17 Januar 2006

Der Walabend

Schon wieder ins Aurel, auf ein Feierabendbier. Der Dude ist nicht da. Wir warten zwei Runden, doch er kommt einfach nicht. Außer dem Franken ist diesmal auch Kollege Kramer an Bord. Da er erst noch zur Bank muss, gehen der Franke und ich schon mal vor und ordern zwei Große Freiheit.

Der endlich geldschwer dazustoßende Kramer beschwert sich sofort, weil wir ihm kein Bier mitbestellt haben. Ich erkläre ihm, wir hätten ihm schlicht ein Glas mit geschrumpfter Schaumkrone ersparen wollen. „Du hast mir also kein Bier bestellt, um mir einen Gefallen zu tun?“, argwöhnt Kramer.

Kramer ist einer jener Typen, die erheblich mehr gps (= Gedanken pro Sekunde) produzieren, als ihre Stimmbänder zu formen in der Lage sind. Entsprechend überfordert reagiert oft seine Umwelt, also meistens der Franke und ich. Eine logisch aufgebaute Argumentationskette zu entwickeln, ist in Kramers Gegenwart unmöglich. Nach dem ersten Halbsatz meint er bereits den kompletten Strang vorwegzuahnen und haut in Highspeed die vermeintliche Widerlegung raus, bei der er sich allerdings vokal völlig verfranst, weil seine Zunge einfach dem Takt seiner Synapsenexplosionen nicht folgen kann.

Dessen ungeachtet lässt Kramer verbale Interventionen keineswegs zu; zur Not bringt er mich einfach zum Schweigen, indem er mir aus nächster Nähe ein langgezogenes „Thoeeeeeeeeeeelke!“ ins Ohr blökt. Die Älteren unter uns werden sich jetzt an die Fernsehsendung „Der Große Preis“ erinnert fühlen, und sie liegen richtig. Ein von Loriot erfundener Zeichentrickhund namens Wum pflegte sein Herrchen Wim exakt so zu begrüßen – mit „Thoeeeeeeeeeeelke!“. Ich ertrage also Kramers Blöken gelassen, weil der hierarchich deutbare Subtext mir schmeichelt.

Draußen schneit inzwischen Hamburg zu. Bevor wir gehen, suche ich die karmesinrot getünchten Aurel-Toiletten auf. Walgesänge empfangen mich. Manche klingen so, wie man es von esoterischen Wohngemeinschaften oder weihrauchdurchwaberten Heilsteinläden kennt: irgendwie quiekend. Andere sind deutlich tieffrequenter und gemahnen unschön an Flatulenzen sehr großer Säugetiere. Für Toiletten ein kongenialer Sound. Und in seiner schier riechbaren Bräsigkeit ein erholsamer Ausgleich zu Kramers hibbeligem Silbenstakkato. Vorm Toiletteneingang passiert man übrigens bemalte Kirchenfenster, warum auch immer.

Große Musik, die heute durch den iPod floss: „You are my sister“ von Antony & The Johnsons, „All I have to do is dream“ von The Everly Brothers und „Trouble“ von Tortoise.


3 Kommentare:

  1. Hach, "All I Have To Do is Dream" - das ist ja mal ein WIRKLICH schöner Song! Zum "Aurel", einer nebenbei bemerkt recht unangenehmen Kneipe: Hatten die nicht auch die wahnsinnig originelle Idee, die Toilettentüren ausschließlich mit den Chromosomen-Codes für männlich und weiblich zu beschriften (irgendwas was mit x und y, glaube ich), was Biologie-Verweigerer wie mich beim Toilettengang jedesmal der Gefahr aussetzt, in der falschen Abteilung zu landen?

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  2. Ich bin mir nicht sicher. Ich weiß nur, dass ich immer reinluge und nach Pissoiren spähe. Wenn ich welche entdecke, weiß ich, dass ich willkommen bin.

    Im Aurel fühle ich mich ziemlich wohl, wegen der Musik und wegen des schönen Blicks auf den Alma-Wartenberg-Platz. Auch das sofort entstehende Verkehrschaos zu beobachten, sobald jemand falsch parkt (was ständig vorkommt), hat eine irgendwie beruhigende Wirkung auf mich nach hektischen Arbeitstagen.

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  3. Der Beitrag hat mittlerweile fünf Jahre auf dem Buckel(wal) und weder dem geneigten Verfasser, noch seinen Lesern (mir kommt die Gnade der späten Geburt zuteil) ist bisher aufgefallen, dass in der Wa(h)l der Klobeschallung die Erklärung für das Auftreten des Dudes zu sehen ist?

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