Anlässlich des Sonderparteitags der SPD hätte ich eigentlich erwartet, dass der für den Kiez zuständige Bürgerschaftsabgeordnete, dessen jovialer Vorname genauso viel Klientelnähe ausdünstet wie für die andere Seite „von Guttenberg“, dass also dieser Andy Grote wenigstens irgendeine Botschaft an sein Volk richten würde.
In beispielloser Offenheit ließ der Mann allerdings sein Plakat mit etwas komplett Entwaffnendem versehen: einer leeren weißen Fläche unter seinem Konterfei.
Das wollen wir doch immer: ehrliche Politiker.
Also kein Wort, okay?
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27 September 2010
25 September 2010
„Wie geht’s dir, Baby?“
Bizarr: Althippie und Folklegende Donovan auf dem Reeperbahnfestival! Unter lauter jungem Gemüse!
Elektrisiert von der Chance auf eine weitere kapitale Kerbe im Colt schleppe ich den von des Schotten Existenz erst jetzt erfahrenden German Psycho ins Fliegende-Bauten-Theaterzelt, wo der Barde auftritt.
„Der hat ja mehr Haare als wir beide zusammen!“, heult GP sofort los, als der vollbemattete 64-Jährige kregel die Bühne betritt. „Hoffentlich spielt er nichts, was er nach 1970 geschrieben hat“, sorge ich mich hingegen. Tut Donovan dann auch nicht.
Ich habe vor allem immer seine Vorliebe für Alliterationen und Binnenreime geschätzt. „Jennifer Juniper“, „Sunshine superman“, „Mellow yellow“, „Clara Clairvoyant“, „Poke the pope“, „Divine daze of deathless delight“: So was traut sich ja heute keiner mehr. Allerdings reimt Donovan auch „stitch“ auf „witch“ und „rich“, was GP sofort despektierlich vertwittern muss.
Nur 800 Meter Luftlinie von Donovan entfernt, in der Großen Freiheit 36, treten die britischen Neogrunger Blood Red Shoes auf, und dorthin zieht es uns nach dem Schlusschoral von „Atlantis“, ein Stück, das Donovan damals bestimmt nur deshalb geschrieben hat, um die Kompostionsform von „Hey Jude“ zu kopieren und Paul McCartney eins auszuwischen.
Wir laufen durch die Schmuckstraße, den traditionellen Transenstrich auf dem Kiez. Ich wechsle etwas zu früh auf die problematische Seite des Gehwegs und habe sofort ein schwarzhaariges Megababe am Hals, das mir einen grandios falschen Busen entgegenreckt. Sein Koberspruch ist allerdings noch großartiger als sein aufwendig schmuckstraßenkompatibel gefakter Body.
Nichts à la „Hey du, kommste mal mit?“, wie es in der Davidstraße Ouzo ist, sondern ein baritonisch hingehauchtes: „Wie geht’s dir, Baby …?“ Auch GP ist hingerissen. „Würde ich sofort twittern“, sagt er, „aber es ist dein Satz.“ Ein Ausbund an Sitte und Anstand, dieser Mensch.
Bei den Blood Red Shoes explodiert gerade die Halle. Nur ein Junge und ein Mädchen, Schlagzeugset plus Gitarre, und doch geht die Welt unter, aufs Euphorisierendste. GP ist schon wieder am Twittern. Er hält mir sein iPhone hin, das schon etwas blässlich um die Nase ist. „Ich habe mich gerade verliebt. #blood red shoes“, vermag ich seinen Tweet zu entziffern.
Er meint die Sängerin und Gitarristin Laura-Mary Carter, der die Haare allerdings derart ins Gesicht hängen, dass man sich mangels Anschauungsmaterial eigentlich unmöglich in sie verlieben kann. GP bezieht sich allerdings eh auf Carters Beine.
Danach versuchen wir noch ins Molotow reinzukommen, doch dort sieht man schon von außen, wie literweise Körpersäfte an der Panoramascheibe kondensieren, und das treibt uns rüber ins Lehmitz an der Reeperbahn, wo wir um Mitternacht kurzärmlig draußen ein Abschlussastra trinken, mit den Jacken über den Stühlen, und den Strom der Kiezflaneure an uns vorübertreiben lassen.
Gäbe es St. Pauli nicht, man müsste es erfinden, verdammt.
24 September 2010
Klüger werden auf der Reeperbahn
Schon am ersten Abend des Reeperbahnfestivals, welches noch bis Samstagnacht das Kiezgeschehen prägen wird, gewann ich zwei wichtige Erkenntnisse fürs Leben.
1. Die geradezu andächtige Ergriffenheit des Publikums bricht man am besten auf, wenn man unversehens anfängt zu pfeifen – am besten „Wind of change“ von den Scorpions (Murder, Hasenschaukel, 22.45 Uhr).
2. Man darf die bisher als relativ segensreich empfundene Erfindung des Kopfkissens definitv als unnütz abqualifizieren, wenn man eine Frisur hat wie Karima Francis (Imperial Theater, Mitternacht).
1. Die geradezu andächtige Ergriffenheit des Publikums bricht man am besten auf, wenn man unversehens anfängt zu pfeifen – am besten „Wind of change“ von den Scorpions (Murder, Hasenschaukel, 22.45 Uhr).
2. Man darf die bisher als relativ segensreich empfundene Erfindung des Kopfkissens definitv als unnütz abqualifizieren, wenn man eine Frisur hat wie Karima Francis (Imperial Theater, Mitternacht).
23 September 2010
Von Zugzwang, Schrittlauch, Nasenbruch
Dieses Twitterbuch ist erstaunlich empfehlenswert, und das sage ich nicht, weil auch zwei Tweets von mir aufgenommen wurden.
Die gehören nämlich angesichts des Humorpotenzials der Konkurrenz eher zum Mittelmaß. Hätte man mir selbst die Wahl gelassen, wären sicher zwei andere meiner 140-Zeichen-Erleuchtungen drin gelandet.
Egal, jedenfalls ist das Buch überwiegend lustig. So lustig, dass ich heute Abend der zunehmend erheiterten Ms. Columbo eine ganze Weile daraus vorgelesen habe.
Zum Beispiel diesen Tweet hier von @Mellcolm, den er speziell für mich getextet zu haben scheint: „Mit Flugangst befindet man sich ständig unter Zugzwang.“ Was zeigt, dass man auch mit 54 Zeichen lebensweise sein kann.
Oder @UteWebers Kurzroman: „Sie brach ihr Schweigen, er ihr Herz, die Verbindung ab, die Dunkelheit herein, sie auf, ihm die Nase.“ Ein Zeugmastakkato von purer Schönheit, wenngleich mit blutigem Ende.
Übrigens ist es ein ausgesprochen grandioses Gefühl, einmal im Leben gemeinsam mit @SibylleBerg in einem Buch gedruckt worden zu sein. Viel mehr kann man doch nicht erreichen, literarisch.
Einer aus dem Twitterbuch geht noch, ein Mix aus Kalauer, gutem Rat und ewiger Wahrheit: „Deutlich unangenehmer noch als Knoblauch“, twitterte @formschub, „riecht der seltene und wenig bekannte Schrittlauch.“
Auch der erzielte einen Schmunzelerfolg bei Ms. Columbo, und was kann Schöneres geben?
Die gehören nämlich angesichts des Humorpotenzials der Konkurrenz eher zum Mittelmaß. Hätte man mir selbst die Wahl gelassen, wären sicher zwei andere meiner 140-Zeichen-Erleuchtungen drin gelandet.
Egal, jedenfalls ist das Buch überwiegend lustig. So lustig, dass ich heute Abend der zunehmend erheiterten Ms. Columbo eine ganze Weile daraus vorgelesen habe.
Zum Beispiel diesen Tweet hier von @Mellcolm, den er speziell für mich getextet zu haben scheint: „Mit Flugangst befindet man sich ständig unter Zugzwang.“ Was zeigt, dass man auch mit 54 Zeichen lebensweise sein kann.
Oder @UteWebers Kurzroman: „Sie brach ihr Schweigen, er ihr Herz, die Verbindung ab, die Dunkelheit herein, sie auf, ihm die Nase.“ Ein Zeugmastakkato von purer Schönheit, wenngleich mit blutigem Ende.
Übrigens ist es ein ausgesprochen grandioses Gefühl, einmal im Leben gemeinsam mit @SibylleBerg in einem Buch gedruckt worden zu sein. Viel mehr kann man doch nicht erreichen, literarisch.
Einer aus dem Twitterbuch geht noch, ein Mix aus Kalauer, gutem Rat und ewiger Wahrheit: „Deutlich unangenehmer noch als Knoblauch“, twitterte @formschub, „riecht der seltene und wenig bekannte Schrittlauch.“
Auch der erzielte einen Schmunzelerfolg bei Ms. Columbo, und was kann Schöneres geben?
22 September 2010
Alle sind verrückt
So, ich hab ihn doch wahrhaftig in flagranti erwischt, den bereits beim Rückseitenjubiläum prognostizierten millionsten Blogbesucher!
Gestern Abend um 23:33:04 Uhr war er (oder sie) da, betrachtete das abgebildete Graffito und trollte sich wieder, leider gruß- und kommentarlos.
Die IP-Adresse begann mit 78.52.161…, er (oder sie) wohnt in Berlin und surfte dank eines HanseNet-Vertrages per Firefox vorbei, enttäuschenderweise mit einer dem Anlass nicht ganz angemessenen Windows-Mühle.
Erkennt sich womöglich wer wieder? Dann bitte ich um eine Mail, wegen der ausgelobten reichen Bescherung.
Nun zu einem ähnlichen, aber ganz anderen Thema, aus gegebenem Anlass: Mir ist aufgefallen, dass man sich, wenn man beim Telefonieren eine falsche Nummer gewählt hat, merkwürdigerweise trotzdem gezwungen fühlt, den Begrüßungskonventionen Folge zu leisten, also seinen Namen zu nennen.
Dabei nützt diese Information dem versehentlichen Gesprächspartner nullkommaüberhauptnichts, sondern verlängert sogar die Peinlichkeit des für beide Seiten nutzlosen Vorgangs.
Indes: „Wenn wir bedenken, dass wir alle verrückt sind, ist das Leben erklärt.“ Schrieb Mark Twain, und das gilt natürlich auch für alle anderen Ereignisse weltweit – zum Beispiel für das belämmerte Hobby, fünf Jahre lang praktisch allabendlich Texte und Bilder ins Web auszuwildern und damit summa summarum die Zeit von einer Million Leuten* zu verplempern.
*Sofern niemand zweimal hier war. Aber wir wollen nicht kleinlich sein. Nicht an einem Tag wie diesem.
PS: Das heutige Foto ist völlig bezugslos und wird sofort wieder gelöscht, wenn der Rechteinhaber dies möchte.
20 September 2010
19 September 2010
FC St. Pauli–HSV: Selbsthass in St. Ellingen
Das Wochenende (vor allem natürlich der Sonntag) war geprägt vom diesjährigen Finale um die Hamburger Stadtmeisterschaft im Fußball. St. Pauli gegen St. Ellingen gewissermaßen, oder, um es allgemeinverständlicher zu formulieren, FC St. Pauli gegen den HSV.
Jeder Polizist im Viertel – es waren angeblich tausend im Einsatz – hatte die Verantwortung für durchschnittlich 23 Fans. Eine gute Quote, wenn man bedenkt, dass an anderen Tagen jeder Cop 184 Hamburger umsorgen muss.
Die Reeperbahn war sicherheitshalber vollgesperrt, und als ich gegen 14 Uhr zum Natasholen in die Davidstraße aufbrach, wurde gerade ein halbes Tausend HSV-Fans von Bullen und Pferden gen Stadion geleitet. Die Fans brüllten „Scheiß St. Pauli!“ und „Das hier ist unser Revier!“, und ich fragte mich mal wieder, warum die HSV-Anhänger sich bloß so abarbeiten müssen am FC St. Pauli.
Ich meine: Die Braun-Weißen sind eine Fahrstuhlmannschaft und der HSV ein Weltverein, der 1983 sogar schon mal den Vorgängerwettbewerb der Champions League gewonnen hat. In ihren Augen müsste der FC doch nichts weiter als Fliegenschiss sein.
Und trotzdem stellen sich manche HSV-Nasen nachts den Wecker, um St.-Pauli-Fans und -Spieler zu verprügeln, die am Bahnhof Altona den Zug verlassen. Trotzdem bemalen sie das FC-Emblem vorm Stadion mit blauer Farbe. Trotzdem schreien sie „Scheiß St. Pauli!“, dass ihr Geifer den Mittelstreifen der Reeperbahn düngt.
Warum tun die das? Warum folgen sie nicht dem weisen Rat „Nicht mal ignorieren!“, den Karl Valentin ihnen doch schon Anfang des 20. Jahrhunderts auf dem Silbertablett serviert hatte?
Ich glaube, ich weiß warum: Weil sie neidisch sind. Auf den FC St. Pauli.
Dieser kleine Scheißverein hat es geschafft, weltweit als saucool zu gelten. Er kommt aus dem berühmtesten deutschen Stadtteil der Welt und hat ein Corporate Design, mit dem du auch außerhalb der Kickersphäre positiv auffällst. Mit den Totenkopftrikots des FCSTP punktest du in London genauso wie in New York, in Tokio wie in Brisbane. Der Verein hat eine klare politische Linie (links-alternativ, antirassistisch), ein Faible für Punk und verdammt viele Frauen als Fans – kurz: ein Image, das überall dort ankommt, wo Leute sich als unangepasst und kritisch empfinden, selbst wenn sie gar keine Fußballfans sind.
Und was hat der HSV? Seit 1983 einen Pokal des Vorgängerwettbewerbs der Champions League in der Vitrine, eine Legende namens Uwe Seeler und ein Stadion, dessen Namen er alle paar Jahre meistbietend verhökert.
Auch wenn sie einem Weltverein anhängen: Der Neid auf Nimbus und Image des FC St. Pauli, auf diesen charmanten Mix aus Rotlicht, Rock’n’Roll, Toleranz und Laissez-faire nagt so sehr an den HSV-Fans, dass sie ihren Hass auf das Leid, welches ihnen dieser kleine Stadtteilverein durch seine bloße Existenz unablässig zufügt, immer wieder herausschreien müssen.
Irgendjemand müsste ihnen vielleicht mal erzählen, dass es in Wahrheit Selbsthass ist. Sie kompensieren damit etwas – in Anbetracht der Rahmenbedingungen – ganz Erstaunliches: einen kapitalen Minderwertigkeitskomplex.
Ach ja, das Spiel: Es endete 1:1, weil der Weltverein zwei Minuten vor Schluss durch einen Glücksschuss noch den Ausgleich schaffte. Und auf der vollgesperrten Reeperbahn trockneten derweil die Pferdeäpfel.
18 September 2010
Fundstücke (101)
17 September 2010
Allein unter Stäbchenstümpern
Bin beim Sushiessen im Viersternehotel East auf St. Pauli.
Gegenüber sitzt eine silberhaarige Frau in Schneeleopardenbluse. Sie hat eine spezielle Stochertechnik, die eine orale Zufuhr des Fischs zuverlässig verhindert, nicht aber ein einzigartiges Gebrösel auf ihrem Teller.
Das Sushi löst sich unter ihrem beharrlichen Stochern gleichsam in seine Moleküle auf. Man könnte es nur noch per Löffel oder Staubsauger aufklauben, aber definitiv nicht mehr mit Stäbchen.
Ihr Nachbar, ein Yuppietyp mit Mittelscheitel und Protzuhr, arbeitet hingegen beidhändig. In jeder Hand hält er ein Stäbchen, um das hölzerne Duo optimal links und rechts am Häppchen positionieren zu können. Sobald das zu seiner Zufriedenheit gelungen ist, klemmt er beide Stäbchen vorsichtig in die rechte Hand und versucht die Californiaroll in einem Rutsch zum Mund zu führen. Natürlich fällt sie runter und zerbröselt sorgsam in ihre Einzelteile. Der Silberhaarigen in Schneeleopardenbluse wird der Mann wahrscheinlich immer sympathischer.
Ich hingegen bin heute Abend endlich mal ganz weit vorne. Denn ich habe dank sachkundiger Lektüre erfahren, der gemeine Japaner – und der ist ja wohl maßgebend in Sachen Sushi – äße die Rohfischspezialität niemals mit Stäbchen, sondern aussschließlich mit: den Fingern.
Und darin bin auch ich – ohne mich allzusehr loben zu wollen – ein geborener Virtuose, wenngleich in der heutigen Runde der einzige. Alle anderen dilettieren komplett unhistorisch mit ihren Stäbchen herum und glauben, sie seien authentisch. Diese Pseudokultursensibelchen! Diese Multikultischwachmaten! Diese Aufdenleimgeher!
Zu allem Überfluss tunken sie das Sushi auch noch mit der Reisseite in die Sojasoße, dabei sagt doch der gemeine Japaner, und der ist ja wohl maßgebend: nur mit der Fischseite!
Ach, es ist schon ein großartiges Gefühl, endlich mal stylish und authentisch zu sein – wenn auch nur aus Opportunismus aufgrund mangelnden Geschicks. Denn ich und Stäbchen, das ist eine Geschichte voller Tragik und Tristesse. Satt wurde ich nur, indem ich mir die Röllchen in dunklen Ecken verschämt händisch zuführte. Und jetzt stellt sich heraus: Genauso muss es sein! So und nicht anders!
Voller Stolz hätte ich schon immer mitten im Rampenlicht die manuelle Kunst des Sushiverzehrs vorführen können, und alle anwesenden Japaner hätten mir respektvoll lächelnd zugenickt. Stattdessen hatte ich stets Frau Schneeleopardenbluse und Herrn Protzuhr als Ideal vor Augen, ich kleinmütiges Herdentier.
Den Triumph von heute Abend kann mir jedenfalls niemand mehr nehmen. Auch wenn ich mir die Hände hinterher etwas gründlicher waschen musste als alle anderen.
16 September 2010
Rückseitenjubiläum (schon wieder)
Heute wird dieses Blog fünf. Ganz schön alt für etwas, das als Schnapsidee begann. Wie im vergangenen Jahr erlaube ich mir daher eine Zwischenbilanz.
In den Tiefen des Archivs haben sich bisher 1738 Beiträge angesammelt. 993.966 Besucher schauten vorbei, und ich weiß nicht, ob es anmaßend ist, doch ich hatte auf die Million gehofft. Den millionsten werde ich übrigens am Schlafittchen packen und reich beschenken – sofern ich ihn in flagranti erwische. Also bitte nicht mitten in der Nacht reinschleichen.
Insgesamt sorgten die hier gestrandeten Webflaneure für m. E. imposante 1.555.218 Seitenaufrufe, im Schnitt verweilte jeder von ihnen 1:54 Minuten auf der Rückseite der Reeperbahn. Der mit 109 Kommentaren ganz knapp erfolgreichste Text der gesamten fünf Jahre ist noch gar nicht so alt – ich kann es also immer noch …!
Im Lauf der Zeit erhielt ich 2 Abmahnungen, davon war eine teuer. Selbst musste ich einmal anwaltliche Hilfe erbitten – und holte mit unfreiwilliger Beihilfe von Spiegel TV zum Glück alles wieder rein.
Einschneidendstes Erlebnis des zurückliegenden Jahres war der vom Anbieter erzwungene Blogumzug. Er kostete mich die liebgewonnene Adresse www.mattwagner.de, doch zum Glück sind all die, denen es hier gefällt, mit umgezogen; einen Einbruch der Besucherzahlen gab es jedenfalls nicht. Und dafür bin ich Ihnen echt dankbar, meine Damen und Herren!
Ms. Columbo hat mir dieses Jahr übrigens zum Bloggeburtstag einen Birnenkuchen gebacken. Und er schmeckt fantastisch.
15 September 2010
Fundstücke (100): Manchmal sieht’s in Hamburg aus wie …
14 September 2010
Doggystyle
Zur Weinprobe in einem Restaurant auf St. Pauli bringt eine Kollegin ihren Hund mit, bei dessen Anblick mir fast das Glas Crémant aus der Hand rutscht.
Das Vieh wirkt fast kalbsgroß; seine Ausmaße werden auf dem Foto auf geradezu beschämende Weise vertuscht. Statt einer Hundehütte bewohnt es sicherlich eine Art Garage.
„Das ist eine Deutsche Dogge“, erklärt gelassen ein auf praktisch allen Gebieten erfahrener Kollege, der mir später noch Dönekens von einem prominenten deutschen Fußballer erzählen wird („Der fängt morgens mit Champagner an, macht mit Weißwein weiter, endet bei Rotwein und geht ins Bett.“), aber das weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Auch nicht, dass selbst der größte Hund der Welt eine Deutsche Dogge ist. Unser Exemplar wiegt just 56 Kilo, sagt seine schätzungsweise deutlich leichtere Besitzerin, „aber das ist nur das Sommergewicht. Im Winter geht sie hoch auf 65.“
Deutsche Doggen haben also saisonale Gewichte, sogar die Weibchen: Ein äußerst lehrreicher Abend zeichnet sich für mich ab, nicht nur in önologischer Hinsicht. Während wir über das friedfertig mit den putzlumpengroßen Lefzen wackelnde Monster sprechen, sabbert es Pfützen auf den Restaurantboden, mit denen man halb Ruanda bewässern könnte.
Zwischendurch entdeckt der Graukopf eine Gemeinsamkeit mit meinem dicken Sitznachbarn: Beide hatten einst ihre wildesten Zeiten im Restaurant Brücke in Harvestehude. „Ich hab da noch mit Joop gekokst!“, japst der Dicke erinnerungsselig, während eine wachsende Zahl von Schweißflecken sein blaues Hemd immer weiter eindunkelt.
Der auf praktisch allen Gebieten erfahrene Kollege möchte aber nicht weiter über läppische Sachen wie das Koksen mit Joop reden, sondern lieber zurück zum Thema Deutsche Doggen. Er erweitert das Sujet sogar nonchalant ins Allgemeine.
„Man trifft niemand mehr, keiner geht mehr raus“, sinniert er und nippt melancholisch am Crémant, „aber wenn du ’nen Hund hast, bist du richtig weit vorne.“ Frauchen erglüht augenblicks vor Stolz auf ihr Ganzweitvornesein, während Godzilla auf rund drei Quadratmetern ein Nickerchen macht.
Wie die Weine im Einzelnen waren, ist mir übrigens nicht mehr erinnerlich.
Das Vieh wirkt fast kalbsgroß; seine Ausmaße werden auf dem Foto auf geradezu beschämende Weise vertuscht. Statt einer Hundehütte bewohnt es sicherlich eine Art Garage.
„Das ist eine Deutsche Dogge“, erklärt gelassen ein auf praktisch allen Gebieten erfahrener Kollege, der mir später noch Dönekens von einem prominenten deutschen Fußballer erzählen wird („Der fängt morgens mit Champagner an, macht mit Weißwein weiter, endet bei Rotwein und geht ins Bett.“), aber das weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Auch nicht, dass selbst der größte Hund der Welt eine Deutsche Dogge ist. Unser Exemplar wiegt just 56 Kilo, sagt seine schätzungsweise deutlich leichtere Besitzerin, „aber das ist nur das Sommergewicht. Im Winter geht sie hoch auf 65.“
Deutsche Doggen haben also saisonale Gewichte, sogar die Weibchen: Ein äußerst lehrreicher Abend zeichnet sich für mich ab, nicht nur in önologischer Hinsicht. Während wir über das friedfertig mit den putzlumpengroßen Lefzen wackelnde Monster sprechen, sabbert es Pfützen auf den Restaurantboden, mit denen man halb Ruanda bewässern könnte.
Zwischendurch entdeckt der Graukopf eine Gemeinsamkeit mit meinem dicken Sitznachbarn: Beide hatten einst ihre wildesten Zeiten im Restaurant Brücke in Harvestehude. „Ich hab da noch mit Joop gekokst!“, japst der Dicke erinnerungsselig, während eine wachsende Zahl von Schweißflecken sein blaues Hemd immer weiter eindunkelt.
Der auf praktisch allen Gebieten erfahrene Kollege möchte aber nicht weiter über läppische Sachen wie das Koksen mit Joop reden, sondern lieber zurück zum Thema Deutsche Doggen. Er erweitert das Sujet sogar nonchalant ins Allgemeine.
„Man trifft niemand mehr, keiner geht mehr raus“, sinniert er und nippt melancholisch am Crémant, „aber wenn du ’nen Hund hast, bist du richtig weit vorne.“ Frauchen erglüht augenblicks vor Stolz auf ihr Ganzweitvornesein, während Godzilla auf rund drei Quadratmetern ein Nickerchen macht.
Wie die Weine im Einzelnen waren, ist mir übrigens nicht mehr erinnerlich.
13 September 2010
Von einem Chinesen verkloppt
Der Chinamarkt vorm Rathaus bietet allerlei fernöstlichen Nippes, aber auch Bratreis und vor allem: Massagen!
Da kann ich nicht nein sagen und betrete ein offenes Zelt, um mir von einer chinesischen Expertin eine zehnminütige Kopf- und Rückenmassage verpassen zu lassen. Hinter mir steht ein pickliger Zweimetermann mit dem gleichen Begehr. Da zwei Masseurinnen aktiv sind, kommen wir gleichzeitig dran. Die Damen legen los, während irgendwo da draußen ein Leierkastenmann einen kongenial unpassenden Soundtrack beisteuert: „Lili Marleen“.
Schon nach kurzer Zeit offenbart der Lulatsch neben mir ungefragt eine ganz persönliche Vorliebe: „Endlich mal eine Frau“, seufzt er, „die hart zupacken kann.“ Die Chinesin kichert. Vielleicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Nach zehn angenehmen Minuten schlendere ich weiter, bin aber jetzt richtig angefixt. Mein Rücken muss sich anfühlen wie in der Sonne geschmolzenes Hartgummi, erst dann bin ich zufrieden. Schon erspähe ich ein weiteres Massagezelt, es offeriert 20 Minuten für ebensoviele Euro.
Zwei Männer höchst unterschiedlichen Zuschnitts bearbeiten gerade zwei Kunden. Yin und Yang sozusagen. Der eine ist der Thomas Berthold der Chinamassage. Mit den Lidern auf Halbmast blickt er desinteressiert hinaus in die Welt, während seine Hände selbstvergessen einen Frauenrücken walken.
Der andere hingegen wirkt wie der Jürgen Kohler des Knetens: engagiert bis unter die Achselhaare, mit Armen und Beinen sein Opfer wild beackernd – enemy mine. Seine Massagetechnik hat etwas Judoartiges, vergröbert mit einem gehörigen Schuss Holzfällertum. Das ist mein Mann!
„Ich möchte gern ihn da“, flüstere ich der Chinesin zu, die an einem zum Tresen umfunktionierten Tisch für die Verwaltung zuständig ist, und zeige auf den strupphaarigen Berserker. „Aber der andere“, flüstert sie zurück, „ist besser.“ „Trotzdem“, raune ich.
Wenig später rammt mir ein skrupelloser Chinese Ellbogen und Knie in den Rücken, dass die Wirbelsäule knirscht, er zwiebelt mir die Ohrläppchen, zieht meine Finger lang, und am Ende entfacht er auf meinen Schultern ein Trommelfeuer aus Schlägen, als wäre ich seine Schwiegermutter. Uff.
Nach diesen 20 Minuten gönne ich mir ein Tsingtaobier, ein leider laues Lager auf Reisbasis mit der Würze und Aromatik von destilliertem Wasser.
Aber das kann man ja vorher nicht wissen.
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11 September 2010
10 September 2010
Der Taxifeind
An der Fußgängerampel Mitte der Reeperbahn warte ich gemeinsam mit einem älteren Herrn auf Grün. Er scheint gutsituiert in seiner legeren hellen Freizeitkleidung.
Wir warten. Ein Taxi fährt vorbei. Der ältere Herr schaut ihm nach und sagt leise: „Arschloch.“
Er sagt es so ruhig und bedächtig, als würde er in der Kneipe ein weiteres Bier höflich mit „Nein, danke“ ablehnen.
Ein weiteres Taxi. Diesmal biegt es neben uns vom Spielbudenplatz auf die Reeperbahn ein. Der ältere Herr schaut gelassen auf das Fahrzeug herunter, als es ihn umkurvt, und sagt es wieder: „Arschloch.“
Alle anderen Autos lässt er verbal unbehelligt vorüberfahren. Nur den Taxis sagt er seine Meinung, und zwar so, als würde er höflich „Nein, danke“ sagen.
Auf dem Kiez sieht man keinem an, was gerade in ihm vorgeht, das wird mal wieder überdeutlich. Und dann wird die Ampel grün, und wir gehen beider unserer Wege.
Wir warten. Ein Taxi fährt vorbei. Der ältere Herr schaut ihm nach und sagt leise: „Arschloch.“
Er sagt es so ruhig und bedächtig, als würde er in der Kneipe ein weiteres Bier höflich mit „Nein, danke“ ablehnen.
Ein weiteres Taxi. Diesmal biegt es neben uns vom Spielbudenplatz auf die Reeperbahn ein. Der ältere Herr schaut gelassen auf das Fahrzeug herunter, als es ihn umkurvt, und sagt es wieder: „Arschloch.“
Alle anderen Autos lässt er verbal unbehelligt vorüberfahren. Nur den Taxis sagt er seine Meinung, und zwar so, als würde er höflich „Nein, danke“ sagen.
Auf dem Kiez sieht man keinem an, was gerade in ihm vorgeht, das wird mal wieder überdeutlich. Und dann wird die Ampel grün, und wir gehen beider unserer Wege.
09 September 2010
Die falsche Scham
So, nach drei bzw. fünf Jahren Gebrauch sind sowohl die Squalljacke als auch die Cityslipper von Lands’ End definitv Schrott.
Überall franst es aus, der Jackenreißverschluss ist altersmüde, der Schuh rissig, vor allem über der Ferse. Also schicke ich den ganzen Schamott zurück und lasse mir den Kaufpreis erstatten, auch nach drei bzw. fünf Jahren Gebrauch. Schließlich ist genau diese Möglichkeit das Alleinstellungsmerkmal von Lands’ End: Rücksendung jederzeit möglich, lebenslang, „guaranteed. Period“.
Merkwürdigerweise empfinde ich beim Gang zur Post dennoch stets ein Gefühl der Scham – so, als beanspruchte ich etwas, das mir nicht zustünde. Doch genau wegen dieser Möglichkeit habe ich ja damals Squalljacke und Cityslipper bei Land’s End gekauft und nirgendwo anders. Nur deshalb.
Im Grunde handelt es sich dabei nicht mal um einen Kauf, sondern um ein sehr lang laufendes Leihgeschäft. Damals, 2005 und 2007, zahlte ich die komplette Leihgebühr im Voraus, erhielt dafür allerdings auch das Recht der unbefristeten Nutzung. Lands’ End konnte das Geld anlegen, mit ihm spekulieren nach Herzenslust, es in der Finanzkrise in Derivate versenken, was auch immer. Aber: Eines Tages, das wusste Lands’ End, würde ich ankommen, eine ausgefranste Jacke und rissige Schuhe abliefern und die komplette Leihgebühr zurückverlangen.
So ist der Deal. Und jeder, der nicht so vorgeht, schenkt Lands’ End letzlich Geld. Denn alle Rücksendungen sind natürlich schon eingepreist. Die sind ja nicht blöd.
Warum ich mich trotzdem schäme? Fragen Sie Freud, Precht, Erlinger oder am besten gleich die vorwurfsvoll stummen Moralapostel von Lands’ End. Aber bitte nicht mich.
Überall franst es aus, der Jackenreißverschluss ist altersmüde, der Schuh rissig, vor allem über der Ferse. Also schicke ich den ganzen Schamott zurück und lasse mir den Kaufpreis erstatten, auch nach drei bzw. fünf Jahren Gebrauch. Schließlich ist genau diese Möglichkeit das Alleinstellungsmerkmal von Lands’ End: Rücksendung jederzeit möglich, lebenslang, „guaranteed. Period“.
Merkwürdigerweise empfinde ich beim Gang zur Post dennoch stets ein Gefühl der Scham – so, als beanspruchte ich etwas, das mir nicht zustünde. Doch genau wegen dieser Möglichkeit habe ich ja damals Squalljacke und Cityslipper bei Land’s End gekauft und nirgendwo anders. Nur deshalb.
Im Grunde handelt es sich dabei nicht mal um einen Kauf, sondern um ein sehr lang laufendes Leihgeschäft. Damals, 2005 und 2007, zahlte ich die komplette Leihgebühr im Voraus, erhielt dafür allerdings auch das Recht der unbefristeten Nutzung. Lands’ End konnte das Geld anlegen, mit ihm spekulieren nach Herzenslust, es in der Finanzkrise in Derivate versenken, was auch immer. Aber: Eines Tages, das wusste Lands’ End, würde ich ankommen, eine ausgefranste Jacke und rissige Schuhe abliefern und die komplette Leihgebühr zurückverlangen.
So ist der Deal. Und jeder, der nicht so vorgeht, schenkt Lands’ End letzlich Geld. Denn alle Rücksendungen sind natürlich schon eingepreist. Die sind ja nicht blöd.
Warum ich mich trotzdem schäme? Fragen Sie Freud, Precht, Erlinger oder am besten gleich die vorwurfsvoll stummen Moralapostel von Lands’ End. Aber bitte nicht mich.
08 September 2010
07 September 2010
Alles Handarbeit (würg)
Unangefochtenes Zentrum des in Hamburg weltberühmten Galãostrichs am Schulterblatt ist das Transmontana, das hier schon mehrfach wohlwollend Erwähnung fand.
Das Transmontana ist ein hochcharmantes portugiesisches Café mit einem Bestelltresen direkt links hinter der Eingangstür, so dass die Gästeschlange immer den Durchgang versperrt. Und im Transmontana ist immer Schlange. Der Laden ist in der Schanze beliebt bis zur Vernarrtheit, hier kaufen Studenten, Werber und Autonome in friedvoller Eintracht ihre Natas. Oder ihre Sandwiches – und die sind das Problem.
Die einzelnen Zutaten liegen griffbereit in sichtbaren Schalen unterm Glastresen, und wenn eine der anscheinend nach strikt ethnischen Kriterien ausgewählten Tresendamen (alles Portugiesinnen, wie’s scheint) ein Sandwich ofenfertig kompiliert, dann läuft das so:
Zunächst greift die stets dralle, offensichtlich unaufhaltsam dem Matronenhaften entgegenevolvierende Tresenfrau mit durchaus wurstigen Fingern in den Mozzarella und knatscht ihn auf die gebutterten Brötchenhälften. Dann grabscht sie so grob wie geübt in die Salamischale, pappt die Wurst auf den Käse, ehe sie ihre weiterhin ungewaschenen Flossen im Tomatenkübelchen versenkt. Dort fischt sie zwei tropfende Scheiben heraus, packt sie aufs Brötchen und matscht sie genüsslich mit bloßen Händen fest auf den Rest.
Zwischen zwei Sandwiches kassiert Ms. Salmonella Kaffee ab, nimmt speckige 10-Euro-Scheine entgegen und kramt im menschenfettverschlierten Münzwechselgeld. Und schon wühlen sich ihre glänzenden Finger wieder durch Käse, Wurst und Tomaten …
Dass die Sandwiches nach der eklen Prozedur in einer Art Waffeleisen mehrere Minuten lang erhitzt werden, ist zwar in erster Linie rezeptkonform; doch gleichzeitig dürfte das die komplette Entvölkerung des Schanzenviertels durch Streptokokkeninfektionen etwas hinauszögern.
Grundsätzlich wäre dieser Entvölkerungseffekt womöglich sogar zur begrüßen, dann sänken wenigstens die Mieten wieder und Schilder wie das abgebildete würden überflüssig. Doch damit entzöge sich das Transmontana zugleich auch seine eigene Geschäftsgrundlage, und das kann keiner wollen.
Wir kaufen dort übrigens stets nur Natas (gebenedeit sei ihr Erfinder). Die holen sie im Transmontana nämlich immer nur mit Zange vom Tablett, weiß der Teufel warum.
06 September 2010
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