16 August 2012

Eine Frage von Leben und Tod



Heute morgen plötzlich saß dieses Insekt an der Badezimmerdecke. Die Decke ist ziemlich hoch, da kommt man ohne Leiter nicht ran. Es sei denn, man stellte sich auf den Badewannenrand, aber einen Oberschenkelhalsbruch riskieren wegen eines Insekts?

Entscheidend ist eh, um was genau es sich handelt. Ist es eine Motte oder ein Schmetterling? Diese Frage entscheidet über Leben und Tod.

Wir beschlossen, erst einmal abzuwarten. Das Tier sollte selbst über sein Schicksal entscheiden – egal, ob es nun Motte war oder Schmetterling. Also öffneten wir morgens, bevor wir die Wohnung verließen, das Badezimmerfenster sperrangelweit. Eine Option. Eine Chance.

Als wir abends zurückkamen, saß das Insekt noch immer an der exakt gleichen Stelle. Ein Beharrungsvermögen, das mir Respekt abnötigt. Langweilt es sich nicht, so ohne In- und Output? Hat es nichts zu tun? Keine Verpflichtungen? Was sagt die Familie dazu? Hat sie schon eine Vermisstenanzeige aufgegeben?

Fragen, auf die das Insekt keine Antwort wusste. Oder jedenfalls keine gab. Ms. Columbo richtete einen Fön auf das Tier. Seine Flügel flatterten im heißen Luftstrom, doch bewegte es sich keinen Millimeter. Es blieb sitzen, wie angewurzelt.

Abends verließen wir das Haus. Vorher hatten wir erneut das Badezimmerfenster offengelassen. Als wir nach Hause kamen, saß der geflügelte Stoiker noch immer an der gleichen Stelle. Muss er denn nicht fressen? Und wenn ja, was – meine bügelfreien Oberhemden?

Dieses da an der Decke sitzende Tier verändert das Klima in der Wohnung. Wir fühlen uns wenn nicht bedroht, so doch stumm belagert. Dabei tut es nichts, gar nichts. Es sitzt nur da, als hätte es alle Zeit der Welt. Als lauerte es auf seine Chance.

Sicherlich weiß es nicht, dass ich eine Waffe in der Hinterhand habe, bei der ihm auch die Deckenhöhe nichts mehr nützte: einen Staubsauger. Aber ich würde natürlich nur eine Motte dieser letalen Behandlung unterziehen, keinen Schmetterling.

Ist vielleicht ein Zoologe anwesend? Das wäre super. Bis zur gerichtsfesten Identifikation der Spezies belassen wir es erst mal weiter bei einem sperrangelweit offenen Badezimmerfenster.

Der Staubsauger scharrt allerdings schon mit den Hufen. Nur dass Sie’s wissen.



14 August 2012

Lattentreffer



Nach der Schreibtischfron begab sich abends eine Truppe fideler Gesellen gen Adolf-Jäger-Kampfbahn (welch ein Name!), um ebenda dem Vorbereitungsspiel des HSV bei den Amateuren von Altona 93 beizuwohnen.

Was als gepflegtes Beiprogramm eines linden Sommerabends geplant war, wurde phasenweise schier historisch. Der Fünftligist nämlich führte nach nur 19 Minuten 2:0 und zur Halbzeit noch immer 2:1 – ein Zwischenstand, den spontan auf ein Trikot zu drucken wohl jeder FC-St.-Pauli-Fan im Stadion kurz erwog.

Zu Beginn der zweiten Hälfte traf Son die Latte, kurz darauf rannte ein blitzeblanker Flitzer übern Platz. „Umgekehrt“, sagte Ms. Columbo, als ich ihr davon erzählte, „wäre es interessanter gewesen.“

Ich wusste sofort, was sie meinte.

12 August 2012

Albern an der Trave



Am Strand von Travemünde sah es heute wirklich prachtvoll aus. Den für diese Jahreszeit erheblich zu kühlen Wind in ostseeunüblicher Stärke, der uns ungemein zusetzte, sieht man auf diesem Foto freilich nicht.

Wir versuchten ihm mit Fußballspielen im Sand, Frisbee im Wasser und erheblichem Rotweinkonsum auf den nur mühsam zu bändigenden Sitzdecken zu trotzen, doch er war letztlich stärker. Morgen werden wir wahrscheinlich alle in jenem niesintensiven Zustand sein, in dem der arme Einheitskanzler bereits anreiste.

Dem Franken flog ein Insekt mit Tigerstreifen in den 2009er Saint Chinian, was eine gute Gelegenheit bot, den bereits getwitterten Kalauer von der „schusssicheren Wespe“ auch verbal noch einmal anzubrigen. Vorher hatte ich Ms. Columbo bereits erheitert mit diesem hier: „Kräuterdiplom bestanden – mit Basili cum laude“.

Wie man sieht, schafft es auch der schärfste Travemündener Wind nicht, uns die Albernheit aus den Hirnen zu blasen.


10 August 2012

Ein Wutbürger



Der Mittdreißiger, der drahtig und wirrhaarig durch die Seilerstraße (Foto) stampft, schreit, schimpft und brüllt vor sich hin. Dabei ist er ganz alleine. Nirgends ein konkreter Adressat für seine fäkalverbalen Wutkanonaden.

Wir stehen auf dem Balkon und schauen ihm sinnierend nach. „Wahrscheinlich Tourette“, vermute ich. „Ja“, sagt Ms. Columbo, „auch wegen der Bewegungen.“ „Tourette – oder einfach Kiez“, ergänze ich.

Kurz: Das Wochenende hat begonnen.

08 August 2012

Fundstücke (163)



1. Der am Holstenplatz entdeckte Volldeppenapostroph erfüllt bereits den Tatbestand der Selbstverstümmelung. Es sei denn, der Namensgeber des Restaurants hieße in der Tat „Alfon“. Dann will ich kaum was gesagt haben.
 

2. Als wir in Frankreich waren, habe ich sie schon ein bisschen vermisst, gloriose Mopo-Sätze wie diese: „Bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul machte sie sich unsterblich, daran änderte auch ihre Beerdigung 1998 nichts.“ Oder der hier: „Sie könnte seine Enkelin sein, wenn sie ein Mensch wäre – oder er ein Pferd, je nachdem.“ Na ja, jetzt werden wir ja wieder versorgt mit solchen Meisterstücken, aber nur zweimal die Woche. Jede Dosis darüber hinaus könnte sich auf unser Artikulationsvermögen auswirken, und das wollen wir nicht riskieren.



3. Keine Ahnung, warum die Verbreitung dieses lobenswerten sanitären Einrichtungsgegenstandes rückläufig ist, denn der Bedarf scheint mir seit Jahren eher zu wachsen. Das Marburger Restaurant Zur Sonne jedenfalls widersteht dem Zeitgeist und lässt es trotzig drin: das altehrwürdige Kotzbecken.



2. An diesem Freud’schen Verschreiber auf immonet.de kann man gut erkennen, auf welch fruchtbaren Boden das Denken der Occupybewegung schon längst gefallen ist. Prognose: Die Reichensteuer kommt durch.

07 August 2012

Im Pokalfieber



Ein Abend mit (der gertenschlanken) Lena Meyer-Landrut, die uns ihr neues Album vorstellen will.

Sie hat den berühmten Pokal mitgebracht, den sie 2010 als Sensationssiegerin des Eurovision Song Contest in Oslo ergatterte. Ich kenne ihn aus dem Fernsehen. Jetzt allerdings steht er einsam auf der Fensterbank, und ich beginne mit der Kollegin D. Pläne zu schmieden, wie wir das Ding unauffällig außer Haus bugsieren könnten.

„Schließlich brauchen wir was fürs Alter“, begründet D. sehr nachvollziehbar, „das Ding können wir irgendwann auf Ebay versteigern.“ „Nein, bei Sotheby’s“, korrigiere ich. „Bringt mehr.“

Der Pokal ist ziemlich groß und außerdem schwer, wie ich nach einem Hebetest feststellen muss. Eindeutig massives Kristallglas. Und in D.s Handtasche passt er nicht rein.

In Frauenhandtaschen – winzigkleiner Exkurs – passt übrigens nie was rein, wahrscheinlich nicht mal ein Nanopartikel, den man zufällig auf der Straße gefunden haben könnte, sofern er groß genug wäre, dass man ihn ohne Mikroskop sähe. Ein ESC-Siegerpokal jedenfalls passt schon mal gar nicht in eine Frauenhandtasche.

Ich bin gänzlich ohne mobilen Stauraum da, erwäge aber findigerweise meine mitgebrachte Jacke zur Pokaleinwicklungsdecke umzuwidmen und D. zwecks Absicherung als bewegliche Camouflage zu benutzen.

Doch dann gibt es auch schon das Menü; wir ergeben uns augenblicklich willig der Befriedigung elementarer Bedürfnisse und verwerfen alle Pläne hinsichtlich unserer Altersversorgung.

Zum Nachtisch schneidet Lena auch noch Käsekuchen für uns, und so einer fürsorglichen jungen Frau kann man – auch wenn sie gertenschlank ist – unmöglich einen Kristallglaspokal stibitzen, das sieht auch die zunächst murrende D. ein.

Das Album kommt übrigens Mitte Oktober.


04 August 2012

Alles bleibt anders



St. Pauli hat uns wieder, und alles ist beim Alten.

Schubweise regnet es wie aus Hafencontainern, eine Reeperbahnpunkerin erleichtert sich zwischen parkenden Autos, und das neulich schon mal im gleichen Zusammenhang erwähnte Nachbarpärchen rammelt ab 5 Uhr morgens mit erstaunlicher Ausdauer sein quietschendes Bett zuschanden.

Eins aber ist doch anders: In der Postfiliale an der Ecke hat sich ausnahmsweise mal kein Mensch erbrochen, sondern ein Hund. So sieht es zumindest aus; vielleicht bewacht er aber auch nur Herrchens Eigentum.

Wie auch immer: Wir sind zurück, das wollte ich eigentlich nur sagen.


01 August 2012

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (75)



Der Hähnchengrill in der Clemens-Schultz-Straße hat überraschend den Glühwein von der Karte gestrichen.

Möglicher Grund: Es wird Sommer!


31 Juli 2012

Mal rein theoretisch



Auf einen Deutschen in Paris wirkt es durchaus befremdlich (aber auch irgendwie logisch), dass sich Stalingrad ausgerechnet mit einem Friedhof den Hinweispfosten teilen muss. Und seltsam ist es auch, während einer Metrofahrt in Stalingrad einzufahren.

Paris erinnert damit an die kriegswendende Schlacht von 1942, die eine der wichtigsten Ursachen dafür war, weshalb uns die Weltherrschaft der Nazis erspart geblieben ist. In Deutschland hingegen gibt es, soweit ich weiß, weder Platz noch Straße noch Haltestelle mit diesem Namen.

Habe übrigens ein Kaugummi ins Hafenbecken von Honfleur gespuckt und eins an der Pont Jeanne d’Arc in die Seine. So kontaminiere ich Frankreich punktuell mit DNS. Ein aus nicht näher zu erklärbaren Gründen befriedigendes Gefühl.

Apropos: Auch die Asche von Jeanne d'Arc wurde 1431 der Seine überantwortet. Wo befinden sich die Moleküle dieser Ascheteilchen wohl jetzt, in genau dieser Sekunde? Eine interdisziplinäre (also am besten geologisch-chemisch-physikalische) Theorie dazu würde ich sehr begrüßen. Am besten in den Kommentaren.

29 Juli 2012

Paris makaber



Im tropischen Paris muss man zweimal täglich duschen. Der kurze Regenguss, der zwischendurch wie Manna vom Himmel fiel, war viel zu warm, um der Luft die dumpfheiße Seifigkeit auszuwaschen.

Wir schleppten uns also schwerfällig über die Pflaster von Père Lachaise Richtung sechste Abteilung, um Jim Morrison den obligaten Besuch abzustatten. Ein Sperrgitter steht vor seinem Grab (Bildmitte), auf dessen Stein seine Eltern „καтὰ тὸν δαίμονα ἑαυτοῦ“ eingravieren ließen.

Wortwörtlich bedeutet das „Gemäß seinen Dämonen“; im übertragenen Sinne und etwas böswillig könnte man die Inschrift auch mit „Das hast du nun davon“ übersetzen. Vielleicht ein Generationskonflikt ad infinitum, wer weiß.

Auf den steinernen und einem gänzlich Unbeteiligten zugeordneten Gedenkbau davor haben Morrison-Fans ihre Liebeserklärungen gekritzelt, die selten über einzelne Songfetzen („When the music’s over/turn out the light“) oder Tiefsinniges wie „Jiiiiiiiiiiiiiiiiiimmy“ hinausreichen. Als Morrisons ewiger Nachbar würde ich mich bedanken, echt.

Danach ab in die Avenue Montaigne Nummer 12, wo Marlene Dietrich die letzten Jahre ihres Lebens im vierten Stock im Bett lag. Ein überraschend schmuckloses Haus in einer Straße, die in den Erdgeschossen praktisch ausschließlich Modeedelmarken beherbergt, darunter viele Stammhäuser, von denen aus dann Chanel, Dior, Armani etc. die Welt eroberten. Marlene verdämmerte übrigens direkt über Prada.

Da wir in Rouen bereits den Platz aufgesucht hatten, wo Jeanne d’Arc verbrannt wurde, und in Paris den Ort, an dem Marie Antoinette ihren Kopf verlor, kristallisiert sich allmählich ein etwas morbides Motto dieser Reise heraus, was durch meine Lektüre („Rosemarys Baby“, Ira Levin) nicht gerade konterkariert wird.

Eine Grundstimmung, die auch morgen dokumentiert werden wird, das kündige ich schon mal an.


27 Juli 2012

Leine los



Durch die Fußgängerzone von Rouen schlurft ein älterer Herr, der eine Hundeleine hinter sich herzieht. Doch es hängt kein Hund dran. Die Leine hoppelt einfach nutzlos übers Pflaster.

Ein merkwürdiger Anblick, der nur wenige Meter weiter mit einem noch merkwürdigeren Anblick zu korrespondieren scheint. Am Straßenrand nämlich liegt ein leinenloser schlafender Hund – und an ihn kuschelt sich schutzsuchend ein Kaninchen.

Die spinnen, die Gallier.

26 Juli 2012

Cold turkey



In den Shops französischer Autobahnraststätten vergeht einem Hören und Sehen. Für eine 400-Gramm-Tafel Toblerone Gold ruft man dort 15,85 Euro auf, das ergibt einen Kilopreis, der doppelt so hoch liegt wie der von norwegischem Lachs.

Wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine Sonderanfertigung für französische Raststätten, welche die Sortenbezeichnung „Gold“ wortwörtlich meint und nicht nur als Metapher für beigefügten Honig.

Ich nahm jedenfalls Abstand, auch vom ersatzweisen Erwerb einer „Ritter Sport Dunkle Voll-Nuss“ für 2,80. Dann lieber darben – und abends im entzückenden normannischen Küstenstädtchen Honfleur zum Trost einen Cidre ordern.

Mit unserer Ankunft dort hatten sich alle Wolken nach Norden verzogen, was einen weiteren Beleg liefert für die Belastbarkeit einer alten These von mir: Wo wir hinfahren, juchzt die Sonne vor Freude, und sei es Herbst in Helsinki.

Mit der Ankunft in Honfleur brach übrigens die erste internetlose Phase seit Jahren an. Ein Schock. Und dennoch: „Du zitterst gar nicht“, konstatierte Ms. Columbo nach eingehender Untersuchung meines Gesamtzustandes. Die Stille unzugänglicher WLANs: ein Gefühl wie in den 80er Jahren.

Auf dem Flussschiff, das uns majestätisch uneilig gen Paris schaukelt, ist das ebenso. Mal schauen, wie lange ich das Zittern unter Kontrolle halten kann.

PS: Sollten Sie sich mal in Honfleur aufhalten und die Welt verfluchen, weil Sie vom Internet abgeschnitten sind, so suchen Sie doch den Place Hamelin in der Altstadt auf. Dort hat ein freundlicher Naivling sein Livebox-WLAN nicht verschlüsselt. Mehr sage ich nicht, compris?

19 Juli 2012

Es bediente uns Herr Kuss



Wir – also die Menschen – schafften es bis auf den Mond und können sogar das Higgs-Boson-Teilchen nachweisen, vermögen es aber nicht zu verhindern, dass Zugtoiletten ausfallen, wenn wir ein Papiertaschentuch hineinwerfen – hallo …?

Immer, wenn ich die Toiletten der Bahn mit meiner Anwesenheit behellige, stellt sich mir zwangsläufig diese Frage. Seit Jahrzehnten schon, deshalb hätte ich gern endlich eine Antwort.

Sie kam zwar auch heute nicht, doch dafür stimmte mich die Rechnung im Speisewagen versöhnlich, trotz ihrer unverhältnismäßigen Höhe. Drauf stand nämlich: „Es bediente Sie: Herr Kuss“. Leider weckte dieser Satz auch unschöne Erinnerungen an vergangene Nacht.

Gegen halb 3 Uhr früh nämlich weckte uns ein rhythmisches Geräusch aus einer Nachbarwohnung. Zunächst dachte ich, jemand übte Seilspringen, doch die Gesamtkonzeption der Geräusche, das Juckeln und Quietschen und die Beifügung weiblicher Ächzlaute legten eher eine Betätigung nahe, wie sie im Film „Delicatessen“ (s. Video) auf sehr vergleichbare Weise hörbar gemacht wurde.

Das beruhigte mich. Denn in dieser Intensität wäre Seilspringen erheblich länger durchzuhalten als die „Delicatessen“-Variante. Und so kam es dann auch. Wham, bam, thank you, Ma’am.

Inzwischen sind wir in Saarbrücken gelandet, um morgen nach Frankreich weiterzureisen. Auf meinen Tweet „Was kann man eigentlich in Saarbrücken so unternehmen?“ erntete ich trotz einer erklecklichen Followerzahl nur Schweigen. „Beredtes Schweigen“, korrigierte mich Ms. Columbo.

Dann also gute Nacht, jetzt schon.


15 Juli 2012

Kloschnorren in der Hafencity



Kurz nach Besichtigung der Queen Mary 2 am Kreuzfahrtterminal beschlich mich ein Bedürfnis, welches man in Hamburg außerhalb der eigenen Wohnung normalerweise nur auf völlig indiskutable Weise oder kostenpflichtig befriedigen kann – etwa indem man sich in einem Café durchs Bestellen eines Espressos teuer das Recht erkauft, die entsprechende Örtlichkeit aufsuchen zu dürfen.

Doch die gewitzte Ms. Columbo bewies besondere Ortskenntnisse: „Wir können zur Campus Suite gehen“, schlug sie vor, „dort ist das Klo gleich hinterm Eingang rechts.“

Und genauso verhält es sich auch. Das Bedienpersonal dieses bistroähnlichen Ladens hat – zumal wenn die Hafencity dank der Queen Mary 2 so heillos übervölkert ist wie heute – dank der kloschnorrerfreundlichen Architektur kaum eine Chance, dich beim Betreten zu erspähen und sodann zu einer Bestellung zu nötigen.

Betrachten Sie diesen Beitrag also als Insidertipp. Aber er muss unter uns bleiben, das müssen Sie mir versprechen.

14 Juli 2012

Zum Jubeln



Eine heldenhafte Kiez-Task-Force hat doch wahrhaftig ihre im Blog hinterlassene Ankündigung wahrgemacht und den traurigen Dino befreit.

Es geht ihm wohl den Umständen entsprechend gut, wie das mir konspirativ zugänglich gemachte Foto zu beweisen scheint. Ob der Laden, der den Dino bisher in Plastikfoliengeiselhaft gehalten hatte, dabei ernsthaften Schaden nahm, werde ich mir jetzt gleich mal anschauen.

Jedenfalls danke, Männer!

13 Juli 2012

Gebenedeit



Man mag es kaum glauben angesichts dieses sogenannten Sommers, doch dieses Foto der tanzenden Türme von St. Pauli habe ich – auf Ehr und Gewissen – gestern (in Worten: WIRKLICH UND WAHRHAFTIG GESTERN) auf dem Spielbudenplatz aufgenommen.

Rechts hinter den roten Begrenzungen liegt die Kneipe Herz von St. Pauli, und dort saß währenddessen die Jeunesse dorée Hamburgs – also German Psycho, Frau Cooper, Griesgrämer sowie der Franke – und erwartete mich auf ein Bier. Oder drei.

Manchmal glaube ich wirklich, ich bin gebenedeit unter den Menschen.

12 Juli 2012

Zum Heulen



Der türkische Ramschladen am Ende der Reeperbahn, der nach eigenen Angaben schon im Februar 2011 umziehen wollte, ist immer noch hier.

Ob dies ein Glück oder Unglück ist, mögen andere beurteilen, doch wäre er nicht mehr da, hätte ich gestern in seinem Schaufenster nicht diesen herzzereißenden Stoffdino in Plastikfolie entdecken können.

Zweifellos handelt es sich dabei um den traurigsten Anblick, der zurzeit auf dem Kiez zu sehen ist – zumindest so lange diese Frau dem Viertel fernbleibt.


11 Juli 2012

Nicht markant genug



Viel zu selten patrouilliere ich über den Kiez. Viel zu selten schreite ich jenes Revier ab, welches ich dank meiner fast siebenjährigen Bloggerei mit Fug und Recht als das meinige betrachten darf.

Ich erkenne es daran, dass die Koberer an der Reeperbahn mich immer noch nicht erkennen. Unverdrossen sprechen sie mich auf meinen Patrouillengängen an, als wäre ich ein x-beliebiger Tourist aus Pforzheim oder einem anderen Eckpunkt des – wie Cinema Noir es nennt – „Verdauungsdreiecks“ (Essen, Darmstadt, Pf.).

Das ist frustrierend. Soll ich ihnen etwa jedes Mal erklären, ich wohnte und lebte hier, und ihre Versuche, mich in Schummerkaschemmen beim 39-Euro-Sex
mit 500-Euro-Sekt abzufüllen, seien daher unrealistisch?

Genauso geht es mir mit den Huren. Eigentlich sollten sie meinen markanten Schädel inzwischen kennen und den darin wohnenden störrischen Geist als unkoberbar klassifiziert haben, doch nein: Auch sie bestürmen mich wie jeden x-beliebigen Touristen aus Darmstadt oder einem anderen Eckpunkt des Verdauungsdreiecks.

So auch bei meinem heutigen Patrouillengang. Am Hans-Albers-Platz die erste ernsthafte Attacke. Ich erwehrte mich erstaunlich erfolgreich mit einem „Ich bin bestens versorgt, danke.“


So lange dieser Spruch funktioniert, kann ich den anderen in der Schublade lassen. Er wäre einfach zu böse, selbst für meine Verhältnisse.

„Mein Name ist Unterweger. Jack Unterweger.“



09 Juli 2012

Madonna bevorzugt



Geschäftlich in Marburg, ausgerechnet und zufällig während des Stadtfestes, dem in der aparten Unistadt unumstrittenen Höhepunkt des Jahres. Überall Stände, Buden, aufgeregte Menschen.

In der Oberstadt haben Initiativen und Parteien Infostände aufgebaut, auch Die Linke. Per Transparent fordert sie die Rettung des „Uniklinkums“, und man muss sich fragen, ob eine Partei, die nicht mal das Wort Klinikum richtig buchstabieren kann, in der Lage sein wird, es zu retten. Natürlich ist es kleinlich, das hier zu erwähnen, aber vielleicht auch nicht.

Beim Essen erzählte mir mein Gastgeber von einem befreundeten Sänger, der sich mal samt Gattin mit einem potenziellen Arbeitgeber im Restaurant traf und während einer kurzen Abwesenheit der Dame vom Chef in spe folgendes Angebot erhielt: „Wenn ich Ihre Frau mal pudern darf, dürfen Sie bei mir alles singen.“

Der Schlag, den der Freund meines Freundes im unmittelbaren Anschluss und ungeachtet der Auswirkungen auf seine Jobchancen über den Tisch schickte, knackte dem Lustmolch gepflegt den Unterkiefer. So verständlich diese Reaktion auch war, für die hübsche Metaphorisierung des Verbs „pudern“ hätte man den Mann auch durchaus vorher kurz belobigen können, was hiermit nun als nachgeholt gelten soll.

Als ich mich abends ins Getümmel des Stadtfestes stürzen will, bleibe ich im Steinweg an den Filmplakaten kleben und beschließe spontan, mir statt feiernder Marburger den von Madonna gedrehten Film „W.E.“ anzuschauen, der in dieser Minute anfängt.

Beim Kauf der Karte grinst die Kassiererin komisch, das Gleiche tut auch die Kartenabreißerin. Der Grund: Keiner außer mir will diesen Film sehen, alle bevorzugen das Stadtfest, den unumstrittenen Höhepunkt des Jahres.

Mir aber führt man privat und exklusiv „W.E.“ vor, und ich fühle mich zwei Stunden lang wie einst Michael Jackson, der hatte ja auch ein Privatkino. Allerdings lief bei Jacko daheim vor der Vorstellung wahrscheinlich kein Werbespot der Glastanzdiele Hermershausen.

Vor „W.E. übrigens auch nicht. Aber früher, als ich noch in Marburg wohnte, lief der immer. Ach, selige Studentenzeiten!