15 April 2011

Eine Überraschung zwischen Wasserschlangen



Was hier mitten auf St. Pauli alles um die Ecke ist (also in maximal zwei Fußminuten Entfernung; assoziative Reihenfolge):

Kneipen, Postfiliale, Disco, Theater, Musicalhaus, Kneipen, Banken, Tankstelle, Sexshops, Pornokinos (alle Fachrichtungen), Kneipen, Bordelle, Daddelhallen, Museen, Galerien, Supermärkte, Kneipen, Fußballstadion, Restaurants, Fahrradladen, Kneipen, Blumenladen, Fußpflegestudio, Schuster (stopp: hat gerade dichtgemacht), Bäckereien, Kneipen, Fischgeschäft, Boutiqen, Geschäft für Tiernahrung, Jahrmarkt, Apotheken, Reisebüro, Ärzte, Kneipen, Straßenstrich, Burger-/Döner-/Hot-Dog-/Currywurstbräter, Kentucky Fried Chicken, Hotels, Bars, Kneipen, Nippesläden, Spielplätze, Schulen, Eisdielen, Cafés, Wochenmarkt, Kneipen, Gemüseläden, Liveclubs, U-Bahn, S-Bahn, Bushaltestellen, Zeitungskioske, Ortsamt, Polizeiwache, Kneipen und …

… ein Hallenbad.

Als ich neulich vormittags dort meine Runden drehte, musste ich mir das Becken teilen mit einem exorbitant sich breit machenden Wassergymnastikkurs. Er wurde gebildet von größtenteils adipösen älteren Menschen, deren Wasserschlangen mir immer wieder frech in die Bahn ragten.

Doch das war weit weniger verdrießlich, als ich erwartet hätte, denn ein außergewöhnliches Phänomen milderte jeden anderen Missstand: Es lief saugute Musik. Normalerweise rechnet man ja vormittags im von Strampelrentnern bevölkerten Hallenbad mit Udo Jürgens oder Marianne & Michael, aber nein:

Meine baffen Ohren vernahmen Songs von MARK LANEGAN, von dem ein Kollege mal schrieb: „Seine Songs sind von depressiver Schönheit, sein Gesang ist ein Flüstern. Wenn er erzählt, klingt es, als betete er.“ Und von dem ich mal das hier behauptet habe.

Lanegan also im Hallenbad von St. Pauli. Vor Menschen, zwischen deren stämmigen Schenkeln Wasserschlangen ein wenig beneidenswertes Dasein fristeten.

Ich paddelte hinüber zum Bademeister, einem ebenfalls recht stattlichen Mann, dessen beeindruckende Physis von einem Kinn- und Backenbart unterstrichen wurde. Ich hievte mich halb auf den Beckenrand und fragte: „Sagen Sie mal, wer ist eigentlich für die Musik verantwortlich?“

Der Bademeister wurde sofort durchzuckt von einem natürlichen Abwehrreflex, fing sich aber recht rasch wieder. „Der Kursleiter der Wassergymnastik“, antwortete er mit deutlichen Anzeichen der Erleichterung darüber, dass er jemand verantwortlich machen konnte. „Jeder bringt seine eigene Musik mit.“

„Tolle Auswahl“, sagte ich, „bitte übermitteln Sie ihm meine Hochachtung.“

Der Mann wirkte verdattert, doch allmählich keimte Freude über die unverhoffte Wendung der Dinge. Ich wandte mich wieder dem Becken zu und schwamm weiter. Und ich werde wiederkommen.

Sind ja nur
maximal zwei Fußminuten.

PS: Habe ich eigentlich Kneipen erwähnt?

12 Kommentare:

  1. Sollte ich jemals das Bedürfnis nach Wassergymnastik verspüren, oder dazu von meinem Hausarzt gezwungen werden, weiß ich jetzt wenigstens welches Hallenbad ich dann aufsuchen muss. Danke.

    AntwortenLöschen
  2. moin, moin matt
    der schuster ist nur 2 häuser weitergezogen in der seiler.....

    AntwortenLöschen
  3. Dann ist ja gut. Dachte schon, es gäbe jetzt eine echte Lücke in der hiesigen Infrastruktur.

    Zaphod, wahrscheinlich hatte ich nur Glück und andere Wassergymnasten untermalen den Kurs mit ihrer DJ-Ötzi-Sammlung.

    AntwortenLöschen
  4. Ich konnte gerade meinen musikalischen Horizont um eine schöne Aussicht erweitern. Vielen Dank.
    Ob die Wasserschlangenbändiger das gleiche gedacht haben möchte ich mal bezweifeln.

    AntwortenLöschen
  5. Nihilistin15.04.11, 16:00

    Haben Sie keine Kneipen in fußläufiger Entfernung? Die vermisse ich massiv in der Aufzählung.
    (St. Pauli ist auch nicht mehr das was es mal war...)

    AntwortenLöschen
  6. Sie haben Plattenläden vergessen!

    AntwortenLöschen
  7. Sie haben Recht! Plattenläden!

    AntwortenLöschen
  8. Exil-Paulianer16.04.11, 14:00

    Den Waffenladen vermisse ich auch in dieser Auflistung. Ich bin bei jedem Reeperbahnbesuch wieder erstaunt über das Paradoxon Waffenverbot/Auslage mit Messern, Pistolen etc. Außerdem vermisse ich Tattoostudios in der Aufstellung ;) Davon abgesehen scheint die Liste komplett zu sein.

    AntwortenLöschen
  9. "Und von dem ich mal das hier behauptet habe."

    Herr Wagner, nächstes Mal müssen Sie sich aber
    bitte kürzer fassen. ;))

    http://www.pictureupload.de/originals/pictures/160411225608_Bild_1.png

    AntwortenLöschen
  10. Hm, wieso ist der Text plötzlich nur noch im Googlecache? Admin!!!!

    (Danke, Sophie, für den Hinweis.)

    AntwortenLöschen
  11. Wieso ist so ne Gammelbude wie KFC eigentlich eine Einzelerwähnung wert, wohingegen sich alle anderen unter "Burger-/Döner-/Hot-Dog-/Currywurstbräter" zusammenpferchen lassen müssen?

    AntwortenLöschen
  12. Weil ich berühmt bin für meine Inkonsequenz und diesen Ruf nicht gefährden möchte.

    AntwortenLöschen