06 Mai 2009

Tannenzapfenzupfen (12): Die Kuttner-Edition

(Foto via FHS Holztechnik)

Willkommen zurück im Gammelsprechland. Diese Serie über Sprachkatastrophen trägt den Namen ihres ersten Eintrags (nämlich „Tannenzapfenzupfen“). Wie immer gilt beim Konsum auf eigene Gefahr das bewährte Motto: Ohren zu und durch.

1. Die Fernsehfrau Sarah Kuttner wollte auch mal was schreiben. Prompt wird überall ihr Roman gelobt, aber keiner traut sich uns Kuttnernichtlesern zu erzählen, dass ihre Sprache bisweilen an ein schweres Zugunglück erinnert (und zwar mit einem ICE der neusten Generation).

Weil ich das Buch trotz seines Erfolges noch nicht gelesen habe, erfuhr ich erst heute vom Ausmaß seines Elends, und zwar dank eines Rundbriefs des Konzertveranstalters Berthold Seliger. Die Frau schreibt nämlich Sätze wie:
„Eine Depression ist ein fucking Event!“

Damit geht es frecherweise sogar los, doch dann steigert sich Frau Kuttner konsequent hinein in den Vollhirnriss und missbraucht dabei sogar die Rolling Stones:
„You can get it if you really want. Ich wante vermutlich nicht really genug. Auf der anderen Seite wante ich zumindest genug, um ordentlich unzufrieden zu sein, es nicht zu getten.“ WHAT THE HOLY FUCK???


2. Ich ahne allmählich, woran es liegt: Sarah Kuttner hat einfach eine Internetübersetzungsmaschine benutzt, um ihren Roman zu schreiben, und jetzt lacht sie sich zu Hause einen künstlichen Darmausgang, weil das bis heute keiner gemerkt hat.

Wahrscheinlich griff sie vor allem auf das hochgelobte linguee.de zurück, das nicht einfach übersetzt, sondern sich für den gesuchten Satz gelungene Eindeutschungen aus dem Web zusammensucht. Wobei gelungen ein dehnbarer Begriff ist.

Denn für den hübschen englischen Satz „First of all, what the fuck kind of episode title is that? “ bietet linguee.de etwas extrem Kuttnerhaftes an: „Zuerst was ist die Bumsenart des Episodetitels die?“


Und genau das frage ich mich auch schon den ganzen Tag.

Was bisher geschah: 11, 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1





04 Mai 2009

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (9)

Dieses Foto habe ich vor einigen Wochen in der Hein-Hoyer-Straße geknipst und aus unerfindlichen Gründen mit dem Dateinamen „Ex-SPD-Eingang“ versehen.

Ich weiß partout nicht mehr, wieso. Wenn dort früher mal die SPD residierte, wie komme ich dann heute zu dieser Information? Ein ordnungsgemäß verwittertes Schild ist auf dem Foto jedenfalls nicht zu erkennen.

Andererseits könnte auch die „Ex“-Information falsch sein, und die SPD sitzt noch immer dort. Denn mal ehrlich: Erinnert das zerzauste, verwahrloste Szenario nicht bis ins Detail an den Zustand der deutschen Sozialdemokratie? Und das Rot der rechten Tür trifft das von Müntes Schal beängstigend genau.

Hiermit streiche ich also das „Ex“ wieder aus dem Dateinamen. Und morgen gehe ich noch mal hin, um die Sachlage endgültig zu klären.


Ranz und Elend

Eine Viertelstunde Brötchenholen reicht, und man ist wieder auf dem Boden aller Tatsachen.

10.45 Uhr. Mitten auf dem Gehweg der Reeperbahn liegt einer in Sack und Asche und pennt. Als Kopfkissen fungiert seine schwarzverfärbte Hand. Fünf Meter entfernt geraten zwei Typen aneinander. Einer brüllt irgendwas, der Angebrüllte wird von seinem Kumpel weggezogen, „Komm, wir gehen, lass ihn!“, sagt er hastig und hat Angst im Blick.


(Angst ist ein sehr guter Ratgeber auf dem Kiez.)

Der Schläfer auf dem Gehweg schläft ungerührt weiter. Inzwischen sind die Streithähne schon 20 Meter auseinander, doch der, der eben brüllte, brüllt immer noch – na ja, Hunde, die bellen, und so weiter …

Vor den Backwaren bei Penny steht ein Mann mit verfilzter Graumähne und weißverdreckten Schlabberjeans. Er stiert mit gesenktem Kopf ins Regal und beschimpft die Brote. Sie können nichts dafür!, möchte man ihm zurufen. Doch es würde nichts nützen, überhaupt nichts.

Als ich draußen mein Fahrrad vom Mast abschnalle, liegt plötzlich ein schwarzer Stringtanga hinterm Hinterreifen. Vorher lag er m. E. noch nicht da. Ich schaue mich interessiert um, entdecke aber nirgends eine potenzielle Eigentümerin.

Auf der Fahrt durch den Hamburger Berg (Beispielfoto) schaffe ich es nicht, alle Scherben zu umfahren. Eine bohrt sich ins Vorderrad und klackt bei jeder Umdrehung kurz und hell aufs Kopfsteinpflaster.

Ich halte an, ziehe sie raus, es pfeift nicht; erst Stunden später wird der Reifen platt sein, insgesamt kostet mich die Viertelstunde Brötchenholen schließlich 22 Euro.

Hinter mir klirrt es, die nächste Flasche geht den Gang alles Irdischen. Ein paar Jungs johlen, sie übertönen kurz den Hardrock aus dem Goldenen Handschuh, der Kneipe, vor der sie stehen und Flaschen zertrümmern. Ranz und Elend des Kiez …

Es ist kurz vor 11, der Tag hat erst begonnen. Oder die Nacht ist noch nicht zu Ende – so genau weiß man das hier ja nie.


03 Mai 2009

Fundstücke (48)



Als belesener Pudel würde ich mich beim gemütlichen Kacken schon fragen, wie eigentlich das unvollständige Wort komplett lauten könnte – „-schaufeln“? „-schlagen“? „-schtellen“?

Aber man kann ja nicht alles wissen.

02 Mai 2009

Die Wahrheit liegt nicht mal aufm Paltz

Oh Mann, die Linke ist auch nicht mehr das, was sie mal war.

Als ich mich auf dem Heimweg mühsam gegen den Strom durch die 1.-Mai-Demo kämpfte (genauer gesagt: durch die polizeilichen Hundertschaften, die unumschränkt über den Gehweg herrschten), reichte mir einer der Demonstranten en passant ein Faltblatt rüber.

Es kündigte eine Kundgebung auf dem Hein-Köllisch-„Paltz“ an, doch nicht dieser Druckfehler bestürzte mich besonders, sondern die wichtigste Forderung des Blattes.

Sie lautete: „Weg mit der Marktwirtschaft!“

Hallo? Niemand zu Hause, McFly? Das heißt „Kapitalismus“, ihr theorielosen Aufdenleimgeher!

Denn „Marktwirtschaft“ ist – vor allem, wenn sie um das tolldreiste Adjektiv „soziale“ erweitert wurde – nichts weiter als ein euphemistischer Kampfbegriff des Kapitals, welches so den Kapitalismus zum Kuschelkaffeekränzchen verharmlosen will – und ihr fallt darauf rein!

Nein, Linke, du bist wirklich nicht mehr das, was du mal warst. Wir sprechen uns erst wieder, wenn du Marx gelesen hast.

Also frühestens am 1. Mai 2010 – denn das Lesen dauert seine Weile, oh ja.



01 Mai 2009

Einmal Paralleluniversum, bitte



Stehe im Fitnessclub neben zwei jungen Burschen von muskulöser Statur unter der Dusche.


„Wenn ich Schule blau mach, Alder“, sagt der eine, während er sich die Eier einseift, „dann lieg ich morgens im Bett und guck Teleshopping, Alder.“

Ein erschütterndes Bekenntnis. So ziemlich alles andere Denkbare wäre eine Rechtfertigung fürs Schuleschwänzen gewesen, aber Teleshoppinggucken …?

Wenn ich früher blaumachte, setzte ich mich in ein Café und schrieb ostentativ Gedichte, um die hübsche Bedienung auf mich aufmerksam zu machen. Gut, das klappte nie, obwohl ich irgendwann sogar dazu überging, Gedichte ÜBER sie zu schreiben.

Doch selbst wenn es damals schon Teleshopping gegeben hätte: Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, das Verticken von Tupperschüsseln gegen das bittersüße Bohèmedasein eines Caféhausmöchtegernliteraten einzutauschen.

„Die ham da Messer, Alder“, sagt er eine, während er sich die Poritze rubbelt, „die bleiben ewig scharf, Alder.“

Wo gibt es noch mal Fahrkarten ins Paralleluniversum?
Ich hab auch eine Bahncard 50.


PS: Da ich aus nachvollziehbaren Gründen keine geeignete
Illustration anfertigen konnte, kann ich genausogut die inzwischen abgebaute Domachterbahn abbilden.


30 April 2009

Nur noch Boxershorts

Der Promoter, der mich zur einstündigen Massage ins East Hotel (Foto) eingeladen hatte, sagte vorher am Telefon irgendetwas von „nur oben rum freimachen“.

Pustekuchen.

Hätte ich gewusst, dass ich einer Ganzkörpermassage (hinten wie vorne) entgegenging, wären unbedingt Boxershorts erste Wahl gewesen.

Und nicht dieser körperbetonte, mir irgendwie plötzlich tangaverwandt erscheinende Winzslip, den ich zu meinem Missbehagen erblickte, als ich mir die Jeans abstreifte.

Die außergewöhnlich attraktive Masseurin verkniff sich aber jede Bemerkung.

29 April 2009

Ein beglückendes 0:0

Wenn Champions League läuft und ich mich für ein Spiel interessiere, dann gehe ich in ein Restaurant im Millerntorhochhaus an der Reeperbahn, direkt gegenüber vom Mandarin Kasino, wo die abgebildete Lampe hängt.

Dort, in diesem Restaurant, haben sie eine lichtarme Großbildleinwand aufgespannt, und Marcel Reifs Stimme ist ein Murmeln im Hintergrund – die Ahnung einer Moderation zwischen Gläserklirren und Tischgesprächen.

Ich weiß nicht einmal, wie das Restaurant heißt, das ist mir peinlich. Andererseits esse ich dort auch nie etwas, sondern rette mich mit einem einzigen Grauburgunder, den sie hier Pinot Grigio nennen, über die rund 115 Minuten, die heutzutage ein Champions-League-Spiel samt Halbzeitpause dauert.

Man toleriert mich trotz dieser durchschaubaren Taktik. Sie wissen: Das Restaurant wäre niemals voll an einem Dienstagabend, also ist auch ein Grauburgundergast hochwillkommen.

Messi trifft nicht, Ballack kriegt Gelb, alles endet in einem erregenden 0:0. Draußen hat es inzwischen geregnet, und ich stelle fest, dass mein Fahrradschloss nicht eingerastet war, weil der Laternenmast zu dick war für die Länge der Kette.


Jeder hätte das Fahrrad klauen können, was auch im Schnitt alle drei Jahre passiert. Doch die doofen Diebe vom Kiez waren unaufmerksam. Und so etwas reicht schon, um einen Abend auf St. Pauli als beglückend zu klassifizieren.

Das ist hiermit geschehen.


28 April 2009

Dafür gibt es keine Entschuldigung



Wir setzten mit der Fähre über zum „König der Löwen“-Zelt.

Als Chris Norman irgendwann zur Akustikgitarre griff und „If you think you know how to love me“ spielte, wurde mir aus Gründen, für die ich nicht willens bin mich zu entschuldigen, ganz warm ums Herz.

Mir fielen Funny van Dannens Zeilen ein: „Gib es zu, du warst im Nana-Mouskouri-Konzert/Ich war auch da und du hast geweint.“ Es war so ähnlich, jawohl.

Doch während mir mittig das Herz aufging, keimten weiter oben Mordfantasien – wegen der Leute, die anfingen mitzuklatschen. Etwas Dumpfes, Mechanisches entwertete meine kitschige, kindliche, sentimentale, nostalgische Minute.

Da ich eh schon zoombedingt nur wacklig mitfilmte, konnte ich mich leider nicht hinstellen und mit schroffen Worten ein sofortiges verbindliches Mitklatschmoratorium anordnen. Somit ist das Klatschen mit auf dem Film, für immer und ewig.

Und wer mir jetzt mit einem „Was, haha, du magst Chris Norman …?“ dumm kommen zu müssen glaubt, wird sofort standrechtlich exkommuniziert.

26 April 2009

Schöneberger Nächte sind lang



Ein Konzert von Antony & The Johnsons (Foto) ist ohne Zweifel das Sakralste, was man als Agnostiker erleben kann – vielleicht gerade deshalb, weil Antony alle Sünden verkörpert, welche das Christentum besonders verdammt: Promiskuität, homosexuelle Liebe, Verwischung der Geschlechter.

Dafür kann man auch schon mal extra nach Berlin fahren, in den Admiralspalast. Wir sitzen auf dem Balkon. Zwei Reihen vor uns streitet sich Herbert Grönemeyer im Stehen mit einer blonden Frau, die aussieht wie Nina Hoss und es wahrscheinlich auch ist.

Es geht hin und her, am Ende scheinen sie sich zu einigen und sitzen schließlich friedlich in einer Reihe, wenn auch nicht nebeneinander. Vielleicht ging es einfach nur darum, wer die Getränke holen sollte. Wenn ja, dann hat Hoss gewonnen.

Nach dem Konzert versacken Dr. K., Xóchil und ich in einer langen Schöneberger Nacht, und ich frage mich, ob es für eine Künstlerin wirklich eine angemessene Art ist, den Tag, an dem ihr langersehntes Debütalbum erscheint, mit zwei haarlosen bebrillten Endvierzigern zu verbringen, die ihr von gestörten Vater(bzw. Mutter-)beziehungen und der säkularen Gottesdefinition in Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ erzählen.

Immerhin lief sie nicht schreiend davon, und das auch erst um drei Uhr morgens.


24 April 2009

Ein getränkelastiger Abend



Den Weißwein im Mandarin Kasino an der Reeperbahn gießt der Barkeeper stillos in einen Plastikbecher.

„Das ist aber stillos“, sage ich, wie es ist, und zwar quer durch den erstaunlich erträglich lauten 60er-Wave-Mix der kalifornischen Band Airborne Toxic Event.

„Ja“, grinst der Barmann selbstgewiss und gießt weiter ein, „das ist völlig stillos.“ Nachdem ich den ersten Schluck genommen habe, muss ich jedoch sagen: Ich lag falsch. Diesen Wein aus einem Plastikbecher zu süffeln, ist keineswegs stillos – sondern völlig angemessen.

Neugierig blättere ich in der Getränkekarte, um Traube, Herkunftsgebiet und Jahrgang der Plörre herauszufinden. Dort steht allerdings nur „Weißwein“. Auch das: nichts weniger als kongenial. Das Getränkekonzept im Mandarin ist zweifellos durchdacht und homogen.

Nach dem Konzert gehe ich zum Kiosk im Millerntorhochhaus, weil ich Puffbrause kaufen will, einen Prosecco in Blechdosen mit Tittenbild vorne drauf, der exklusiv nur auf dem Kiez erhältlich ist. Feine Sache, vor allem als Gastgeschenk, und morgen geht es ja nach Berlin, wo man dergleichen nicht bekommt, zumindest nichts, wo außen unverhohlen „Puffbrause“ draufsteht.

Doch vielleicht war es ein Fehler, in genau diesen Kiosk zu gehen, denn der Betreiber ist offenkundig nahöstlicher Herkunft und wurde möglicherweise puffbrausenskeptisch sozialisiert. Und in der Tat: Das Produkt führt er nicht.

Allerdings kommt er mir plötzlich nachgelaufen. „An der Tankstelle gibt’s das“, ruft er, „das habe ich in der Zeitung gelesen!“

Danke für den Titt… äh Tipp. Zumal er stimmt.



23 April 2009

Das Hinternargument

Der Franke will zu Kieser. Ich bin entsetzt.

Immerhin: Dass Mr. Wachsende Wampe überhaupt anfängt, körperliche Ertüchtigung als Option zu erwägen, gehört zu den größten Sensationen seit Entdeckung des Turiner Grabtuchs.

Gleichwohl liebäugelt er mit dem falschen Anbieter – und das auch nur aus Bequemlichkeit, weil nämlich eins dieser monothematischen (Rücken!) Quälstudios bei ihm in Eimsbüttel um die Ecke liegt.

„Geh da nicht hin!“, beschwöre ich ihn. „Qual, Askese und Selbstkasteiung erwarten dich dort!“ Stichhaltige Argumente, die selbst ein Franke kognitiv verarbeiten können müsste, doch er bleibt seltsam still.

Plötzlich fällt mir ein, dass er ja als Katholik sozialisiert wurde, also gewissermaßen zu den Miterfindern der Selbstgeißelung gehört. Vielleicht erweckt Kieser einfach bittersüße Kindheitserinnerungen in ihm.

„In meinem Fitnessclub“, locke ich ihn gleichwohl, „kannst du schönen Frauen auf den Hintern starren und danach gepflegt saunieren, und zwar gemischt! Na?“ Außerdem sehen die Flaschenregale dort schön aus (Foto).

Richtig überzeugt ihn das alles aber noch immer nicht. Er stopft sich weiter wortlos löffelweise lavaheiße Lasagne in den Schlund, während die Option Kieser über ihm schwebt wie ein Damoklesschwert, das er für ein Origamiflorett hält.

„Da kann man dreimal kostenlos trainieren“, nuschelt er zwischen Blattnudeln und Hackfleischbrocken. „Mensch, Franke, Probetraining besorge ich dir auch!“, weise ich ihn erbarmungslos zurecht.

Doch alles vergeblich: Der Standortvorteil ist für ihn ein Killerargument. Läge die Hölle in Eimsbüttel und böte Hanteltraining mit gleichzeitigem Gegrilltwerden: Er unterschriebe sofort den Vertrag, Hauptsache, er hätte es von dort nur zwei Minuten nach Hause.

Vielleicht sollte ich ihm also die Sache mit der körperlichen Ertüchtigung einfach komplett ausreden. Denn so wie er isst, verbraucht er schon genug Kalorien. Und Muskelaufbau ist bei seiner spezifischen Art der Messer- und Gabelhandhabung ebenfalls eine gleichsam beiläufige Nebenwirkung.

Nur an den Hintern schöner Frauen mangelt es in seiner Welt. Vielleicht ein Ansatzpunkt, den ich noch mal vertiefen sollte, als letzte Rettung vor Kieser.


21 April 2009

Neulich im Zug von Berlin nach Hamburg

Kontrolleur: „Noch jemand zugestiechen?“
Mein Nachbar, ein fülliger Mann, der bereits an der vorletzten Station zugestiegen war, nämlich in Wittenberge: „Ich bin schon in Wittenberge zugestiegen.“
Kontrolleur (patzig): „Schullijung, dass ich nich gleich doa woahr. Mir höm nämlich möhrere Woachen.“
Ein schönes Beispiel für präventives Angepisstsein, das mir dennoch etwas überempfindlich vorkam. Beispielsweise wäre auch eine deutlich deeskalierendere Gesprächsfortführung wie diese denkbar gewesen: „Widdenberche? E scheenes Gaff. Gänsefleisch drozzdem de Fohrgorrde zeiche?“

Doch so kam es nicht, sondern anders. Gleichwohl gibt es entlastende Fakten, die man zugunsten des Kontrolleurs anführen muss.

So war der Arme zum Zeitpunkt seiner nur scheinbar grundlos schroff geführten Kommunikation noch Gefangener im fremden und seltsamen Mehdornland. Und dieser Zustand muss zuletzt auf Bahnangestellte gewirkt haben wie Leipzig 1988.

Der füllige Wittenberger jedenfalls sank nach diesem Anpfiff muffelnd in sich zusammen wie ein beleidigter Mollusk und sagte gar nichts mehr.


Am Freitag fahren wir übrigens wieder nach Berlin. Wir freuen uns schon.

Foto: Hauptbahnhof Hamburg, U-Bahnstation



20 April 2009

Fundstücke (47)

Manche Geschichten glaube ich einfach nicht. Selbst wenn sie –hüstel – in der Mopo stehen.

Trotzdem würde ich gern mal Fotos der Tatbeteiligten sehen. Vor allem von der Friseurin, dieser Caligula aus Kaluga.

(Entdeckt in der Samstagsausgabe.)


Die Stille vor dem Sturm







Es duftet noch nicht nach gerösteten Mandeln. Keine Schreie lustvoller Todesangst wehen herüber von der Achterbahn. Das Riesenrad steht still und starr, und die Autoscooter träumen von elektrischen Schafen.

High Noon auf dem Dom. Drei Stunden vor Eröffnung herrscht hier eine Atmosphäre wie im Overlook Hotel im Winter. Na gut, nicht ganz; immerhin ist es warm. Warm und still.

Wir laufen zwischen den schlafenden Fahrgeschäften und Verkaufswagen hindurch, alle Jalousien sind geschlossen. Und ohne Menschen drinnen, drauf und davor, ohne das ganze Tohuwabohu des Doms, das um 15 Uhr losbrechen wird, hat selbst ein Zuckerwarencaravan eine gewisse Würde.

Selbst wenn er rosa ist.


17 April 2009

Wie ich mal einen Verkäufer glücklich machte

Als mir damals der Hi-Fi-Händler nach dem Kauf des DVD-Recorders freudestrahlend eröffnete, er habe niemals damit gerechnet, das Gerät „noch mal zu diesem Preis loszuwerden“, da verloren die ganzen guten Testergebnisse mit einem Schlag jeden Glamour.

Mein höfliches, von leichter Verkrampfung im Nacken geprägtes Nicken garnierte ich damals mit einem Lächeln, das unwillkürlich ins Säuerliche abglitt, während der Verkäufer beim Zurückgeben meiner EC-Karte kopfschüttelnd vor sich hin gluckste.

Und jetzt, wo der Recorder, dessen Garantie bereits vor einiger Zeit ablief, gerade dabei ist kaputtzugehen, fällt mir das alles wieder ein, als wäre es gestern gewesen.

Ich glaub, ich geh jetzt schlafen.


PS: Das Bild? Na ja, hat halt auch was mit Filmen zu tun. Es zeigt den Teppichboden des Abatonkinos im Univiertel.

Fundstücke (46)



Die Features dieses Handys (s. Hervorhebung) sind nur auf den ersten Blick fantastisch.

Beim näheren Hinsehen nämlich stellt sich heraus, dass man im Grunde ständig telefonieren muss, damit der Akku sich nicht rasend schnell entleert. Und ohne Flatrate geht so was immens in die Kosten.

Doch für Vieltelefonierer und Fans magischer Technik ist das Teil ein Muss, ganz klar.

(Entdeckt bei Penny in Ottensen.)


15 April 2009

Ein Beitrag, für den es eine gute Entschuldigung gibt

So eine grippale Matschbirne macht einen völlig kirre. Ich wollte heute entkräftet früher nach Hause gehen – und verpasste stattdessen den regulären Beginn des Feierabends.

Irgendwann wunderte ich mich über die leeren Büros um mich herum, und erst in diesem Moment diffundierte Erkenntnis durch die innere Wattewand bis an die Ränder meines Bewusstseins:

Ein verdammter Virus hatte mich dazu gebracht, Überstunden zu machen!

Wahrscheinlich handelt es sich dabei um einen genetisch veränderten Vertreter, dessen Entwicklung von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände finanziert wurde.

Gegen diese romanfähige Theorie (schade, dass Michael Crichton nicht mehr lebt!) spricht eigentlich nur die Symptomatik meiner grippalen Matschbirne, die nicht im Interesse des Verbandes sein kann.

Na ja, wahrscheinlich sind sie mit dem Virus erst im Betastadium, und die Version 2.0 sorgt dann sogar für nebenwirkungsfreie Wochenendarbeit unter fröhlichem Pfeifen ohne Lohnausgleich.

Dieser Beitrag ist übrigens nur mit besagter Matschbirne zu entschuldigen, zumal das Foto kein Virus, sondern eine Stechmücke zeigt, deren Überreste ich an der Wand einer Kieztoilette entdeckt habe.


14 April 2009

Noch so'n Spruch, Penisbruch!

An der Reeperbahn ballt sich eine feuchfröhliche Gruppe aus gewiss 20 Briten, alle uniform in kanariengelbe T-Shirts gekleidet.

Die Hemdchen sind beflockt mit dem Spruch „Grim Reeperbahn“, und darin stecken kompakte, pralle Gestalten, mit denen man auch ohne die Trikotwarnung eher keine Händel begänne.

Zurzeit sind sie zwar laut, aber friedlich. Wir stehen alle gemeinsam brav bei Rot an der Fußgängerampel, als vom kupfernen Empire Riverside Hotel (Foto) her ein Notarztwagen mit aufgeregtem Tatütata die Davidstraße heruntergeprescht kommt.

Die Briten finden das sofort interessant und bebrabbeln den unerhörten Zwischenfall lautstark. Einer hat sogar eine Ferndiagnose parat.

Attention!“, ruft er, „Cock injury!

Ob er mit dieser große Erheiterung hervorrufenden Vermutung nur seine Vorurteile reproduziert oder sich wirklich schon leidvoll auskennt mit ortspezifischen Missgeschicken: Wir werden es nie erfahren.

PS: „Missgeschick“ liefert übrigens einen meiner herzallerliebsten Wortdreher – nämlich „Schissgemick“.



13 April 2009

Ohne Worte (35): Das Goode an Winterhude






Die übliche Mützenamnesie

Fern vom Kiez, in Barmbek auf dem Flohmarkt, stelle ich fest, dass ich Hirni wieder mal meine Mütze zu Hause vergessen habe.

Wenn man sich gerade frisch die Platte geschoren hat und draußen die Sonne alles gibt, was Mitte April in Nordeuropa möglich ist, bedeutet das Fehlen einer Mütze Alarmstufe Rot. Ich könnte die Glatze auch gleich in den Strahl eines Flammenwerfers halten.

Lege mir also eine Hand auf den Kopf, was mit Sicherheit bescheuert aussieht, während ich die Flohmarktstände systematisch nach Mützen abscanne. Stoße auf alles Mögliche, aber nicht auf Kopfbedeckungen – Ausnahme: ein immens pinkes Teil, mit dem ich aussähe wie die Karikatur eines Mannes, der in der Zeitschrift hinnerk Kontaktanzeigen studiert.

Nein, weitersuchen, immer weitersuchen. Erspähe einen exorbitanten Büstenhalter in Pastellblau, dessen irgendwie dehnbar wirkende Einzelkörbchen ich mir sicherlich überzwängen könnte. Doch Ms. Columbo rät ab. Auch der nur wenige Meter weiter entdeckte Wehrmachtshelm löst bei ihr kaum Begeisterung aus.

Die Sonne lacht und brennt. Eine Lampenschirmlösung rückt immer näher, zumal inzwischen auch meine abwechselnd auf dem Kopf liegenden Hände sonnenbrandgefährdet sind. Allmählich verliert sogar die Vorstellung vom Erwerb der pinken Mütze immer mehr an Schrecken. Aber wo war noch mal der Stand?

Entdecke plötzlich eine dummerweise nur halbgeschlossene türkise Kappe mit rosa Palmen und aufgedruckten Verhöhnungen wie „Tropical life“ und „Heavenly Beach“. Schlage verzweifelt und wider besseres Wissen zu, nachdem ich die Händlerin flackernden Blicks von 4 auf 2,50 Euro runtergehandelt habe.

Im Weggehen – und natürlich nicht die eine entscheidende Minute früher – sehe ich direkt am Nachbarstand dann das Basecap meiner Träume: ein schwarzes blick- und strahlendichtes Modell mit nur einem vernachlässigbaren Manko: der Aufschrift „Der Schuh des Manitu“. Kaufe sie fahrig ebenfalls (1,50 Euro).

Der Tag ist gerettet – und der Gesamtbestand meiner Mützen jetzt auf rund 20 angewachsen. Sie stapeln sich alle hier zu Hause. Also da, wo ich sie garantiert nie brauche.

11 April 2009

Pädophilie am Bau

Im selben Gebäudekomplex in der Simon-von-Utrecht-Straße, in dem das Hospiz untergebracht ist, residiert auch ein Verlag, der eine Sadomasozeitschrift mit dem kongenialen Namen „Schlagzeilen“ herausbringt. Und an der Fassade rechts davon ist das abgebildete Relief zu sehen.

Jeden Freitag kommen wir auf dem Weg zum Einkauf daran vorbei, und schon hundertmal stolperte ich mental darüber, ohne mir je über den Grund bewusst zu werden. Heute aber plötzlich doch.

Fazit: Die Szenerie irritiert deshalb so sehr, weil sie offensichtlich pädophil ist. Und an der Außenfassade selbst eines Kiezgebäudes darf man so etwas – bei aller schulterzuckenden Toleranz, die unser Viertel prägt – nicht unbedingt vermuten.

Nehmen wir den kahlen Mann. Er trägt eine Art Soutane und ist somit wohl ein Geistlicher, wahrscheinlich katholisch. Er schaut uns ertappt an. Und womit? Mit Recht.

Denn gerade greift er mit rechts einem nackten (!) kleinen (!!) Jungen (!!!) an die Brust, während seine Linke den armen Tropf brutal fixiert. Der Junge reißt ob des sich vollziehenden Missbrauchs panisch die Augen auf, während er die rechte Hand auf des Unholds Knie stützt – oder den Kerl wegzustoßen versucht, das bleibt im Dunkeln.

Jedenfalls lässt die Szene bei näherem Betrachten wenig Interpretationsspielraum: Hier schreitet ein pädophiler Pfarrer entschlossen zur Tat. Doch warum prangt dieses schändliche Tun weithin sichtbar auf einer St. Paulianer Klinkerfassade, neben Hospiz und Sadomasopostille?

Bescheidwisser werden in den Kommentaren um Aufklärung ersucht. Sonst wird auch unser nächster Weg zum Einkauf wieder getrübt sein von erfolglosem Gegrübel. Und das kann keiner wollen.

10 April 2009

Das Wort zu Ostern

Ein Ausflug führt uns nach Wandsbek, weil dort das einzige Kino Hamburgs steht, in dem Larry Charles’ agnostisches Dokupamphlet „Religulous“ läuft. Doch was tut man nicht alles, um dem Karfreitag die Würde zu nehmen.

Unterwegs stießen wir auf das abgebildete Grafitto, dessen Botschaft eine unbedingt unterstützenswerte ist. Gleichwohl bleiben Restzweifel, ob die empfohlene Methode zum natürlichen Aussterben der Nazis führen wird.

Doch wenn sich alle dran hielten, führte das zumindest zu einer ernsten Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität. Endlich mal ein Zölibat, das auch wir vorbehaltlos unterstützen können.

Nach „Religulous“ fiel mir ausgerechnet auf dem Kinoklo ein kleiner Aphorismus ein, der auch nicht paradoxer ist als das meiste, was Bibel und Koran so verzapfen. Er lautet:


Gäbe es Gott wirklich, hätte er uns nicht den Verstand gegeben, uns seiner Nichtexistenz bewusst zu werden.

Jetzt kann Ostern kommen.



09 April 2009

Sag mir, wo die Dealer sind



Früher standen hier manchmal Männer herum, die den Tag zu vertrödeln schienen, aber jenen wachen, leicht unsteten Blick hatten, den nur Dealer haben.

Sie schauten dich kurz an, und dann wussten sie, ob sie mit dir ins Geschäft kommen konnten oder nicht.

Dealer sind gute Psychologen; ihre Fähigkeiten könnten bei Polizeiverhören von Nutzen sein. Doch damit überdehnte man sicherlich den Resozialisierungsgedanken.

In letzter Zeit sieht man hier, am Westende der S-Bahnstation Reeperbahn und nur wenige hundert Meter entfernt von der Davidwache, keine Dealer mehr.

Vielleicht verschwinden sie auch einfach, wenn sie mich sehen. Schlechtes Karma.