13 August 2008

Ruhe sanft, Citystar

Es ist immer das Gleiche, verdammt. Alle zwei bis vier Jahre schlurfe ich – enttäuscht von der Menschheit im Allgemeinen und den Kiezgestalten im Besonderen – zur Davidwache und melde dort den Diebstahl meines Fahrrads.

Mein guter, alter Citystar-Drahtesel: Jetzt hat es auch dich erwischt, direkt vor der Haustür. Obwohl ich stets ein altes billiges Fahrrad auf dem Flohmarkt schieße, um die Klaugefahr zu minimieren, trage ich es in den ersten Wochen abends stets hoch in die Wohnung und am nächsten Morgen wieder runter.

Nach einer gewissen Karenzzeit folgt dann eine Phase, in der die Hochtragdisziplin zu bröckeln beginnt. Zunächst noch selten, bald immer öfter schließe ich es vorm Haus an Geländerstangen an, meist, wenn ich eine gute Ausrede habe, zum Beispiel eine Saftkiste unterm Arm. Irgendwann aber wird das Nichthochschleppen zur Gewohnheit, auch ohne Saftkiste. Bei Wind und Wetter steht hinfort das treue Gefährt duldsam im Freien und wartet auf Herrchens nächsten Ausritt.

So geht das zwei bis drei Jahre lang, und dann ist es wieder soweit: Ich schlurfe – enttäuscht von der Menschheit im Allgemeinen und den Kiezgestalten im Besonderen – zur Davidwache und melde dort den Diebstahl.

Diesmal traf es also das Citystarrad. Nie werde ich seine robusten sieben Gänge vergessen. Oder seine regelmäßig versagenden Lampen, vorne wie hinten. Der Lenker schien immer ein klein wenig schief zu stehen, dennoch fuhr das sympathische Rad zuverlässig geradeaus – ein kleines Kunststück, welches ich bis zuletzt an ihm bewundert habe. Na gut, das mit dem kaputten Tretlager (40 Euro) hätte nicht sein müssen, zumal es geruhte, erst kurz vor dem gewaltsamen Verlust um Austausch zu betteln. Doch jetzt ist es über alle Berge, das komplette Rad. Samt futschneuem Tretlager, schiefem Lenker und kaputter Lampe hinten.

Selbst der eigentlich immer wirksame Trostspruch „Du bist ja nicht weg, dich hat nur ein anderer“ will auf dem Weg zur Davidwache nicht recht zünden. Der mich am Tresen verständnisvoll empfangende Polizist fragt, ob ich alles dabei hätte. „Personalausweis? Klar, habe ich dabei“, antworte ich und nestle an der Brieftasche. „Auch die Rahmennummer?“, fragt der Polizist. „Äh, nein“, sage ich. Er legt schon mal den bereits gezückten Stift wieder hin und sagt: „Kaufvertrag?“ Hüstel …

Dann, sagt der Davidwachenmann, könnten wir's auch gleich sein lassen mit der Anzeige, schließlich könnte ich meinen Besitzanspruch selbst dann nicht beweisen, wenn er das Rad wiederfände – was ungefähr so wahrscheinlich sei wie ein segensreicher Meteoriteneinschlag aufs Haus von Albaner-Willi, dem Kiezpaten.

Das sagte der Polizist nicht wörtlich, schließlich ist mit Albaner-Willi nicht zu spaßen; es ist eher so, dass mir seine Ausführungen vorkommen, als könne man sie mithilfe dieser Allegorie treffsicher wiedergeben.

Jedenfalls schlurfe ich noch am gleichen Tag – enttäuscht von der Menschheit im Allgemeinen und den Kiezgestalten im Besonderen – zu jenem Fahrradladen, wo der Irokesenassistent, der den Franken gefragt hatte, ob er Rechts- oder Linksträger sei, inzwischen nicht mehr arbeitet, und erstehe ein neues altes Rad. Der Flohmarkt hatte sich zuvor als unergiebig erwiesen.

Warum ich mir allerdings erst vier Fahrräder klauen lassen muss, um endlich auf die Idee zu kommen, all ihre Details fotografisch festzuhalten und die Rahmennummer zu notieren, kann mir selbst Ms. Columbo nicht verklickern.


Mal sehen, ob ich in zwei bis drei Jahren die entsprechenden Unterlagen wiederfinde. Das scheint mir die nächste unüberwindliche Hürde zu sein.

21 Kommentare:

  1. Herr Wagner, das sie diese Quelle noch nicht kennen:

    Fahrräder und eventuell sperrige Gegenstände
    (Eingang auch über Gaußstraße Haus 2 EG)

    allses weitere hier
    http://www.hamburg.de/navigation-fundbuero/versteigerungen/

    Vielleicht schon mal etwas frueher taetig werden, so nach 2 Jahren und in den Keller so lange. Nicht immer warten bis das Kind in Brunnen gefallen ist ;)

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  2. Da sind Sie also nach Hessen gefahren und haben Herrn Citystar im Regen stehen lassen - aus purer Faulheit.

    Ich würde übrigens unter einer neuen Kategorie "Gestohlene Drahtesel" die relevanten Fotos hier ins Blog setzen, wir helfen Ihnen dann gerne beim Suchen, das nächste Mal.

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  3. Mein Beileid, werter Matt, ich kann mir vorstellen, was für ein harter Schlag es sein muß, einen über Jahre trotz oder wegen seiner Macken liebgewonnenen Begleiter zu verlieren.

    Aber Kopf hoch: Da Sie ein weiteres Gebrauchtrad gekauft haben, wird auch Ihr nächster Begleiter einige Macken aufweisen, an die Sie sich gewöhnen können.

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  4. Viel verwerflicher finde ich das was einer Freundin grade passiert ist. Dort wurde lediglich der Sattel (auch noch mit einem Loch) gestohlen. Aus purer Zerstörungswut.

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  5. Wäre doch schön gewesen, hätten Sie dem Polizisten sagen können:
    " Der Dieb hat eine Analfissur mit tiefgehender Verletzung des Enddarmes".
    Wie? So:
    Sattel abnehmen und in das Rahmenrohr eine ungeheuer spitz zugeschliffene
    Stahlstange entsprechender Länge versenken. Stahlstangenspitze zeigt
    oben gute 35 cm aus Rahmenrohr.
    Sattelrohr mit Sattel nur locker einsetzen.
    Sobald der Dieb schwungvoll antritt und sich bei 16 Km/h auf dem Sattel nieder
    lässt, rutscht das Sattelrohr ins Rahmenrohr und die Spitze der Stahlstange
    befindet sich irgendwo auf Höhe der dritten Dickdarmschlinge.
    OK, das ist natürlich eine ganz blöde Idee und tut saumässig weh. Aber nur
    dem bösen, bösen Dieb.
    Ich transportiere auf diese Weise meinen Grillspiess.

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  6. Eine gutgemachte Taubenscheißeatrappe auf Sattel und Lenker würde es sicherlich auch tun.
    Herr Matt, das mit dem nicht funktionierenden Fahrradfunzeln ist mir auch schon oft sauer aufgestoßen - ich vermute eine Verschwörung der Hersteller eben solcher, Sie sollten das mal gründlich recherchieren.

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  7. wahrscheinlich würde es sich auf lange sicht lohnen, in mehrere fahrradketten zu investieren? für den kleinen sicheren tagesausritt können ja die meisten schlösser am stammgeländer verbleiben und abends sichern sie das rad dann eben immer wie fort knox...

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  8. Oldman, ich bin mir fast sicher, daß der Dieb Sie daraufhin wegen schwerer Körperverletzung verklagen könnte...

    Da ist wohl die Vogelschissattrappe ein pragmatischerer Ansatz. Übrigens: Auch das Original eignet sich im Prinzip gut dazu, Diebe fernzuhalten.

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  9. Ode für Citystar

    Citystar, du Flohmarktkönig
    lenkerschief, zu wenig Speichen,
    aus Drahte warst du,
    nicht aus Fleischen.

    Silbern schimmern dein’ Gestelle,
    in dem sanften Kiezmondlicht.
    Bis dich dann, du treue Seele,
    ein ganz böser Dieb erwischt!

    Ach, vergangen diese Tage!
    Du und ich und ich und du.
    Flattern sanft oh, meine Haare -
    in der Sonne glitzerst du.

    Verloren, Citystar! Verloren!
    Gestohlen von der Räuberhand!
    Steh ich nun alleine da
    ohne Sattel, abgebrannt!

    In Gedanken bleibst du mein!
    Schöne Tage, ich bin fein.
    Kann mir niemals jemand rauben.
    Du warst der Fuchs
    und ich die Trauben!

    Citystar, du bist für immer
    tief in meinem Herzen mir,
    und wenn wir uns wiedersehen,
    klau ich dich,
    das schwör ich dir!

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  10. Citystar

    Ach, ich habe es verloren,
    all mein Glück ist nun dahin!
    Wär, o wär ich nie geboren,
    nun, da ich ohne Fahrrad bin!

    Friedlich rasselte die Kette,
    hat niemandem ein Leid getan
    wie seinerzeit Zitronenjette
    im Hinterhof der Reeperbahn.

    Und wenn ich mal - zu viel getrunken -
    alleine nicht nach Hause fand,
    hat das Gerät nur abgewunken,
    nahm selbst die Sache in die Hand.

    Es rollte mich den Kiez entlang,
    vorbei an Herbertstraß und Ritze,
    im zweiten und im dritten Gang -
    Ja, Star der City, du warst Spitze.

    Nun trauert sie, die Sailerstraße,
    nun rieselt nicht mehr Lack noch Rost,
    nun gibt es dort und nicht zum Spaße
    bei Wagners schmale Hausmannskost.

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  11. "If somebody stole your bike, it wasn't your bike."

    (frei nach "Taxi Driver Wisdom")

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  12. Jetzt sag nicht, die Davidswache hat den Klingeldeckel immer noch nicht gefunden.

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  13. Traurige Geschichte. Schöner Nachruf. Hach.

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  14. Ich dachte immer, dass man nur lange genug warten muss, um auf dem Flohmarkt sein eigenes Rad wieder zu finden.
    Vielleicht aber gehörte das Rad, das sie da gekauft haben , schon vorher einem anderen, und er hat es sich nur wieder geholt, vielleicht.
    Der ewige Kreislauf der Waren....

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  15. Kauf dir so ein Fahrdschloss wie die meisten in Amsterdam haben ich glaube die gibt es so ab 100 Euro aufwärts und bekommt wohl selbst mit großem Bolzenschneider nicht geknackt. Andererseits so hat wenigstens immer mal ein neues Fahrrad.

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  16. Ein wahrer Fundus der allseiten Anteilnahme. Auch ich kondoliere. Und habe überlegt, ob mein Rad wohl noch im Keller steht. Ich war jedenfalls lange nicht mehr unten.
    So um 1989/1990 ist mein Rad (massiv angeschlossen, wirklich) geklaut worden und ein Staatsanwalt hat mir dazu einmal erzählt, es gäbe eine Art Hollandconnection, über die ganze LKW-Ladungen"gebrauchter" Fahrräder außer Landes gebracht werden bzw. wurden (ob es heute noch so läuft, weiß ich nicht). Es werden listenweise irgendwelche Phantasierahmennummern angegeben, die kein Zollmensch an der Grenze innerhalb des EU-Verkehrs jemals wirklich überprüft, weil das bei fünfhundert und mehr Fahrrädern locker ein bis zwei Tage dauern würde. Der Verkehrswert der Ladung ist vergleichsweise unspektakulär, eher niedrig und es wird letztlich nur das Zollpapier abgefertigt.
    Hochwertigere Räder (damals so ab 600.00 DM aufwärts) gingen so ihren Weg.
    Herr Matt, Sie haben Chancen, daß Sie Ihren Citystar der Herzen irgendwann irgendwo vorbeirollen sehen. Aber Obacht !Das hatte eine recht sportliche Bürokollegion auch erlebt, hat den Typen während der Vorbeifahrt vom Rad gekickt (!) und sich dabei ein Knie ziemlich zerknallt (drei Wochen arbunf). Er ist sehr schnell wieder auf die Füße gekommen und mit dem Rad verschwunden. Ob es wirklich und tatsächlich ihr Rad war, ist noch nicht sicher geklärt und wird wohl auf ewig ein Geheimnis bleiben. Darum merke: Beklaute Frauen sind ärgerliche Frauen. Da kommt es auf Feinheiten auch nicht mehr unbedingt an.

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  17. Meine Damen und Herren, ich bin gerührt ob der warmen und herzlichen Worte, die mir hier allerorten entgegenschlagen, wirklich wahr. Vor allem Opa und Anna, das gloriose Poetenduo, berührte mein Herz – und ich behaupte gewiss nicht zu viel, wenn ich sage: Sie berührten auch das von Citystar, sofern es davon erführe.

    Das „neue“ Rad ist übrigens eins von Kalkhoff, und ich hoffe, wir alle gewinnen es genauso lieb wie jenes, das so plötzlich von mir genommen wurde. Der Radgott hab es selig.

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  18. Olaf, wenn Du schon in den Keller
    gehst, dann schau doch mal nach
    den Umfragewerten für die SPD.

    Danke

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  19. Edi, da muß man wohl schon in eine sechsgeschossige Tiefgarage. Die Armen haben es aber auch nicht leicht. Bitter muß es sein zu sehen, daß die Linke zum großen Teil mit einer Programmatik punktet, die vor ein paar Jahren noch die der SPD war.
    Mir tut es nur weh um die ehrlichen Leute in der SPD, die im Ruhrgebiet zum Beispiel beharrlich Plakate geklebt und alles mögliche ehrenamtlich gemacht haben und in dieser SPD 1.6 zum Agenda 2010-Tarif ein Auslaufmodell sind. Und Nachwuchs kommt auch nicht.
    Na ja.
    Und sorry, daß ich die letzte Zeit mich kaum habe hören lassen unter den Dichtern. Bin zur Zeit etwas erledigt nach dem Büro.
    An dieser Stelle auch meine Verehrung an Frau Anna N.

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  20. Oldman alias Schäubling heisst Jo und ist Sicherheitschef des CdhD, ich steige wegen des eigenartigen Geruchs schon lange nicht mehr in den Keller.

    Schönes Wochenende

    Opa Edi

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  21. Herr Jo Schäubling,
    sorry, Sie sehen, wie es um mich steht.
    Streß und Flüchtigkeit.
    Aber gehört es nicht zu den Aufgaben eines Sicherheitschefs, auch mal im Keller nachzusehen ?Gerade dann, wenn es gefährlich müffelt.

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