Joe Zawinul, legendärer Wiener Jazzer und einer der bedeutendsten Musiker unserer Zeit, ist heute morgen mit 75 gestorben. Vor zwei Jahren sprach ich für die Zeitschrift kulturnews mit dem Meister aller Tastenklassen. Von Malibu aus erklärte mir Zawinul das Geheimnis seines Stils. Eine Neuauflage als Nachruf – bye, bye, Joe.
Matt: Herr Zawinul, Sie leben im kalifornischen Malibu, also unter der Fuchtel Ihres Landsmanns Arnold Schwarzenegger.
Zawinul: Nein, nicht wirklich. Es ist okay hier.
Matt: Ihre Kompositionen gelten als saukompliziert. Wie biegen Sie einem Musiker eigentlich bei, dass er nicht gut genug ist – brutal oder schonend?
Zawinul: Wenn er nicht gut genug wäre, wäre er überhaupt nicht in der Band. Jeder, der in meine Band kommt, ist gut genug.
Matt: Muss er bei Ihnen vorspielen?
Zawinul: Nicht in der normalen Weise. Man hört herum, man sieht Leute, wie sie auf der Bühne stehen. Es sind nicht nur die Noten allein, die wichtig sind.
Matt: Haben Sie jemals vorgespielt?
Zawinul: Sure. Freilich.
Matt: Und: Sind Sie dabei mal durchgefallen?
Zawinul: Nein.
Matt: Der Jazz scheint in den letzten Jahrzehnten immer grooveorientierter zu werden, ihrer ja auch.
Zawinul: Meine Musik war vom Tag 1 an immer grooveorientiert. Immer. Als ich Volksmusik gespielt habe genauso wie jetzt. Nie ein Unterschied.
Matt: In den letzten Jahren kommen die Grooves häufig aus der Club- und Tanzmusik …
Zawinul: In meiner Musik?
Matt: Im Jazz allgemein.
Zawinul: Well, I don’t know. Ich bin kein Jazzhörer. Und auch kein Musikhörer im Allgemeinen.
Matt: Wie bitte: Sie sind kein Jazzhörer …?
Zawinul: Nein.
Matt: Was hören Sie denn dann?
Zawinul: Überhaupt nix.
Matt: Warum das nicht?
Zawinul: Ich höre meine eigene Musik, während ich’s mache. Ich habe keine Zeit in meinem Gehirn dafür. Die beste Musik ist keine Musik.
Matt: Woher kommt dann die Inspiration? Normalerweise setzt man sich doch auseinander mit anderen Künstlern.
Zawinul: Meine Inspiration kommt vom Sound. Ich weiß, wie man einen Sound kriegt, auf allen Instrumenten. Wenn ich einen Sound habe, dann habe ich Musik. Ich brauche keine andere Inspiration, verstehen Sie?
Matt: Haben Sie denn noch nie intensiv Musik anderer Künstler gehört?
Zawinul: Ich habe es so viele Jahre getan – und dann an einem Tag total damit aufgehört. Und ich bin nie wieder dazu zurückgekommen.
Matt: War das so, als ob man das Rauchen einstellt?
Zawinul: Das war überhaupt keine schwierige Entscheidung für mich. Ich habe so viele Stücke selbst gemacht, manchmal 20 am Tag. Da blieb kein Raum mehr im Gehirn.
Matt: Ein Stück auf ihrer neuen Platte heißt „Rooftops of Vienna“, und es klingt so übersprudelnd lebendig und hektisch, dass ich nicht gerade das beschauliche Wien vorm inneren Auge habe.
Zawinul: Es hat keine Hektik, es ist relativ relaxt, fast wie eine Ballade. Wenn der Zuhörer hektisch ist, klingt alles hektisch. Wenn Sie sich ruhig hinsetzen, ist es eines der relaxesten Stücke überhaupt. Es ist riesig schnell und hat viel Feuer, aber im Grunde genommen ist es unheimlich relaxt.
Matt: Wie kann das sein, wenn ein Stück so viele Beats pro Minute hat?
Zawinul: Yeah, es kommt drauf an, welchen space man vor sich hat, verstehen Sie?
Matt: Leider nein …
Zawinul: Wenn ich zum Beispiel ein Flugzeug am offenen Himmel vorbeifliegen sehe, hat es eine andere Geschwindigkeit, als würde ich es vorm Fenster vorbeifliegen sehen. Dasselbe in der Musik: Wie ich phrasiere, das hat unheimlich viel space. Natürlich: Wenn man sich nur an die Taktzahl hält, hört man es schneller.
Matt: Gut, ich werde versuchen …
Zawinul: Brauchen’s gar net versuchen! Nur entspannt Schultern runter und an eine Ballade denken. Das Tempo ist one … two … three … four.
Matt: Ein interessanter Einblick in meine Wahrnehmung des Stückes und …
Zawinul: … in die Wahrnehmung des space im Allgemeinen! Ich wohne ja hier auf einem großen rock, und vor mir das Meer. Ich sehe nix wie das Meer. Und das ist natürlich ein riesiger space.
(Foto: ESC)