28 November 2009

Die falsche Schlange

Aldi im Brauquartier (Foto), an einem nassen dunklen Novemberfreitag. In der einzigen Kassenschlange nehme ich eine mittlere Position ein.

Schräg neben mich gesellt sich plötzlich ein grobschlächtig wirkender Narben- und Mützenträger mit einem Sechserpack Holsten im Arm. Klar, er will reingelassen werden, doch wenn er nicht fragt, kriegt er auch keine Antwort. So ist das.

Außerdem – und da ist geradezu der Kategorische Imperativ voll auf meiner Seite – darf man keinesfalls einen Menschen in mittlerer Schlangenposition als ersten ums Vorlassen ersuchen, sondern muss fairerweise hinten anfangen.

Schließlich kann niemand, der bereits ansteht, das Einverständnis jedes Einzelnen hinter sich voraussetzen – und das wäre unbedingt erforderlich, denn der Holsten-, Narben- und Mützenträger scherte ja nicht nur vor mir ein, sondern auch vor allen anderen dahinter.

Wie auch immer: Ich ignoriere den Mann und rücke ungerührt und schweigsam vor. Er nutzt allerdings die sich dadurch kurz öffnende Lücke, um sich wortlos hinter mir in die Schlange zu mogeln. Keiner sagt was. Präadventsdumpfheit.

Die Schlange ist inzwischen so lang wie ein Reisebus. Endlich bequemt sich Aldi, das Öffnen einer weiteren Kasse per Klingelzeichen anzukündigen. „Das wurde aber auch Zeit, dass es hier mal klingelt!“, blökt der Holstenmann hinter mir. Keiner sagt was.

Jetzt kommt der neue Kassierer, und vor und hinter mir stürzen sie alle ans frisch eröffnete Förderband. Mister Undgeduld ist nun Nummer 4 in der neuen Schlange, ich in meiner Nummer 6.

Doch es flutscht außergewöhnlich prächtig, mein Kassierer ist ein echtes As, eine Art Ribéry des Warenscanners, ich schiebe mich praktisch kontinuierlich vor und bin auf einmal auch schon dran. Als ich alles in den Wagen geräumt habe, linse ich hinüber zur anderen Schlange. Die Kasse ist schon wieder verwaist, es gab wohl ein Problem, ein technisches wahrscheinlich, so ist das ja meistens.

Der Grobschlächtige jedenfalls ist die kochende Nummer 3. Er hat also nur eine Position gutgemacht, ich fünf. Jetzt steht er da neben seinem Sechserpack und schüttelt bitter lächelnd den Kopf, seine Augen sind geschlossen.

Ich weiß, es ist nicht gerade ein weihnachtliches Gefühl und es wirft kein gutes Licht aufs Niveau meiner sittlich-moralischen Grundausstattung, doch ich lasse es einfach stillvergnügt zu, dieses kleine Bisschen Häme.

Zumal der Holstenmann sich noch nicht mal zum Trost an einer Flasche laben kann – er hat sie ja noch nicht bezahlt.


15 Kommentare:

  1. Ja - an Supermarktkassen (was ist an diesen Märkten eigentlich "super" ?) kann man die Vielfalt menschlicher Begegnungen und die Konsequenzen des eigenen Karmas erleben.
    Ich kaufe immer am Freitag abend im Supermarkt ein (direkt aus dem Büro kommend, so etwa 18:00 Uhr, bei Neppy am Nobistor, der Weg nach Hause ist dann auch nicht mehr weit), das ist praktisch, weil mein Bus direkt davor hält.
    Einmal hatte ich mehr als sonst auf dem Zettel, die Mengenverbrauchsgüter waren ausgegegangen, also neben den üblichen Sachen fürs Wochenende nun auch Klo- und Haushaltspapier, Papiertaschentücher - optisch recht voluminös das ganze.
    In der Schlange hin zur Kasse steht hinter mir eine Frau mit einer großen prallvollen Einkaufstasche, in der anderen Hand eine Flasche Shampoo oder Duschgel, mehr nicht.
    Ich wollte mal wieder die Welt optimieren und fragte ungefragt (Herr Matt, da sind Sie mir doch weit voraus), ob sie vor mir an die Kasse möchte, mein zeitlicher Nachteil erschien mir gering (bei mir hätte es vergleichsweise länger gedauert als bei ihr) gegenüber ihrem, käme sie nach mir dran.
    Sie geht also vor und als sie in der Schlange am Laufband angekommen ist, packt.sie.ihre. Einkaufstasche.aus und lädt den Inhalt aufs Transportband... Mein danach folgender Haufen war dann in etwa so groß wie ihrer.
    Optimierung war das dann nicht wirklich - allenfalls ein gutes Werk.
    Wenigstens objektiv.
    Immerhin blieb mir erspart, daß jemand nicht genug Geld dabei hat und die quälend unbeholfene Auswahl einleitet, was jetzt wieder storniert und zurückgegeben werden soll (zumal das wieder nur ausgewählte Marktkräfte mit passendem Kassenschlüssel dürfen, die natürlich nicht sofort zu finden sind). Oder die unsägliche Nummer mit der nicht funktionierenden EC-Karte für einen Einkauf über 7.84 EUR. Rrarrrgh !!!Oder diese gutmeinenden (fast immer weiblichen) Kunden, die nach dem Einpacken das Portemonnaie genau da suchen, wo sie eben den ganzen Krempel hineingestopft haben, und dann bis auf den Cent genau abgezählt bezahlen wollen, was dann an drei Cent scheitert.
    Im übrigen immer dann, wenn der 12-Stundentag ohnehin schon scheiße war, was die täglich darin integrierte freakshow angeht.
    Geduldtrainig pur.
    Ach ja - das Kräftemessen zwischen einem heulenden und bestialisch kreischenden 5-jährigen Kind im Kampf mit seiner Mutter um die Süßigkeiten hatte ich vergessen.
    Und meine Schlange ist immer langsamer als die andere. Oder die andere Kasse wird genau dann aufgemacht, wenn ich am Laufband das Umladen anfange.
    Was ist bloß los mit mir ?

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  2. einfach köstlich, dieser Kommentar!

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  3. Theater des Alltags. Kommen 'se rein, kost nix.
    Amüsiern 'se sich.
    Alles in 3 D und Orginalton.
    Traun 'se sich.
    Wenn 'se wolln, könn 'se mitspielen.
    Wenn 'se nich wolln, gucken 'se nur.

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  4. Olaf, aus Ihren Schilderungen könnte ich eine Woche lang Blogeinträge basteln, und Sie hauen das in einem einzigen Kommentar weg. Ich glaube, mir fehlt die Effizienz.

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  5. Herr/ Frau Anonym,
    Herr Matt,

    danke für die Blumen, aber das mußte bei dieser Gelegenheit einmal gesagt werden - außerdem habe ich das Wort Geduldtraini(n)g etwas entstellt.
    Vergessen habe ich die Auszubildende, die zum ersten Mal an der Kasse sitzt und ganz viele Fragen an die Nachbarkassenkraft hat. Toll ist auch der Moment, wenn die Kassenrolle rosa Streifen zeigt, der Deckel der Kasse aufgemacht wird zum Austausch mit einer neuen, ein nervtötendes Fiepen losgeht, dann keine Ersatzrolle in Reichweite ist, die Kassierin nicht etwa den Deckel erst mal wieder zumacht, bevor sie sich auf die Suche im Büro des Marktleiters nach diesen Scheißrollen macht - nein, das Ding fiept erst einmal zwei Minuten vor sich hin, innerhalb derer ich die übelsten Tötungsszenen visualisiere. Knapp geht es dann an der Realisierung vorbei, wenn die es nicht gebacken bekommt, diese Rolle da einzufädeln. Da bekommt der Satz "Träume nicht Dein Leben, lebe Deine Träume" seine eigene originelle Note. Das könnte in solchen fassungslabilen Lebenslagen vor dem Schwurgericht mit lebenslanger Freiheitsstrafe enden. Wegen besonders grausamer Begehungsform der Tötung...
    Ich höre jetzt besser mal auf - croco hat zudem
    recht, man könnte ja auch mitmachen, wenn man will.
    Mich juckt es bei der meist in einem solchen Supermarkt integrierten Bäckerei, etwas zu versuchen, was Horst Evers einmal genial geschildert hat:

    http://www.youtube.com/watch?v=c6qdjWX1vmg&feature=related

    Was ich meine, fängt bei 12:26 an...
    (hatte ich irgendwowann schon einmal erwähnt, glaube ich)
    Allen ein schönes Wochenende.

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  6. Wer die "Geiz-is-geil"-Mentalität unterstützt darf sich halt nich wundern und schon gar nich ärgern :-)

    Also Aldi und Lidl sind bei mir von der Einkaufsliste gestrichen.
    Aber lustig sind die Stories in solchen Örtlichkeiten der bürgerlichen Zusammenkunft allemal. Köstlich

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  7. Joshuatree29.11.09, 00:18

    Herr GP - ich bin empört! Fiel Ihnen nie auf, dass die deutschen Medien aus reiner Faulheit oft Ribery schreiben, Herr Matt ihn aber per accent grave zu einem "Ribähri" macht?

    /me bleibt dann bei Sylvester.

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  8. Joshuatree29.11.09, 01:17

    Darf ich mal bitte in Ihr Redaktionssystem, Matt? :-)

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  9. „Mérci“ mit Accent? Das ist mutig …

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  10. Joshuatree29.11.09, 01:57

    @GP: Könnten Sie sich dann bitte um das Wort "Nope" kümmern? Danke vorab.

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  11. Joshuatree29.11.09, 02:02

    Merci ohne accent aigu steht wohl auf jeder Schokolade...

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  12. Joshuatree29.11.09, 02:32

    Mérci und Mercy sind zwei verschiedene Stiefel. In Frankreich gehen bzw. gingen dafür Menschen auf die Barrikaden... holen Sie Ihr Recht woanders, Sie!

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