22 April 2011

Alles verboten

Weil die Kirche es irgendwie geschafft hat, dem ganzen Land am Karfreitag das Singen, Tanzen und Spielen zu untersagen, herrscht auch auf dem Kiez heute tote Hose. Selbst zum Luftgitarrensolo in der Friedrichstraße wird es garantiert nicht kommen.

Und da ich unsicher bin, ob die Kirche es nicht auch irgendwie geschafft hat, am Karfreitag das Bloggen zu untersagen, mache ich hier vorsichtshalber Schluss.

21 April 2011

Home, sweet home



Vergangene Nacht, während wir noch auf Mosel und Rhein kreuzten, brannten auf St. Pauli acht Autos. Wer da gezündelt hat, scheint nicht gerade ein Umweltfreund zu sein, denn den missliebigen Klimawandel beschleunigt so was eher.

Das Motiv des Täters (ja, liebe Besserwisser, es kann auch eine Täterin gewesen sein. Oder drei.) liegt jedenfalls im Dunkeln – ähnlich wie der Anlass, der zum sorgsamen Beschriften des abgebildeten Zettels geführt haben könnte. Vielleicht hängt ja sogar beides zusammen, die brennenden Autos am Wohlers Park und der „Vorsicht Digger!“-Wisch heute Nachmittag in der Hein-Hoyer-Straße.

Das sind so Gedanken, die man sich an Rhein und Mosel wahrscheinlich niemals machen muss.



19 April 2011

Was man in Koblenz ungestraft mit Köchen machen kann



Wie kontrastreich doch das Leben sein kann.

In Cochem baten wir um Leitungswasser zum Espresso, und die Bedienung sagte: „Das dürfen wir nicht herausgeben.“ Weltweit stellen sie Leitungswasser zum Espresso, von Rio bis Reykjavik, aber in Cochem an der Mosel ist das untersagt.

Aufs alternativ für drei Euro angebotene Mineralwasser verzichteten wir daraufhin dankend, zumal der Espresso – eine ungenießbar dünne, cremalose Plörre von empörender Indifferenz – bereits mit sagenhaften 2,95 das Tässchen zu Buche schlug.

Es handelte sich um den überteuertsten Espresso unseres Lebens, und er bekam nicht mal Geleitschutz von Leitungswasser. Welch ein Schicksal.

Wir schipperten also weiter nach Alkem und kehrten abends in die Straußwirtschaft Rindsfüßer ein, wo wir mit einer ganz und gar gegenteiligen Philosophie konfrontiert wurden. Dabei schien es zunächst, als parodierte Frau Rindsfüßer die unhaltbaren Cochemer Zustände.

Meine Schwester nämlich – trotz ihres sinnenfrohen Bruders mit Abstinenz geschlagen – bestellte ein stilles Wasser. „Hawwe mer net“, blaffte Frau Rindsfüßer, „awwer mer wolle ma gugge, was mer tun könne.“

Und dann servierte sie ein fröhlich sprudelndes Mineralwasser zusammen mit einem batteriebetriebenen Milchaufschäumer. Sie nahm das Gerät, warf es an und tauchte es ins Glas, woraufhin die Kohlensäure unter allen Anzeichen von Panik die Flucht ergriff.

Binnen kurzem verfügte meine Schwester so über das gewünschte stille Wasser. Am Tisch stieß diese unkonventionelle Methode auf lauthalse Begeisterung, was nicht unwesentlich dazu beitrug, dass der nichtabstinente Rest der Gesellschaft den Abend über ordentlich bei Frau Rindsfüßer nachorderte.

Bei 80 Cent fürs 0,1er Glas Hauswein war das keine große Leistung, gebe ich zu, doch so schmeckte das preiswerte Tröpfchen auch, was allerdings durch die alternative 2007er Rieslingspätlese nachhaltig wieder wettgemacht wurde.

Am nächsten Tag auf der Bundesgartenschau in Koblenz entdeckte ich dann das abgebildete Schild. Es besagt ganz offensichtlich, dass es erlaubt ist, Köche zu köpfen, und zwar mit handelsüblichen Baseballschlägern.


Warum als Erklärung aber was ganz anderes obendrüber steht, verstehe ich ehrlich gesagt überhaupt nicht.



18 April 2011

Balanceakt



Eine kunterbunte Familienkreuzfahrt auf Rhein und Mosel, mit Eltern, Schwiegereltern, Schwägern, Neffen, Nichten und Gattin.

Unfassbare Dinge geschehen. Und läsen sie nicht alle hier mit, könnte ich auch drüber schreiben.

17 April 2011

Da hilft nur Stadionverbot



Noch niemals in meiner dekadenlangen Fankarriere habe ich den 1. FC Köln öfter in einer Saison live gesehen als in dieser, nämlich bereits dreimal.

Im Januar spielte er in Eiseskälte beim FC St. Pauli. Ich bibberte auf der Gegengerade und sah die Kölner mit 0:3 untergehen. Wenigstens gingen die Punkte an St. Pauli, das milderte den Schmerz.

Im März fuhr ich ins HSV-Stadion, wo ein lustloser 1. FC mit 2:6 abgefackelt wurde. Ich redete mir den Nachmittag mit der Torquote schön. Na ja, ich versuchte es wenigstens. Ein bisschen. Okay, eigentlich gar nicht.

Ganz klar, um mein Team siegen zu sehen, musste ich mir ein Heimspiel anschauen, in Köln. Das würde den Fluch brechen, zumal das Team sieben Spiele in Folge zu Hause gewonnen hatte. Das war Vereinsrekord, der durch einen achten Triumph noch ausgebaut werden würde.

Heute Nachmittag war ich also erwartungsfroh im Rhein-Energie-Stadion und schaute mir die Partie gegen den VfB Stuttgart an. Effekt: Köln ergab sich vollkommen widerstandslos einer 1:3-Klatsche. Wenigstens erwischte ich einen ziemlich inoffiziellen, aber passgenau hybriden Schal, der mein Herz erwärmte.

Meine Livebilanz in dieser Saison lautet also: 0 Punkte und 3:12 Tore.

Beim 1. FC Köln rätseln sie nach diesen Niederlagen immer, wie die unerklärliche Kraftlosigkeit zustande kommt, dieses Fehlpassfestival, die Unfähigkeit zu kämpfen, diese bleierne Demotivation.

Nun, ich kenne den Grund: Weil ich im Stadion bin. Auf mein Team wirke ich wie Kryptonit auf Superman.

Es gibt daher nur eine Lösung: Ich beantrage hiermit für mich ein bundesweites Stadionverbot. Sie soll für alle Partien gelten, an denen der 1. FC Köln beteiligt ist. Wo immer sie auch stattfinden.

Am liebsten wäre es mir übrigens, wenn Wolfang Overath diese Anweisung unterzeichnete. Um der alten Zeiten willen.

15 April 2011

Eine Überraschung zwischen Wasserschlangen



Was hier mitten auf St. Pauli alles um die Ecke ist (also in maximal zwei Fußminuten Entfernung; assoziative Reihenfolge):

Kneipen, Postfiliale, Disco, Theater, Musicalhaus, Kneipen, Banken, Tankstelle, Sexshops, Pornokinos (alle Fachrichtungen), Kneipen, Bordelle, Daddelhallen, Museen, Galerien, Supermärkte, Kneipen, Fußballstadion, Restaurants, Fahrradladen, Kneipen, Blumenladen, Fußpflegestudio, Schuster (stopp: hat gerade dichtgemacht), Bäckereien, Kneipen, Fischgeschäft, Boutiqen, Geschäft für Tiernahrung, Jahrmarkt, Apotheken, Reisebüro, Ärzte, Kneipen, Straßenstrich, Burger-/Döner-/Hot-Dog-/Currywurstbräter, Kentucky Fried Chicken, Hotels, Bars, Kneipen, Nippesläden, Spielplätze, Schulen, Eisdielen, Cafés, Wochenmarkt, Kneipen, Gemüseläden, Liveclubs, U-Bahn, S-Bahn, Bushaltestellen, Zeitungskioske, Ortsamt, Polizeiwache, Kneipen und …

… ein Hallenbad.

Als ich neulich vormittags dort meine Runden drehte, musste ich mir das Becken teilen mit einem exorbitant sich breit machenden Wassergymnastikkurs. Er wurde gebildet von größtenteils adipösen älteren Menschen, deren Wasserschlangen mir immer wieder frech in die Bahn ragten.

Doch das war weit weniger verdrießlich, als ich erwartet hätte, denn ein außergewöhnliches Phänomen milderte jeden anderen Missstand: Es lief saugute Musik. Normalerweise rechnet man ja vormittags im von Strampelrentnern bevölkerten Hallenbad mit Udo Jürgens oder Marianne & Michael, aber nein:

Meine baffen Ohren vernahmen Songs von MARK LANEGAN, von dem ein Kollege mal schrieb: „Seine Songs sind von depressiver Schönheit, sein Gesang ist ein Flüstern. Wenn er erzählt, klingt es, als betete er.“ Und von dem ich mal das hier behauptet habe.

Lanegan also im Hallenbad von St. Pauli. Vor Menschen, zwischen deren stämmigen Schenkeln Wasserschlangen ein wenig beneidenswertes Dasein fristeten.

Ich paddelte hinüber zum Bademeister, einem ebenfalls recht stattlichen Mann, dessen beeindruckende Physis von einem Kinn- und Backenbart unterstrichen wurde. Ich hievte mich halb auf den Beckenrand und fragte: „Sagen Sie mal, wer ist eigentlich für die Musik verantwortlich?“

Der Bademeister wurde sofort durchzuckt von einem natürlichen Abwehrreflex, fing sich aber recht rasch wieder. „Der Kursleiter der Wassergymnastik“, antwortete er mit deutlichen Anzeichen der Erleichterung darüber, dass er jemand verantwortlich machen konnte. „Jeder bringt seine eigene Musik mit.“

„Tolle Auswahl“, sagte ich, „bitte übermitteln Sie ihm meine Hochachtung.“

Der Mann wirkte verdattert, doch allmählich keimte Freude über die unverhoffte Wendung der Dinge. Ich wandte mich wieder dem Becken zu und schwamm weiter. Und ich werde wiederkommen.

Sind ja nur
maximal zwei Fußminuten.

PS: Habe ich eigentlich Kneipen erwähnt?

14 April 2011

Fundstücke (130)



1. Diese Anweisung findet man auf der verdienstvollen Webseite esowatch. Leider informiert sie nicht über die Sanktionen, die drohen, falls man sie nicht beherzigt. Bei Gelegenheit werde ich deshalb mal einen Heilpraktiker fragen.



2.
Manchmal beeinflusst die Frage, wer dich zu einem „Event“ einlädt, entscheidend die Neigung, daran teilzunehmen oder nicht. Wenn einer wie Kalle Schwensen einlädt – und sei es zur „Nacht der Sünde 2 / SM- und Fetisch-Party“ –, dann wäre es jedenfalls schon besser, man ginge hin. Aber ein bisschen Angst hätte ich schon vor dieser Veranstaltung. Na ja, am besten lasse ich Ms. Columbo entscheiden.




3. Neulich beim Scrabble gelang das Unglaubliche: mit einem Begriff drei dreifache Wortwerte abzuräumen. Natürlich bedurfte dieses Wort, um akzeptiert zu werden, einer guten Hintergrundgeschichte, und verdammt, sie war gut.



4. Selbst wer vorher genau wusste, wo z. B. rechts ist (nämlich da, wo der Daumen links ist), dürfte nach längerem Starren auf diese Produktverpackung jedes Gefühl für Seitendefinitionen verloren haben. Mir ging’s jedenfalls so, und ich bin heilfroh, kein Fahrzeug mit vier Rädern mehr zu besitzen.


13 April 2011

Was Fußball und Fahrräder gemeinsam haben







Abstiegsplatz, Geisterspiel und jetzt auch noch Stanislawski auf dem Absprung: Als Fan des FC St. Pauli fühlt man sich zurzeit zerfleddert, ruiniert und doch weiterhin festgekettet.

Also ungefähr so wie diese Fahrradleichen, über die ich ständig stolpere.

12 April 2011

Das billige Perpetuum mobile



Zwei dieser verboten köstlichen Walnussbrötchen kosten beim Backhus im Brauquartier (Foto) 1,30 Euro. Ich sammle mein Kleingeld zusammen und komme – in Ermangelung eines Ein-Cent-Stückes, allerdings u. a.mit Hilfe dreier Zwei-Cent-Münzen – auf 1,31 Euro.

Dieser minimale Überschuss bietet die wunderbare Gelegenheit, mit einem fröhlichen „Den Glückscent schenke ich Ihnen!“ ein Lächeln aufs Antlitz des Backhus-Verkäufers zu zaubern und so generell die allgemeine Weltstimmung zu heben.

Eine solche Geste nämlich ist gleichsam ein soziales Perpetuum mobile. Der Verzicht auf den einen Cent (oder auch auf 10, 20 oder 50, das sind letztlich nur graduelle Unterschiede) verbessert das mentale Klima in unmittelbarer Nähe weit mehr, als diese mikrogeneröse Geste deiner Vermögenssituation schadet. Einstein wäre begeistert.

Doch zurück zu den 1,31 Euro für die beiden verboten köstlichen Walnussbrötchen. Ich lege also das recht unübersichtliche Münzensammelsurium auf den Tresen, und gerade, als ich meinen weltstimmungsverbessernden Text „Den Glückscent schenke ich Ihnen!“ salbungsvoll hersagen möchte, schiebt der Verkäufer das Häufchen ohne nachzuzählen umstandslos in die Kasse und bedankt sich.

Mein Vorhaben verpufft also völlig wirkungslos; es ist nicht mal mehr ansprechbar, ohne mich sofort der Lächerlichkeit preiszugeben. Oder wie hätte das laufen sollen – etwa so:

„Übrigens habe ich Ihnen einen Cent zu viel hingelegt, ich wollte Ihnen den als Glückscent schenken, aber jetzt …“
„Was, Sie haben mir zu viel bezahlt? Das tut mir Leid, das habe ich nicht gewollt! Entschuldigen Sie bitte vielmals, nehmen Sie bitte …“
„Nein, Sie verstehen nicht, ich wollte den Cent nicht zurück, sondern …“
„Aber ich bestehe darauf, hier, Ihr Cent!“
„Nein, behalten Sie diese doofe Münze doch, verdammt! Ich will diesen blöden Cent nicht mehr zurück!“
„Das kann man auch in einem anderen Ton sagen!“
„Was habe ich denn in welchem Ton gesagt, hä? Was denn?“
„Mir reicht’s! Hier: 1,31 Euro, bitte schön, für Sie. Und jetzt gehen Sie, raus! Halt, die Brötchen bleiben hier! Lassen Sie sich bloß nie mehr blicken! Wegen einem Cent ein solches Theater, unglaublich!“


Na ja, und so weiter. Kurz: Die Situation lässt eine Selbstthematisierung aus intrinsischen Gründen nicht zu.

Allerdings schmeichelt mir das Vertrauen, welches der Backhus-Verkäufer mir mit seinem ungeprüften Einkassieren entgegenbringt. Und deshalb verzaubert plötzlich ein verblüfftes Lächeln mein Antlitz. Nehme ich zumindest mal an (denn es ist gerade kein Spiegel in der Nähe).

Auf dem Heimweg bleibt zudem der Trost, dass der Verkäufer wenigstens beim abendlichen Kassensturz ein unverhofftes Tagesplus von einem Cent vorfinden wird. Ein doppelter Weltstimmungsaufheller also. Was will man mehr an einem sonnigen Frühlingstag auf dem Kiez?


Höchstens noch Weltfrieden.



11 April 2011

Was Hafencity und Kim Jong-il gemeinsam haben

Ein Ausflug in die Hafencity bringt jedesmal neue und bisweilen erstaunliche Erkenntnisse – vor allem, wenn man (wie wir) nur alle paar Monate dort aufkreuzt.

So posieren dort neuerdings Erpel auf einem Bein, als bewürben sie sich für Germany's next topduck. Im Pavillon der Elbphilharmonie haben sie derweil das Publikum offensichtlich nach der Ästhetik des nordkoranischen Parlaments modelliert.

Und am Dalmankai … doch sehen Sie selbst.







10 April 2011

Der fehlgeleitete Grabscher



Geburtstagsparty einer Freundin in einer Schanzenkneipe.

Ich unterhalte mich gerade mit der Gastgeberin, als ich plötzlich spüre, wir mir zwei kräftige Hände parallel an den Hintern fassen und ihn in eine Wippbewegung versetzen (was dank der muskulär beeindruckenden Grundkonsistenz meines Hinterns selbstverständlich nur von kurzer Dauer ist. Das Wippen.).

Ich drehe mich um und erblicke einen mir völlig unbekannten Mann um die 40. Er sieht mich an und erblickt in mir einen völlig unbekannten Mann um die 50.

„Oh“, sagt er, „ich dachte, du seist Olaf.“

Warum er es indes für nötig hielt, diesem Olaf den Glutaeus Maximus zu kneten, ließ sich an diesem Abend nicht mehr klären.

Interessante Party jedenfalls – und von all dem konnte die mittags abgelichtete Gießkanne natürlich überhaupt noch nichts ahnen.

09 April 2011

Fundstücke (129)



Da haben wir’s: Das Internet gefährdet Beziehungen. Es ist somit rundheraus abzulehnen.

Gefunden in der Seilerstraße.

Nachtrag 10.4.2011:
Auf mehrfachen Wunsch folgt hier nun auch die Abbildung der Vorderseite, die ich in weiser Voraussicht ebenfalls fotografiert hatte.



08 April 2011

Vive le Käse, vive le Lachs!



Wie heißt es so schön? Den Camembert in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf. Seinen Duft übrigens auch nicht, wie wir heute Abend entzückt in der Villa Verde feststellen konnten.

Dort besuchten wir den weltweit ersten Hamburger Käsestammtisch. Neun formidable Rohmilchkäsesorten warteten duftend vor Vorfreude auf geneigte Connaisseure, also uns, und die patente Sommelière Ina Finn vermochte das Sortiment erwartungsgemäß mit kongenialen Weinen zu flankieren.

Initiiert wurde die Veranstaltung von der französischen Milchwirtschaft, die sich deutlich größere Absatzerfolge in Deutschland vorstellen kann. Denn leider laufen die Deutschen mehrheitlich immer noch zu Aldi und kaufen dort blutjungen Billiggouda, statt sich – wie es dem zivilisatorischen Stand des Homo sapiens weit eher entspräche – den dialektischen Freuden des Reblochonverzehrs zu widmen.

Deshalb jetzt also dieser Stammtisch, wofür sich die Marketingagentur allerdings einen Titel ausgedacht hat, bei dem man leicht errötet vor Fremdscham: „Vive le Käse“.

„Die glauben, ,Vive le fromage’ würden die Deutschen nicht verstehen“, raunt Frau Finn konspirativ und rollt ein wenig entschuldigend mit den Augen, während sie mir einen ergötzlichen Sauvignan Blanc eingießt.

Weil sie schon im Vorhinein ahnte, dass die Käsestammtischpremiere angesichts der deutschen Rohmilchskepsis womöglich nicht ganz so überlaufen sein würde wie zum Beispiel ein Take-That-Konzert, hatte sich die findige Geschäftsfrau einen weiteren Präsentator ins Haus geholt, und zwar das Taschen-, Schuh- und Ledergürtellabel Elbkind.

Besonderheit: Alle Elbkind-Produkte sind aus Fischleder. Vor allem die bisher scheinbar nutzlose Außenhaut des verehrungswürdigen Salms wird von der Firma weiterverwertet. Vive le Lachs sozusagen.

Olfaktorisch hätte der weiter fleißig vor sich hin laufende Camembert also möglicherweise einer taffen Konkurrenz gewärtig sein müssen, doch als ich zum Stand hinüberschlich, mir die noch immer faszinierend schuppigen Schuhe zur Nase führte und heimlich beschnupperte, war da überhaupt nichts Fischiges, nirgends.

Der nächste Käsestammtisch findet übrigens am 5. Mai statt, und einmal dürfen Sie raten, wer wieder da sein wird.

07 April 2011

Strategien gegen Architektur

In der Altonaer Großen Bergstraße bauen sie ein neues Ikea-Möbelhaus. Besser gesagt: Momentan reißen sie noch die alten Gebäude ab und planieren die Fläche.

Es gab einigen Widerstand gegen das Projekt, aber als man in Altona eine Volksbefragung durchführte, entschied sich die Mehrheit der Bürger dafür. Demokratie ist manchmal unberechenbar.

Die Gegner sind gleichwohl noch aktiv und bekleben den Bauzaun gern mit antischwedischen Parolen in Blau-Gelb. Manche davon sind allerdings ein wenig arg simpel gestrickt, zum Beispiel die hier:



Sehr viel gelungener hingegen finde ich die unten folgende. Ihr vielschichtiger popkultureller Anspielungsreichtum korrespondiert aufs Entzückendste mit der absoluten Knappheit des Ausdrucks. So soll, so muss es sein.



Und wer jetzt nicht zu Hause sein Billyregal zu Klein(sperr)holz macht, glaubt wohl immer noch an Volksbefragungen.

06 April 2011

Zwischenfall mit Handschellen



Ein Schrei unter unserem Balkon. Mitten auf der Seilerstraße liegt ein dunkelhäutiger Mensch, zwei hellhäutige Jeans- und Sweatshirttypen knien über ihm.

Ein Auto muss bremsen und beleuchtet die bizarre Szenerie. Ich gehe routiniert in den Flur, hole das Telefon, gehe wieder zurück. Inzwischen steht das Trio am Straßenrand, und gerade, als ich die Davidwache anrufen und Rassismus, Übergriff, Raub etc.pp. anzeigen will, zückt einer der Männer Handschellen und legt sie dem Dunkelhäutigen an.

Zivilfahnder? Zivilfahnder.

Ich lasse das Telefon sinken und verlege mich aufs abwartende Beobachten. Jetzt wird der Gefesselte durchwühlt. Passanten gehen vorüber, keiner fragt, was los sei. Sie drehen sich nicht mal um. Eine irgendwie besinnliche Ruhe liegt über der Szenerie.

Der Pass des Verhafteten wird ausgiebig studiert, man blättert in Papieren, keiner spricht. Und irgendwann nehmen sie den Gefangenen in die Mitte und schlendern gemütlich davon, Richtung Davidwache.

Na ja, wieder einen Anruf gespart.



05 April 2011

Ein toter Hase

Der dicke obdachlose Langbart trägt einen Filzzopf bis auf Rippenhöhe. In seinem Einkaufswagen, den er irgendwo konfisziert hat, stapeln sich prallvolle Pennytüten.

Wir stehen in der Königstraße an einer Fußgängerampel, als der verwahrloste Riese uns anspricht. Denn er hat eine Information für uns.

„Da liegt ein toter Hase“, sagt er und grinst über beide zugewucherte Backen, dass der Filzzopf wackelt.

Dann zückt er ein Teppichmesser – und schabt vorsichtig den Aufkleber „Ultra St. Pauli“ von einem Vorfahrtschild.

In einigen Metern Entfernung liegt wirklich ein toter Hase, mitten auf dem Gehweg. Vielleicht auch ein Kaninchen.

Ein verstohlener Seitenblick auf sein Teppichmesser zeigt keine Blutflecken. Dann wird die Ampel grün.


04 April 2011

Vorsicht: Körperflüssigkeiten!

In der altehrwürdigen „Kiez Klause“ (sic!), einer Kneipe mit CD-Musikbox, von der man auch schon mal in brutalstmöglicher Lautstärke „The winner takes it all“ ins Hirn geblasen bekommt, steht ein Getränk auf der Karte namens „Monatsblutung“.

Der Wortbestandteil „blut“ ist dabei rot eingefärbt, und zwar für all jene, die immer auch aufs Offensichtliche erst gestoßen werden müssen. Es gibt manche solcher Menschen; für sie ist eine solche visuelle Hilfe segensreich.

Wie auch immer: Eine spontane Umfrage im Mittrinkerkreis ergab eine äußerst geringe Bereitschaft, die „Monatsblutung“ einmal auszuprobieren. Möglicherweise hat sie ein Image- und sicher auch phasenweise ein Lieferproblem: Denn was ist, wenn die in … ähem … vollem Saft stehende Bedienung einmal nicht kommen kann? Serviert die „Kiez Klause“ dann statt „Monatsblutung“ einen unzureichenden Ersatz wie – sagen wir – Tomatensaft?

Ohne dieses Problem, dessen Thematisierung nur mit der mitternächtlichen Stunde und bestimmten zuvor konsumierten Flüssigkeiten erklärbar ist, befriedigend gelöst zu haben, fiel mir bereits das nächste auf: Die Tür des Herrenklos in der „Kiez Klause“ lässt sich nur halb öffnen, weil die CD-Musikbox, von der man auch schon mal in brutalstmöglicher Lautstärke Stücke von Haddaway (!) ins Hirn geblasen bekommt, direkt davorsteht.

Nehmen wir zum Beispiel an, Otti Fischer würde mal hier in der „Kiez Klause“ abhängen und nach acht bis zwölf Gläsern „Monatsblutung“ auf einmal dringend müssen, so gelänge es ihm mit an Sicherheit grenzender Wahscheinlichkeit nicht, das Herrenklo unfallfrei zu betreten.

Stattdessen würde der stattliche Bayer sich heillos im Türspalt verklemmen und käme erst wieder frei, nachdem er es einfach pladdern gelassen und so ausreichend an Volumen verloren hätte.

Das alles wäre natürlich schlimm und zu verurteilen, doch in Wahrheit ist die „Kiez Klause“ selbst daran schuld, weil sie ihre Musikbox, von der man auch schon mal in brutalstmöglicher Lautstärke ein Stück von Fury In The Slaughterhouse (!!) ins Hirn geblasen bekommt, zu nah an der Klotür aufgestellt hat.

Otti Fischers Malheur wäre freilich trotz seiner Außergewöhnlichkeit immer noch eine weit geringere Sensation als jenes der gleichen Sphäre zugehörige Kunststück, das ein Amazonverkäufer in seiner Produktbeschreibung anzukündigen weiß.

Dort steht nämlich: „SCHIFFE AUS PORTLAND, OREGON, USA“.

So was geht natürlich nur mit unglaublich viel Druck auf der Leitung – und den dauerhaft garantieren zu können, dafür gebührt diesem tapferen Amerikaner jener Respekt, den man Otti Fischer trotz allem nur eingeschränkt entgegenbringen möchte.

02 April 2011

To do or not to do



Diese schöne Abhakliste pappt an einem Hauseingang in der Clemens-Schultz-Straße (ja, ihr Investoren: So sehen Hauseingänge in St. Pauli aus. Lohnt sich also nicht. Alles vergammelt.).

Besonders schön finde ich ein paar der noch offenen Punkte – zum Beispiel „einen Tag nicht kiffen“ oder das mit Verzweiflung kontaminierte „klarkommen“.

Für das ebenfalls noch zu erledigende „alles braun-weiß anmalen“ hingegen ist nach einem Abend wie diesem (gegen Schalke verloren, zwei Platzverweise, Spiel abgebrochen) die Motivation sicher erst mal im Keller.


Aus mentalen Gründen sollte daher die Steuerabrechnung vorgezogen werden.