27 Mai 2011

Weltuntergang in Hamburg! (na ja, fast)



„Um 14 Uhr gibt’s ein Gewitter!“, frohlockt der Franke, während wir mittags vorm Voltaire in der Friedensallee sitzen und uns den Lunch schmecken lassen. „Mit dreieinhalb Liter Regen auf den Quadratmeter! Sagt Kachelmann.“

Ich schaue hoch und sehe die blitzende Sonne durch die Blätter der Erle, Linde, Eibe oder was auch immer uns da ihre Blütenblätter ins Essen rieseln lässt. Ein tiefblauer Himmel komplettiert die Szenerie.

Ich rufe meine Weather-Pro.app auf, die nichts von dem verifiziert, was der Franke mir da gerade in Kachelmanns Namen vorgetragen hat. „Du immer mit deinem Kachelmann“, maule ich. Kachelmann ist des Franken Gott, daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Mann zurzeit ein paar wetterferne Problemchen hat.

„Wart’s ab“, antwortet der Franke vorfreudig, während er aus EHEC-Trotz einen riesigen Salat verputzt (natürlich liegt auch ein Stück Bifteki drin, aber das muss ich Ihnen ja nicht mehr erzählen).

Um 14 Uhr sitzen wir längst wieder im Büro, und draußen knallt immer noch die Sonne. Der Franke ruft ein klitzekleines bisschen kleinlaut an und informiert mich darüber, dass Kachelmann nun seine Prognose korrigiert habe. Demzufolge schiene momentan draußen die Sonne. Eine interessante Information.

Gegen 15 Uhr klingelt wieder das Telefon. Der Franke, klar; nun aber wieder mit deutlich triumphalem Unterton. Denn er hat Neuigkeiten von Kachelmann. Das Gewitter, erklärt er aufgeregt, habe sein Guru nunmehr zeitlich nach hinten geschoben, auf 17 Uhr nämlich, und aus Verärgerung über seine (des Gewitters) Unzuverlässigkeit von heute Mittag auch gleich noch ordentlich bei der Regenmenge draufgepackt: jetzt viereinhalb Liter pro Quadratmeter.

„Ui“, sage ich gelangweilt. Meine Weather-Pro.app weiß noch immer nichts von einem Gewitter. Um 17.15 Uhr schaue ich raus. Es sind leichte Schleierwolken aufgezogen. Die Luft ist wunderbar warm und seidig, ich wickle mir die überflüssige Jacke um die Hüften und schwinge mich aufs Rad.

Der Franke meldete sich nicht mehr. Ebensowenig wie das Gewitter. Kachelmann ist wahrscheinlich momentan einfach nur unkonzentriert.


PS: Das Foto hat lediglich beispielhaften Charakter und zeigt ähnliche Wetterverhältnisse wie heute, nur an einem anderen Tag und ganz woanders.

26 Mai 2011

Pareidolie (5)



Die von Volkswagen konzipierte Mittelkonsole seiner Pkws glotzt uns an wie Darth Vader ohne Mundschutz, und ich würde mich auf George Lucas’ Lichtschwert stellen und diesen Satz wiederholen.

25 Mai 2011

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (46)



Die Zwillingstürme eingangs der Reeperbahn sollen irgendwann einmal tanzen, doch zurzeit wachsen sie nur.

Übrigens haben sie aus mehreren Perspektiven jeweils einen deutlichen Knick in der Optik, und das musste der Vollständigkeit halber hier auch mal dokumentiert werden.

Wir wohnen um die Ecke, und sollte hier ein Technikfex mitlesen, der vor Ort unsere neue Fritz!Box reibungslos in die DSL-Umgebung einklinken kann, dem ist nicht nur unsere ewige Dankbarkeit sicher, sondern auch ein angemessenes Honorar.

Zumal dann auch die ganzen abgedroschenen Wortspiele („Weh-LAN“, „WLAHM“) endlich aufhören würden in der Seilerstraße.

24 Mai 2011

Bob Dylan zum Klimaschutz auf Kiezianisch



Wie vergangene Woche bereits vorsorglich angedroht, behellige ich Sie nun erneut mit einem Hinweis auf die von mir konzipierte Sendung mit Bob-Dylan-Coverversionen auf Byte.fm.

Heute Mittag um 12 Uhr kann sie, wer will, im Internet hören – am einfachsten mithilfe eines Klicks auf den Player links in der Leiste.

Byte.fm hat anlässlich dieses Jubiläums natürlich noch viel mehr Sendungen im Programm; einen Überblick mit allen Terminen gibt es hier.

Das alles hat natürlich nur sehr partiell mit dem heutigen Foto zu tun. Es zeigt einen jungen St. Paulianer, welcher der gemeinhin sinnlosen Nachtbeleuchtung unserer Postfiliale gestern Abend einmal einen Sinn verlieh – indem er in ihrem heimelig gelben Schein sein Fahrrad reparierte.

„It ain’t no use in turnin’ on your light, babe“, hat Dylan dazu angemerkt, erstaunlicherweise schon 1963.

23 Mai 2011

Von der Artenvielfalt kiezianischer Schallquellen



Hubschrauberflüge sind doch, so weit ich weiß, sauteuer, oder etwa nicht?

Warum dann am Sonnabendnachmittag, also am Tag vor Hamburg-Marathon und Weltuntergang, ein Helikopter ungefähr zwei (!) Stunden lang den immergleichen infernalischen Kreis über dem Kiez zog, das wüssten wohl nur die Götter, sofern sie existierten. Vielleicht auch ein hohes Tier bei der Polizei, aber wir nicht. Irgendetwas sagt mir übrigens, dass diese zwei sauteuren Hubschrauberstunden aus Steuergeldern bezahlt wurden, aber natürlich habe ich dafür nicht den geringsten Beweis.

Am Sonntag dann, dem Tag nach Marathon und Apokalypse, besserte sich die Schalllage nur unwesentlich. Denn bereits frühmorgens riss uns laute Musik aus dem Schlaf der Gerechten. Die Nachbarn von gegenüber pumpten wattstark „Human“ von den Killers in den Hinterhof – eine geschmackvolle, wenngleich wenig gottgefällige Wahl für den ersten postapokalyptischen Sonntag aller Zeiten.

Sonisch abgerundet wurde das Wochenende
schließlich abends von den obligatorischen Sirenen mehrerer Peterwagen, die bei uns in die Straße einfielen. Ein vergleichsweise großes Polizeiaufgebot holte mit einfacher körperlicher Gewalt einen verwahrlosten Mann, dessen genaues Vergehen uns bis zum Schluss der Aktion nicht klar wurde, von der Baustelle nebenan.

Vielleicht hatte er ja das Schild „Betreten verboten“ ignoriert. Jedenfalls war der laut und lallend zeternde Mann verdreckt, volltrunken – und dennoch selbstbewusst genug, sich seiner Ingewahrsamnahme entschieden zu widersetzen.

Das bekam ihm nicht gut. Er geriet sekundenschnell in die Horizontale sowie einen gesetzlich legitimierten Schwitzkasten. Sein Allgemeinzustand besserte sich so natürlich nicht.

Nach diesem würdigen Wochenendabschluss wurde endlich alles ruhig in der Seilerstraße, und dieser Zustand pflegt zum Glück ja montags generell anzuhalten – es sei denn, die zuständige Instanz holt den Weltuntergang doch noch nach.

Dann würde ich mich aber noch mal melden.


22 Mai 2011

Pareidolie (4): Zugvogel



Das Pareidolievirus verbreitet sich unaufhaltsam. Jetzt hat es auch den armen T(o)mmy erwischt – und dieses Blog ist Schuld.

Ohne die kürzlich hier gestartete Pareidolieserie nämlich wäre ihm im ICE bestimmt nicht dieser großschnabelige Grinsevogel auf der Rückseite des Vordersitzes aufgefallen. Die fahren zu Tausenden durch Deutschland, tagein, tagaus, unablässig, und starren uns mit kleinen bösen Knopfaugen an, vor allem, wenn die ICEs mal wieder liegenbleiben.

Diesen Blick stundenlang ertragen zu müssen, ist allein eine Teilrückerstattung des Fahrpreises wert; ich halte moderate zehn Prozent für angemessen.

Antragsformulare gibt es beim Zugbegleiter.
Fragen Sie ruhig danach.

21 Mai 2011

Doch kein Kollateralschaden



Vielleicht war es ja die Strafe dafür, dass German Psycho in der Weinbar St. Pauli irgendwann versucht hatte, in Ermangelung eines selbstmitgebrachten Einstecktuchs Coooper Visuals iPhone (!) als solches zu missbrauchen.

Jedenfalls lief er auf dem Weg zur Reeperbahn frontal in einen heimtückisch ihm in den Weg springenden Metallpfosten, dessen oberes Ende etwa dort angesiedelt war, wo bei einem Mann von der Größe German Psychos gemeinhin ein durchaus wichtiges anatomisches Utensil beheimatet ist.

Sein Schrei jedenfalls gellte derart entsetzlich durch die linde Nacht, dass nicht nur wir uns höchst besorgt nach möglichen Kollateralschäden erkundigten, sondern auch völlig unbeteiligte Passanten. Und vor allem natürlich Cooper Visual.

Dass er in den Minuten danach mit Eunuchenstimme sprach, war indes nur geschauspielert, und genau diese Tatsache vermochte auch unsere ernste Sorge um die Reprodukionsfähigkeit des Geschädigten zu zerstreuen. Und vor allem natürlich die von Cooper Visual.

Wir landeten schließlich alle gesund und munter im Lehmitz, wo die Knackigkeit der Liveband aufs Entschiedenste korrespondierte mit der Merkwürdigkeit der Gäste, uns eingeschlossen.

Und damit meine ich unbedingt auch den abgebildeten Herrn.


19 Mai 2011

Pareidolie (3): Nein, nicht Bernd, das Brot



Diesen kapitalen Brocken Brot von rund 30 Zentimetern Höhe entdeckten wir heute in der Langnese Bar am Strandkai.

Er schaute uns derart grundzufrieden an, als hätte er gerade mit großem Behagen eine Melone verspeist, und zwar mit einem einzigen Happs.

Die Bedienung der Langnese Bar, die natürlich nicht wusste, dass ich nur aus pareidolischen Gründen ein Brotfoto machte, war sichtlich stolz auf diesen Trumm. „Und das ist nur die Hälfte!“, informierte sie uns begeistert. Von der anderen Hälfte aßen wir dann mehrere Scheiben, belegt mit Kichererbsencreme, Pistazienkernen und Kresse.

Ein also in jeder Hinsicht empfehlenswerter Laden, diese Langnese Bar (wo es natürlich auch Eis gibt, aber wem sag ich das).

18 Mai 2011

It ain’t him, babe



Ich weiß nicht mehr genau, wann ich damit begann, systematisch Coverversionen von Bob-Dylan-Songs zu sammeln. Ich weiß nur, dass es keineswegs an Vorbehalten gegen Dylans Stimme oder Gesangsstil lag, was viele Leute ja ins Feld führen, wenn sie begründen wollen, weshalb dieses oder jenes Cover angeblich „besser“ sei als das Original.

Nein, Dylan ist ein einmaliger Interpret seiner selbst und seine Stimme ein Wunder der Natur, von Anfang an. Mittlerweile erinnert sie zwar eher an die verkohlten Ruinen einer metallverarbeitenden Fabrik, aber auch das hat seine Reize. Jedenfalls lag es nicht im mindesten an einer Aversion gegen Dylan selbst, dass ich Covers zu sammeln begann, sondern an der puren Brillanz seiner Songs.

Stücke wie „Desolation Row“, „Wedding song“ oder „Don’t think twice“ sind so wunderbar komponiert, ihre Melodieführung so hinreißend, dass mir das Immerwiederhören der Originale irgendwann einfach nicht mehr reichte. Nein, meine Gier nach Varianten wurde im Lauf der Jahre immer größer – zumal man als Musikfan im Lauf seiner Sozialisation sowieso immer wieder mit verblüffenden Neu-, Um- und Ausdeutungen von Dylan-Songs konfrontiert wird. Van Morrisons dramatisch zwischen Verlustangst und Angstlust schwankendes „It’s all over now, Baby Blue“ wird jeder Mensch mit Geschmack irgendwann kennen- und liebenlernen, ob er nun 1940 geboren ist oder 1990.

Ich jedenfalls begann vor einigen Jahren systematisch damit, alle – alle! – Bearbeitungen von Dylan-Kompositionen zu sammeln. Zunächst schlachtete ich die eigene LP- und CD-Sammlung aus, parallel dazu recherchierte ich weitere Veröffentlichungen und schaufelte mir unzählige Coverblogs in den RSS-Reader (ich LIEBE das Internet!), um keine Interpretation zu verpassen, sei sie alt, abgelegen, scheußlich oder brandneu. Ich kaufte, kopierte, lud runter – kurz: Ich warf ein riesiges Dylan-Coversongs-Schleppnetz aus, und zwar mit durchaus passablem Erfolg. Denn das wäre ja das Schlimmste für einen Jäger und Sammler: dereinst den letzten, allerletzten Schatz gehoben zu haben.

Mein entsprechender iTunes-Ordner verzeichnet momentan jedenfalls nur rund fünf Prozent aller bekannten Covers. Das sind 1513 Stück mit einer Laufzeit von vier Tagen, fünf Stunden, 20 Minuten und 33 Sekunden. Darunter befinden sich epische Progrockversionen („All along the Watchtower“, Affinity), ranschmeißerische Anschmachter („He was a friend of mine“, Cat Power), wildestes Cowpunkgeprügel („Blowin' in the wind“, Me First & The Gimme Gimmes), japanischer Girliekitschpop („Mr. Tambourine Man“, Kumisolo) oder unfassbar grottige Poprockfassungen einer galizischen Amateurcombo namens 7 Ivvas.

So, das war die Einleitung. Denn was ich mit all dem sagen will, ist Folgendes: Am 24. Mai mittags um 12 Uhr laufen beim Internetsender Byte.fm eine Stunde lang abgelegene, skurrile, merkwürdige und keineswegs allgemein bekannte Dylan-Covers aus meiner Sammlung.

It ain’t him, babe, sozusagen – und dennoch sehr unterhaltsam. Oder gerade deswegen – zumindest für all jene, die aus mir völlig unverständlichen Gründen Dylans Stimme oder Stil nicht mögen. Mehr zur Sendung gibt es auf der Programmseite von Byte.fm – und natürlich werde ich Sie kommende Woche noch einmal mit einer kleinen Erinnerung an diese Sendung nerven; das haben Sie sich sicher schon gedacht.

Es gibt übrigens Fanatiker, die katalogisieren jedes einzelne gecoverte Stück, was für einen wie mich eine unschätzbar wertvolle Quelle ist, aber auch ein steter Quell der Qual. Denn natürlich sind die bereits über 30.000 verzeichneten Studioeinspielungen von Dylan-Songs niemals alle zu beschaffen, und das frustriert schon ein bisschen. Andererseits gibt diese Tatsache mir auch die beruhigende Gewissheit, dass die Suche immer weitergehen kann und wird.

Es gibt buchstäblich kein Genre, das es nicht gibt im Kosmos der Dylan-Covers, und jede einzelne Adaption beweist nur eins: wie inspirativ und befeuernd die Originalkomposition ist.



17 Mai 2011

Lieblingsorte (7): Kaiserkai, Hafencity



Man kann ja gegen die Legokastenoptik der Hafencity sagen, was man will …

… aber wenn man am Kaiserkai neben der Elbphilharmonie steht und – mit der Legokastenoptik im Rücken – den Blick nach Südwesten schweifen lässt, und wenn dann ein solcher Wolkenbatzen tonnenschwer am Himmel hängt wie vorgestern …

… dann ist das einer der schönsten Orte, an denen man sich in Hamburg aufhalten kann.

16 Mai 2011

Arme Schwarze unerwünscht



Manchmal wird die Bedeutung eines Satzes in ihrer ganzen Tragweite erst dann deutlich, wenn man ihn testweise mal in sein Gegenteil verkehrt.

„Ich möchte nicht zwischen lauter armen Schwarzen wohnen.“

Das und nichts anderes – nur halt umgekehrt – sagt Fernando D’Velez, ein (wahrscheinlich reicher) Boutiquenbesitzer und Promoter aus St. Pauli. Mit diesem ungeheuerlichen und ungeheuer gedankenlosen Satz wehrt er sich gegen die Neubebauung des Bernhard-Nocht-Quartiers.

Das entsprechende Plakat hängt überall im Viertel, zusammen mit anderen, ähnlichen Plakaten – von denen allerdings keins so unverhohlen rassistisch ist wie dieses. An dieser Tatsache ändern weder das charmant verschämt tuende Lachen von Herrn D’Velez noch seine irgendwie um Verzeihung bittenden Hände etwas.

Man kann wirklich viele Argumente finden gegen die Neubebauung des Bernhard-Nocht-Quartiers, gegen die Gentrifizierung unseres Stadtteils, gegen ständig neue leerstehende Büroglaskästen anstatt erschwinglicher Wohnungen.

Aber Menschen wegen ihres sozialen Status in Verbindung mit ihrer Hautfarbe vom Hierwohnen ausschließen zu wollen, ist kein gutes Argument. Ich persönlich möchte, ehrlich gesagt, sehr ungern neben und zwischen Leuten wie Herrn D’Velez wohnen, die mich vielleicht von einem Tag auf den anderen wegen meiner vornehmen Blässe für unerwünscht halten könnten.

Das Geheimnis von St. Pauli ist sein Mix. Hier leben Weiße, Schwarze, Braune, Gelbe, Rote und Olivia Jones. Sie sind reich, arm, obdachlos, Boutiqenbesitzer oder Promoter und manchmal (wie Herr D’Velez) auch beides auf einmal.

Das war immer (gut) so und muss auch so bleiben. Doch Plakate wie dieses kündigen das im Grunde auf, und das auch noch im Namen einer guten Sache.

Denn wer so etwas sagt, will nicht zwischen armen Schwarzen wohnen.
Auch wenn er zur Sicherheit das Gegenteil behauptet.


15 Mai 2011

Pareidolie (2)



Ständig schaut dieses spitzkinn- und -nasige Schild mit der aggressiven Meckifrisur derart grimmig in die Gegend, als müsste es sein Leben an der Hauswand eines Sexshops an der Reeperbahn fristen.

Tja, und genauso ist es ja auch.

Nachtrag 15. 5., 16:41 Uhr: Ms. Columbo hat mich auf das ähnlich aufgebaute pareidolische Logo von Easy Rider auf der Reeperbahn hingewiesen, bei dem die Designer allerdings die Gesichtsassoziation ganz bewusst angelegt haben:

13 Mai 2011

Unser kleiner grauer Weggefährte



Freitags ist Einkaufstag. Dann zockeln Ms. Columbo und ich los mit unserem treuen Trolley, der traditionell meiner Führung überlassen ist.

Ich versuche dabei nach Kräften und starren Blicks gen Gehweg, die Hinterlassenschaften hiesiger Hunde zu umfahren. Denn nach dem Einkauf wird das zweirädrige Wägelchen, welches heutzutage immer öfter zum „Shopper“ gehypt wird, wieder hoch in die Wohnung geschafft, und dazu muss das Gute definitiv stubenrein sein.

Unser aktuelles Modell ist bereits Nummer 3. Die Lebensdauer des ersten war sogar kürzer als die einer Eintagsfliege, weil bei seinem Debüteinsatz nur wenige Minuten, nachdem ich ihn erworben hatte, ein Becher Buttermilch darin zerbrach. Milchreste in irgendwelchen Schlitzen und Falten, Schimmelnahrung à la carte? Nein, unzumutbar. So landete er nach nur halbstündigem Einsatz im Müll; ein schlimmes, aber unvermeidbares Schicksal.

Trolley Nummer 2 verlor irgendwann ein Rad, das ich wieder aufschraubte, doch das Ärgernis geschah immer öfter, und da er billig gewesen war – für zehn Euro geschossen auf einem Flohmarkt in Moorfleet –, entsorgte ich ihn zwischen hier und Edeka in einer fremden Tonne, heimlich, illegal und – aufgrund eines überholten, aber hartnäckigen Moralsystems – mit roten Ohren.

Der dritte nun ist ein immerhin 34 Euro teures Markengefährt, stabil, robust und geräumig, dazu von einem bescheidenem Grau, das sich beinah schüchtern versteckt vor den Graffitis der Mauern des Kiez. Heute war er wieder im Einsatz.

Warum ich das alles erzähle, weiß ich selber nicht, denn wer sollte sich schon für einen Trolley interessieren, der wochein, wochaus durch St. Pauli gezogen wird? Hier sollten Dealer, Luden, Huren vorkommen, verdammte(r) Hacke(nporsche)!

Na ja, demnächst bestimmt mal wieder. Großes Kiezianerehrenwort.


12 Mai 2011

Fundstücke (134)



Es war der Tag der schönen Zahlen.

Als tägliche Durchschnittsklickrate meldete mir mein Statistikprogramm gestern einen glatten Tausender, was mir einen Prosecco wert war.

Am Abend stürzte dann die Airportstation ab und hinterließ als letzten Seufzer die eingefrorene Uhrzeit. Sie zeigte exakt 22 Uhr 22 Minuten und 22 Sekunden.

Das kann man sich doch alles gar nicht ausdenken.



11 Mai 2011

Mein erstes Album



Die erste selbstbezahlte Langspielplatte meines Lebens habe ich mir aus dem Otto-Katalog betellt. Meine Mutter war (und ist bis heute) Sammelbestellerin, die Nutzung dieser Quelle lag also nahe.

Es war ein Doppelalbum und heidenteuer. Bereits auf der Abbildung im Otto-Katalog sah man den riesiger Sticker, der auf dem Cover pappte und mir den Mondpreis („NUR 25,- DM!“) als Schnäppchen verkaufen wollte. Na ja, schließlich konnten weder die Plattenfirma noch Otto wissen, dass 25 Mark damals ungefähr ein Zwanzigstel des Monatseinkommens eines Sparkassenazubis ausmachte, doch diese Stelle trat ich eh erst zwei Jahre später an.

Damals, zum Zeitpunkt dieses Wahnsinnskaufs, erhielt ich meines Wissens ungefähr 5 Mark Taschengeld pro Woche, musste also mehrere Monate lang Teilbeträge davon zurücklegen, um mir irgendwann dieses Doppelalbum leisten zu können.

Es handelte sich um die Liveplatte „Hot August Night“ von Neil Diamond, die mein Interesse geweckt hatte, weil Diamond zu jener Zeit einen auch von mir tatkräftg unterstützten Riesenhit hatte, nämlich „Longfellow Serenade“.

Dass die Liveaufnahmen von „Hot August Night“ bereits mehrere Jahre alt waren und mein aktuelles Lieblingslied somit gar nicht drauf war, konnte ich natürlich nicht ahnen. Und der Otto-Katalog fühlte sich keineswegs in der Pflicht, mich über diesen Umstand aufzuklären.

Heute denke ich ja, dass es gar nicht der Hit war, der mich magisch zu jenem Doppelalbum hinzog, sondern das bemerkenswerte Cover. Neil Diamond sieht darauf nämlich aus, als würde er sich gerade pantomimisch einen von der Palme schütteln. Dazu noch die karpfenhafte Ekstase seines halbgeöffneten Mundes – alles klar, Herr Kommissar.

Für einen pubertierenden Buben, den sie zwei Jahre später in eine Sparkassenausbildung stecken sollten, war so etwas von höchstem Interesse, wenn auch nur unbewusst. Von wegen „Longfellow Serenade“!

Diese hellsichtige Exegese von Diamonds Pose gelang mir übrigens erst in allerjüngster Zeit. Seither ist das Albumcover mit dieser Erkenntnis kontaminiert.

Für Sie jetzt übrigens auch, und dagegen lässt sich hinfort überhaupt nichts mehr machen, so wahr eine Ausbildung bei der Sparkasse die tristeste der Welt ist.


10 Mai 2011

Fundstücke (133)



Dieses in der (wenn ich mich recht erinnere) Taubenstraße entdeckte Klingelschild deutet auf einen durch Eheschließung fahrlässig erworbenen Doppelnamen hin, den beide Partner aber anscheinend ohne viel Federlesens akzeptiert haben.

Irgendetwas Verdammenswertes in mir wünscht sich, der zugehörige Mann hieße zu allem Überfluss auch noch mit Vornamen Wolfgang, obgleich dabei eine nicht nur hochoriginelle, sondern auch im Berufs- und Restleben wenig zweckdienliche Kombination herausgekommen wäre.

„Guten Tag, mein Name ist Wolfgang Wulf-Wolf.“
Einfach wunderbar.

Diese Möglichkeit erinnert mich ein wenig wehmütig an die schöne Zeit, als Wolfgang Wolf noch Trainer in Wolfsburg war und nahe der Wolfsburg wohnte, wahrscheinlich im Wolfssteig.

Ob er damals zufällig mit einer Frau Wulf verheiratet war, weiß ich allerdings nicht.

09 Mai 2011

Pareidolie (1) oder Muster mit Wert



Seit die Pareidolie-Tante hier einen Kommentar hinterlassen hat, sehe ich überall Gesichter. Und ich meine nicht die von Menschen.

In ihrem sehenswerten Blog sammelt die Tante Bilder von Dingen, in die unser Gehirn Physiognomien hineininterpretiert. Diese komische Maschine in unserem Kopf sucht nämlich unablässig und überall nach Mustern, sogar dort, wo gar keine sind oder beabsichtigt waren.

Das Phänomen nennt man Pareidolie, und seit ihrem Kommentar bin ich praktisch zum spontanen Pareidoliker geworden. Plötzlich nämlich schaute mich sogar unser Reiskochtopf irgendwie chinesisch-katzenartig an, obwohl er das vorher nie gemacht hatte. Alles nur wegen der Pareidolie-Tante.

Kurz und gut: Hier beginnt eine neue Serie. Ich mache der Tante einfach mal Konkurrenz, zumindest ein ganz klein bisschen und nur sporadisch.

Viel mehr und auch erheblich frappierendere Bilder gibt es nämlich bei ihr dort drüben, und das wird auch für immer und ewig so bleiben.

08 Mai 2011

Die übliche Ka(c)kofonie



Der Bau des Hafens vor 822 Jahren war ein großer Schritt für Hamburg. Anders verhält es sich mit den alljährlichen Geburtstagsfeierlichkeiten, sofern man das Glück hat, sie vor Ort auf St. Pauli miterleben zu dürfen.

Tagsüber weht nämlich ein Lärmwirrwarr von liebreizender Vielfalt durch die Balkontür, zu dem höchst unterschiedliche Quellen beitragen. Ich möchte mich hier stellvertretend bedanken bei: Propellerflugzeugen mit Werbebannern (also sonisch und optisch eine Zumutung), Hubschraubern, Polizeisirenen, Knatterharleys, verfrüht volltrunkenen Grölern, heute auch Fans des FC Bayern München, die acht (8!) Tore angemessen feiern wollen, sowie Abschleppwagen, die unter lustvollem Klirren und Klappern Falschparker unter unserem Balkon einer ungewissen Zukunft zuführen.

Vor allem aber das ungefähr halbstündige Feuerwerk gegen 23 Uhr hat natürlich jedes Recht, in dieser bei weitem unvollständigen Liste einen Credit zu bekommen.

Übrigens Wahnsinn, aus welchen Lücken die Abschlepper manchmal Wagen rausholen, ohne deren Knautschzonen einem Praxistest zu unterziehen.

Für mich sind das Künstler, echt.

06 Mai 2011

Käse, Metal, Polizei



Wenn Ina Finn (Foto), eine der besten Hamburger Sommelières, erneut die großartigsten Käsesorten Frankreichs für lau sowie passende Spitzenweine für einen angemessenen Preis offeriert, dann sollte man eigentlich meinen, halb Hamburg begehrte entschlossen Einlass an der Tür der Villa Verde, doch es waren nur ungefähr 30 – darunter der Franke, Ms. Columbo, ramses101 und ich.

Während ein wagenradgroßer Brie de Meaux majestätisch zerfloss, fühlten wir uns wie Gott in Frankreich (zumindest im Sinne der aktuellen Lesart, denn einst – in gottesfeindlichen jakobinischen Zeiten –, bedeutete der Spruch ja bekanntlich genau das Gegenteil). Für den Fall, wir müssten für fünf Jahre ins Gefängnis, wäre die Villa Verde zu Käsestammtischzeiten zweifellos ein geeigneter Ort, um die Zeit würdig abzusitzen. „Außer mit Laktoseintoleranz“, ergänzte der Franke lakonisch, ehe er sich wieder mit verheerenden Folgen am Büffet zu schaffen machte.

Nicht vor Ort war natürlich der bekennende Käse-, Wein- und Aquaphobiker German Psycho. Gäbe es bereits olfaktorische Tweets, hätte ich ihm dem Duft des Brie de Meaux getwittert. So aber konnte ich nur twitternd die Nichtexistenz olfaktorischer Tweets bedauern.

Die ältliche Dame neben mir, eine strengfrisierte Erscheinung von hanseatischer Steifheit, nutzte die Aufmerksamkeit meines halben Ohres, um mir von ihren zahlreichen Reisen zu berichten („Schon 35-mal in Italien, aber immer woanders.“). Doch nur ein einziges Mal ergatterte sie meine ganze Aufmerksamkeit, und zwar mit dem frappierenden Satz: „Ich bin von der Klassik zum Heavy Metal gekommen.“

Dann plapperte sie strengfrisiert über ihre Vorliebe für Sepultura und Annihilator und offenbarte, bereist siebenmal Motörhead im Docks gesehen zu haben. Ich nur zweimal. Verdammt.

Auf dem Heimweg fand ich den Personalausweis einer jungen Frau aus der Annenstraße, den ich ihr gern vorbeibringen wollte, doch Ms. Columbo bestand auf Ablieferung bei der Polizeiwache um die Ecke.

Ein Vorschlag mit Folgen, denn die Einreichung eines aufgefundenen Personalausweises setzt einen bürokratischen Prozess ungeahnten Ausmaßes in Gang. „Ein Personalausweis gehört der Bundesrepublik Deutschland“, dozierte Wachtmeister Gohlke, während er meine persönlichen Daten aufnahm, „Sie sind nur der Besitzer.“

Derweil tippte er eine Zeile nach der anderen voll und löcherte mich mit Fragen, unter anderem dieser: „Wünschen Sie einen Finderlohn?“ Ein Danke würde mir reichen, winkte ich generös ab, doch später bereute ich es. „Ich hätte einen Euro verlangen sollen“, sagte ich zu Ms. Columbo. „Dann wäre die Geschichte weitergegangen.“

Und darum geht es doch im Leben, oder nicht: dass die Geschichten weitergehen.

Der nächste Käsestammtisch findet übrigens am 16. Juni statt. Dies als Botschaft an halb Hamburg.

05 Mai 2011

Fundstücke (132)



Fragen Sie mich bitte nicht, warum dieser Schirm …

a) … auf einen Bauzaun in der Seilerstraße geklemmt wurde und
b) … die Aufschrift „Es regnet Kaviar“ trägt.

Schön wär’s ja (sofern Beluga).


04 Mai 2011

Sehr Sade



Vier Gitarren, schleppendes Massive-Attack-Flair, Grooves und Balladen perfekt austariert, poetische Bühnenbilder und Einspielfilme, ein gazehaft transparenter Sound, den sogar meine kleine Digicam einzufangen in der Lage war …:

… Verdammt, es gibt wirklich überhaupt nix zu meckern an Sades Auftritt gestern Abend in der Hamburger o2-World-Arena.

Deshalb ersetzt dieser kleine Mitschnitt jedes weitere Geschwafel, und das ist auch gut so.

03 Mai 2011

Fundstücke (131)



Ein Gehweg ist also kein Hundeklo – aber die eigene Haustür anscheinend das geeignete Medium für ernste Ermahnungen. Manche Menschen verstehe ich einfach nicht.

(Was natürlich nur dann gilt, wenn Herr oder Frau Koch selbst für den Spruch auf ihrer Haustür verantwortlich sind. Sonst nehme ich alles zurück und bestätige, dass ich manche Menschen doch verstehe.)


Entdeckt in der Kastanienallee.



02 Mai 2011

Gut ausgelüftet



Da hat sich wohl jemand gedacht: Den mühseligen Weg zum nächsten Altkleidercontainer spar ich mir. Und dann hat er oder sie die ollsten Klamotten des Bestandes einfach an den Gitterzaun vorm neuen Astraturm gehängt.

Den Zaun hat übrigens der Eigentümer der Immobilie aufgestellt, damit Leute, für die großflächige Büroturmscheiben eine schier unbezwingbare Einschmeißverlockung darstellen, nicht mehr ganz so nah rankommen an den neuen Astraturm.

Allerdings fliegen routiniert geworfene Pflastersteine auch schon mal weiter als die paar Meter, die der Zaun an Distanzierung leistet, doch wem sag ich das.

Zurück zur originellen Altkleiderentsorgung. Um diese Methode ein wenig zu verschleiern und nicht sofort Vermutungen wie Faulheit und Bewegungsscheu aufkommen zu lassen, hat der oder die Verantwortliche wenige Meter weiter das Ganze auf dem Pflaster zum „Umsonstladen“ beschönigt.

Die treffsichere Allegorie „Fiese Hecke“ für den Gitterzaun verdient übrigens Respekt und Anerkennung.

01 Mai 2011

„Ganz Hamburg hasst die Polizei“



Was ist eigentlich dieses „Regen“, von dem man ab und zu im Wetterbericht hört? In Hamburg jedenfalls liegt das Phänomen gefühlt ungefähr so lange zurück wie die letzten 1.-Mai-Krawalle.

Weil das besagte Datum heute wieder dräute, wurde das traditionelle Spielfeld – also Schanze und St. Pauli – behördlicherseits vorsorglich zum „Gefahrengebiet“ erklärt. Bedeutet: Man hatte bei Bedarf der Polizei auch anlasslos Rede und Antwort zu stehen.

Insgesamt sorgte das alles für eine bedrohliche Aura überm sonnentrunkenen Kiez, und aufgrund einer insistierenden Bitte von Ms. Columbo musste ich sogar mein Fahrrad hoch in die Wohnung schleppen, obwohl mich kurz zuvor Chris, der Schlächter, im Fitnesskurs gestriezt hatte bis zur Schnappatmung.

Ms. Columbos Bitte allerdings war wie immer weise, denn wenig später zog bereits die erste Demo durchs Viertel. Darunter waren viele schwarzgekleidete Kapuzenträger mit vollverspiegelten Greta-Garbo-Sonnenbrillen. Sie trugen ein blaues Plakat mit sich herum, auf dem stand: „Ganz Hamburg hasst die Polizei“, was ein recht betrübliches Licht auf ihre Realitätswahrnehmung warf.

Wenn all ihre Analysen so leicht empirisch zu widerlegen sind wie diese, dann gute Nacht, liebe Linke. Irgendwann fing es irgendwo dann an zu krachen, Sirenen juchzten, und wenn sie nicht gestorben sind, dann prügeln sie sich heute
noch.

Es dürfte übrigens gerne mal wieder „regnen“, oder wie das heißt.



30 April 2011

Bekenntnisse eines nearly adopters

Bloggen ist inzwischen so uncool geworden, dass man sofort damit anfangen müsste, wenn man es nicht längst schon täte. Ähniiches gilt allmählich fürs Twittern.

Denn mal ehrlich: Nichts ist schlimmer, als auf fahrende Züge aufzuspringen – wie ich es damals tat, als Bloggen noch halbwegs cool war.

Inzwischen erregt Coolness in mir großes Mitleid. Ebenso die Coolnessträger, also Trendsetter, Auskenner, Herdenführer – und ganz besonders die so innig umschwärmten early adopter. Denn was ist schon ein early adopter? Doch nichts weiter als die arme Wurst, die den Herstellern von unausgegorenem Müll als erste auf den Leim geht.

Derweil wartet der Uncoole ab, bis das Zeugs endlich funktioniert – und trotzdem nur noch halb so viel kostet.

Ich bin allerdings nicht nur kein early adopter, sondern ein für die Unterhaltungsindustrie extrem nerviger Sonderfall, nämlich ein nearly adopter.

Ist zwar nur ein Buchstabe mehr, aber ein himmelweiter Unterschied. Als nearly adopter habe ich nämlich ein gutes, altes Prinzip transformiert, welches sich auch hier auf St. Pauli schon immer als höchst probates Mittel erwiesen hat, keinen Ärger zu bekommen: nur gucken, nicht anfassen.

Das bedeutet, ich bin meist gut informiert über den neusten heißen Scheiß, aber bis ich mir wirklich einen HiTec-Brillen-gestützten 4-D-LED-LCD-USB-DVBT-HDMI-plus-Ultraflachbildfernseher mit Internetzugang, Timeshift, Beamfunktion und WLAN-programmierbarer Mikrowelle kaufe, muss schon die 6-D-Glotze auf dem Markt sein. Mindestens.

Mein sehr verehrter neuster heißer Scheiß, denkt der nearly adopter in mir, während er unbeeindruckt an den Glimmerflimmerwänden im Mediamarkt entlangschlendert, werd du Krücke erst mal deine Kinderkrankheiten los, dann lass uns noch mal reden.

Na ja, lange Rede, ganz kurzer Sinn: Ich gehöre seit kurzem zu den letzten Nachzüglern, die sich nun doch noch das zugelegt haben, was der Rest der Welt schon drei Generationen lang sein eigen nennt: ein iPhone.

Natürlich kein Vierer – viel zu riskant.

28 April 2011

Dr. House praktiziert auf dem Kiez


Da waren sie nun, die ganzen „Dr. House“-Fans. Im aus allen Nähten platzenden Café Keese an der Reeperbahn trat nämlich heute Abend Hugh Laurie auf, der in der TV-Erfolgsserie einen muffeligen Doktor spielt – aber hier, im Keese, den Blues.

Irgendwie passte da was nicht zusammen. Doch die Fans – darunter viele hippe Groupies im Alter potenzieller Laurie-Töchter – mussten da durch, denn hey: Das war er höchstpersönlich! House himself! Auf der Bühne! Live und wahrhaftig! Aber wo war sein Krückstock? Und wieso parlierte dieser Knurrhahn plötzlich so charmant?

Immerhin: Dass er seltsame Uraltsongs von Jelly Roll Morton (1889–1941), Huddie Ledbetter (1889–1949) oder Mahalia Jackson (1911–1972) sang, ließ sich trefflich mit Herumquatschen während des Vortrags sowie euphorischem Juchzen in Einschaltquotenhöhe zwischen den Stücken übertünchen.

„Laurie ist so alt wie wir“, raunte ich dem Franken zwischendurch zu. „Die goldene Generation, Franke!“

Er schaute mich an, als hätte ich eine despektierliche Bemerkung über seine Wampe gemacht, deshalb sparte ich mir die weitere Beweisführung (Madonna, Michael Jackson) und süffelte weiter an meinem Grauburgunder, während Laurie am Klavier eine sehr schöne Version von Louis Armstrongs „St. James Infirmary“ anstimmte.

„Vorm Konzert habe ich gesagt“, sagte Laurie plötzlich, „wenn man uns nach dem dritten Song noch nicht weggesperrt hat, dann gönne ich mir was.“ Euphorisches Juchzen der House-Fans.

Und dann hielt Hugh Laurie plötzlich eine Maß Bier – also einen ganzen Liter – in der Hand. Und nippte. Statt es in kräftigen Zügen mindestens zur Hälfte wegzupumpen und sich einen weißen Bart von der Blume zu holen, nippte dieser Fernsehweichlng nur dran.

Engländer wissen einfach nicht, wie man mit Bier umgeht. Das war die wichtigste Erkenntnis des Abends. Und manche von ihnen lieben den Blues so sehr, dass es ihnen wurschtegal ist, nur über die Stimme eines Privatpartysängers zu verfügen.

Ich glaube, ich muss mir diese Fernsehserie mal anschauen.


27 April 2011

Der Edgar-Wallace-Effekt



Auf dem Flohmarkt am alten Real-Gelände stießen wir auf einen schlauchförmigen Verhau mit Lebensmitteln am Rande des Ablaufdatums und klar darüberhinaus.

Der Höker hatte alles da: Wurst, Käse, Schinken, alles irgendwie graumeliert und eingeschweißt in Plastikfolie, die vor Erschöpfung zu seufzen schien. Wir wollten schon weiter, denn hier gab es nichts zu sehen – bis auf die knallblauen Einkaufskörbe mit dem gelben „Geklaut“-Aufkleber.

Angesichts der Armseligkeit des Sortiments fragte ich mich gleich, ob das ein vorauseilender Sarkasmus war, der all jenen prophylaktisch zugerufen wurde, die erwogen, den knallblauen Einkaufskorb zu entwenden – oder ob der Standbetreiber selbst die Teile en gros bei „Pauli’s Schnäppchenoase“ in 33775 Versmold geklaut hatte und dies nun einfach nassforsch öffentlich bekanntgab.

Denn wie wir alle aus alten Edgar-Wallace-Schinken wissen, ist der Täter niemals der, auf den der erste und plumpeste Verdacht fällt; und vielleicht setzte der Mindesthaltbarkeitsdatumsaustester auf dem Flohmarkt am alten Real-Gelände auf genau diesen Effekt.

Egal, wir werden es nie erfahren, denn wir flohen wurst-, käse-, schinken- und einkaufskorblos von dannen.

Mit angemessen entsetztem Blick, versteht sich.

26 April 2011

Fehlentwicklung Individualverkehr

Ein Abend auf dem Balkon. Alles ist vorbereitet, das Arrangement perfekt: Ms. Columbo, eine Flasche Rieslingtrester, Amaretti mit Schokoladenfüllung von Andronaco und dazu als Soundtrack aus dem Wohnzimmer Beethovens siebte Sinfonie.

Der zweite Satz – Beethoven gab als Tempo „Allegretto“ vor – ist zweifellos das schönste Stück Musik, das je geschrieben wurde, und ich würde mich auf Mozarts Komponiertisch stellen und diesen Satz wiederholen.

Einziges Problem aber: die Großstadt.

Während der knapp acht Allegrettominuten beeinträchtigten den Hörgenuss folgende Störfaktoren: ein Dutzend Autos, ein Motorrad, ein Propellerflugzeug, ein ADAC-Hubschrauber, ein Krakeeler per pedes sowie zwei von der Reeperbahn herüberwehende Polizeisirenen. Am Schlimmsten aber war diese envervierend behäbig vorüberknatternde Vespa während der leisesten Passage.

Wäre ich Beethoven, ich hielte den Individualverkehr für eine krasse Fehlentwicklung. Wäre ich ich, ebenfalls.

25 April 2011

Das Hier und Jetzt



Aller Erfahrung nach – und ich verfüge bereits über mehrere Jahrzehnte davon – werden wir dieses Traumostern noch bitter bezahlen.

Mit Hagel im Mai.
Mit Dauerregen im Juni.
Mit einer vierwöchigen Nebelbank im Juli.
Und dem frühesten Wintereinbruch der Welt am 1. August.

Doch das ist alles Zukunftsmusik. Noch ist Ostern. Noch lassen sich hanseatische Paschas im Glitzer der Frühsommersonne von willigen Blondinen über die Fleete ruden.

Und noch stehen zufällig Blogger am Brückengeländer und dokumentieren das.

23 April 2011

Really umgehaun



Hugo Egon Balder ist ja eine ziemlich coole Socke, ungefähr so eine wie
Rolf Zacher. Bei Balder sieht man das schon daran, dass er mit seinem Geburtsnamen „Egon Hugo Balder“ derart unzufrieden war, dass er sich den Künstlernamen „Hugo Egon Balder“ gab.

Er
und Zacher: Das sind jedenfalls zwei über jeden Zweifel erhabene Typen, die es immer geschafft haben, zwischen Drama, Trash und Komik ihr Ding durchzuziehen.

Gestern Abend waren wir ins Zwick an der Reeperbahn eingeladen, wo Balder sein neues Album live spielen wollte. Natürlich mussten wir hin. Wir wären ja auch zu Rolf Zacher gegangen.

Balders Begleitband waren Rudolf Rock & Die Schocker, eine routinierte Kombo nah am Rentenalter, was einige Bandmitglieder allerdings nicht davon abhielt, Karottenfrisuren wie Rod Stewart anno 72 vorzuführen, nur in Eisgrau. Die betagten Elbletten bei uns am Tisch teilten wohl insgeheim diese Haarfarbe, hätten sie sich nicht einer Wasserstoffperoxidbehandlung unterzogen. Ihr Pseudoblond kontrastierte mit Lippenstiftfarben, die selbst dem Regisseur von „Hostel“ zu grell gewesen wären.

Noch während Ms. Columbo und ich über diese Damen giggelten, kam der Franke krank vor Hunger angehetzt und flehte die Bedienung um ein Schnitzel mit Pommes an. Ihre Antwort – „Erst nach dem Konzert wieder, tut mir Leid“ – stürzte ihn in eine Existenzkrise, doch drei Blechdosen mit gesalzenen Erdnüssen, die er wegsaugte wie ein Walhai den Krillschwarm, milderten die allerärgste Not.

Derweil begann Balder zu singen, und zwar Sachen wie „You are the hottest girl in town, you have me really umgehaun“ oder so ähnlich. Manifeste eines Berufsjugendlichen. Während wir halb unter den Tisch krochen vor Fremdscham und Karl Dall spontan auch noch sein linkes Auge auf Halbmast flaggte, nässten sich die Elbletten vor Lachen fast ein.

Wahrscheinlich hofften sie so ihre Chance auf eine persönliche Aftershow mit Hugo Egon resp. Egon Hugo zu verbessern, denn der Mann ist auch mit 61 noch eine Schnitte, trotz allmählich wachsendem Rundbuckel.

Inzwischen sang er „Der frühe Vogel kann uns mal“, ein wie von Twitter geklauter Satz. Und kurz nachdem er mit stets geblecktem Gebiss die wirklich gute Zeile „Wir sind übern Berg, von nun an geht’s bergab“ rausgeröhrt hatte, packten wir den Franken und schoben ihn en passant ins Texas Bar-B-Q an der Reeperbahn, wo er augenblicklich ein formidables Burgermassaker anrichtete, wie uns später zu Ohren kam.

Das alles geschah natürlich bereits am Donnerstag, denn gestern – wie wir alle wissen – hätte selbst eine coole Socke wie Hugo Egon Balder nicht singen dürfen, vom hottest girl in town schon mal gar nicht.

22 April 2011

Alles verboten

Weil die Kirche es irgendwie geschafft hat, dem ganzen Land am Karfreitag das Singen, Tanzen und Spielen zu untersagen, herrscht auch auf dem Kiez heute tote Hose. Selbst zum Luftgitarrensolo in der Friedrichstraße wird es garantiert nicht kommen.

Und da ich unsicher bin, ob die Kirche es nicht auch irgendwie geschafft hat, am Karfreitag das Bloggen zu untersagen, mache ich hier vorsichtshalber Schluss.

21 April 2011

Home, sweet home



Vergangene Nacht, während wir noch auf Mosel und Rhein kreuzten, brannten auf St. Pauli acht Autos. Wer da gezündelt hat, scheint nicht gerade ein Umweltfreund zu sein, denn den missliebigen Klimawandel beschleunigt so was eher.

Das Motiv des Täters (ja, liebe Besserwisser, es kann auch eine Täterin gewesen sein. Oder drei.) liegt jedenfalls im Dunkeln – ähnlich wie der Anlass, der zum sorgsamen Beschriften des abgebildeten Zettels geführt haben könnte. Vielleicht hängt ja sogar beides zusammen, die brennenden Autos am Wohlers Park und der „Vorsicht Digger!“-Wisch heute Nachmittag in der Hein-Hoyer-Straße.

Das sind so Gedanken, die man sich an Rhein und Mosel wahrscheinlich niemals machen muss.



19 April 2011

Was man in Koblenz ungestraft mit Köchen machen kann



Wie kontrastreich doch das Leben sein kann.

In Cochem baten wir um Leitungswasser zum Espresso, und die Bedienung sagte: „Das dürfen wir nicht herausgeben.“ Weltweit stellen sie Leitungswasser zum Espresso, von Rio bis Reykjavik, aber in Cochem an der Mosel ist das untersagt.

Aufs alternativ für drei Euro angebotene Mineralwasser verzichteten wir daraufhin dankend, zumal der Espresso – eine ungenießbar dünne, cremalose Plörre von empörender Indifferenz – bereits mit sagenhaften 2,95 das Tässchen zu Buche schlug.

Es handelte sich um den überteuertsten Espresso unseres Lebens, und er bekam nicht mal Geleitschutz von Leitungswasser. Welch ein Schicksal.

Wir schipperten also weiter nach Alkem und kehrten abends in die Straußwirtschaft Rindsfüßer ein, wo wir mit einer ganz und gar gegenteiligen Philosophie konfrontiert wurden. Dabei schien es zunächst, als parodierte Frau Rindsfüßer die unhaltbaren Cochemer Zustände.

Meine Schwester nämlich – trotz ihres sinnenfrohen Bruders mit Abstinenz geschlagen – bestellte ein stilles Wasser. „Hawwe mer net“, blaffte Frau Rindsfüßer, „awwer mer wolle ma gugge, was mer tun könne.“

Und dann servierte sie ein fröhlich sprudelndes Mineralwasser zusammen mit einem batteriebetriebenen Milchaufschäumer. Sie nahm das Gerät, warf es an und tauchte es ins Glas, woraufhin die Kohlensäure unter allen Anzeichen von Panik die Flucht ergriff.

Binnen kurzem verfügte meine Schwester so über das gewünschte stille Wasser. Am Tisch stieß diese unkonventionelle Methode auf lauthalse Begeisterung, was nicht unwesentlich dazu beitrug, dass der nichtabstinente Rest der Gesellschaft den Abend über ordentlich bei Frau Rindsfüßer nachorderte.

Bei 80 Cent fürs 0,1er Glas Hauswein war das keine große Leistung, gebe ich zu, doch so schmeckte das preiswerte Tröpfchen auch, was allerdings durch die alternative 2007er Rieslingspätlese nachhaltig wieder wettgemacht wurde.

Am nächsten Tag auf der Bundesgartenschau in Koblenz entdeckte ich dann das abgebildete Schild. Es besagt ganz offensichtlich, dass es erlaubt ist, Köche zu köpfen, und zwar mit handelsüblichen Baseballschlägern.


Warum als Erklärung aber was ganz anderes obendrüber steht, verstehe ich ehrlich gesagt überhaupt nicht.



18 April 2011

Balanceakt



Eine kunterbunte Familienkreuzfahrt auf Rhein und Mosel, mit Eltern, Schwiegereltern, Schwägern, Neffen, Nichten und Gattin.

Unfassbare Dinge geschehen. Und läsen sie nicht alle hier mit, könnte ich auch drüber schreiben.

17 April 2011

Da hilft nur Stadionverbot



Noch niemals in meiner dekadenlangen Fankarriere habe ich den 1. FC Köln öfter in einer Saison live gesehen als in dieser, nämlich bereits dreimal.

Im Januar spielte er in Eiseskälte beim FC St. Pauli. Ich bibberte auf der Gegengerade und sah die Kölner mit 0:3 untergehen. Wenigstens gingen die Punkte an St. Pauli, das milderte den Schmerz.

Im März fuhr ich ins HSV-Stadion, wo ein lustloser 1. FC mit 2:6 abgefackelt wurde. Ich redete mir den Nachmittag mit der Torquote schön. Na ja, ich versuchte es wenigstens. Ein bisschen. Okay, eigentlich gar nicht.

Ganz klar, um mein Team siegen zu sehen, musste ich mir ein Heimspiel anschauen, in Köln. Das würde den Fluch brechen, zumal das Team sieben Spiele in Folge zu Hause gewonnen hatte. Das war Vereinsrekord, der durch einen achten Triumph noch ausgebaut werden würde.

Heute Nachmittag war ich also erwartungsfroh im Rhein-Energie-Stadion und schaute mir die Partie gegen den VfB Stuttgart an. Effekt: Köln ergab sich vollkommen widerstandslos einer 1:3-Klatsche. Wenigstens erwischte ich einen ziemlich inoffiziellen, aber passgenau hybriden Schal, der mein Herz erwärmte.

Meine Livebilanz in dieser Saison lautet also: 0 Punkte und 3:12 Tore.

Beim 1. FC Köln rätseln sie nach diesen Niederlagen immer, wie die unerklärliche Kraftlosigkeit zustande kommt, dieses Fehlpassfestival, die Unfähigkeit zu kämpfen, diese bleierne Demotivation.

Nun, ich kenne den Grund: Weil ich im Stadion bin. Auf mein Team wirke ich wie Kryptonit auf Superman.

Es gibt daher nur eine Lösung: Ich beantrage hiermit für mich ein bundesweites Stadionverbot. Sie soll für alle Partien gelten, an denen der 1. FC Köln beteiligt ist. Wo immer sie auch stattfinden.

Am liebsten wäre es mir übrigens, wenn Wolfang Overath diese Anweisung unterzeichnete. Um der alten Zeiten willen.