14 Dezember 2009

Wie ich meine Schokovorräte retten werde



Seit Jahren betätigt sich Kollege Kramer als skrupelloser Schokoripper. Und er wird immer schamloser.

Tagtäglich kommt er inzwischen hereingeschlurft, murmelt dumpf „Brauche Schokolade“ und öffnet hinter meinem Rücken umstandslos den Bisley, um aus der dritten Schublade von oben meine Tafel „Ritter Sport Voll-Nuß“ hervorzukrame(r)n. Davon bricht er mit der gleichen Hand, mit der er sich kurz zuvor im Schritt kratzte, eine ordentliche Rippe ab und verzehrt sie sogleich, und zwar mit der Emsigkeit eines ausgehungerten Eichhörnchens.

Das geht natürlich nicht, und ich tüftele seit längerem an Gegenmaßnahmen. Eine Zeitlang hatte ich recht großen Erfolg mit der Taktik, die Schublade, in der die Schokolade lagert, regelmäßig zu wechseln. Kramer zog die gewohnte auf, stierte dumpfen Blicks hinein, entdeckte nirgends die Süßigkeit, machte mir zeternd Vorwürfe und entfernte sich unter protestierendem Gebrabbel.

Das waren schöne Zeiten.

Irgendwann aber kam der Fuchs auf den Dreh, probeweise mal eine andere Schublade aufzuziehen, und bingo. Sein Vorgehen führt also letztlich immer zum Erfolg. Der Franke, seinerseits lange triste Jahre der bevorzugt von Kramer Gebeutelte, hat sich inzwischen gänzlich von der Schokoladenlagerhaltung verabschiedet. Er schnorrt jetzt bei Bedarf selbst ab und zu ein Stück bei der temporär anwesenden 400-Euro-Kraft.

Aufgrund dieser plötzlich versiegten Frankenquelle war ich es, der zunehmend in den Fokus Kramers geriet – mit den oben geschilderten Folgen. Allerdings glaube ich nun eine Taktik ausgetüftelt zu haben, die der Raffinesse des systematischen Mundräubers Rechnung trägt, ihn aber gleichwohl in eine psychologische Falle lockt.

In der als Ort der Verheißung fest etablierten dritten Schublade von oben nämlich deponiere ich neuerdings nur noch ein ganz klein wenig Schokolade, im Schnitt eine Drittelrippe. Die wahren Vorräte indes befinden sich nun – aufgemerkt – im vierten Schubfach.

Darauf wird Kramer nie kommen, da er ja wie üblich in der dritten fündig wird, wenngleich in einem frustrierenden Ausmaß. Er wird sich – so meine Hoffnung – im Lauf der Zeit derart über den empörenden Mangel ebenda ärgern, dass er seine Raubzüge nach und nach ganz einstellt, zumal ein bei ihm noch immer vorhandenes Quäntchen Anstand ihn erstaunlicherweise davon abhält, Reste ratzeputz zu verzehren.

Eine geniale Taktik, wie ich finde. Kramer darf nur nie erfahren, dass das Paradies inzwischen umgezogen ist und am üblichen Ort lediglich ein Köder deponiert wurde, der in gleichem Maße beschwichtigend wie frustrationssteigernd wirken soll.

Zum Glück liest er dieses Blog nicht. (Hoffentlich.)

09 Dezember 2009

Ikea spart an allem



Diesen tautologischen Slogan von Ikea, den wir am S-Bahnhof Billwerder-Moorfleet entdeckten, hat die gewiefte Werbeagentur erst einmal ohne zwei nötige Kommas ausgeliefert. Wahrscheinlich hat sie die Satzzeichen als Pfand zurückbehalten, bis Ikea die Rechnung bezahlt.

Oder es handelt sich um gewollte Selbstironie; vielleicht will Ikea damit augenzwinkernd anspielen auf die beim Zubehör seiner Möbel oftmals fehlende eine Schraube (mindestens).

Dann freilich nähme ich alles zurück.


08 Dezember 2009

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (16)



Im Dock gegenüber den Landungsbrücken werkeln sie angeblich an der Jacht des russischen Fantastilliardärs Roman Abramowitsch.

Damit niemand einen Blick darauf erhaschen kann, haben sie ein hausförmiges grünes Ganzjachtkondom drübergestülpt.

Das sieht abends sehr schön aus.

06 Dezember 2009

Marke Ludenglück

Es ist 2.13 Uhr in der Früh, und von draußen dringt enervierend rhythmisches Hupen durch die Fenster, obwohl sie schallisoliert sind. Eine Alarmanlage, natürlich.

Der Blick vom Balkon identifiziert den Schuldigen. Es handelt sich um einen silbernen Sportwagen Marke Ludenglück, mit haifischartigen Kiemenapplikationen an den Seiten und so tiefgelegt, dass du dafür einen Tauch-
statt Führerschein brauchst.

Der Silberling trötet und blinkt wie von Sinnen, doch weit und breit ist kein Autoknacker zu sehen. Nur drinnen rührt sich was, das ist von oben durch die Windschutzscheibe deutlich zu sehen. Man sieht eine Hand, Stoff bewegt sich.

Plötzlich verstummt der Alarm. Dann geht er wieder los. Und verstummt wieder. Noch während ich unschlüssig überlege, ob ich wieder mal bei der Davidwache anklingeln soll, öffnet sich die Beifahrertür und eine junge Frau steigt aus.

Im Halbdunkel der Kieznacht ist sie nicht richtig zu erkennen, doch ihre Figur ist eindeutig Marke Ludenglück und ihr Minirock derart hochgerutscht, dass ich automatisch wieder durch die Scheibe linse, um eventuelle weitere Insassen, die möglicherweise für die Derangiertheit der Dame mitverantwortlich sind, erspähen zu können.

Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Der Rock muss ohne Fremdeinwirkung hochgerutscht sein. Jetzt zieht sie ihn runter, ob seiner Passgenauigkeit mit einer gewissen Anstrengung.

Sie wirft die Tür zu, zwei Versuche braucht sie dafür. Dann geht sie los mit geradezu schnippischem Schritt – und generiert damit einen erneuten Proteststurm des Sportwagens, optisch wie akustisch.

Sie bleibt stehen, stampft mit dem rechten Pumps empört auf den Seilerstraßenbürgersteigbeton und kreischt in einem hochfrequenten Mix aus Verzweiflung und Empörung: „Stilllll!“

Augenblicklich ersterben Lärm und Licht. Dann stöckelt sie endgültig davon, und der Wagen bleibt stumm für den Rest der Nacht, vielleicht für immer.


Eine kam durch (und davon)

 

Tauben sind die populärsten Tiere hier auf der Rückseite der Reeperbahn. Allerdings aus den falschen Gründen. Denn es ist echt zum Milbenmelken: Schon wieder schaffte es eine Taube auf unseren vollvernetzten, inzwischen gar mit Drähten gesicherten, kurz: zur quasi uneinnehmbaren Trutzburg ausgebauten Balkon. Den Horden Dschingis Khans hätte er gewiss mondelang widerstanden, doch leider nicht den hiesigen Luftratten. Zumindest einer nicht. 


Die verlustigte sich hier nun fröhlich flatternd und stürzte sich immer wieder kopfüber und krallenvoran ins Netz juchhe, während ihre Gang draußen auf dem Baum saß und Haltungsnoten vergab. Eine selbstverständlich untragbare Situation. Doch diesmal war kein Profivergrämer mehr nötig, oh nein. Es war klar, was zu tun war. 

Ich suchte mir die älteste, fleckigste, gelbste Pannesamtdecke aus den niedersten Niederungen meines geerbten 19.-Jahrhundert-Steckschranks und betrat den Balkon wie Django, nur halt ohne Sarg und Knarre. Aber mit Pannesamtdecke. Das Tier wusste augenblicklich, was auf es zukam, und nahm die Herausforderung an. 

Es folgte eine wilde Jagd auf engstem Raum, die darin bestand, dass ich ein ums andere Mal den Samt durch die Gegend warf wie Lucky Luke sein Lasso, nur mangels Übung ohne dessen Treffsicherheit. Die Taube entkam gewiss ein Dutzend mal. Doch dann war es soweit: Die Decke begrub den Vogel unter sich – was ihn erstaunlicherweise sofort in eine für mich höchst kommode Duldungsstarre versetzte. 

Warum wehrte er sich nicht mehr – war es Erschöpfung? Taktik? Einsicht gar? Wie auch immer: Ich konnte ihn packen, mitsamt Decke auf den unbefestigten und dennoch von Tauben komplett verschmähten Südbalkon tragen und dort aus dem Samt schütteln. 

Auf dem Weg durch den Flur war nur kurz der Gedanke an einen leckeren Taubenbraten aufgeflammt. Doch wenn man gerade keinen Metzger zur Hand hat, sind die sich abzeichnenden Begleitumstände seiner Herstellung doch recht unappetitlich. So nahm ich Abstand. Stattdessen delektierten wir uns später an Rotbarsch. 

War wohl eine Art Übersprungshandlung.

05 Dezember 2009

Fundstücke (62): Lose Zusammengekehrtes

Neulich bewarb sich ein freier Autor bei mir. Seine Fähigkeiten als Sprachästhet versuchte er per Mail mit folgendem Wortquas herauszustellen:

„Hiermit generiere ich Ihnen Abdruckrechte zur Berichterstattung meines Interviews.“

Das war natürlich zum Davonlaufen (Beispielfoto, mit den Beinen von Ms. Columbo), und eigentlich sollte in einem solchen Fall die goldene Regel gelten: Nicht mal ignorieren. Das tat ich dann auch.

Ungefähr am gleichen Tag beteiligte sich eine weitere Combo am so berüchtigten wie bockelharten Wettbewerb um den ekligsten Bandnamen der Welt. Sie hofft auf eine Weltkarriere mit dem Einfall The toten Crackhuren Im Kofferraum. Die Chancen sind m. E. eher gemischt.

Dazu passt ein ganz bisschen ein Flohmarktdialog, den ich unlängst auf dem Schlachthofgelände genießen durfte.

Händler: „Wie kann ich Ihnen helfen?“

Kunde (vergnügt): „Mir ist nicht mehr zu helfen. Sagt meine Frau.“

02 Dezember 2009

Pfannkuchen!



Paul McCartney wunderte sich ziemlich darüber, beim Betreten der Bühne der Color Line Arena ausgepfiffen zu werden. Doch sein Publikum – darunter viele Leute, die ihn schon im Starclub live gesehen haben könnten – war heute Abend einfach nicht mehr jung und tolerant genug, um ihm die fast anderthalbstündige Konzertverspätung nachzusehen. Auch bei mir wollte das „OmfG: Ich bin in einem Raum mit einem BEATLE!“-Gefühl nicht aufkommen.

Nach einer Stunde abgeschmackten Heavyrocks legte McCartney dann ein hübsches akustisches Intermezzo ein, inklusive „Blackbird“. Der unterhaltsamste Moment war aber der, als er ohne jede kontextuelle Einbindung unvermittelt „Spiegelei auf Toast!“ sagte. Und direkt danach „Pfannkuchen!“.

Und warum? Weil er es kann. Auch nach 49 Jahren noch.

Schtand licht hat viele Vorteile



Der Fahrradladen meines bedingungslosen Vertrauens kam hier im Blog schon mal vor, und zwar auf etwas delikate Weise.

Nach einem mehrmonatigen Interimsdomizil in der Clemens-Schultz-Straße ist er vor einiger Zeit wieder zurückgezogen in sein Stammhaus in der Talstraße, und ebendort wurde ich heute
mal wieder erzwungenermaßen und dennoch freudig vorstellig. Nach meinem dilettantischen Versuch nämlich, die hintere Lampe zu reparieren, ging nun auch die vordere nicht mehr. Irgendetwas Rumpeldummes hatte ich mit den Kabeln angestellt, mir passiert so was immer.

Eine komplett defekte Belichtungsanlage ist dummerweise ein Manko, welches die Hamburger Polizei derzeit mit einer Gnadenlosigkeit verfolgt, die an die damalige Fahndung nach Albaner-Willi erinnert. Deshalb musste ich in den Fahrradladen.

Als ich dort meinen Anteil am Problem beschönigungslos geschildert hatte, kümmerte sich sogleich der Chef um mich. Er ist ein kleiner gedrungener Mann mit gemütlicher Frontwölbung, der stets schüchtern lächelt und so eine grundsympathische Melancholie verströmt. Da die augenblicklich in Angriff genommene Reparatur etwas länger dauerte, konnte ich mich umsehen.

Erstmals in meiner langen Karriere als Ladenbesucher nahm ich die Ausstattungsmerkmale der Fahrräder auf den angehefteten gelben Zetteln in Augenschein. Ein hochinteressantes Studienobjekt. Sie sind per Hand beschriftet, wahrscheinlich vom Chef persönlich.

Da gibt es zum Beispiel ein „Renrad“ mit beeindruckender „Rahmen grose“. Viele Modelle verfügen lobenswerterweise über eine „Rücktred Brems“, was ich aus Sicherheitsgründen unterstützenswert finde.

Und hätte ich just ein paar Euro mehr zur Hand gehabt, wäre es gewiss eine Überlegung wert gewesen, Ms. Columbos allzu schmalen Fahrzeugpark um das ausgelobte Damenrad mit „schtand licht“ und „und plad bare Reifen“ zu erweitern. Zumal es über „3 gönge“ verfügte, wenn auch nicht über „Bremz scheiben“.

Inzwischen war Cheffe fertig, er hatte meinem Fahrrad hinten ein „schtand licht“ montiert. „Mit LED“, sagte er stolz und melancholisch, „die lade auf, wenn trede. Un brenne weider an Ampel.“

Genauso muss es sein. Hoffentlich geht bald wieder was kaputt an meinem Rad.


01 Dezember 2009

Effizienz am Arbeitsplatz

Matt: (stellt der vermeintlich zuständigen Mitarbeiterin das defekte Homehandy auf den Tisch): „Putt.“
Vermeintlich zuständige Mitarbeiterin: „Sarah.“
Matt: „Ist nicht da.“
Vermeintlich zuständige Mitarbeiterin (nimmt Telefon, drückt ein paar Tasten, es funktioniert sofort wieder): „Da.“
Matt: „Wtf?
Vermeintlich zuständige Mitarbeiterin: „Vorführeffekt.“
Matt
(geht. Kann ab sofort wieder angerufen werden.)


30 November 2009

Echt dufte

Blogleserin Susanne betreibt einen Parfümladen in Halle und hat sich entschieden, drei Prozent ihres Gesamtumsatzes im November und Dezember an die Deutsche Kinderkrebsstiftung zu spenden.

Das ist natürlich klasse, doch weshalb sie sich mit der Bitte um Erwähnung dieser Aktion ausgerechnet an mich wendet, war mir zunächst schleierhaft. Dann dämmerte mir aber, dass es bestimmt mit der Fülle ofaktorisch bedenklicher Beiträge wie diesem zusammenhängt.

Warum sie aber glaubt, dieses kleine Kiezblog würde außer ihr noch von irgendeinem weiteren Hallenser (Hallener? Haller? Hallo?) gelesen – was ja erst die Grundlage für einen gleichwohl höchst unwahrscheinlichen Werbeeffekt wäre –, bleibt mir auch nach längerem Grübeln unklar.

(Eigentlich müsste ich diesen Beitrag von der Steuer absetzen können. Leider hat er keine Kosten verursacht.)

29 November 2009

Nichts wie raus

Die beiden jungen Blondinen, die kurz nach Mitternacht in Altona unseren S-Bahnwagen betraten, lachten und scherzten. Zwei fröhliche Teenager auf dem Weg in die Nacht.

Es war keineswesgs abzusehen, dass eine der beiden sich unmittelbar vor Erreichen der Station Reeperbahn exorbitant erbrechen würde, und zwar in mehreren kräftigen Schüben, die gelbrot und lautstark auf den Boden pladderten.

Noch während dies in unserer unmittelbaren Nähe geschah, hielt die Bahn, und selten zuvor in unserer HVV-Geschichte war das Aussteigen von einem derartigen Gefühl der Erleichterung geprägt wie diesmal.

Mein Mitgefühl galt den uns entgegenbrandenden Massen, die nun nichtsahnend hineindrängten. Ihr Schicksal war besiegelt, daran war nichts mehr zu ändern.

Die beiden Kreuztaler Anwälte haben mit dieser ganzen Geschichte übrigens nicht das Geringste zu tun.

28 November 2009

Die falsche Schlange

Aldi im Brauquartier (Foto), an einem nassen dunklen Novemberfreitag. In der einzigen Kassenschlange nehme ich eine mittlere Position ein.

Schräg neben mich gesellt sich plötzlich ein grobschlächtig wirkender Narben- und Mützenträger mit einem Sechserpack Holsten im Arm. Klar, er will reingelassen werden, doch wenn er nicht fragt, kriegt er auch keine Antwort. So ist das.

Außerdem – und da ist geradezu der Kategorische Imperativ voll auf meiner Seite – darf man keinesfalls einen Menschen in mittlerer Schlangenposition als ersten ums Vorlassen ersuchen, sondern muss fairerweise hinten anfangen.

Schließlich kann niemand, der bereits ansteht, das Einverständnis jedes Einzelnen hinter sich voraussetzen – und das wäre unbedingt erforderlich, denn der Holsten-, Narben- und Mützenträger scherte ja nicht nur vor mir ein, sondern auch vor allen anderen dahinter.

Wie auch immer: Ich ignoriere den Mann und rücke ungerührt und schweigsam vor. Er nutzt allerdings die sich dadurch kurz öffnende Lücke, um sich wortlos hinter mir in die Schlange zu mogeln. Keiner sagt was. Präadventsdumpfheit.

Die Schlange ist inzwischen so lang wie ein Reisebus. Endlich bequemt sich Aldi, das Öffnen einer weiteren Kasse per Klingelzeichen anzukündigen. „Das wurde aber auch Zeit, dass es hier mal klingelt!“, blökt der Holstenmann hinter mir. Keiner sagt was.

Jetzt kommt der neue Kassierer, und vor und hinter mir stürzen sie alle ans frisch eröffnete Förderband. Mister Undgeduld ist nun Nummer 4 in der neuen Schlange, ich in meiner Nummer 6.

Doch es flutscht außergewöhnlich prächtig, mein Kassierer ist ein echtes As, eine Art Ribéry des Warenscanners, ich schiebe mich praktisch kontinuierlich vor und bin auf einmal auch schon dran. Als ich alles in den Wagen geräumt habe, linse ich hinüber zur anderen Schlange. Die Kasse ist schon wieder verwaist, es gab wohl ein Problem, ein technisches wahrscheinlich, so ist das ja meistens.

Der Grobschlächtige jedenfalls ist die kochende Nummer 3. Er hat also nur eine Position gutgemacht, ich fünf. Jetzt steht er da neben seinem Sechserpack und schüttelt bitter lächelnd den Kopf, seine Augen sind geschlossen.

Ich weiß, es ist nicht gerade ein weihnachtliches Gefühl und es wirft kein gutes Licht aufs Niveau meiner sittlich-moralischen Grundausstattung, doch ich lasse es einfach stillvergnügt zu, dieses kleine Bisschen Häme.

Zumal der Holstenmann sich noch nicht mal zum Trost an einer Flasche laben kann – er hat sie ja noch nicht bezahlt.


26 November 2009

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (14)



Der Fetischshop Boutique Bizarre an der Reeperbahn.

Ein salomonisches Stöckchen



Eigentlich wollte ich hier und jetzt demonstrativ genervt aufstöhnen, weil es die unverschämte Sinnsphäre gewagt hat, mir eins jener unseligen Stöckchen zuzuwerfen, die eigentlich längst von der Genfer Konvention geächtet wurden.

Ich bin doch kein Dackel!, wollte ich ihm bereits aufgebracht entgegenschleudern, war aber davon sediert, dass er im Zusammenhang mit mir das Adjektiv „genial“ gebrauchte, und wer kann sich dagegen schon wehren?

Allerdings ist das Aufnehmen eines Stöckchen mit Arbeit verbunden, und als jemand, der die Bequemlichkeit weit mehr schätzt als den Schweiß, läge mir kaum etwas ferner. Dass ich es dennoch aufnehme, liegt aber nur zum Teil an der Schmeichelei.

Nein, der entscheidende Grund ist der, dass ich im Grunde die mir auferlegte Arbeit schon längst getan habe, nämlich im Rahmen dieses Interviews.

Eine salomonische Lösung – zumal ich das unlängst in Wien geknipste Foto in einem inhaltlich gerechtfertigten Zusammenhang endlich verbloggen kann.

So ist allen geholfen.

25 November 2009

In Wind, Wetter und aller Ruhe

Es gibt kaum einen lächerlicheren Anblick als Menschen, die mit aufgespanntem Schirm Fahrrad fahren.

Einhändig karriolte heute ein älterer Herr dergestalt die Straße lang, während der hanseatische Sprühregen ihn gleichwohl von allen Seiten einnässte, und zwar hämisch.

Menschen, die mit aufgespanntem Schirm Fahrrad fahren, müssen Zugezogene sein. Hamburger tun so etwas nicht. Hamburger ziehen sich einfach wetteradäquat an, in jeder Situation, auch und vor allem, wenn sie Fahrrad fahren wollen.

Andererseits kann nicht jeder Dödel, der bei Sturm mit offenem Schirm die Straße betritt, ein Zugezogener sein. Dafür sieht man zu viele dieser hilflosen Trottel mit wild um sich schlagenden Schirmen ringen, und dafür liegen dieser Tage viel zu viele logischerweise zerfetzte Schirme im Rinnstein.

Doch es geht auch anders. Heute Abend sah ich auf der Reeperbahn einen Radfahrer im hochgeschlagenen Trenchcoat, der hielt kurz an, um sich in Wind, Wetter und aller Ruhe eine Pfeife anzuzünden, statt einen Schirm aufzuspannen. Dann radelte er weiter, kleine Rauchwolken in die Kieznacht pustend wie Emma, die Lok von Jim Knopf.

Ich werde es zwar nie beweisen können, aber das war mit Sicherheit kein Zugezogener.


23 November 2009

Saugen für die Wissenschaft

Wie langjährige Besucher der Rückseite der Reeperbahn wissen, wirke ich als Lenker meines Staubsaugers nicht immer segensreich und oftmals nur vage handbuchkompatibel.

Zum Beispiel gelang es mir beim Reinigen des Multifunktionsgerätes im Büro schon einmal versehentlich, ein bis heute unbekannt gebliebenes Schreiben an eine bis heute unbekannt gebliebene Frankfurter Nummer zu faxen.

Heute hingegen saugte ich turnusmäßig die Tastatur meines MacBook Pro und generierte nebenbei unverhofft ein munter aufploppendes Dialogfensterchen, das mich fragte, ob ich das sogenannte „Caret Browsing“ einschalten wolle.

Caret Browsing? Nie gehört. Wie jeder getriebene Forscher seit Galilei entschloss ich mich gleichwohl zum Einschalten, und siehe da: Caret Browsing entpuppte sich als recht nützliches Feature, das ich hinfort nicht mehr missen möchte – und alles nur, weil ich es unerschrocken wage, mit der brachialen mechanischen Urgewalt eines Staubsaugers besinnungslos und blind in die Welt des Digitalen vorzustoßen.

Auf ähnliche Weise sind wahrscheinlich auch das Penicillin, die Spaltbarkeit des Atoms und Amerika entdeckt worden. Um mir die okkulten Tiefen aller Programme des MacBook Pro erschließen zu können, müsste ich allerdings noch einige Äonen lang weitersaugen.

Aber soooo dreckig ist es auf der Rückseite der Reeperbahn nun auch wieder nicht.

P.S.: Eigentlich hätte ich im obigen Text die Tätigkeit des Staubsaugens gern als Blowjob minus Sex bezeichnet, doch das wäre mir im Kontext dieses Blogs doch etwas zu gewollt vorgekommen. Also habe ich es gelassen, und zwar komplett.

21 November 2009

Alle Menschen werden prüder



Seit Jahren wird die Welt immer sexualisierter. Schon 12-Jährige gehen auf Gangbangs, jede C-Promi-Tusse lässt unaufgefordert die Glocken baumeln, und wenn wirklich noch kein Blowjob von dir auf Youporn zu sehen ist, bist du von gestern oder prüde.

Doch ausgerechnet der Kiez stemmt sich gegen diesen Trend – zumindest legt das renovierte Mauerbild an der Reeperbahn/Ecke Hein-Hoyer-Straße das nahe.

Erstmals fotografierte ich das Motiv 2006 (links). Gerade wurde es generalüberholt, nicht nur farblich, und siehe da: An pikanter Stelle tat sich äußerst Signifikantes. Ob bei der Dame noch alles fit im Schritt ist, vermag man neuerdings nicht mehr zu beurteilen, dafür fehlt jetzt die phänomenologische Basis.

Wird also ausgerechnet das Rotlichtviertel allmählich zu jener Tabuzone, die der Rest der Welt längst nicht mehr ist? Und was kommt als nächstes: Wickelhosen für die gespreizten Beine am Eingang der Ritze? Zuhälter, die „Was guckst du?“ blaffen, wenn man ihr Personal mustert? Huren, die mit dir für 50 Euro nur noch über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan diskutieren wollen?

Ich werde das weiter beobachten, und zwar mit Sorge und Bestürzung.

20 November 2009

Das Kreuz mit dem X



„Nein, tut mir Leid“, sagt der Polizist auf der Davidwache zu dem streng riechenden Mann, der vor ihm am Tresen steht, „gegen Sie liegt kein Haftbefehl vor. Ich habe im Computer nachgeschaut.“

Kein ganz uncleverer Versuch. Gleichwohl kann sich der Duftbolzen die geplante Nacht in der warmen Zelle nun abschminken. Scheißcomputer.

Ersatzweise durfte er sich die Novembersonne auf den Pelz brennen lassen – und ein kapitales Kondensstreifenkreuz am Hamburger Himmel bewundern, das uns alle schon mal einzustimmen versuchte auf den Advent, ob wir nun ein Dach über dem Kopf haben oder nicht.

Vielleicht war es aber auch nur ein X
.

Foto: Ms. Columbo

19 November 2009

(K)ein Abend für Fußfetischisten

Während des Essens vorm Fernseher auf arte damit konfrontiert zu werden, wie jemand einem kranken Schaf die Klauen kürzt, bis sie bluten, erzwingt natürlich sofortiges fahriges Umschalten, trotz meiner kulinarischen Erfahrungen mit Lammfüßen.

Bei der ziellosen Flucht verschlägt es mich auf Phoenix, wo ich jedoch prompt in eine Sendung über misslungene Arktisexpeditionen stolpere und es nicht mehr rechtzeitig vermeiden kann zu sehen, wie ein Forscher einem anderen den verfaulten Fuß absägt.

Zum Glück mümmelte ich gerade kein Eisbein, sondern „Ritter Sport Voll-Nuss“, aber trotzdem. Jedenfalls war das kein Abend, der Fußfetischisten in ihrer Neigung hätte bestätigen können.

Oder gerade.



„Ich such diesen Button nicht!“



Normalerweise gibt es hier nur selbstgefilmte Clips. Heute mal nicht, aus gegebenem Anlass.

Voilà, eine unglaubliche Performance: Pigor ist der Mount St. Helens des HipHop, die Nemesis der Digitalära, der Ikonoklast des Internet, der rasende Berserker im Porzellanladen des Hier und Jetzt – und heute Abend live in Hamburg zu sehen, in Sichtweite der Crackhuren vom Steindamm, nämlich im Polittbüro um 20 Uhr.

Es gibt noch Karten; man sieht sich.


Ergänzung von 23:15 Uhr: Auch morgen und übermorgen ist Pigor noch im Polittbüro am Werkeln. Und es ist g.r.a.n.d.i.o.s., versprochen.

Ohne Worte (63): Kreative Interpunktion



Entdeckt in Passau.


17 November 2009

Heute gehen wir den Dingen mal auf den Grund

Wahrscheinlich gibt es kaum jemanden unter uns, der in den vergangenen Tagen nicht mit einem panischen Kettenbrief behelligt wurde, der praktisch allen gegen Schweinegrippe Geimpften – also auch mir – ein künftiges Siechtum dank Golfkriegssyndrom prophezeiht.

Man fragt sich natürlich schon, was intelligente junge Menschen dazu bringt, sich ungeprüft zum Büttel einer anscheindend paranoiden Ärztin zu machen, die seit Jahren die Welt nervt mit Antiimpfmails und die sogar die Existenz des HI-Virus abstreitet.

Warum verbreiten so viele Leute – darunter auch diverse aus meinem Bekanntenkreis – eine Mail mit Horrorzahlen, ohne vorher auch nur ansatzweise nachzurecherchieren? Offensichtlich ist der Reiz, jedweden abstrusen Grusel glauben zu wollen, größer als das natürliche Bedürfnis der Ratio, seltsam scheinenden Dingen auf den Grund zu gehen.

Ich neige manchmal zum anderen Extrem. Unlängst etwa schrieb mir eine Dame vom Spiegel, und deren Name las sich, als hätte man die Buchstaben eines anderen Namens in einen Würfelbecher gekippt und den dann kräftig geschüttelt: Die Gute heißt Gartred Alfeis.

Das schrie geradezu nach einer amtlichen Anagrammierung, also nahm ich den Wörterwürfelbecher, schüttelte und rüttelte, und das erste und naheliegendste neue Wort, das sich wundersam herausbildete, war ein Männername: Alfred Trageis.

Im Lauf einer höchst spaßigen Viertelstunde offenbarte die gute Gartred auch so hübsche Sachen wie „saftiger Adler“, „Strafgeldarie“, „fader Lagerist“ oder das ökologisch unbedenkliche „radelt gasfrei“. Man darf allerdings auch den unheimlichen und an Hannibal Lecter gemahnenden Komparativ „Alfred ist garer!“ keinesfalls verschweigen.

Manchmal macht es halt einfach Spaß, den Dingen auf den Grund zu gehen. Gerade als Geimpfter
.

PS: Das heutige Foto zeigt übrigens keinesfalls Australien, sondern eine kunstvoll unrenovierte Wand im Restaurant Bullerei.


15 November 2009

An einem ganz normalen Sonntag

Vor der Fischmarktbude steht eine weißhaarige und -häutige Schaufensterpuppe, deren Kopf und Haare sich kaum abheben vom Hintergrund. Ich zücke die Kamera.

„Fünf Euro pro Foto“, scherzt der hinzutretende Budenbesitzer, der gerade am Abbauen ist. „Nur wenn mich die Dame selbst darum bittet“, kontere ich in einem extremst raren Anfall von Schlagfertigkeit, der deshalb auch sofort verbloggt werden muss, um mich hinfort daran zu erinnen, dass ich es wirklich einmal war: schlagfertig.

Jedenfalls komme ich um die fünf Euro herum, denn die Dame bleibt stumm. Im Gegensatz zu diesem schmerbäuchigen Riesen bei Penny an der Reeperbahn, der seine Halbglatze mit kragenlangen fettigen Ringellöckchen zu kompensieren versucht. Er steht in der Kassenschlange und wird von einem alten Graukopf mit Schiebermütze und drei Tetrapacks unterm Arm angesprochen.

Es ist nicht zu hören, was der Alte sagt, doch klar ist: Er möchte angesichts seiner überschaubaren Einkäufe gern vorgelassen werden. Was der schmerbäuchige Riese antwortet, ist drei Schlangen weit zu hören. „Die Antwort ist ein ganz klares Nein!“, schnappt er. Dabei schaut er schräg unter sich. „Ein ganz klares Nein!“

Der Alte murmelt etwas und trottet den Gang hinab, ans Ende der Schlange – vorbei an dem Mittdreißiger mit Bandana und Ziegenbärtchen, der gerade einen unrasierten Mann in seinem Alter anspricht. „Sach ma, kann ich das ma kurz in deinem Wagen zwischenlagärn?“

Umstandslos wuchtet er seine Einkäufe in den Wagen des Fremden, ohne eine Antwort abzuwarten. Der Überrumpelte ist hilflos, denn er telefoniert gerade. Wortfetzen wehen herüber „… Ware angekommen … überprüft … das ist bei der Ware so … kümmer mich drum …“

Pennygeschichten. Solche Dialoge hört man bei Edeka nie. Vor allem nicht innerhalb von drei Minuten.


Die ökoorthografische Katastrophe

Am Hafen, gegenüber vom alten Elbtunnel (Foto), sah ich heute ein Graffito, welches bereits beim ersten Lesen die Dicke des Brettes vorm Kopf seines Verfassers unmittelbar verdeutlichte. Dort stand nämlich:

„25 MRD RAUS FÜR'N UMWELTSCHUTZ ODER BERLIN BRENNT!“

Das erinnert in seiner hirnrissigen Paradoxie an Abtreibungsgegner, die Ärzte umbringen. Beim Brennen, lieber unbekannter Synapsenmissbraucher, entstehen nämlich umweltschädliche Gase in beträchtlicher Menge – selbstverständlich auch und sogar gerade dann, wenn Berlin brennt, eine Stadt von immerhin fast 900 Quadratkilometern Fläche.

Pi mal Daumen genauso schlimm wie dein argumentativer Schuss ins eigene Knie ist jedoch nicht das fehlende Komma vor „oder“, sondern auf jeden Fall der Deppenapostroph in „FÜR’N“. Kurz: Gesamtaussage inklusive Orthografie bedürfen einer dringenden Überarbeitung.

Morgen schau ich mal vorbei und checke das Ergebnis.

13 November 2009

Weisheiten über Partys

(FOTO AUF BITTE DES ABGEBILDETEN ENTFERNT)

Wieder mal ein Abend im Toten Salon. Zum Glück. Denn er lieferte eine der definitiv großartigsten Argumente dafür, eine Party weiter am Laufen zu halten:

„Das Kerzenwachs ist noch nicht trocken.“

Das
Copyright dafür gebührt Salongastgeber Richard Kähler. Der Mann auf dem heutigen Foto indes benötigte solche Ermunterungen nicht, zumal seine Party eher solistischer Natur war.

Ich finde allerdings, wenn man schon an einer Kiezhauptstraße abends im Souterrain kokst, sollte man wenigstens die Gardinen vorziehen.

12 November 2009

Monochrom statt molekular



Gestern Abend wurde ich im Rahmen einer CD-Präsentation von Tim Mälzer bekocht. Natürlich nicht ich alleine, aber auch ich.

Vorher schwor der TV-Koch uns auf die Modalitäten ein: Wer den jeweils als Auftakt eines Ganges servierten
Jelly Shot nicht zu sich nähme, bekäme nichts zu essen. Punkt. „Und wenn trockene Alkoholiker dabei gewesen wären?“, gab Ms. Columbo später zu bedenken, als ich ihr davon erzählte. Tja. Soweit hatte Mälzer wohl nicht gedacht.

Bei einem Wodka Jelly Shot handelt es sich übrigens um eine Art Wackelpudding mit Umdrehungen. Scheußlich, aber knallt. Der erste war grün, weil Mälzer heute nach Farben kochte, und als erster Gang war Zander in Kräuterkruste mit Erbsenpüree dran. Das war alles sehr grün, also musste auch der Shot grün sein. Er schmeckte fern nach Waldmeister, aber darauf kam es nun wirklich nicht an.

Während Mälzer wuselte und kochte, standen wir um ihn herum, reichten ihm Pfannen oder stellten dumme Fragen. Die beantwortete er im Dampfplauderstil, während er ohne hinzusehen in einem Affenzahn Knoblauch oder Schalotten schnitt. Verstohlen musterte ich seine Fingerkuppen. Sie waren seltsamerweise alle noch dran. Oder wieder.

Beim Flambieren eines Carpaccios vom Iberico-Schwein gab er Einblick in die Ausstattung seines Restaurants Bullerei. „Ich habe eine Hightechküche, ich habe alles, ALLES!“, bellte er, „aber das Einzige, was ich bedienen kann, ist der Ofen. Und mein Herd zu Hause kann auch nur heiß werden, aber er kostet 20 000 Euro!“

Zu diesem Zeitpunkt war der zweite Wodka Jelly Shot, ein roter, schon Geschichte, und es drohte ein gelber. Denn inzwischen hatte Mälzer sich pochiertem Kabeljau mit Currysoße, Gewürzbirne und Kumquats zugewandt.

„11 Prozent aller Deutschen sagen, das liebste Tier, das sie auf dem Teller haben, sei Hack“, gluckste Mälzer, und schon stand der rosa Jelly Shot an, denn das geräucherte, gepökelte Rinderfilet auf Rote-Bete-Püree mit Rotweinrauchaalbutter war so pink, wie Floyd niemals waren.

Zwischendurch, das muss Erwähnung finden, sprachen wir übrigens kräftig den Bullerei-Hausweinen zu, die allerdings im Gegensatz zu den gepimpten Wackelpuddingvarianten nur zwei Farbnuancen aufzuweisen hatten.

Inzwischen war Mälzer richtig in Fahrt. „Kobe-Rinder werden massiert, hören klassische Musik und bekommen Bier zu saufen – das ist wie bei mir zu Hause!“, johlte er, während er daran scheiterte, die Kindersicherung am Handmixer zu deaktivieren.

Der letzte Shot (blau) war aus mindestens zwei Gründen kongenial koloriert, und nur einer davon war das Dessert (blaues Schokomus mit Blaubeeren).

Mälzer war übrigens auch schon mal in Spanien, um sich an Ferran Adriàs Molekularküche zu wagen. War aber nix für ihn. „Das ist ganz viel Kokolores. 38 Gänge, und 36 davon hättest du in die Tonne treten können. Mir war wirklich schlecht, ich musste brechen. Aber ich hab’s zweimal runtergeschluckt.“

Das hätte an diesem Abend in der Bullerei höchstens ein weiterer Wodka Jelly Shot schaffen können, doch kurz vor eins gelang mir die Flucht. Grandioser Abend.


11 November 2009

09 November 2009

Mein Mauerbröckchen



Voilà: das schönste Stück von meinen sieben Bröckchen Berliner Mauer, die ich einst persönlich vor Ort einsammelte.

Seit 1989 gingen diese historischen Artefakte bei mittlerweile vier Umzügen nie verloren, obwohl sie durchweg nur lose herumlagen, meist am Rand irgendeines Regalbretts.

Das hat bestimmt etwas zu bedeuten, etwas Wichtiges. Aber ich komme gerade nicht drauf.

Bei Ebay, das habe ich gecheckt, brächte so ein Bröckchen keine zehn Euro; selbst mit Echtheitszertifikat wäre da kaum mehr rauszuholen. Das ist enttäuschend und hat bestimmt auch irgendetwas zu bedeuten, etwas Wichtiges.

Zum Tag der Deutschen Einheit erzähle ich vielleicht die Geschichte, wie ich mal aus purer Dummheit von der Stasi verhört wurde.



Auf und nieder, immer wieder

Immer Sonntagsmorgens gegen 10 besorge ich die Tageszeitung am Kiosk im U-Bahnhof St. Pauli.

Um diese Zeit ist der Bahnhof ein merkwürdiger Ort. Auf den Metallbänken hängen schief und schräg die letzten Opfer der Nacht. Sie schlafen in krummen Stellungen und betteln darum, beklaut zu werden.

Meist stehen ein paar junge Typen mit Bierbüchsen in der Nähe; sie haben zwölf Stunden Kiez in den Knochen und genug Promille im Blut, um es ratsam erscheinen zu lassen, sie weiträumig zu umgehen. Manchmal warten am Gleis auch schon ein, zwei Rentnergrüppchen aus dem Um- oder Ausland (= alles südlich von Niedersachsen) aufgeregt auf die U3, weil die Bahn sie zu den Landungsbrücken bringt, wohin sie auch binnen zehn Minuten laufen könnten.

Auf einer der Bänke hockt in der Regel zudem eine vor wenigen Stunden noch schwer aufgebrezelte, doch jetzt immens derangierte Königin der Nacht. Die von heute morgen trug Schwarz, von den Haaren über den Mini bis hinunter zu den Highheels, und fast wäre sie noch als repräsentabel durchgegangen, ruhte ihr rechter Fuß nicht nach außen abgeknickt auf dem Boden, während ihr linker weiterhin aufrecht auf dem Stiletto balancierte.

Es sind oft die Details, die Geschehenes andeuten, auch wenn man nie dahinterkommen wird, was genau zu abgeknickten Füßen oder schiefem Tiefschlaf auf Metallbänken geführt haben mag im Lauf einer St.-Pauli-Nacht.

Heute komplettierte eine Reinigungskraft das Ensemble. Ein junger Afrikaner mit orange leuchtender Schutzweste säuberte die Rolltreppe. Er fuhr hoch und wischte dabei die metallenen Segmente der Seitenverkleidungen ab, dann schritt er wie traumverloren die Fußtreppe wieder hinunter, wandte sich nach links und reiste erneut wischend und putzend nach oben.

So ging es in einem fort, und es hatte weniger etwas von Sisyphus als von einem souverän aus- und aufgeführten Körpermantra, weil der Mann es verstand, seinen berechtigten Widerwillen gegen diese Art Tätigkeit an einem gottverdammten Sonntagmorgen zu überführen in lässig ausgestellte Ungerührtheit.

All das, die Besoffenen und die Gefährlichen, die Schnarcher, die Rentner und die Reiniger, werden natürlich unablässig akustisch umspült von Händel, Mozart & Co.

Aber das sagte ich ja bereits.


07 November 2009

Die gesammelten Irritationen des Tages



In der Weinstube Zur Traube in Ottensen lassen wir uns Wirsingrouladen schmecken, die bedauerlicherweise mit stark überwürztem Rehhack gefüllt sind.

Die weitaus nachhaltigere Irritation ereilt mich allerdings auf der Herrentoilette: Dort stehen auf einer Ablage über der Kloschüssel Mikadostäbe in einer kleinen Glasvase, die zu einem Drittel mit Wasser gefüllt ist. Mikadostäbe.


Wenn Zahnstocher auf dem Tisch stehen, kann ich ihre Funktion unmittelbar nachvollziehen. Aber bei Mikadostäben auf dem Klo?

Es läge nahe, von den Zahnstochern ausgehend analog rückzuschließen auf eventuelle Einsatzgebiete ihrer großen Brüder, doch hält mich nicht zuletzt die im Gastraum überdeutlich ausgestellte Gutbürgerlichkeit der Traube davon ab, diesen Gedanken bis zum unappetitlichen Schluss durchzudeklinieren.

Leider habe ich die Kamera nicht dabei, sonst hätte ich das Ganze fotografisch festgehalten und zu einer längst fälligen weiteren Folge der Herrenkloserie ausgebaut. So bleibt mir nur, die dritte Irritation des Tages zu dokumentieren; chronologisch gesehen war sie sogar die erste.

Sie suchte mich mittags heim. Als ich in meine Espressotasse blickte, schien die Crema zu meinem namenlosen Entsetzen das Jack-Wolfskin-Logo nachbilden zu wollen. Auf dem Foto sieht man das leider praktisch überhaupt nicht.


Jedenfalls half nur die sofortige Vernichtung aller Beweise. Und darin bin ich zum Glück spitze.


06 November 2009

Modeirrtümer des 21. Jahrhunderts (2)



Heterogenität ist ein wichtiger Freakfaktor auf dem Kiez, das bestätigt sich tagtäglich.

Heute Abend zum Beispiel traf ich beim Konzert einen glatzköpfigen Mann, der hatte sich auf dem Kopf mit Hilfe eines breiten, komplett umlaufenden Stofftuchs seine hochgestellte Brille festgezurrt, auf der oben ein blinkendes Fahrradrücklicht befestigt war.

Seines Freaktums schien er sich dennoch nicht bewusst zu sein. Und warum auch? Schließlich wurde er keinesfalls geächtet oder geschmäht, wie es zweifellos zum Beispiel in Alsenbrück-Langmeil der Fall gewesen wäre, sondern war trotz Blinklicht bestens in eine vielköpfige Sozialgemeinschaft eingebunden, mit der er frohgemut zechte und schäkerte.

Auf die Frau, die an der S-Bahn Reeperbahn vor mir die Rolltreppe betrat, traf der
Freakfaktor der Heterogenität ebenfalls zu. Ihr knielanger Pelz wirkte in den Augen eines Laien (= moi) verteufelt echt. Doch wenn das wirklich der Fall war: Was brachte sie bloß auf die kuriose Idee, diesen wahrscheinlich im vierstelligen Eurobereich angesiedelten Echtpelz mit weißen Michael-Jackson-Gedächtnissocken und Turnschuhen zu kombinieren?

Auch die in Militärtarnoptik gemusterte Tasche links kontrastierte schroff mit dem Mantel, während die goldene rechts sich farblich allenfalls an den Teint der unbedeckten Waden anschmiegte, nicht aber an die Fußbekleidung.

Während ich mit meinem Fahrrad hinter ihr hochtransportiert wurde, friemelte ich die Kamera hervor, um diesen denkwürdigen Anblick zu verewigen, versemmelte aber die Deaktivierung des Blitzes. Mir war das enorm peinlich, doch die Pelzdame merkte zum Glück nichts.

Trotzdem, ich muss vorsichtiger sein.

05 November 2009

Wie ich mich mal gegen Schweinegrippe habe impfen lassen

Wenn wirklich die Pandemie kommen sollte, dann gnade uns Rösler. Denn schon jetzt ist das Gesundheitsamt heillos überfordert, dabei verlieren sich gerade mal sechs Leutchen in der Empfangshalle.

Darunter der Franke und ich: Wir wollen uns impfen lassen. Zwei wuselköpfige Damen händigen uns Formulare aus, die wir ausfüllen sollen. Kugelschreiber haben sie aber leider keine. Schade. Eine impfwillige Kundin, die ihr Ausfüllpensum schon erledigt hat, bietet mir ihren an – unter der Maßgabe, ihn nachher wieder zurückzugeben. Ich werde sie nie mehr wiedersehen.

Wir füllen unsere Formulare aus. Der Franke braucht allein drei Minuten und zwei Extrazeilen, um seine ganzen Allergien niederzuschreiben. Bin ehrlich verwundert, dass „Atemluft“ auf seiner Liste fehlt.

Danach erhalten wir Wartemarken. Allerdings behalten die wuselköpfigen Damen kein Pendant mit der gleichen Nummer, um den Wartemarkenstapel später abarbeiten zu können, was mich erstaunt; außerdem schicken sie die Leute in verschiedene Gebäudetrakte, was mich noch mehr erstaunt. Ich bin sehr neugierig, welchen genialen neuen Kniff das Gesundheitsamt bezüglich der Wartemarken ausgetüftelt hat.

Der Franke erhält eine Impfersatzbescheinigung. „Warum haben Sie ihm jetzt so eine Impfersatzbescheinigung ausgehändigt und mir nicht?“, frage ich beleidigt. „Weil ich so tüddelig bin?“, fragt die Gesundheitsamtsdame rhetorisch zurück. Gute Theorie.

Oben, vor Raum 3, sitzen vier schweigende Männer und warten. Erneut huschen wuselköpfige Damen hin und her, aber andere. Dialogfetzen:
„Dr. XY schläft noch. Meinst du, ich soll ihn anrufen?“
„Hm, ich weiß nicht. Vielleicht ja.“

Man schließt eine Tür auf und wieder zu, man läuft ziellos über die Gänge, man gibt sich ostentativ überfordert. Dabei ist doch noch gar nichts passiert, keine Pandemie weit und breit, nur sechs Impfwillige in Wartestellung. Und nicht 6000.

Irgendwann tritt ein Weißkittel aus einem der Räume und fragt: „Wer ist der Nächste?“ Tja, wenn wir sechs das wüssten. Alle schauen ratlos auf ihre Wartemarken. Spätestens jetzt müsste das geballte behördliche Organisationsgenie sich Bahn brechen.

„Also, ich hab 163“, murmelt der tatterige Rentner neben mir und schaut sich unsicher um. Meine 171 kann gegen diese Superzahl nicht anstinken. „Irgendjemand niedriger als 163?“, ruft der Weißkittel in die Runde und stützt dabei die Arme herausfordernd in die Seiten. Schweigen im Gang, der Rentner wackelt in den Impfraum.

Das Wartemarkensystem scheint noch nicht ganz ausgereift. Vielleicht aber bis zur Pandemie.

Endlich bin ich dran. Zwischen dem Rentner und mir hatte noch einer die 167, die restlichen Zahlen fehlten, doch das verwundert nicht, schließlich wurde wir von der tüddeligen Dame in der Halle in verschiedene Gebäudetrakte geschickt.

Der Arzt fragt, ob ich gegen Hühnereiweiß allergisch sei. Mein schnippischer Gedanke, „Das geht doch aus dem Formular hervor, das ich mit einem geliehenen Kuli ausgefüllt habe, den ich nicht mehr zurückgeben kann, weil ich seine Besitzerin nie mehr wiedersehen werde, ehe mir eine Wartemarke ausgehändigt wurde, die praktisch keine Funktion hat“, bleibt fest verschlossen in meinem Kopf, und ich verneine.

Er desinfiziert meinen Oberarm und haut mir eine volle Kanüle Pandemrix rein. Das kleine sterile Stoffquadrat, das er beim Herausziehen der Spritze auf die Wunde drücken will, fällt ihm leider runter.

„Nein, nein“, deutet er mein kurzes Zucken falsch, „das hebe ich auf.“ Allerdings kommt er nicht ran, weil er immer noch die Spritze festhalten muss, die tief in meinem Oberarm steckt. Ratlos wandert sein Blick über den Tisch, an dem wir sitzen. Nirgends ein weiteres Stoffquadrat.

Schweigend sitzen wir da, die Spritze ragt aus meinem Arm, der Arzt schaut unstet umher. Irgendwann reicht ihm eine der wuselköpfigen Damen ein Ersatztüchlein, jetzt kann er die Spritze rausziehen.

Auf dem Gang treffe ich den Franken wieder. Auch ihn haben sie nach der Hühnereiweißallergie gefragt, aber wohl aus anderen Gründen: Sie hatten bestimmt keine Lust, seine enzyklopädische Tier-, Pollen- und Gräserliste Posten für Posten durchzugehen.

Heute war ein Arbeitskollege ebenfalls dort zum Impfen. Während der Behandlung kam eine der wuselköpfigen Damen herein und fragte: „Sag mal, was ist denn das für eine Charge hier? Die sieht doch ganz anders aus als die von heute morgen!“

Die Pandemie kann kommen.


03 November 2009

Modeirrtümer des 21. Jahrhunderts (1)

Kann man sich eigentlich auch als heterosexueller Mann vom Anblick eines anderen Mannes sexuell belästigt fühlen?

Nicht erst seit heute kann ich diese Frage mit großer Eindeutigkeit beantworten.

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (12)



Eingangs der herbstvernebelten Reeperbahn, an der Hausnummer 1, sieht es zurzeit ein wenig aus wie am Ground Zero anno 2001. Nur dass hier gerade das so hässliche wie traditionsreiche Gebäude, in dem einst der Mojo Club legendär wurde, dran glauben muss – und keine Twin Towers.

Dennoch wirkt die derzeitige Optik präventiv kongenial, denn an genau dieser Stelle soll demnächst in der Tat ein Doppelturm entstehen.

Klingt makaber, liegt aber weder am Abrissunternehmen noch am Architekten, sondern ausschließlich an der degenerierten Fantasie eines berüchtigten Kiezbloggers.

02 November 2009

Auf dem Fischmarkt



Es ist schon nach halb 10, auf dem Fischmarkt herrscht Ausverkaufswahnsinn.

Seit 9 ist zwar offiziell Schluss, doch erst danach steigern sich die Händler hinein in blanke Hysterie. Allerdings klafft oft eine Lücke zwischen der Warenqualität und dem Enthusiasmus des Anpreisens.

Ich vermute ja schon länger, dass die Händler bereits seit 7 Uhr heimlich Gammelgemüse und Quetschobst hinterm Wagen gesammelt haben, um alles pünktlich zur Marktschließung hervorzuholen und in Kisten zu 10 Euro verramschen.

Amüsiert lassen wir uns durch die wogenden Touristenmassen treiben. Die Händler kreischen und brüllen, ihr Adrenalinspiegel schwappt hoch wie die Elbe bei einer steifen Westbrise, nur Aale-Dieters Stimme ist gerade noch ein armseliges Krächzen, und deshalb schafft er es auch nicht mehr, eine Menschentraube an seinen Wagen zu fesseln.

Es geht gegen 10. Die Marktleitung hat schon dreimal durchgesagt, der Verkauf sei sofort einzustellen; damit treibt sie die Händler allerdings nur zu immer neuen Höchstleistungen. Wir hoffen daher auf günstigen Fisch in allerletzter Minute, vor allem auf Lachs, doch was man uns in Rahmen von 15-Euro-Paketen andrehen will, ist nur unwesentlich weit entfernt von Möwenfutter. Und beim Lachs lassen sie gar nicht nach; ungerührt nennen uns die Händler die alten Kilopreise, während sie weiter Rotbarschberge vor den mit Euroscheinen herumwedelnden Touristen auftürmen.

Wir haben unseren Schnäppchenplan praktisch schon aufgegeben, als wir am letzten Fischstand vor der Lakritz- und Nippesmeile die bereits fertig zusammengestellte Traumkonstellation entdecken: mehrere Lachsfilets, Schwertfisch, Seeteufel, Thun – und natürlich auch ein erhebliches Quantum Rotbarsch, doch das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert.

Wir schlagen zu: viereinhalb Kilo prächtigen Fisch für 15 Euro. Ein Kalmar war nicht dabei, doch der befand sich ja auch auf der gewiss interessant duftenden Wollmütze des abgebildeten Händlers, der schon mal mit Moby Dick geboxt haben muss; anders ist der kecke Knick in seiner Nase kaum zu erklären.


01 November 2009

Datenschutzgründe!



Trotz Mailbestätigung stehe ich mal wieder nicht auf der Gästeliste.

Nicht dass ich darauf bestünde, bei jedweder Anfrage stets auf ein begeistertes „Natürlich! Komm vorbei! Welche Farbnuance präferierst du beim Roten Teppich?“ zählen würde, zumal ein Konzertbesuch – gerade einer, der mit meinem persönlichen Geschmack disharmoniert – letztlich ja so etwas wie Arbeit ist.

Ich kann mir wahrlich interessantere Freizeitbeschäftigungen vorstellen, als um Mitternacht mit besoffenen berufsbegeisterten Promotern halbtaub Smalltalk halten zu müssen. Doch wenn ich schon mal die Bestätigung erhalten habe, möchte ich auch gerne draufstehen auf der Gästeliste; schließlich habe ich mir extra dafür den Abend reserviert, anstatt mit Ms. Columbo essen zu gehen oder einen besonders ausführlichen und eventuell endlich mal unterhaltsamen Blogeintrag zu verfassen.

Doch nein, hier, kurz vorm Treppenhaus des Uebel & Gefährlich, steh ich nun, und die eigens für zuständig erklärte Hupfdohle hinterm provisorischen Pult bescheidet mir nach dreimaligem Drüberschauen mit nur halb gespielter Verzweiflung meine undisputable Absenz auf der Gästeliste. Ich könne ja, schlägt sie mit aufrichtigem Mitgefühl vor, den Veranstalter anrufen, um die Sache zu klären. Dessen Telefonnummer aber habe ich zufällig nicht dabei. Sie auch nicht.

Also wende ich mich an einen der beiden Sicherheitsmänner, die mich eh schon skeptisch beobachten. Immerhin kann es sein, dass die narzisstische Kränkung, die zwingend mit einer überraschenden Absenz auf der Gästeliste einhergeht, zu sozial inkomptabiblen Verhaltensweisen wie Motzen oder Massakern führt. Jedenfalls spreche ich den Sicherheitsmann an und bitte ihn um die Telefonnummer des Veranstalters.

Der Sicherheitsmann schaut wie die Sphinx von Giseh, ehe er sagt: „Die kann ich Ihnen nicht geben. Datenschutzgründe.“

Datenschutzgründe. Peter Schaar wäre begeistert, ich indes nicht. Wenn ich hier nicht reinkomme, ist der Abend gelaufen, nichts anderes lässt sich sinnvoll noch alternativ beginnen und beenden, dieses Konzert muss es sein, sonst bleibt nur Motzen oder Massaker. Datenschutzgründe!

Jetzt mischt sich sein Kollege ein, Sicherheitsmann Nr. 2. „Ich rufe ihn an“, sagt er. Interessant. Doch interessanter noch als diese frappierend gandhieske Geste eines Menschen, dessen Qualitäten mir bisher zuvörderst physiologischer Natur zu sein schienen, ist seine Begründung dafür.

„Ich habe“, sagt er mit entschuldigender Färbung, „eine Flatrate.“

Er hätte mir also andernfalls nicht einmal die Chance gegeben, ihm die circa 23 Cent in bar zu erstatten. Das Konzert ist dann übrigens nur mittelmäßig, und als ich es deutlich vor den Zugaben wieder verlasse, drücke ich mich zwischen Gästelistenhupfdohle und Sicherheitsmännern hindurch, als müsste ich ein schlechtes Gewissen haben.

Dafür hätte ich mich eigentlich links und rechts ohrfeigen sollen, doch zu Hause vorm Spiegel war dieser Gedanke bereits wieder in weite Ferne gerückt.