kunden gemustert, und dann: Bingo! Irgendwie rührend.
Übrigens ist es vielleicht gar nicht mal so schlecht für die deutsche Außenpolitik, dass wir von einer Frau regiert werden. Müsste man mal drüber nachdenken.
Zunächst aber versuche ich schweifenden Blicks den Besitzer des Wagens zu ermitteln, zumal eine rote Pfandmarke aus dem Schloss hervorlugt. Doch niemand ist zu sehen. Derweil klingelt mein Handy, und während ich das Gespräch annehme, führe ich halb unbewusst den Wagen zum Saftregal.
Aus dem Augenwinkel sehe ich noch ein älteres Paar, das plötzlich um die Ecke kommt und sich ratlos umschaut. Ich habe sofort einen Verdacht – doch auch das Telefon in der einen Hand und den Wagen in der anderen. Ach, belassen wir’s dabei, denke ich im Stillen beim Multitasking (Labern links, Beladen rechts).
Eine Viertelstunde später passiere ich die Kasse, schiebe den Wagen in die -schlange, löse das Schloss und lasse die rote Pfandmarke offen drin liegen; schließlich gehört sie mir ja nicht, und ein Wagenentleiher bin ich schon, aber kein Dieb.
Im Weggehen höre ich plötzlich eine verärgerte männliche Stimme. „Sie haben Ihre Marke vergessen!“, ruft sie im deutlichen Bemühen, dieser Aussage eine sarkastische Färbung zu geben. Ich drehe mich um, und mir wird sofort alles klar. Vor der Wagenschlange steht das Paar von vorhin. Es hat hier die ganze Zeit gelauert auf den unbekannten Entwender. Die rote Marke musste ihn irgendwann entlarven, das war logisch; Nick Knatterton wäre stolz auf sie.
„Nein, schon gut“, sage ich unschuldig zu dem Mann, der eine typisch hanseatische Schiebermütze trägt und vor Ärger eine rote Gesichtsfarbe angenommen hat, „ich habe die Marke sowieso nicht bezahlt.“ Er nickt heftig und verbittert. „Das weiß ich!“, ruft er, „Sie haben nämlich unseren Wagen genommen!“
Jetzt ist der Moment gekommen, wo sich seine Frau in der Pflicht sieht, mäßigend auf die Situation einzuwirken. Ja, es sind immer die Frauen, die Frieden stiften, immer die Frauen.
„Sie sind gut erzogen“, schmeichelt sie mir und lächelt entschuldigend, doch eine Spur zu breit. „Ja, ja, von wegen!“, schimpft die Schiebermütze aus dem Hintergrund. Seine Frau dreht sich kurz zu ihm um, wendet sich aber sogleich wieder mir zu.
„Dann hat sich ja alles geklärt“, lächelt sie noch breiter und schiebt ihren beträchtlichen Umfang zwischen mich und ihren Mann. Jetzt kann ich ihn nicht mehr sehen. „Dann haben wir die Marke ja wieder“, sagt sie, „dann ist alles gut.“
Sie bemüht sich wirklich sehr, sie könnte im UN-Sicherheitsrat anheuern. „Entschuldigung“, sage ich, „mir schien der Wagen herrenlos.“ „Alles hat sich geklärt“, wiederholt sie, „alles ist gut.“
Sie möchte mich auf jeden Fall fernhalten von ihrem Mann. Allerdings weiß ich nicht, wen sie im Konfrontationsfall für gefährdeter hielte. Schließlich kann sie ja nicht ahnen, womit sie es bei mir zu tun hat: nämlich mit einem der harmlosesten Menschen zwischen hier und Hyderabad. Auf der Bösartigkeitsskala rangiere ich genau gegenüber von Osama Bin Laden.
All das weiß sie nicht, und deshalb verabschiede ich mich. Sie beeilt sich, die Verabschiedung zu erwidern, und lächelt sehr, sehr breit. Im Hintergrund grummelt die Schiebermütze. Dann gehe ich.
Noch eine ganze Weile lang muss ich schmunzeln bei der Vorstellung, wie das Rentnerpaar vor der Wagenschlange lauert, während ich ahnungslos und seelenruhig ihre Pfandmarke durch die Gänge schiebe. Eine Viertelstunde lang haben die zwei argwöhnisch jeden Kunden gemustert, und dann: Bingo! Irgendwie rührend.
Übrigens ist es vielleicht gar nicht mal so schlecht für die deutsche Außenpolitik, dass wir von einer Frau regiert werden. Müsste man mal drüber nachdenken.
16 Oktober 2007
Willenlos im Streicherzoo
Link: sevenload.com
Heute setzten sich zwei völlig außer Rand und Band geratene Bloggerinnen (FrauvonWelt und Anna) virtuell auf unser Sofa, was ganz fatale Folgen für das arme Möbelstück hatte.
Doch nicht das lähmte mich abends, sondern das isländische Streichquartett Amiina, über die ich an anderer Stelle schon einiges gesagt habe. Zunächst fühlte ich mich noch ganz quick, doch schon bald nachdem die vier Frauen ihren Streicherzoo eröffnet hatten, fiel ich in eine Art saitengenerierte Duldungsstarre.
Alles verschwamm, wurde träge und zäh. Die Zeit gerann, die Luft dickte ein. Mit letzter Kraft schaffte ich es unterm Diktat der sich materialisierenden Langsamkeit, die Kamera träge zu schwenken, um den üblichen Erinnerungsfilm nicht gar zu anspruchslos geraten zu lassen.
Bands wie Amiina kennt kein Schwein; für sie ist das schlecht. Wir aber, das Publikum, können dank dieses Umstands den Abend gleichsam Auge in Auge mit den Künstlerinnen verbringen. Mit Madonna ginge das nicht.
Deshalb gehe ich lieber zu Bands wie Amiina. Auch wenn sie mich sedieren; auch wenn die Cellistin Sólrún Sumarliðadóttir heißt und ich nie, nie, niemals Isländisch lernen möchte.
Nach dem Konzert radelte ich schwerbeinig nach Hause wie durch Akazienhonig. Und das lag keineswegs am Grünen Veltliner, den sie im Westwerk für soziale 2,50 Euro rausrücken.
Die Firma wachst
Immer wieder Flohmarktgeschichten, ich weiß auch nicht. Neulich besuchte ich das hessische Herborn, zufällig war dort Flohmarkt. (Wahrscheinlich, weil man gehört hatte, ich käme.)
Als ich an einem Stand ein Buch zur Hand nahm, brachte die Besitzerin das Killerargument des Jahres: „Nämme Se’s midd, dann isses fordd!“ Letztlich war mir diese Argumentation aber doch etwas zu flach, deshalb ließ ich das Buch da.
Eine vergleichbare Wirkung hatte eine aktuelle Mail, die mich mit folgenden Worten zum Wechsel meiner Arbeitsstelle bewegen wollte: „Zur Zeit wachst unsere Firma und wir haben eine beschrankte Zahl von vakanten Stellen.“
Wer in den tristen Niederungen der Wachsbranche tätig ist oder keine Umlaute kann, vermute ich mal, legt bestimmt auch eine gewisse Laxheit hinsichtlich pünktlicher Gehaltszahlungen an den Tag. „Nämme Se se widder midd, dann isse fordd!“, antwortete ich deshalb sinngemaß dem Absender, doch merkwurdigerweise kam meine Mail als unzustellbar zuruck.
Bei Blogeinträgen wie diesem stellt sich immer wieder auf geradezu peinigende Weise die Bebilderungsfrage, doch zunehmend neige ich dazu, dieses Problem anarchisch zu lösen.
Deshalb heute dieser siamesische Tomatenzwilling, den ich trotz seines Schicksals wenig später ohne große Gefühlsregung verzehrte, ich Brutalo.
Als ich an einem Stand ein Buch zur Hand nahm, brachte die Besitzerin das Killerargument des Jahres: „Nämme Se’s midd, dann isses fordd!“ Letztlich war mir diese Argumentation aber doch etwas zu flach, deshalb ließ ich das Buch da.
Eine vergleichbare Wirkung hatte eine aktuelle Mail, die mich mit folgenden Worten zum Wechsel meiner Arbeitsstelle bewegen wollte: „Zur Zeit wachst unsere Firma und wir haben eine beschrankte Zahl von vakanten Stellen.“
Wer in den tristen Niederungen der Wachsbranche tätig ist oder keine Umlaute kann, vermute ich mal, legt bestimmt auch eine gewisse Laxheit hinsichtlich pünktlicher Gehaltszahlungen an den Tag. „Nämme Se se widder midd, dann isse fordd!“, antwortete ich deshalb sinngemaß dem Absender, doch merkwurdigerweise kam meine Mail als unzustellbar zuruck.
Bei Blogeinträgen wie diesem stellt sich immer wieder auf geradezu peinigende Weise die Bebilderungsfrage, doch zunehmend neige ich dazu, dieses Problem anarchisch zu lösen.
Deshalb heute dieser siamesische Tomatenzwilling, den ich trotz seines Schicksals wenig später ohne große Gefühlsregung verzehrte, ich Brutalo.
14 Oktober 2007
Die Muslimin und die Stripteasescheibe
Gemeinhin respektiere ich die meisten hierzulande gültigen Gesetze, sofern sie mir nicht völlig sinnlos erscheinen.
Neulich, als ein rund 12-jähriger Steppke mit Migrationshintergrund an meinem Flohmarktstand diese nicht jugendfreie und auf dunklen Wegen in meinen Besitz gelangte Striptease-UMD kaufen wollte, fiel mir dieses staatsbürgerliche Prinzip wieder ein.
Ich beschloss also, das Jugendschutzgesetz zu respektieren.
„Nein, die verkaufe ich dir nicht“, beschied ich ihm, „die ist erst ab 18.“ Er schaute verdutzt. „Bitte“, sagte er. „Nein“, sagte ich. „Dann hole ich Oma!“, drohte er und dampfte ab.
Ich hatte den Jungen schon fast vergessen, da kam er wieder an. Mit Oma. „Wieviel kosten?“, verkürzte die als Muslimin erkennbare barocke Frau ihr Anliegen aufs Allerknappste. „Die Scheibe ist erst ab 18“, informierte ich sie und schaute vielsagend ihren Enkel an. „Egal“, antwortete sie, „wieviel kosten?“
Sie trug Kopftuch, ein zeltartiges Kleid und deutlich weniger als 32 Zähne im Mund. „Ich wollte fünf Euro, aber für Jugendliche ist die Scheibe nicht geeignet“, startete ich einen weiteren Versuch, auch sie zur Respektierung der hierzulande gültigen Gesetze zu animieren. Der Junge stand da, gespannt und regungslos. Er lächelte nicht, er beobachtete nur die Szenerie, vor allem Oma.
„Drei“, sagte sie. „Hören Sie“, erwiderte ich, „Ihnen verkaufe ich diese Scheibe natürlich, aber Sie sollten sie nicht ihrem Enkel geben.“ Sie kramte wortlos in ihrer Börse, die sie aus dem Innern ihres Zeltes gekramt hatte, und hielt mir einige Münzen hin. Sie summierten sich auf drei Euro.
„Vier“, sagte ich schwach. Sie schaute mich freudlos grinsend an und nickte auffordernd, während ihre Hand vor meinem Brustkorb auf und ab schwebte wie der Futterbeutel vor einem Packesel. „Na gut“, brummte ich und nahm die drei Euro.
„Aber geben Sie sie nicht ihrem Enkel …“, versuchte ich zu sagen, während Oma ihm die UMD überreichte und mit ihm davonwalkte, eine altgediente Muslimin mit zu wenig Zähnen.
Irgendwie war sie mir plötzlich sympathisch.
PS: Das Foto habe ich auf einem anderen Flohmarkt geschossen, doch es gibt Motive, die noch weniger zu diesem Beitrag passten.
Neulich, als ein rund 12-jähriger Steppke mit Migrationshintergrund an meinem Flohmarktstand diese nicht jugendfreie und auf dunklen Wegen in meinen Besitz gelangte Striptease-UMD kaufen wollte, fiel mir dieses staatsbürgerliche Prinzip wieder ein.
Ich beschloss also, das Jugendschutzgesetz zu respektieren.
„Nein, die verkaufe ich dir nicht“, beschied ich ihm, „die ist erst ab 18.“ Er schaute verdutzt. „Bitte“, sagte er. „Nein“, sagte ich. „Dann hole ich Oma!“, drohte er und dampfte ab.
Ich hatte den Jungen schon fast vergessen, da kam er wieder an. Mit Oma. „Wieviel kosten?“, verkürzte die als Muslimin erkennbare barocke Frau ihr Anliegen aufs Allerknappste. „Die Scheibe ist erst ab 18“, informierte ich sie und schaute vielsagend ihren Enkel an. „Egal“, antwortete sie, „wieviel kosten?“
Sie trug Kopftuch, ein zeltartiges Kleid und deutlich weniger als 32 Zähne im Mund. „Ich wollte fünf Euro, aber für Jugendliche ist die Scheibe nicht geeignet“, startete ich einen weiteren Versuch, auch sie zur Respektierung der hierzulande gültigen Gesetze zu animieren. Der Junge stand da, gespannt und regungslos. Er lächelte nicht, er beobachtete nur die Szenerie, vor allem Oma.
„Drei“, sagte sie. „Hören Sie“, erwiderte ich, „Ihnen verkaufe ich diese Scheibe natürlich, aber Sie sollten sie nicht ihrem Enkel geben.“ Sie kramte wortlos in ihrer Börse, die sie aus dem Innern ihres Zeltes gekramt hatte, und hielt mir einige Münzen hin. Sie summierten sich auf drei Euro.
„Vier“, sagte ich schwach. Sie schaute mich freudlos grinsend an und nickte auffordernd, während ihre Hand vor meinem Brustkorb auf und ab schwebte wie der Futterbeutel vor einem Packesel. „Na gut“, brummte ich und nahm die drei Euro.
„Aber geben Sie sie nicht ihrem Enkel …“, versuchte ich zu sagen, während Oma ihm die UMD überreichte und mit ihm davonwalkte, eine altgediente Muslimin mit zu wenig Zähnen.
Irgendwie war sie mir plötzlich sympathisch.
PS: Das Foto habe ich auf einem anderen Flohmarkt geschossen, doch es gibt Motive, die noch weniger zu diesem Beitrag passten.
13 Oktober 2007
BILDblog lobt BILD!
Was um Springers Willen ist denn plötzlich mit dem BILDblog los?
In diesem Beitrag loben Niggemeier & Co. einen BILD-Artikel als „Sternstunde des Boulevardjournalismus“, als „ein Stück Aufklärung“ – und meinen das nicht mal ironisch.
Sind wir vielleicht gerade durch ein Wurmloch in ein Paralleluniversum katapultiert worden?
In diesem Beitrag loben Niggemeier & Co. einen BILD-Artikel als „Sternstunde des Boulevardjournalismus“, als „ein Stück Aufklärung“ – und meinen das nicht mal ironisch.
Sind wir vielleicht gerade durch ein Wurmloch in ein Paralleluniversum katapultiert worden?
Wie ich fast mal Eva Padberg erlebt hätte
Das berühmte Profimodel Eva Padberg steht nicht nur häufig hübsch in der Gegend rum, es macht auch Musik, und die will ich mir heute Abend anhören.
In meinem Kalender steht als Anfangszeit 20 Uhr; das scheint mir jedoch unwahrscheinlich. Eine Googlerecherche bestätigt mein Misstrauen, ergibt aber auch Erschreckendes: Erst um Mitternacht soll es losgehen.
Vier Stunden später als zunächst geplant radle ich also los, quer durch den Kiez, die Stresemannstraße hoch, rechts rein in die Altonaer Straße bis zum Waagenbau – hier wird das Model musizieren, hier bereitet man sich allerdings gerade erst auf den Einlass vor.
Gleichwohl darf ich nach fünf Minuten Warten in der Oktoberkühle schon rein. Während die Verwalterin der Gästeliste sich auf die Suche nach meinem Namen begibt, nutze ich die Zeit und studiere den Ablaufplan, der an der Kasse klebt. Aus dem geht hervor, wann Frau Padberg die Bühne betreten wird.
Ich muss schlucken. Denn da steht: um 3 Uhr früh. Dafür, dass ich zunächst auf 20 Uhr am Vorabend eingestellt war, erfordert das von mir eine vergleichsweise hohe Adaptionsleistung.
Doch wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her: Die Verwalterin der Gästeliste findet mich nicht, auf keiner der drei Seiten ihres Dokumentes. Ich ertrage das deutlich gelassener als gewöhnlich. Sähe die Frau genau hin, fiele ihr vielleicht sogar die Andeutung eines erleichterten Lächelns auf, das sich mir in die Mundwinkel schleicht.
Trotzdem versuche ich pflichtgemäß böse zu schauen und hinterlasse die übliche empörte Protestnote, ehe ich zufrieden nach Hause radle, wo ich bereits um 20 Minuten nach Mitternacht wieder eintreffe.
Nachts arbeiten soll übrigens schlecht sein für die Haut, Frau Padberg, ganz schlecht.
In meinem Kalender steht als Anfangszeit 20 Uhr; das scheint mir jedoch unwahrscheinlich. Eine Googlerecherche bestätigt mein Misstrauen, ergibt aber auch Erschreckendes: Erst um Mitternacht soll es losgehen.
Vier Stunden später als zunächst geplant radle ich also los, quer durch den Kiez, die Stresemannstraße hoch, rechts rein in die Altonaer Straße bis zum Waagenbau – hier wird das Model musizieren, hier bereitet man sich allerdings gerade erst auf den Einlass vor.
Gleichwohl darf ich nach fünf Minuten Warten in der Oktoberkühle schon rein. Während die Verwalterin der Gästeliste sich auf die Suche nach meinem Namen begibt, nutze ich die Zeit und studiere den Ablaufplan, der an der Kasse klebt. Aus dem geht hervor, wann Frau Padberg die Bühne betreten wird.
Ich muss schlucken. Denn da steht: um 3 Uhr früh. Dafür, dass ich zunächst auf 20 Uhr am Vorabend eingestellt war, erfordert das von mir eine vergleichsweise hohe Adaptionsleistung.
Doch wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her: Die Verwalterin der Gästeliste findet mich nicht, auf keiner der drei Seiten ihres Dokumentes. Ich ertrage das deutlich gelassener als gewöhnlich. Sähe die Frau genau hin, fiele ihr vielleicht sogar die Andeutung eines erleichterten Lächelns auf, das sich mir in die Mundwinkel schleicht.
Trotzdem versuche ich pflichtgemäß böse zu schauen und hinterlasse die übliche empörte Protestnote, ehe ich zufrieden nach Hause radle, wo ich bereits um 20 Minuten nach Mitternacht wieder eintreffe.
Nachts arbeiten soll übrigens schlecht sein für die Haut, Frau Padberg, ganz schlecht.
12 Oktober 2007
Der unbehinderte Prophet
Link: sevenload.com
Der sogenannten political correctness begegne ich traditionell mit Skepsis bis Abscheu. Ich lasse mir nur sehr ungern vorschreiben, welche Worte ich verwenden darf und welche nicht; ja, meine Zensurphobie ist ziemlich unheilbar.
Heute geriet ich mit einem Kollegen darüber in Streit. Er meinte den Begriff „Spasti“ in einem üblichen Beleidigungsduell verwenden zu dürfen, während er gleichzeitig meine Verwendung des Wortes „Behinderte“ als politisch unkorrekt kritisierte.
Daraufhin hielt ich ihm die statistische Normalverteilung als generellen Ausgangspunkt für Definitionen jeder Art vor. Nur weil das so sei, führte ich aus, könne man Menschen überhaupt als „klein“, „groß“, „dick“ oder „dünn“ bezeichnen. Oder eben als „behindert“, wenn sie durch bedauerliche Umstände – ob Armbruch oder Contergan – nicht über die statistische Normalmobilität verfügen.
Für mich ist das Wort „behindert“ also ein reiner terminus technicus, der die Realität sachlich und emotionslos beschreibt – im Gegensatz zum Wort „Spasti“, welches körperliches Elend in ein Schimpfwort verwandelt.
Kurioserweise aber hielt der Kollege zwar „behindert“ für tabu, gebrauchte aber das Wort „gehandicappt“, obwohl das auf englisch genau das Gleiche bedeutet. Das zeigt, wie groß die Gefahr für pc-Terroristen ist, in ihre eigenen Fallen zu tappen.
Meines Erachtens hingegen sollte jeder so sprechen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Das Schlimmste, was dabei passieren kann: Er verrät, wie er geistig und politisch gestrickt ist, was er wirklich denkt. Und das ist viel besser, als wenn er tagtäglich pc-Kreide frisst und uns so hinters Licht führt.
Das alles hat natürlich überhaupt nichts mit dem völlig unbehinderten Chuck Prophet zu tun, der heute Abend im Knust ein schönes Konzert spielte. Das hier dokumentierte „New Year’s Day“ war die letzte Zugabe – zu meinem Bedauern, denn Prophets „No other Love“, einer der zehn schönsten Lovesongs aller Zeiten, hätte ich lieber präsentiert.
Es sollte in Künstlerkreisen pc werden, immer meine Lieblingslieder zu spielen, dann wäre die Welt einen ganzen Schritt weiter.
11 Oktober 2007
Nacht der lebenden Slomka
Entweder liegt es an der technisch noch nicht ganz ausgereiften ZDF-Mediathek oder an gewissen Schwächen meiner DSL-Verbindung.
Das Foto zeigt jedenfalls die eigentlich ganz aparte Marietta Slomka.
Wahrscheinlich kriegt sie demnächst ein Casting bei George A. Romero – und wird genommen.
Das Foto zeigt jedenfalls die eigentlich ganz aparte Marietta Slomka.
Wahrscheinlich kriegt sie demnächst ein Casting bei George A. Romero – und wird genommen.
10 Oktober 2007
Bald ist Deember und dann Jauar
Jeden Abend schauen Millionen von Menschen die Sendung heute im ZDF, und der Sender gibt sich viel Mühe, dieses immense Interesse mit Qualität abzugelten.
Der Moderator ist auf lockere Art seriös, die Optik modern, und wenn heute hin und her schaltet vom Berlinkorrespondenten zu dem in Afghanistan, dann klappt das in der Regel verblüffend flüssig, und der Bildschirm ist dann sinnig segmentiert.
Ja, das ZDF steckt richtig Geld in die heute-Sendung. Nur nicht in die Schlusskorrektur. Keine Ahnung, ob eine Fernsehredaktion so etwas überhaupt hat, vielleicht glaubt sie auch, das bekäme sie nebenbei schon selber hin, schließlich steht da doch irgendwo hinter der Yuccapalme das Regal mit dem Duden rum.
Und wenn irgendein Praktikantendödel mal Tippfehler in einen Einblender reinhaut, dann fällt das bestimmt noch jemand auf, und sei es dem Moderator persönlich. Ja, das wäre schön. Doch leider stimmt das nicht.
Heute Abend nämlich erfand heute ganz nebenbei einen neuen Monat: den „Okober“. Zunächst war mir die Datumsangabe oben im Bild gar nicht aufgefallen, ich wähnte mich geborgen im Oktober. Doch Ms. Columbo, von Beruf Lektorin und Schlusskorrektorin, wies mich darauf hin. Was fatal war. Denn von da an starrte ich eine quälende Viertelstunde lang wie hypnotisiert auf den Okober, und Millionen Zuschauer wahrscheinlich auch.
Ob die Bahn streikt, eine Geisel freigelassen oder entführt wurde, ob morgen der Hahn kräht auf dem Mist oder das Wetter bleibt, wie’s ist: Ich habe keinen leichenblassen Schimmer. Der doofe Okober musste nicht mal mein traditionell schwaches Kurzzeitgedächtnis löschen, er hat einfach von vorneherein dessen Befüllung verhindert – mit einem einzigen fehlenden t.
Mal schauen, welche Monate das ZDF demnächst erfinden wird. Noember, Deember, Jauar: Das wären doch alles mal nette Varianten. Selbst die übelsten News machten uns dann nichts mehr aus – weil sie einfach nicht mehr durchdrängen zu uns.
Online hat das ZDF die Datumsangabe übrigens einfach weggelassen. Auch eine Lösung.
PS: Manchmal macht es richtig Spaß, den Korinthenkacker zu spielen. Vor allem, wenn sonst nix passiert ist.
Der Moderator ist auf lockere Art seriös, die Optik modern, und wenn heute hin und her schaltet vom Berlinkorrespondenten zu dem in Afghanistan, dann klappt das in der Regel verblüffend flüssig, und der Bildschirm ist dann sinnig segmentiert.
Ja, das ZDF steckt richtig Geld in die heute-Sendung. Nur nicht in die Schlusskorrektur. Keine Ahnung, ob eine Fernsehredaktion so etwas überhaupt hat, vielleicht glaubt sie auch, das bekäme sie nebenbei schon selber hin, schließlich steht da doch irgendwo hinter der Yuccapalme das Regal mit dem Duden rum.
Und wenn irgendein Praktikantendödel mal Tippfehler in einen Einblender reinhaut, dann fällt das bestimmt noch jemand auf, und sei es dem Moderator persönlich. Ja, das wäre schön. Doch leider stimmt das nicht.
Heute Abend nämlich erfand heute ganz nebenbei einen neuen Monat: den „Okober“. Zunächst war mir die Datumsangabe oben im Bild gar nicht aufgefallen, ich wähnte mich geborgen im Oktober. Doch Ms. Columbo, von Beruf Lektorin und Schlusskorrektorin, wies mich darauf hin. Was fatal war. Denn von da an starrte ich eine quälende Viertelstunde lang wie hypnotisiert auf den Okober, und Millionen Zuschauer wahrscheinlich auch.
Ob die Bahn streikt, eine Geisel freigelassen oder entführt wurde, ob morgen der Hahn kräht auf dem Mist oder das Wetter bleibt, wie’s ist: Ich habe keinen leichenblassen Schimmer. Der doofe Okober musste nicht mal mein traditionell schwaches Kurzzeitgedächtnis löschen, er hat einfach von vorneherein dessen Befüllung verhindert – mit einem einzigen fehlenden t.
Mal schauen, welche Monate das ZDF demnächst erfinden wird. Noember, Deember, Jauar: Das wären doch alles mal nette Varianten. Selbst die übelsten News machten uns dann nichts mehr aus – weil sie einfach nicht mehr durchdrängen zu uns.
Online hat das ZDF die Datumsangabe übrigens einfach weggelassen. Auch eine Lösung.
PS: Manchmal macht es richtig Spaß, den Korinthenkacker zu spielen. Vor allem, wenn sonst nix passiert ist.
09 Oktober 2007
Ein Abend mit Busch-Frauen
Nach einem dänischen Stummfilm, den ich mit A. im 3001-Kino besuche, wird überraschend noch ein Bonusstreifen gezeigt. Er heißt „Die schwarze Messe“, dauert acht Minuten – und ist ein mit Beethovens 9. Sinfonie unterlegter deutscher Hardcoreporno von 1928.
Schon damals ging es heftig und geübt zur Sache, o ja, aber das überrascht nur Leute (wie mich), die sich nicht von Zeit zu Zeit mal wieder klar machen: Sobald man kurbeln konnte, flogen auch die Klamotten in die Ecke. Pornos waren immer vorne, ob im Kino oder im Web.
„Was man sich ebenfalls viel zu selten klar macht“, sage ich danach versonnen in einer Bar namens „Bar“ zu A., „ist die Tatsache, dass nackte Menschen zu allen Zeiten weitgehend gleich aussehen. Sobald die Kleider weg sind, gibt es außer der Frisur keine Anhaltspunkte mehr – ohne Mode keine Chance.“
A. widerspricht bzw. präzisiert. „Man erkennt schon, in welcher Zeit ein Film spielt“, sagt er, „und zwar am Busch. So viele Haare wie 1928 trägt heute keine mehr.“ Als Pornodarsteller verfügt A. natürlich über eine viel breitere empirische Basis als ich, deshalb kann und darf ich die Grundsätzlichkeit seiner Aussage nicht anzweifeln.
Lieber mäandere ich hinüber zu einem weiteren Gedanken, der mich in der Bar befällt. Nur fünf Jahre, nachdem der anonyme Regisseur die Orgie abfilmte, übernahm Hitler Deutschland und damit wahrscheinlich auch die meisten der zahlreichen Akteure aus „Die schwarze Messe“. Deren unmaskiertes Treiben haben die Nazis möglicherweise heimlich goutiert, doch öffentlich bestimmt bösartigst missbilligt.
Was mag aus diesen ganzen Busch-Frauen geworden sein – Opfer oder Täterinnen, Mauerblümchen oder Mutterkreuzträgerinnen? Vielleicht lebt noch eine von ihnen, sie wäre heute um die 100.
Wenn ja: bitte melden. Ich hätte da einige Fragen.
Schon damals ging es heftig und geübt zur Sache, o ja, aber das überrascht nur Leute (wie mich), die sich nicht von Zeit zu Zeit mal wieder klar machen: Sobald man kurbeln konnte, flogen auch die Klamotten in die Ecke. Pornos waren immer vorne, ob im Kino oder im Web.
„Was man sich ebenfalls viel zu selten klar macht“, sage ich danach versonnen in einer Bar namens „Bar“ zu A., „ist die Tatsache, dass nackte Menschen zu allen Zeiten weitgehend gleich aussehen. Sobald die Kleider weg sind, gibt es außer der Frisur keine Anhaltspunkte mehr – ohne Mode keine Chance.“
A. widerspricht bzw. präzisiert. „Man erkennt schon, in welcher Zeit ein Film spielt“, sagt er, „und zwar am Busch. So viele Haare wie 1928 trägt heute keine mehr.“ Als Pornodarsteller verfügt A. natürlich über eine viel breitere empirische Basis als ich, deshalb kann und darf ich die Grundsätzlichkeit seiner Aussage nicht anzweifeln.
Lieber mäandere ich hinüber zu einem weiteren Gedanken, der mich in der Bar befällt. Nur fünf Jahre, nachdem der anonyme Regisseur die Orgie abfilmte, übernahm Hitler Deutschland und damit wahrscheinlich auch die meisten der zahlreichen Akteure aus „Die schwarze Messe“. Deren unmaskiertes Treiben haben die Nazis möglicherweise heimlich goutiert, doch öffentlich bestimmt bösartigst missbilligt.
Was mag aus diesen ganzen Busch-Frauen geworden sein – Opfer oder Täterinnen, Mauerblümchen oder Mutterkreuzträgerinnen? Vielleicht lebt noch eine von ihnen, sie wäre heute um die 100.
Wenn ja: bitte melden. Ich hätte da einige Fragen.
Diskutable Sünden
Unlängst stolperte ich im Internet über die Definition von neun interessanten Sünden, deren Herkunft mich erstaunte.
Ich beschloss, Ms. Columbo rätseln zu lassen, zu welcher Religion sie wohl gehören könnten. Hier sind sie:
1. Dummheit
2. Anmaßung
3. Solipsismus
4. Selbsttäuschung
5. Zugehörigkeit zur Herde
6. Mangel an Perspektiven
7. Vergesslichkeit gegenüber früheren Grundsätzen
8. Kontraproduktiver Stolz
9. Mangel an Ästhetik
Darunter sind doch durchaus unterschreibungswürdige Sündendefinitionen. Ms. Columbo sinnierte. „Buddhismus?“
Nope. Doch wie hätte man auch darauf kommen können – auf die Church of Satan?
Vielleicht sollten wir uns mal eine Werbebroschüre schicken lassen.
Ich beschloss, Ms. Columbo rätseln zu lassen, zu welcher Religion sie wohl gehören könnten. Hier sind sie:
1. Dummheit
2. Anmaßung
3. Solipsismus
4. Selbsttäuschung
5. Zugehörigkeit zur Herde
6. Mangel an Perspektiven
7. Vergesslichkeit gegenüber früheren Grundsätzen
8. Kontraproduktiver Stolz
9. Mangel an Ästhetik
Darunter sind doch durchaus unterschreibungswürdige Sündendefinitionen. Ms. Columbo sinnierte. „Buddhismus?“
Nope. Doch wie hätte man auch darauf kommen können – auf die Church of Satan?
Vielleicht sollten wir uns mal eine Werbebroschüre schicken lassen.
08 Oktober 2007
Wenn die kühnsten Fantasien Wirklichkeit werden
Manche Dinge sind schlicht unvorstellbar. Sie müssen schon wirklich passieren, damit man sie glauben kann. Heute geschah so etwas.
Ich war mit dem Zug unterwegs von Gießen nach Kassel, wo ich neun Minuten nach der geplanten Ankunft den ICE nach Hamburg zu erwischen gedachte. Ein überaus spannendes Unterfangen mit völlig offenem Ausgang, sofern man prophylaktisch von der üblichen Verspätung ausgeht (was man unbedingt tun muss).
Nur die Tatsache, auf dem gleichen Bahnsteig einzulaufen, von dem auch der ICE abfahren sollte, puschte wider alle Empirie meinen naiven Optimismus. Dann aber geschah das oben dramaturgisch geschickt angedeutete Unvorstellbare: Unser Zug erreichte Kassel sechs Minuten vor der Zeit, und im gleichen Moment fuhr auf dem Nachbargleis ein ICE nach Hamburg ein – doch nicht etwa „meiner“, sondern der davor!
Völlig verdattert stieg ich ein, verbrachte euphorisiert und kopfschüttelnd selige Stunden im Speisewagen (selbst die Fehlbestellung eines Mixgetränks aus Bier und Orangensaft konnte meine Stimmung nicht recht trüben) und erreichte Hamburg eine knappe halbe Stunde früher als geplant.
Ich wiederhole, für die Annalen: früher als geplant.
Jaha, aus so was müssten sie mal ein Drehbuch stricken, die Herren Science-Fiction-Autoren! Und nicht immer fantasielos plausible Storys erzählen von Zeitreisen ins Pleistozän oder Alieninvasionen von Alpha Centauri.
Ich war mit dem Zug unterwegs von Gießen nach Kassel, wo ich neun Minuten nach der geplanten Ankunft den ICE nach Hamburg zu erwischen gedachte. Ein überaus spannendes Unterfangen mit völlig offenem Ausgang, sofern man prophylaktisch von der üblichen Verspätung ausgeht (was man unbedingt tun muss).
Nur die Tatsache, auf dem gleichen Bahnsteig einzulaufen, von dem auch der ICE abfahren sollte, puschte wider alle Empirie meinen naiven Optimismus. Dann aber geschah das oben dramaturgisch geschickt angedeutete Unvorstellbare: Unser Zug erreichte Kassel sechs Minuten vor der Zeit, und im gleichen Moment fuhr auf dem Nachbargleis ein ICE nach Hamburg ein – doch nicht etwa „meiner“, sondern der davor!
Völlig verdattert stieg ich ein, verbrachte euphorisiert und kopfschüttelnd selige Stunden im Speisewagen (selbst die Fehlbestellung eines Mixgetränks aus Bier und Orangensaft konnte meine Stimmung nicht recht trüben) und erreichte Hamburg eine knappe halbe Stunde früher als geplant.
Ich wiederhole, für die Annalen: früher als geplant.
Jaha, aus so was müssten sie mal ein Drehbuch stricken, die Herren Science-Fiction-Autoren! Und nicht immer fantasielos plausible Storys erzählen von Zeitreisen ins Pleistozän oder Alieninvasionen von Alpha Centauri.
06 Oktober 2007
Fäden, lose verknüpft
„Oooh, diese ekligen Mistviecher!“, schimpft Ms. Columbo über einen weiteren kiezaffinen Moskito, der ihr ums entzückende Näschen tanzt. „Nun, aus ihrer Sicht“, wende ich spitzfindig ein, während ich wild und vergeblich nach dem Monster schlage, „sind wir eklige Mistviecher.“
Zu diesem Tiefsinn passt der Dialogfetzen zweier Frauen überhaupt nicht, den ich neulich im Bus aufschnappte. „Du bist Mutter“, schimpfte die eine, „du MUSST hinten Augen haben!“ Schon, dachte ich. Doch andererseits zwingt einen ja niemand auf der Welt, Mutter zu werden und somit seltsame Mutationen auszubilden.
Als heimlicher Lauscher stand es mir natürlich nicht zu, dies zur Diskussion beizusteuern. Zumal nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die Mutter im Bus das Graffito, welches mir vorgestern in der Fabrik vor die Kamera geriet, einst allzu unbedacht und somit folgenreich wörtlich genommen hatte.
Ja, das sind bisweilen so die Dinge, die mich beschäftigen.
Zu diesem Tiefsinn passt der Dialogfetzen zweier Frauen überhaupt nicht, den ich neulich im Bus aufschnappte. „Du bist Mutter“, schimpfte die eine, „du MUSST hinten Augen haben!“ Schon, dachte ich. Doch andererseits zwingt einen ja niemand auf der Welt, Mutter zu werden und somit seltsame Mutationen auszubilden.
Als heimlicher Lauscher stand es mir natürlich nicht zu, dies zur Diskussion beizusteuern. Zumal nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die Mutter im Bus das Graffito, welches mir vorgestern in der Fabrik vor die Kamera geriet, einst allzu unbedacht und somit folgenreich wörtlich genommen hatte.
Ja, das sind bisweilen so die Dinge, die mich beschäftigen.
04 Oktober 2007
Das pralle, längliche Ding in meiner Hand
Manchmal habe ich keine Lust, auf dem Nachhauseweg um den Block zu tapern, der die Reeperbahn von der Seilerstraße trennt. Dann nutze ich eine Abkürzung, nämlich quer durch einen der Glitzerläden. Die meisten haben einen Hinterausgang, und dann stehe ich praktisch vor unserer Haustür.
Gestern entschied ich mich für die Passage durch einen Sexshop. Beim Durchqueren verharrte ich wohl einen Moment zu lange vorm erstaunlich breitgefächerten Sortiment an Vibratoren. Jedenfalls eilte ein Verkäufer herbei und erbot sich zu helfen.
„Ich möchte Ihnen etwas empfehlen“, sagte er und ging vor. Ich folgte ihm. „Schauen Sie mal hier.“ Er blieb vor der vielschwänzigen Kollektion eines deutschen Herstellers stehen. „Man sollte ja nicht allzu patriotisch sein“, bemerkte er entschuldigend, „aber das hier ist wirklich Spitzenqualität.“
Alles reines Silikon, erläuterte er, beste Verarbeitung. Ob Batterie- oder Akkubetrieb – alles ginge. „Manchmal kommen die Kunden nach kurzer Zeit mit den Chinadingern an und sagen: Die gehen nicht mehr – tja …“ Er zuckte lächelnd mit den Achseln, doch nicht anzüglich, sondern auf jene Art und Weise, die sich aus überlegenem Fachwissen speist.
„Warten Sie mal kurz“, bat er und eilte davon. Ich wartete. Er kam wieder mit einem der patriotischen Wackeldinger, ausgepackt und betriebsbereit. „Hier“, sagte er und streckte es mir entgegen, „fassen Sie mal an.“
Ich packte die Spitze, er hielt das andere Ende. Dann drückte er einen Knopf, der mit einem Pluszeichen gekennzeichnet war. Darunter befand sich einer mit einem Minus. Der Silikonphallus begann tieffrequent in meiner Hand zu vibrieren. Er drückte noch mal, jetzt vibrierte er stärker.
„Erstaunlich leise“, lobte ich. „Tja-ha“, freute sich der Verkäufer. „Aber jetzt … passen Sie auf …“ Er drückte erneut auf den Plusknopf. „Wow“, rief ich aus, „Intervallschaltung!“ Der Mann lächelte glücklich. Dann schaltete er noch mal hoch. Wahnsinn.
Plötzlich wurde mir klar, was hier gerade passierte. Ich stand mitten in einem Erotikshop, hielt einen lustvoll brummenden künstlichen Schwanz in der Hand, und vor mir stand ein Mann, der daran herumdrückte. Von draußen musste das … nun ja: merkwürdig aussehen.
Trotzdem ließ ich nicht los; ich wollte ihn nicht enttäuschen. Und dann sagte er jenen Satz, den jeder Verkäufer im Schlaf herbeten können muss, und zwar branchenübergreifend: „Das gleiche Modell“, sagte er ernst und blickte mich an dabei, „benutze ich auch zu Hause.“
Zum ersten Mal schaute ich ihn mir näher an. Ein Mittdreißiger, leicht massig, doch nicht adipös. Rundes Gesicht, volles Braunhaar, unauffällig seitengescheitelt. Ein Durchschnittstyp in Strickpulli und Jeans. Der zu Hause patriotische Vibratoren benutzt.
Auf dem Heimweg versuchte ich mir vergeblich seine Freundin vorzustellen.
Gestern entschied ich mich für die Passage durch einen Sexshop. Beim Durchqueren verharrte ich wohl einen Moment zu lange vorm erstaunlich breitgefächerten Sortiment an Vibratoren. Jedenfalls eilte ein Verkäufer herbei und erbot sich zu helfen.
„Ich möchte Ihnen etwas empfehlen“, sagte er und ging vor. Ich folgte ihm. „Schauen Sie mal hier.“ Er blieb vor der vielschwänzigen Kollektion eines deutschen Herstellers stehen. „Man sollte ja nicht allzu patriotisch sein“, bemerkte er entschuldigend, „aber das hier ist wirklich Spitzenqualität.“
Alles reines Silikon, erläuterte er, beste Verarbeitung. Ob Batterie- oder Akkubetrieb – alles ginge. „Manchmal kommen die Kunden nach kurzer Zeit mit den Chinadingern an und sagen: Die gehen nicht mehr – tja …“ Er zuckte lächelnd mit den Achseln, doch nicht anzüglich, sondern auf jene Art und Weise, die sich aus überlegenem Fachwissen speist.
„Warten Sie mal kurz“, bat er und eilte davon. Ich wartete. Er kam wieder mit einem der patriotischen Wackeldinger, ausgepackt und betriebsbereit. „Hier“, sagte er und streckte es mir entgegen, „fassen Sie mal an.“
Ich packte die Spitze, er hielt das andere Ende. Dann drückte er einen Knopf, der mit einem Pluszeichen gekennzeichnet war. Darunter befand sich einer mit einem Minus. Der Silikonphallus begann tieffrequent in meiner Hand zu vibrieren. Er drückte noch mal, jetzt vibrierte er stärker.
„Erstaunlich leise“, lobte ich. „Tja-ha“, freute sich der Verkäufer. „Aber jetzt … passen Sie auf …“ Er drückte erneut auf den Plusknopf. „Wow“, rief ich aus, „Intervallschaltung!“ Der Mann lächelte glücklich. Dann schaltete er noch mal hoch. Wahnsinn.
Plötzlich wurde mir klar, was hier gerade passierte. Ich stand mitten in einem Erotikshop, hielt einen lustvoll brummenden künstlichen Schwanz in der Hand, und vor mir stand ein Mann, der daran herumdrückte. Von draußen musste das … nun ja: merkwürdig aussehen.
Trotzdem ließ ich nicht los; ich wollte ihn nicht enttäuschen. Und dann sagte er jenen Satz, den jeder Verkäufer im Schlaf herbeten können muss, und zwar branchenübergreifend: „Das gleiche Modell“, sagte er ernst und blickte mich an dabei, „benutze ich auch zu Hause.“
Zum ersten Mal schaute ich ihn mir näher an. Ein Mittdreißiger, leicht massig, doch nicht adipös. Rundes Gesicht, volles Braunhaar, unauffällig seitengescheitelt. Ein Durchschnittstyp in Strickpulli und Jeans. Der zu Hause patriotische Vibratoren benutzt.
Auf dem Heimweg versuchte ich mir vergeblich seine Freundin vorzustellen.
03 Oktober 2007
Mittwochs frei: Wer ist dabei?
Die Elbe vor Teufelsbrück glitzerte an diesem gloriosen Mittwoch wie flüssiges Silber, als wir auf der Fähre nach Finkenwerder übersetzten.
Man sollte, finde ich seit heute, generell Mittwoche zu Feiertagen erklären. Zwei Tage arbeiten, einen Tag frei, wieder zwei Tage arbeiten und dann zwei Tage frei: Irgendwie kommt mir das vor wie ein verdammt guter Plan. Kann sich vielleicht eine Partei dafür erwärmen? Die erwöge ich zu wählen.
In Finkenwerder stießen wir auf einen Bootshafen, wo abgetakelte Yachten und kleine Fischkutter herumlagen und vom Meer träumten. An einer Rampe, die ins Hafenbecken führte, standen die abgebildeten Warnschilder, und ich schiebe es einfach mal auf den Einfluss meines liederlichen Stadtteils St. Pauli, beim Wort „Slipbetrieb“ an etwas ganz anderes gedacht zu haben als wahrscheinlich die Finkenwerder Behörde.
Später fanden wir einen unbemannten Obststand mit Tüten voller Äpfel und Birnen und einer Blechbüchse, in die man einsfünfzig pro entnommener Packung einwerfen sollte. Wieder fiel mir St. Pauli ein, während wir den Obolus entrichteten. Dort wäre dieser menschenlosen Form des Verkaufens wohl wenig Erfolg beschieden. Am Ende wäre das Obst vielleicht noch da, doch gewiss keine Büchse mehr.
Trotzdem fuhren wir wieder zurück, mit der Fähre von Finkenwerder bis zu den Landungsbrücken, durch flüssiges Silber. Vielleicht sollten wir sie einfach selber gründen, die Mittwochsfreipartei.
MFP klingt jedenfalls ziemlich unverbraucht.
Man sollte, finde ich seit heute, generell Mittwoche zu Feiertagen erklären. Zwei Tage arbeiten, einen Tag frei, wieder zwei Tage arbeiten und dann zwei Tage frei: Irgendwie kommt mir das vor wie ein verdammt guter Plan. Kann sich vielleicht eine Partei dafür erwärmen? Die erwöge ich zu wählen.
In Finkenwerder stießen wir auf einen Bootshafen, wo abgetakelte Yachten und kleine Fischkutter herumlagen und vom Meer träumten. An einer Rampe, die ins Hafenbecken führte, standen die abgebildeten Warnschilder, und ich schiebe es einfach mal auf den Einfluss meines liederlichen Stadtteils St. Pauli, beim Wort „Slipbetrieb“ an etwas ganz anderes gedacht zu haben als wahrscheinlich die Finkenwerder Behörde.
Später fanden wir einen unbemannten Obststand mit Tüten voller Äpfel und Birnen und einer Blechbüchse, in die man einsfünfzig pro entnommener Packung einwerfen sollte. Wieder fiel mir St. Pauli ein, während wir den Obolus entrichteten. Dort wäre dieser menschenlosen Form des Verkaufens wohl wenig Erfolg beschieden. Am Ende wäre das Obst vielleicht noch da, doch gewiss keine Büchse mehr.
Trotzdem fuhren wir wieder zurück, mit der Fähre von Finkenwerder bis zu den Landungsbrücken, durch flüssiges Silber. Vielleicht sollten wir sie einfach selber gründen, die Mittwochsfreipartei.
MFP klingt jedenfalls ziemlich unverbraucht.
02 Oktober 2007
Neue lächerliche Fotografierversuche
Es ist stockdunkel im Schmidt’s Tivoli, die Vorstellung beginnt. Als es noch ein bisschen heller war, sah man an der Rückseite der Bühne schwarze Vorhänge. Jetzt flammt ein einzelner Spot auf, und er tritt herein: Nikolai Kinski, Sohn des großen Klaus.
Er trägt Schwarz, vom Haar übers Hemd bis zu den Hosen und Schuhen. Trotz des Spots hat sich also an der gefühlten Finsternis kaum etwas geändert. Nikolai rezitiert Verse seines Vaters, und ich will den üblichen kleinen Erinnerungsfilm anfertigen. Doch sofort eilt aus dem Off eine Theaterangestellte herbei und sagt: „Das ist nicht erlaubt!“
Ja, ja, na gut, mache ich. Kaum ist sie weg, plane ich den nächstkleineren Coup. Ein Foto, das ist von nun an mein Ziel. Heimlich und im, wie gesagt, Stockdunkeln hantiere ich am Gerät herum, versuche es schussfertig zu machen.
Wesentlich dafür ist natürlich das Ausschalten des Blitzlichts. Schließlich ist es duster und das Fotografieren verboten; es wäre sehr unklug, diese Vorsichtsmaßnahme nicht zu ergreifen. Also stelle ich den Blitz aus.
Zumindest versuche ich es. Denn dabei gerate ich Volltrottel versehentlich auf den Auslöser – und ein Blitz von einer Stärke, die ich meiner kleinen, tapferen Digicam niemals zugetraut hätte, erhellt für Sekundenbruchteile das Tivoli.
Ich habe mein Knie fotografiert. Es ist oben zu sehen.
Natürlich schießt auch sofort wieder die Angestellte herbei, droht mir flüsternd mit Konfiskation der Kamera und setzt sich neben mich auf den Boden. Sie traut mir nicht mehr, und das zu recht. Dabei bin ich inzwischen nervlich ebenso zerrüttet wie von jedem illegalen Gedanken geheilt, aber so was von.
Später versuche ich Kinski beim Signieren zu fotografieren, doch das Foto wird unscharf und patinös, als stammte es aus den 30ern. Ich hätte blitzen sollen.
Er trägt Schwarz, vom Haar übers Hemd bis zu den Hosen und Schuhen. Trotz des Spots hat sich also an der gefühlten Finsternis kaum etwas geändert. Nikolai rezitiert Verse seines Vaters, und ich will den üblichen kleinen Erinnerungsfilm anfertigen. Doch sofort eilt aus dem Off eine Theaterangestellte herbei und sagt: „Das ist nicht erlaubt!“
Ja, ja, na gut, mache ich. Kaum ist sie weg, plane ich den nächstkleineren Coup. Ein Foto, das ist von nun an mein Ziel. Heimlich und im, wie gesagt, Stockdunkeln hantiere ich am Gerät herum, versuche es schussfertig zu machen.
Wesentlich dafür ist natürlich das Ausschalten des Blitzlichts. Schließlich ist es duster und das Fotografieren verboten; es wäre sehr unklug, diese Vorsichtsmaßnahme nicht zu ergreifen. Also stelle ich den Blitz aus.
Zumindest versuche ich es. Denn dabei gerate ich Volltrottel versehentlich auf den Auslöser – und ein Blitz von einer Stärke, die ich meiner kleinen, tapferen Digicam niemals zugetraut hätte, erhellt für Sekundenbruchteile das Tivoli.
Ich habe mein Knie fotografiert. Es ist oben zu sehen.
Natürlich schießt auch sofort wieder die Angestellte herbei, droht mir flüsternd mit Konfiskation der Kamera und setzt sich neben mich auf den Boden. Sie traut mir nicht mehr, und das zu recht. Dabei bin ich inzwischen nervlich ebenso zerrüttet wie von jedem illegalen Gedanken geheilt, aber so was von.
Später versuche ich Kinski beim Signieren zu fotografieren, doch das Foto wird unscharf und patinös, als stammte es aus den 30ern. Ich hätte blitzen sollen.
01 Oktober 2007
Die verpasste Sause
Ohne Reklame ist ein Produkt schon a priori mausetot – und sei es ein Friedhof.
Der Ohlsdorfer feiert heuer seinen 130. – ähem – Geburtstag, und dazu schmiss er eine Riesenparty, für die er hamburgweit trommelte, auch in der U-Bahn. Unterirdisch passt ja auch besonders gut.
Dort, in der U-Bahn, wurde auch ich mit dem entsprechenden Werbeplakat konfrontiert. Es pries geradezu atemlos diverse Attraktionen an, darunter die Punkte „lebendige Steinmetzwerkstatt“, „Snacks und Getränke“ sowie „Grabpflege“. Besonders mutig fand ich den Punkt „Mitmachzirkus“.
Leider kam mir das alles viel zu spät zu Ohren, der Rummel zwischen Grabmalen und Aufbahrungshalle fand nämlich schon am 16. September statt. Sonst hätte ich Ms. Columbo mal zu einer richtigen Sause im Freien ausgeführt.
Aber so ist die ganze Sache natürlich längst gestorben.
Der Ohlsdorfer feiert heuer seinen 130. – ähem – Geburtstag, und dazu schmiss er eine Riesenparty, für die er hamburgweit trommelte, auch in der U-Bahn. Unterirdisch passt ja auch besonders gut.
Dort, in der U-Bahn, wurde auch ich mit dem entsprechenden Werbeplakat konfrontiert. Es pries geradezu atemlos diverse Attraktionen an, darunter die Punkte „lebendige Steinmetzwerkstatt“, „Snacks und Getränke“ sowie „Grabpflege“. Besonders mutig fand ich den Punkt „Mitmachzirkus“.
Leider kam mir das alles viel zu spät zu Ohren, der Rummel zwischen Grabmalen und Aufbahrungshalle fand nämlich schon am 16. September statt. Sonst hätte ich Ms. Columbo mal zu einer richtigen Sause im Freien ausgeführt.
Aber so ist die ganze Sache natürlich längst gestorben.
30 September 2007
Oliver Stone und ich haben was gemeinsam
Link: sevenload.com
Reeperbahnfestival, dritter und letzter Tag, nicht mehr lang bis Mitternacht. Ich bin extra eine halbe Stunde zu früh im D-Club, um noch die Chance zu haben, mich in die ersten Reihen vorzukämpfen.
Denn Juliette Lewis wird spielen, die Frau aus Oliver Stones „Natural born Killers“, und so eine schaut man sich nun mal nicht aus der Ferne an.
Der D-Club ist so voll, dass die Masse schier rausquillt auf den Spielbudenplatz. Dort steht eine unwirsche Schlange, die von grimmigen Türstehern gebändigt wird. Ich werde nur deshalb noch reingelassen, weil ich einen Wunderpass um den Hals trage und ein Wunderbändchen am Handgelenk.
Mit Letzterem musste ich die letzten Tage sogar duschen. Was man nicht alles tut für die Kunst und privilegierten Einlass. Jedenfalls klappt es, ich bin drin, und dann schubse, schiebe und kneife ich mich vor bis in Bühnennähe.
Dort ist neben Luftholen (sofern man die gasförmige Substanz, die sich hier zäh wie flüssiges Gummi durch die Bronchien zwängt, noch als Luft bezeichnen kann) keine andere Bewegung mehr möglich. Ein Zustand, der sich gegenüber dem, der folgt, als komfortabel erweisen soll.
Als die rockende Mimin auftaucht, bekomme ich eine Bierdusche ab, noch vor dem ersten Song. Das hätte mich warnen sollen, doch ich bin arglos, trotz der Erfahrungen vieler hundert Konzerte.
Dann legt die Band los, und sofort klärt sich die Lage auf fatalste Weise: Ich befinde mich zu meinem Entsetzen mitten unter hunderten von Hardcore-Fans. Und diese Leute sind brutalst entschlossen, jener Frau, die statt einer Serienkillerin heute Abend die klassische Rock’n’Roll-Bitch spielt, ihre Verehrung deutlich zu zeigen, vor allem physisch.
Für mich heißt das Übles. Um mich herum beginnt es zu brodeln und zu toben, hundert Kilo schwere Lewis-Fans beginnen unter demokratischer Berücksichtigung aller horizontalen und vertikalen Möglichkeiten zu hüpfen und verfehlen dabei nicht immer meine Füße.
Statt einer einzelnen Bierdusche setzt zudem ein Bierregen ein. Und von allen Seiten rammen mir enthemmte Wahnsinnige Ellenbogen in alle verfügbaren Weichteile.
Ich halte mit den Fäusten dagegen, setze beide Schultern ein, schlage zurück. Erzieherische Wirkung entfaltet das aber alles nicht. Irgendwann wird mir alles egal, und ich hole unter abenteuerlichen Umständen die Kamera raus, um mich endlich mal auf Augenhöhe mit Oliver Stone zu fühlen.
Wer die technische Qualität des Clips moniert, sollte bedenken: Jeder Wackler dokumentiert unsichtbar einen hingenommenen Schlag in die Rippen, jedes Verrutschen des Bildes einen gefühlten Zehenbruch. Was man nicht alles tut für die Kunst und Videodokumente für die Ewigkeit.
Danach kämpfe ich mich raus, biergetränkt, rauchverpestet, durchgewalkt. Und irgendwo tief drin keimt auf einmal beängstigend viel Verständnis für natural born killers, ich weiß auch nicht warum.
29 September 2007
Arme Rauke
Vor einigen Jahren startete die Etepetetekamarilla eine überraschend erfolgreiche Kampagne. Ihre Mitglieder sind bis heute nicht namentlich bekannt, man weiß nur soviel: Diverse bis dahin klaglos funktionierende deutsche Wörter ersetzten diese Leute mit gespreiztem kleinem Finger durch Begriffe aus dem romanischen Sprachraum, die in ihrem Ohren offenbar cooler klangen, obwohl sie das Gleiche bedeuteten.
Dieses pseudoelitäre Getue, wahrscheinlich motiviert durch einen Minderwertigkeitskomplex und geplant als Vergrämung des Plebs, ging allerdings nach hinten los.
Denn plötzlich plapperte das ganze Volk diese überflüssigen Ersatzwörter nach – gerne auch, ohne überhaupt zu wissen, was es da so vor sich hin bramarbasierte. Altbekannte Musterbeispiele für Etepetetesprech sind Modebegriffe wie „Pinot noir“ für Spätburgunder – oder „Rucola“ für die stinknormale Rauke.
Ich weiß, ich weiß: All das habe ich schon mehrfach ordnungsgemäß verhöhnt, doch dank Edeka muss es jetzt schon wieder sein. Denn der ansonsten recht sympathische Laden in der Paul-Roosen-Straße auf St. Pauli schafft es nicht nur, der unschuldigen Rauke das scheinbar nach italienischer Lebensart duftende Rucolaröckchen umzuhängen. Ihm gelingt es dabei auch noch, sein unverschleierbares Fremdeln gegenüber diesem Wort mithilfe mehrerer Rechtschreibfehler peinigend klar herauszuarbeiten.
Denn dort heißt die arme Rauke neuerdings sage und schreibe „Ruccula“ … (das Deppenleerzeichen ignoriere ich mal geflissentlich.) Wenn Ädekka oder so ähnlich beim Unterscheiden von Öko-, Bio- und Pestizidprodukten genauso kompetent vorgeht wie beim verdummenden Beschönigen von Begriffen, dann aber gute Nacht.
Ich jedenfalls traue dank „Ruccula“ jetzt auch den Tomaten dort nicht mehr so richtig.
Dieses pseudoelitäre Getue, wahrscheinlich motiviert durch einen Minderwertigkeitskomplex und geplant als Vergrämung des Plebs, ging allerdings nach hinten los.
Denn plötzlich plapperte das ganze Volk diese überflüssigen Ersatzwörter nach – gerne auch, ohne überhaupt zu wissen, was es da so vor sich hin bramarbasierte. Altbekannte Musterbeispiele für Etepetetesprech sind Modebegriffe wie „Pinot noir“ für Spätburgunder – oder „Rucola“ für die stinknormale Rauke.
Ich weiß, ich weiß: All das habe ich schon mehrfach ordnungsgemäß verhöhnt, doch dank Edeka muss es jetzt schon wieder sein. Denn der ansonsten recht sympathische Laden in der Paul-Roosen-Straße auf St. Pauli schafft es nicht nur, der unschuldigen Rauke das scheinbar nach italienischer Lebensart duftende Rucolaröckchen umzuhängen. Ihm gelingt es dabei auch noch, sein unverschleierbares Fremdeln gegenüber diesem Wort mithilfe mehrerer Rechtschreibfehler peinigend klar herauszuarbeiten.
Denn dort heißt die arme Rauke neuerdings sage und schreibe „Ruccula“ … (das Deppenleerzeichen ignoriere ich mal geflissentlich.) Wenn Ädekka oder so ähnlich beim Unterscheiden von Öko-, Bio- und Pestizidprodukten genauso kompetent vorgeht wie beim verdummenden Beschönigen von Begriffen, dann aber gute Nacht.
Ich jedenfalls traue dank „Ruccula“ jetzt auch den Tomaten dort nicht mehr so richtig.
28 September 2007
Was Schneider nicht passt, wird Passig gemacht
Ms. Columbo und ich suchen und finden schließlich sogar das aufschrift- und hinweislos in einem Hinterhof versteckte Goethe-Institut am Hauptbahnhof. Unser Ziel: eine mit Wolf Schneider (Stilpapst), Kathrin Passig (Blogpäpstin) und Feridun Zaimoğlu (Kanakspraklegende) prominent besetzte Podiumsdiskussion zum gewagt formulierten Thema „Wer rettet die deutsche Sprache?“
Kathrin Passigs leicht schläfriger Blick und schwankungsarmer Ton steht in hartem Kontrast zu ihrer Blitzgescheitheit, die auch im Angesicht Wolf Schneiders, dem Mount Rushmore des Journalismus, nicht ins Wanken geraten will. Dabei hätte das Schneider nur zu gern.
Doch während er den „Überschuss idiotischer Anglizismen“ beklagt, wirft sie ihm leicht schläfrig und schwankungsarm „Sprachbesorgnishuberei“ vor. Ein bisschen springt Schneider wenigstens der zum Labern neigende Zaimoğlu bei.
Zaimoğlu – das muss hier betont werden – erweist sich live als bei weitem weniger hässlich als auf sämtlichen Fotos, die ich von ihm kenne. Offenbar ist der Mann ein Musterbeispiel für praktisch komplett abwesende Fotogenität, was ich übrigens auch (in hoffentlich abgeschwächter Form) für mich selbst reklamieren kann.
Zaimoğlu jedenfalls findet Folgendes: „Sprachunvermögen ist nur Ausdrucks eines Hangs zur Idiotie“, und das ist schon schneideresk. Derweil wettert Schneider in geschliffener Eloquenz gegen E-Mails und Chatrooms, muss aber unwillig zugeben, sein komplettes Wissen darüber aus zweiter Hand zu haben – Punkt für Passig, aber ein dicker.
Die bleibt gelassen, sagt, beim Chatten und so weiter ginge es mehr um soziale Nähe als um gehobene Schreibe, und an irgendeiner Stelle sagt Charmeur Schneider zu ihr: „An dieser Stelle möchte ich Ihnen gerne den Krieg erklären.“
Passig lächelt schläfrig, während Zaimoğlu seine elektrische Schreibmaschine lobt und Computer labernd beschimpft, vor allem ihre Tastaturen. Interessanter Abend.
Danach hetze ich aufs Reeperbahnfestival, verpasse dank der Sprachdiskutanten Salim Nourallah im Kukuun-Hotel, wo aber zum Glück der rosa Flur noch da ist, so dass ich wenigstens ein verblogbares Bild im Kasten habe.
Kathrin Passigs leicht schläfriger Blick und schwankungsarmer Ton steht in hartem Kontrast zu ihrer Blitzgescheitheit, die auch im Angesicht Wolf Schneiders, dem Mount Rushmore des Journalismus, nicht ins Wanken geraten will. Dabei hätte das Schneider nur zu gern.
Doch während er den „Überschuss idiotischer Anglizismen“ beklagt, wirft sie ihm leicht schläfrig und schwankungsarm „Sprachbesorgnishuberei“ vor. Ein bisschen springt Schneider wenigstens der zum Labern neigende Zaimoğlu bei.
Zaimoğlu – das muss hier betont werden – erweist sich live als bei weitem weniger hässlich als auf sämtlichen Fotos, die ich von ihm kenne. Offenbar ist der Mann ein Musterbeispiel für praktisch komplett abwesende Fotogenität, was ich übrigens auch (in hoffentlich abgeschwächter Form) für mich selbst reklamieren kann.
Zaimoğlu jedenfalls findet Folgendes: „Sprachunvermögen ist nur Ausdrucks eines Hangs zur Idiotie“, und das ist schon schneideresk. Derweil wettert Schneider in geschliffener Eloquenz gegen E-Mails und Chatrooms, muss aber unwillig zugeben, sein komplettes Wissen darüber aus zweiter Hand zu haben – Punkt für Passig, aber ein dicker.
Die bleibt gelassen, sagt, beim Chatten und so weiter ginge es mehr um soziale Nähe als um gehobene Schreibe, und an irgendeiner Stelle sagt Charmeur Schneider zu ihr: „An dieser Stelle möchte ich Ihnen gerne den Krieg erklären.“
Passig lächelt schläfrig, während Zaimoğlu seine elektrische Schreibmaschine lobt und Computer labernd beschimpft, vor allem ihre Tastaturen. Interessanter Abend.
Danach hetze ich aufs Reeperbahnfestival, verpasse dank der Sprachdiskutanten Salim Nourallah im Kukuun-Hotel, wo aber zum Glück der rosa Flur noch da ist, so dass ich wenigstens ein verblogbares Bild im Kasten habe.
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