Auf dem Weg ins Büro begegnet mir ein düster blickender Mann mit dünnem, gleichwohl strähnig langem Haar.
Sein Mund steht halb offen, und man sieht seine blutige Zunge. Auf ihrer Spitze balanciert etwas Weißes. Es sieht aus wie ein Backenzahn, und ich habe das ungute Gefühl: Es ist ein Backenzahn.
Eine erste ernste Irritation am frühen Morgen, der nachmittags, als ich durchs unbelebt in der Hitze dämmernde Rotlichtviertel schlendere, eine weitere folgen soll. Und zwar am Sperrtor zur Herbertstraße, deren Skyline ich gerade im Gegenlicht einzufangen versuche (Foto).
Wie man weiß, haben ausschließlich volljährige Männer Zutritt. Doch plötzlich betreten zwei junge Frauen furchtlos die Tabuzone, und ich möchte ihnen ein kiezerfahrenes „Halt! Stop! Ihr kriegt Ärger!“ nachrufen. Doch die Selbstverständlichkeit, mit der sie hineingehen, lässt mich schweigen, und ich beschließe ihnen zu folgen.
Gleich im ersten Fenster sitzt bereits eine Prostituierte, und das nachmittags um 4. Ihre kniehohen Lackstiefel glänzen in der Sonne. Sie hat die Beine übereinandergeschlagen, während sie mit einem Interessenten verhandelt – und zeigt keinerlei Reaktion, obwohl die zwei Frauen schwatzend vorübergehen.
Dabei hatte ich mit Geschrei und Gezeter gerechnet und mit hervorstürzenden Luden, die den frechen Frauen augenblicks Backenzähne ausschlagen, die sie dann auf blutigen Zungenspitzen nach Hause balancieren dürfen. Doch nichts dergleichen geschieht.
Zehn Meter weiter betreten die Passantinnen rechter Hand ein Haus, und erst in dieser Sekunde wird mir pseudokiezerfahrenem Blitzmerker klar: Die beiden arbeiten hier.
Dabei sahen sie so … normal aus. Jung und hübsch und tätowiert auf den Schultern, klar, aber halt wie tausend andere Hamburgerinnen auch – und nicht wie verruchte Sexgöttinnen, die in der legendären Herbertstraße fensterfähig sind.
Als ich am anderen Ende das Sperrtor passiere, kommt mir eine schwarzhaarige junge Frau mit Sonnenbrille und weißem T-Shirt entgegen. Sie sieht ganz normal aus.
Noch.
Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.
AntwortenLöschenSie vergaßen zu ergänzen: neugierig, voreingenommen und gut, wenn's ihm nützt.
AntwortenLöschenHätte der düstere Mann doch nur gewartet, bis zei wirklich professionelle Dominas in der Herberstraße ihren Dienst aufgenommen haben...
AntwortenLöschenVielleicht ist er in der Nacht davor auch einfach nur an eine Amateurin geraten.
AntwortenLöschenDanke fürs Erklären! Jetzt habe ich meinen Kommentar auch verstanden.
AntwortenLöschenAlles andere hätte mich auch sehr gewundert.
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