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02 Juni 2009
Unheimliche Begegnung der Pisa-Art
Der Flohmarktstand auf dem Ikeagelände in Moorfleet ist riesig. Bürobedarf, Akkus, Handyschalen, solches Zeug.
Ich stehe vorm Behälter mit Klebeband. „Drei Stück ein Euro“, wendet sich einer der zahlreichen Verkäufer mir zu. Es ist ein etwa 20-jähriger mit Migrationshintergrund. Sein Schnurrbartflaum ist bemitleidenswert licht, doch er glaubt damit männlicher zu wirken.
„Drei Stück ein Euro“, wiederholt er, „ein Stück 30 Cent.“
Ich stutze. „Müsste der Preis bei mehreren Exemplaren nicht sinken?“, frage ich mit einer spontan aufflammenden Lust an Spitzfindigkeiten in der Mittagssonne. Es rattert in ihm, das sieht man genau. „Hm“, macht er.
„Ich meine: drei mal 30 Cent sind 90 Cent“, rechne ich ihm vor, „Sie wollen dafür aber einen Euro.“
Er schaut mich verstört an. Wahrscheinlich hält er mich für Einstein. Korrigiere: Er hielte mich für Einstein, wenn er diesen Namen schon mal gehört hätte.
„Wissen Sie was“, sage ich, da sein Schweigen allmählich für uns beide zur Belastung wird, „ich nehme jetzt drei Stück und gebe Ihnen 90 Cent, abgemacht?“ Er nickt erleichtert – und weiß gar nicht, welcher Gefahr er damit gerade entronnen ist.
Immerhin hätte ich ihm mühelos auch einen Nachlass auf 80 Cent zwingend herleiten können – mit unkalkulierbaren Folgen für sein Seelen- und Restleben.
PS: Das Foto zeigt den Fleet am Herrengraben, der spiegelnd und kopfüber die Konturen des gegenüberliegenden Hauses aufweicht – eine sehr weit hergeholte Metapher für die Erosion unseres Bildungssystems.
Ich stehe vorm Behälter mit Klebeband. „Drei Stück ein Euro“, wendet sich einer der zahlreichen Verkäufer mir zu. Es ist ein etwa 20-jähriger mit Migrationshintergrund. Sein Schnurrbartflaum ist bemitleidenswert licht, doch er glaubt damit männlicher zu wirken.
„Drei Stück ein Euro“, wiederholt er, „ein Stück 30 Cent.“
Ich stutze. „Müsste der Preis bei mehreren Exemplaren nicht sinken?“, frage ich mit einer spontan aufflammenden Lust an Spitzfindigkeiten in der Mittagssonne. Es rattert in ihm, das sieht man genau. „Hm“, macht er.
„Ich meine: drei mal 30 Cent sind 90 Cent“, rechne ich ihm vor, „Sie wollen dafür aber einen Euro.“
Er schaut mich verstört an. Wahrscheinlich hält er mich für Einstein. Korrigiere: Er hielte mich für Einstein, wenn er diesen Namen schon mal gehört hätte.
„Wissen Sie was“, sage ich, da sein Schweigen allmählich für uns beide zur Belastung wird, „ich nehme jetzt drei Stück und gebe Ihnen 90 Cent, abgemacht?“ Er nickt erleichtert – und weiß gar nicht, welcher Gefahr er damit gerade entronnen ist.
Immerhin hätte ich ihm mühelos auch einen Nachlass auf 80 Cent zwingend herleiten können – mit unkalkulierbaren Folgen für sein Seelen- und Restleben.
PS: Das Foto zeigt den Fleet am Herrengraben, der spiegelnd und kopfüber die Konturen des gegenüberliegenden Hauses aufweicht – eine sehr weit hergeholte Metapher für die Erosion unseres Bildungssystems.
01 Juni 2009
Fundstücke (50)
31 Mai 2009
Liebe Wespe …
… gut, vielleicht hätte ich mir nicht sofort panisch ins Auge greifen dürfen, nachdem du mir heute beim Fahrradfahren unter die Brille geflogen bist.
Trotzdem halte ich dein blitzschnelles zweimaliges Zustechen – einmal ins Lid, einmal unters Auge – weiterhin für eine kritikwürdige Überreaktion. Auf der Eskalationsleiter hättest du gerne erst mal einige Vorstufen durchdeklinieren dürfen.
Beim nächsten Mal bleiben wir einfach beide etwas cooler, Deal?
Matt (der sich einen Waschlappen mit einem Kühlelement drin aufs Auge drückt)
Foto: SecretDisc, Quelle: Wikimedia Commons
Trotzdem halte ich dein blitzschnelles zweimaliges Zustechen – einmal ins Lid, einmal unters Auge – weiterhin für eine kritikwürdige Überreaktion. Auf der Eskalationsleiter hättest du gerne erst mal einige Vorstufen durchdeklinieren dürfen.
Beim nächsten Mal bleiben wir einfach beide etwas cooler, Deal?
Matt (der sich einen Waschlappen mit einem Kühlelement drin aufs Auge drückt)
Foto: SecretDisc, Quelle: Wikimedia Commons
30 Mai 2009
29 Mai 2009
Haa hi ho
Ms. Columbo glaubt manchmal, ich käme aus China.
Das liegt weniger an physiognomischen Auffälligkeiten als an jenem speziellen hessischen Dialekt, der mich noch immer befällt, sobald ich mit meiner Familie telefoniere.
Die wichtigsten Indizien für Ms. Columbos Vermutung eines asiatischen statt Westerwälder Genpools möge folgendes Satzbeispiel illustrieren. Es ist zwar konstruiert, doch oftmals scheint ja im Verdichteten das Allgemeine auf.
Nehmen wir also zur Veranschaulichung den folgenden Fragesatz, zunächst auf Hochdeutsch: „Sag, wo möchtest du denn dein Heu hin haben – auf dieses dickgeschnittene Stück Brot dort?“
Das klingt surreal, zugegeben, und das ist es auch, doch dieses kleine feine Konstrukt wird gleich verdeutlichen, warum Ms. Columbo die Ursachen für meine Liebe zur Pekingente nicht in kulinarischer Weltoffenheit vermutet.
Die soeben formulierte Frage lautet in meinem Dorfdialekt nämlich folgendermaßen – festhalten:
„Ai, wu wolld dau da dai Haa hi ho – off dey digg Dong do?“
Achtmal laut gelesen, und du kriegst Mandelaugen, versprochen. Der Satz klingt nicht nur dank seiner Lust an Einsilbenwörtern mit Auslautvokalen ausgesprochen unhessisch, sondern enthält auch noch phonetische Spezifika, welche die deutsche Sprache eigentlich gar nicht vorsieht.
Normalerweise wird nämlich ein geschlossenes o (wie in „so“ oder „doof“) im Gegensatz zum offenen (wie in „oft“) immer lang ausgesprochen. So ist es auch im letzten Wort unseres Fallbeispiels, „do“: langes o.
Das Wort „Dong“ hingegen besteht eisern darauf, das o geschlossen auszusprechen – und es dennoch derart kurz und schnell wegzupusten, als sei der Teufel hinter ihm her.
In Wahrheit mag ich übrigens Sushi noch lieber als Pekingente.
(Foto: ’n digg Dong.)
Das liegt weniger an physiognomischen Auffälligkeiten als an jenem speziellen hessischen Dialekt, der mich noch immer befällt, sobald ich mit meiner Familie telefoniere.
Die wichtigsten Indizien für Ms. Columbos Vermutung eines asiatischen statt Westerwälder Genpools möge folgendes Satzbeispiel illustrieren. Es ist zwar konstruiert, doch oftmals scheint ja im Verdichteten das Allgemeine auf.
Nehmen wir also zur Veranschaulichung den folgenden Fragesatz, zunächst auf Hochdeutsch: „Sag, wo möchtest du denn dein Heu hin haben – auf dieses dickgeschnittene Stück Brot dort?“
Das klingt surreal, zugegeben, und das ist es auch, doch dieses kleine feine Konstrukt wird gleich verdeutlichen, warum Ms. Columbo die Ursachen für meine Liebe zur Pekingente nicht in kulinarischer Weltoffenheit vermutet.
Die soeben formulierte Frage lautet in meinem Dorfdialekt nämlich folgendermaßen – festhalten:
„Ai, wu wolld dau da dai Haa hi ho – off dey digg Dong do?“
Achtmal laut gelesen, und du kriegst Mandelaugen, versprochen. Der Satz klingt nicht nur dank seiner Lust an Einsilbenwörtern mit Auslautvokalen ausgesprochen unhessisch, sondern enthält auch noch phonetische Spezifika, welche die deutsche Sprache eigentlich gar nicht vorsieht.
Normalerweise wird nämlich ein geschlossenes o (wie in „so“ oder „doof“) im Gegensatz zum offenen (wie in „oft“) immer lang ausgesprochen. So ist es auch im letzten Wort unseres Fallbeispiels, „do“: langes o.
Das Wort „Dong“ hingegen besteht eisern darauf, das o geschlossen auszusprechen – und es dennoch derart kurz und schnell wegzupusten, als sei der Teufel hinter ihm her.
In Wahrheit mag ich übrigens Sushi noch lieber als Pekingente.
(Foto: ’n digg Dong.)
28 Mai 2009
Wie ich mal nicht dabei war, als Thomas Wolf gefasst wurde (mit langer Off-Topic-Einleitung)
Jeder dahergelaufene Irre darf in Deutschland (steuerbegünstigt!) den öffentlichen Raum mit Wahnvorstellungen wie „Jesus lebt!“ plakatieren und so den Nichtglauben von Millionen von Agnostikern und Atheisten beleidigen.
Doch sobald die Schüchterstimme der Vernunft Busse mit einem Slogan à la „Höchstwahrscheinlich gibt es keinen Gott, also sorge dich nicht, sondern genieß dein Leben“ bemalen möchte, springt jeder, der was zu sagen hat, dem zuverlässig aufheulenden Irren bei und schützt das arme Seelchen, das er sich einbildet, vor dieser Zumutung.
Das ist jetzt nix Neues, gebe ich zu, das ist schon seit Wochen im Schwange, doch es nervt, nervt, nervt halt einfach, wie einem als Verstandeswesen jeder Spaß verdorben wird, nur weil sich ein paar Leute noch immer an Dinge klammern, die vor tausenden von Jahren schon zu blöd waren, um wahr zu sein – und dafür von Staats wegen sogar betuddelt und bepudert werden.
Überall stößt man auf diesen Irrsinn, sogar, wie ich heute erfuhr, auf dem staubtrockenen Gebiet der Eigentümerversammlungen. Die dürfen in Deutschland zwar durchaus an Sonntagen einberufen werden, aber nicht vormittags – Grund: Rücksichtnahme auf Kirchenbesucher.
Gäbe es einen Gott, er schlüge sich vor den Kopf (und griffe natürlich ins Leere).
Das alles steht hier natürlich nur, weil ich auf dem Kiez heute nichts erlebt habe – und das, obwohl ich um 18.30 Uhr ganz in der Nähe war, als Deutschlands meistgesuchter Verbrecher, Thomas Wolf, mitten auf der Reeperbahn verhaftet wurde. Allerdings mümmelte ich da gerade daheim dumpf am abendlichen Käsebrot.
Wie auch immer: Grund genug für ein weiteres hintersinniges Reeperbahnfoto ist die ganze Chose allemal.
Doch sobald die Schüchterstimme der Vernunft Busse mit einem Slogan à la „Höchstwahrscheinlich gibt es keinen Gott, also sorge dich nicht, sondern genieß dein Leben“ bemalen möchte, springt jeder, der was zu sagen hat, dem zuverlässig aufheulenden Irren bei und schützt das arme Seelchen, das er sich einbildet, vor dieser Zumutung.
Das ist jetzt nix Neues, gebe ich zu, das ist schon seit Wochen im Schwange, doch es nervt, nervt, nervt halt einfach, wie einem als Verstandeswesen jeder Spaß verdorben wird, nur weil sich ein paar Leute noch immer an Dinge klammern, die vor tausenden von Jahren schon zu blöd waren, um wahr zu sein – und dafür von Staats wegen sogar betuddelt und bepudert werden.
Überall stößt man auf diesen Irrsinn, sogar, wie ich heute erfuhr, auf dem staubtrockenen Gebiet der Eigentümerversammlungen. Die dürfen in Deutschland zwar durchaus an Sonntagen einberufen werden, aber nicht vormittags – Grund: Rücksichtnahme auf Kirchenbesucher.
Gäbe es einen Gott, er schlüge sich vor den Kopf (und griffe natürlich ins Leere).
Das alles steht hier natürlich nur, weil ich auf dem Kiez heute nichts erlebt habe – und das, obwohl ich um 18.30 Uhr ganz in der Nähe war, als Deutschlands meistgesuchter Verbrecher, Thomas Wolf, mitten auf der Reeperbahn verhaftet wurde. Allerdings mümmelte ich da gerade daheim dumpf am abendlichen Käsebrot.
Wie auch immer: Grund genug für ein weiteres hintersinniges Reeperbahnfoto ist die ganze Chose allemal.
26 Mai 2009
Fundstücke (49)
1. Großartig kieznaher Einfall der Haspa auf ihrer Onlineseite: Eine junge Frau im Hosenanzug und mit kokett aufgeknöpfter Bluse tritt lesend von rechts ins Bild, klappt die Zeitung zu, winkt uns lächelnd heran – und zeigt auf ihre Muschi! Der Haspa, immerhin größte deutsche Sparkasse und auch die Bank von Ms. Columbo und mir, hätte ich mehr Seriösität zugetraut. Trotzdem planen wir noch keine Kontokündigung.
2. Neulich auf einer Pressereise wollte ein Kollege nicht von einer Kollegin geknipst werden. Er blökte ständig etwas von „Zeugenschutzprogramm“. Ich glaube aber, er wollte einfach seinem Bierbauch eine breitere Öffentlichkeit ersparen.
3. Beim Spaziergang am Ostseestrand kam uns am Wochenende ein Herrchen entgegen, das seinen Hund originell anpflaumte: „Hoy, sei nicht anstrengend!“ Den Namen des Hundes fanden wir noch seltsamer als den Appell, ehrlich gesagt. (Die Transkription folgt der Phonetik; ich übernehme keine Garantie.)
4. Verkünde hiermit ex cathedra das kongenial paradoxe Lebensmotto für die Krise: asketischer Hedonismus. (Und stelle betrübt fest, dass Google bereits vier Fundstellen liefert. Kann man nicht einmal der Erste sein? In irgendwas außer „Gammelsprech“?)
2. Neulich auf einer Pressereise wollte ein Kollege nicht von einer Kollegin geknipst werden. Er blökte ständig etwas von „Zeugenschutzprogramm“. Ich glaube aber, er wollte einfach seinem Bierbauch eine breitere Öffentlichkeit ersparen.
3. Beim Spaziergang am Ostseestrand kam uns am Wochenende ein Herrchen entgegen, das seinen Hund originell anpflaumte: „Hoy, sei nicht anstrengend!“ Den Namen des Hundes fanden wir noch seltsamer als den Appell, ehrlich gesagt. (Die Transkription folgt der Phonetik; ich übernehme keine Garantie.)
4. Verkünde hiermit ex cathedra das kongenial paradoxe Lebensmotto für die Krise: asketischer Hedonismus. (Und stelle betrübt fest, dass Google bereits vier Fundstellen liefert. Kann man nicht einmal der Erste sein? In irgendwas außer „Gammelsprech“?)
25 Mai 2009
24 Mai 2009
Watermarked
Viele Rezensions-CDs gehen mir mit Wasserzeichen zu. Falls diese Musik also im Internet landen sollte, wäre sie bis zu mir zurückzuverfolgen. Meine „Karriere“ wäre zu Ende.
Solche CDs sind daher eine echte Belastung für meine Gemütslage. Verschenken kann ich sie nicht; man darf schließlich niemandem trauen. Und sie im Archiv zu haben, ist ebenfalls beunruhigend. Es könnten schließlich Einbrecher kommen, sie klauen und ins Netz stellen. Und wer landete dann im Knast – die Einbrecher? Nein, ich.
Deshalb zerstöre ich solche CDs rituell: zuerst optisch, dann physisch. Und danach genieße ich die Freuden der Katharsis.
Paranoia macht manchmal richtig gute Laune.
23 Mai 2009
Nächtliche Ruhestörung
22 Mai 2009
Das Restaurant des Schreckens
Kellner (räumt die noch halbvollen Schüsseln mit ekliger Spargelcremetütenpampe ab): Hat’s geschmeckt?
Wir: Nein.
Kellner (süffisant): Noch eine?
20 Minuten später.
Kellner (räumt die Reste des Hauptgerichtes ab, bestehend aus wüstentrockenem Wildlachs mit einem als Kartoffelgratin verbrämten weißen Matsch): Hat’s geschmeckt?
Wir: So lala.
Kellner (konspirativ spöttisch): Noch eins?
12 Minuten später.
Kellner (räumt die umfangreichen Reste des Desserts ab: Instantschokopudding mit Dosenbirnen, die wie Dichtungsmasse schmeckten, was Ms. Columbo später auf „Türstopper“ korrigiert): (sagt nichts)
Wir: (sagen auch nichts)
Blöd, dass wir Halbpension gebucht haben.
PS: Dafür ist das Wetter wengistens weiterhin von existenzieller Wucht (Foto).
21 Mai 2009
Vatertag am Meer
In der eigentlich scheintoten Ruheoase Weissenhäuser Strand an der Ostsee (Foto) fühlen wir uns plötzlich wie auf der Reeperbahn nachts um halb eins.
Überall marodieren nämlich Jungs (Vatertag!) durch die Dünen, die schon mittags so derbe betankt sind, dass sie lallend ins kalte Meer springen und Sachen grölen wie „Sven ist die schwulste Sau der Welt/der Welt/der We-he-he-he-helt!“
Dabei versuchen sie sich gegenseitig in den Hintern zu treten (was trotz ihrer alkoholinduzierten Desorientierung sogar manchmal gelingt).
Flankierend zu diesen betrüblichen Szenen juveniler Verirrung, die sich dünauf, dünab zutragen, stapfen vollschlanke Prollfrauen mit Dauerwellen und freilaufenden Kampfhunden übern Deich und kokettieren kajalumflort mit den Suffköppen.
Vor meinem geistigen Auge sehe ich bereits erschaudernd orgiastische Interaktionen frühverwelkter Schwabbelkörper in Senken im Sand, nur notdürftig vom Strandgras verdeckt.
Alles in allem präsentiert sich uns also eine unschön kiezähnliche Szenerie, der wir in Richtung Seebrücke zu entfliehen versuchen, doch vergebens.
Auf dem Rückweg nämlich taumelt uns in kompletter Brückenbreite eine Gruppe halbnackter 18-Jähriger entgegen; einem hängen sämtliche Hosen auf Halbmast, was mir und Ms. Columbo einen verstörenden Blick auf sein vor Kälte schildkrötenkopfhaft eingeschrumpeltes Gemächtchen abverlangt.
Nein, uns rettet nur noch eins: eine Runde progressiver Muskelentspannung im Hotel, um zu vergessen.
Hat aber nicht funktioniert.
20 Mai 2009
Das wahre Wesen der … Touristen
Es gibt Augenblicke, da habe ich das Gefühl, den Kiez mit falschen Augen zu sehen, ihn zu idealisieren, seine wildromantischen Seiten überzubewerten.
Dann denke ich, die Menschen, die uns hier umgeben, zeichneten sich doch nicht durch besondere Herzensgüte und altruistisches Wesen aus.
Ein solcher Augenblick war mir beschieden, als ich beim fidelen Wandern durch die Silbersackstraße einen zufälligen Blick in die Hasenschaukel warf: Dort nämlich müssen sie neuerdings sogar den Serviettenspender anketten.
Was mir das über das wahre Wesen der Kiezianer sagt, will ich lieber gar nicht wissen.
Oder es liegt an den Touristen. – Natürlich!
19 Mai 2009
HSV-Fans müssen nicht zwangsläufig dumm sein
Neulich erzählte mir jemand von einem Groundhopper im Dienste der Raute: Er besucht jedes Spiel des HSV. Jedes – in München wie in Manchester, in Ismaning wie in Istanbul.
Weil er nicht Krösus ist, sondern ein ganz normaler Angestellter mit eher mäßigem Einkommen, wendet er ein paar pfiffige Finanzierungstricks an.
Ein, zwei Wochen vor der Auslandspartie schickt er stets eine Mail an den Gastgeberverein und gibt sich als Scout eines Bundesligavereins aus. Er legt sich zu diesem Zweck eine temporäre Mailadresse zu, zum Beispiel „werderbremen@gmx.de“. Das Werderlogo in die Mail einzubauen, ist natürlich ein Klacks.
Dieser Trick funktioniert praktisch immer. Bei Manchester City oder Galatasaray Istanbul kommt kein Mensch auf die Idee, mal kurz in Bremen anzurufen und die Referenzen dieses Scouts zu überprüfen. Stattdessen hinterlegt man ihm eine Karte, in der Regel auf der VIP-Tribüne, Freigetränke inklusive.
Ja, man behandelt ihn gut. Könnte ja sein, dass er „Werder Bremen“ empfiehlt, für den fußlahmen Mittelstürmer 10 Millionen Tacken auf den Tisch zu legen.
Er hat die Ehrenkarte also schon mal in der Tasche. Es gibt aber auch noch diese ärgerlichen Reisekosten; die wollen ebenfalls refinanziert werden. Also kauft er vor Ort haufenweise Stadionzeitschriften. Die sind billig, so ein Euro das Stück.
In den Wochen danach vertickt er dann die recht zuverlässig zu Sammlerstücken avancierenden Broschüren Stück für Stück auf Ebay – gern auch mal für das Zehnfache des Kaufpreises.
Er bereist also ganz Europa, sieht jedes HSV-Spiel (ob das immer ein Vergnügen ist, sei mal dahingestellt), und seine Gesamtkosten tendieren gegen Null.
Sein Karma aber auch.
PS: Das Foto zeigt den HSV-Torwart Frank Rost, der von all dem natürlich nicht die geringste Ahnung hat.
Weil er nicht Krösus ist, sondern ein ganz normaler Angestellter mit eher mäßigem Einkommen, wendet er ein paar pfiffige Finanzierungstricks an.
Ein, zwei Wochen vor der Auslandspartie schickt er stets eine Mail an den Gastgeberverein und gibt sich als Scout eines Bundesligavereins aus. Er legt sich zu diesem Zweck eine temporäre Mailadresse zu, zum Beispiel „werderbremen@gmx.de“. Das Werderlogo in die Mail einzubauen, ist natürlich ein Klacks.
Dieser Trick funktioniert praktisch immer. Bei Manchester City oder Galatasaray Istanbul kommt kein Mensch auf die Idee, mal kurz in Bremen anzurufen und die Referenzen dieses Scouts zu überprüfen. Stattdessen hinterlegt man ihm eine Karte, in der Regel auf der VIP-Tribüne, Freigetränke inklusive.
Ja, man behandelt ihn gut. Könnte ja sein, dass er „Werder Bremen“ empfiehlt, für den fußlahmen Mittelstürmer 10 Millionen Tacken auf den Tisch zu legen.
Er hat die Ehrenkarte also schon mal in der Tasche. Es gibt aber auch noch diese ärgerlichen Reisekosten; die wollen ebenfalls refinanziert werden. Also kauft er vor Ort haufenweise Stadionzeitschriften. Die sind billig, so ein Euro das Stück.
In den Wochen danach vertickt er dann die recht zuverlässig zu Sammlerstücken avancierenden Broschüren Stück für Stück auf Ebay – gern auch mal für das Zehnfache des Kaufpreises.
Er bereist also ganz Europa, sieht jedes HSV-Spiel (ob das immer ein Vergnügen ist, sei mal dahingestellt), und seine Gesamtkosten tendieren gegen Null.
Sein Karma aber auch.
PS: Das Foto zeigt den HSV-Torwart Frank Rost, der von all dem natürlich nicht die geringste Ahnung hat.
18 Mai 2009
Kulturelle Unterschiede beim Aussichherausgehen
Bei einer Stadtführung durch Würzburg gerieten wir in die Fänge mehrerer sogenannter Originale: eine gewisse „Marktbärbel“, ein „Schorsch“ und ein „Karl“ (Foto).
Bereits frühmorgens fütterten sie uns mit pforztrockenen Bratwürsten und reichten dazu reichlich Frankenwein. Zudem erlaubte uns das Trio tiefe Einblicke in die fränkische Seele.
„Der Frang-ge an sich“, psychologisierte zum Beispiel der Karl, „geht scho aus sich raus – abber mehr so nach inne.“
Auch dem dort wild grassierenden Katholizismus standen die Drei überraschend pragmatisch gegenüber. „Die war Nonne“, gluggste der Schorsch über eine historische Würzburgerin, „unn zwar scho inner dridde Generadsion …“
Als ich diese Schnurren heute im Büro dem Exilfranken erzählte, lachte er sich fast einen Kropf. Wir sind also – wie man aus der letzten Bemerkung mühelos rückschließen kann – wieder zurück auf St. Pauli.
„Willkommen zu Hause!“, juchzte Ms. Columbo freudestrahlend, als wir vor unserer Haustür eine eben erst eingetrocknete Kotzpfütze vom Wochenende entdeckten. Home, schiet home …
Drunten im Frankenland haben wir solchen Straßenschmuck hingegen nirgends gesehen. Nicht mal ein Autokennzeichen mit der naheliegendsten aller Kombinationen: „WÜ-RG“.
Das ist eben der Hauptunterschied zwischen dem Kiez und Würzburg: Hier geht man zwar auch gern aus sich heraus, aber mehr so nach außen.
Bereits frühmorgens fütterten sie uns mit pforztrockenen Bratwürsten und reichten dazu reichlich Frankenwein. Zudem erlaubte uns das Trio tiefe Einblicke in die fränkische Seele.
„Der Frang-ge an sich“, psychologisierte zum Beispiel der Karl, „geht scho aus sich raus – abber mehr so nach inne.“
Auch dem dort wild grassierenden Katholizismus standen die Drei überraschend pragmatisch gegenüber. „Die war Nonne“, gluggste der Schorsch über eine historische Würzburgerin, „unn zwar scho inner dridde Generadsion …“
Als ich diese Schnurren heute im Büro dem Exilfranken erzählte, lachte er sich fast einen Kropf. Wir sind also – wie man aus der letzten Bemerkung mühelos rückschließen kann – wieder zurück auf St. Pauli.
„Willkommen zu Hause!“, juchzte Ms. Columbo freudestrahlend, als wir vor unserer Haustür eine eben erst eingetrocknete Kotzpfütze vom Wochenende entdeckten. Home, schiet home …
Drunten im Frankenland haben wir solchen Straßenschmuck hingegen nirgends gesehen. Nicht mal ein Autokennzeichen mit der naheliegendsten aller Kombinationen: „WÜ-RG“.
Das ist eben der Hauptunterschied zwischen dem Kiez und Würzburg: Hier geht man zwar auch gern aus sich heraus, aber mehr so nach außen.
17 Mai 2009
Schein und Sein
Als ich heute in Würzburg durch die Innenstadt lief und auf das Plakat mit Meryl Streep stieß, dachte ich: Hoppla, die Hollywooddiva macht jetzt Wahlkampf für die Schwarzen?
Andererseits wäre das kaum frappierender als ein Spot, in dem Bruce Willis gemeinsam mit Rudi Assauer auftritt.
Auf dem CSU-Wahlplakat stand allerdings nicht der Name „Meryl Streep“, sondern der einer gewissen Angela Merkel. Aus irgendeinem Grund erinnerte mich das ans Motiv einer Bierwerbung vergangenes Jahr hier auf dem Kiez.
Keine Ahnung warum – schließlich zeigt es ebenfalls nicht Meryl Streep.
15 Mai 2009
Wunderliches Frankenland
Im brutalstkatholischen Würzburg, wo wir auf Einladung des Maritim-Hotels das Wochenende verbringen, liegt nicht etwa eine Gideonbibel im Nachtschränkchen des Hotels, sondern – „Die Lehre Buddhas“.
Herrschaftszeiten, die Welt ist auch nicht mehr das, was sie mal war! Selbst in Franken nicht.
Der Rest hingegen präsentiert sich hier bislang exakt so, wie wir ihn uns dank jahrelanger zoologischer Studien des Hamburger Exilfranken vorgestellt haben: bier-, wein- und wurstfixiert.
Den mutmaßlich merkwürdigen Zungenschlag der Eingeborenen werden wir aber erst morgen im Rahmen einer innerstädtischen Exkursion detaillierter studieren können, denn unser Hauptgesprächspartner heute Abend war Österreicher.
Globalisierung: Selbst im brutalstkatholischen Würzburg ist das also kein Fremdwort mehr.
Herrschaftszeiten, die Welt ist auch nicht mehr das, was sie mal war! Selbst in Franken nicht.
Der Rest hingegen präsentiert sich hier bislang exakt so, wie wir ihn uns dank jahrelanger zoologischer Studien des Hamburger Exilfranken vorgestellt haben: bier-, wein- und wurstfixiert.
Den mutmaßlich merkwürdigen Zungenschlag der Eingeborenen werden wir aber erst morgen im Rahmen einer innerstädtischen Exkursion detaillierter studieren können, denn unser Hauptgesprächspartner heute Abend war Österreicher.
Globalisierung: Selbst im brutalstkatholischen Würzburg ist das also kein Fremdwort mehr.
Puff, günstig
Aus dem Hintereingang einer Spielhölle in der Seilerstraße taumeln mir zwei angetrunkene Geschäftsleute von Ende 20 vor die Füße, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Der eine ein beleibter, gedrungener Afrikaner à la Forest Whitaker, dessen zu enges Hemd unschön über den Gürtel quillt; der andere eine spitterige blasse Gestalt mit hochgegeltem Haar, dunklem Anzug und einem Schlips schmaler als ein Lineal.
Die globalisierte Ausgabe von Pat und Patachon im Rotlichtviertel.
Der Dünne spricht mich an, in osteuropäisch gefärbtem Deutsch. „Wir suchen Puff, günstig“, vertraut er mir ohne Umschweife an. Ich signalisiere ihm sanft eine gewisse Unbedarftheit auf diesem Gebiet, ohne meine wohnsitzbedingte grundsätzliche Informiertheit zu verhehlen; völlig vergrätzen möchte ich die beiden ja nicht, schließlich bin ich dafür mitverantwortlich, dass Hamburg – hier: der Kiez – sich von seiner besten Seite zeigt.
Also beschreibe ich den pipileichten Weg zur Reeperbahn: Da vorne links, und schon steht man auf dem Boulevard der Lüste. Dort, sage ich, würden sie sicher fündig.
„Reeperbahn!“, juchzt der Dünne, „genau! Genau! So 30 Euro?“ Mein Grinsen verrutscht ein wenig ins Windschiefe. „Wie gesagt: So genau kenne ich mich nicht aus“, sage ich, „aber das scheint mir etwas wenig.“
Jetzt mischt sich der Afrikaner schüchtern ein. Er trägt kein Jackett, weil ihm offensichtlich heiß ist, doch den Würgegriff seiner Krawatte hat er keinen Millimeter gelockert.
„Wir sind nicht von hier“, entschuldigt er sich. Das ahnte ich freilich schon, belobige sein Bekenntnis gleichwohl durch aufmunterndes Lächeln. Er wirkt erleichtert.
„Gans’n Tag offen?“, lallt der Dünne weiterhin hochinteressiert. Eine Wegbeschreibung zur Herbertstraße scheint mir angesichts ihrer herabgesetzten Aufnahmefähigkeit unangebracht, deshalb bestätige ich das kurz und knapp.
Sie bedanken sich im Chor und wanken froh von dannen. Plötzlich dreht sich der Schmalhans noch mal um:
„Suche aber frisch, ne?“
Ich muss wirklich eine beängstigende Kompetenz ausstrahlen. Ein entsprechender Selbsttest vorm Spiegel heute Abend hat aber nichts Auffälliges ergeben.
Der eine ein beleibter, gedrungener Afrikaner à la Forest Whitaker, dessen zu enges Hemd unschön über den Gürtel quillt; der andere eine spitterige blasse Gestalt mit hochgegeltem Haar, dunklem Anzug und einem Schlips schmaler als ein Lineal.
Die globalisierte Ausgabe von Pat und Patachon im Rotlichtviertel.
Der Dünne spricht mich an, in osteuropäisch gefärbtem Deutsch. „Wir suchen Puff, günstig“, vertraut er mir ohne Umschweife an. Ich signalisiere ihm sanft eine gewisse Unbedarftheit auf diesem Gebiet, ohne meine wohnsitzbedingte grundsätzliche Informiertheit zu verhehlen; völlig vergrätzen möchte ich die beiden ja nicht, schließlich bin ich dafür mitverantwortlich, dass Hamburg – hier: der Kiez – sich von seiner besten Seite zeigt.
Also beschreibe ich den pipileichten Weg zur Reeperbahn: Da vorne links, und schon steht man auf dem Boulevard der Lüste. Dort, sage ich, würden sie sicher fündig.
„Reeperbahn!“, juchzt der Dünne, „genau! Genau! So 30 Euro?“ Mein Grinsen verrutscht ein wenig ins Windschiefe. „Wie gesagt: So genau kenne ich mich nicht aus“, sage ich, „aber das scheint mir etwas wenig.“
Jetzt mischt sich der Afrikaner schüchtern ein. Er trägt kein Jackett, weil ihm offensichtlich heiß ist, doch den Würgegriff seiner Krawatte hat er keinen Millimeter gelockert.
„Wir sind nicht von hier“, entschuldigt er sich. Das ahnte ich freilich schon, belobige sein Bekenntnis gleichwohl durch aufmunterndes Lächeln. Er wirkt erleichtert.
„Gans’n Tag offen?“, lallt der Dünne weiterhin hochinteressiert. Eine Wegbeschreibung zur Herbertstraße scheint mir angesichts ihrer herabgesetzten Aufnahmefähigkeit unangebracht, deshalb bestätige ich das kurz und knapp.
Sie bedanken sich im Chor und wanken froh von dannen. Plötzlich dreht sich der Schmalhans noch mal um:
„Suche aber frisch, ne?“
Ich muss wirklich eine beängstigende Kompetenz ausstrahlen. Ein entsprechender Selbsttest vorm Spiegel heute Abend hat aber nichts Auffälliges ergeben.
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