27 Februar 2007

Esoterik und Klassenkampf

Am 2. April 1968 zündeten Gudrun Ensslin, Andreas Baader, Horst Söhnlein und Thorwald Proll in Frankfurter Kaufhäusern antikapitalistische Brandsätze – gleichsam der Urknall der RAF. Proll führt heute einen Buchladen in unserer Nachbarschaft, was Ms. Columbo und mich zu spinnerten Ideen animiert.

Ihr Vorschlag, testweise einen Brandsatz in seinem Laden zu zünden („Er müsste ja Verständnis dafür haben!“), wird wegen der eindeutigen Rechtslage rasch wieder verworfen. Ich liebäugle nun mit der Idee, demnächst mal beim freien Unternehmer Proll vorbeizuschauen und mit Unschuldsmiene rechte Literatur bei ihm zu ordern, zum Beispiel ein Buch seines einstigen Genossen Horst Mahler, der zum Neonazi mutierte und inzwischen Bücher verfasst mit Titeln wie „Schluss mit deutschem Selbsthass“.

Was würde Proll in diesem Fall tun – mich umstandslos rausschmeißen? In Diskussionen verwickeln? Seinen Geschäftssinn über die Ideologie stellen? Die wichtigste Frage aber lautet: Soll ich wirklich einen Ex-Terroristen reizen?

Im Schaufenster stehen übrigens die oben abgebildeteten Bücher. Sie handeln von chinesischen Kraftsuppen, der wundervollen Kraft des Finger-Yoga und Prolls altem Kumpel Andreas Baader. Esoterik und Klassenkampf: die Dialektik der späten Jahre.

10 Kommentare:

  1. Welch grausamer Abgesang. Otto Schily, früherer Anwalt von Baader würde zustimmen.

    Ich wähle wieder eine Identität: Blogger, Sonstiges, Anonym.

    gbgydqac

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  2. Köstlich der Gedanke, Herr Proll würde Verständnis für einen Brandsatz in seiner Buchhandlung haben. Tja das Kapital bzw, der Feind sind immer die Anderen...

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  3. amüsant geschrieben. ich werde mir mal weiteres durchlesen um hoffentlich meinen ersten Eindruck zu festigen.

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  4. old, da gibt es bestimmt Amüsanteres, versprochen.

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  5. Stimmt. Klaus Staeck zum Beispiel.

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  6. Ich weiß ja nicht, ich weiß ja nicht. Mitunter drängt sich mir der Eindruck auf, als ob es bloße Abseitigkeit ist, wonach die Damen und Herren Terroristen im Grunde ihres Herzens streben – mit »Dialektik« ist diese prinzipielle Orientierungslosigkeit vornehm umschrieben. Wobei mir der Proll’sche Buchladen noch einen Tick weniger abseitig vorkommt als die Tatsache, dass Top-Terroristen heutzutage Grußworte verfassen, als wären sie honorige Oberbürgermeister oder Verbandspräsidenten. Nicht minder abseitig auch die Empfänger: Figuren, die es vor 20 Jahren noch vollkommen in Ordnung fanden, dass man Leute in einem Land einsperrt und auf jeden schießt, der lieber gehen will, lassen sich Grußworte von einsitzenden Mördern schicken und quatschen irgendeinen Stiefel von Gerechtigkeit und Solidarität. Klarer Fall fürs Irrenhaus, würde ich meinen.

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  7. Man muss Herrn Proll, der nie zum Mörder wurde, sich früh stellte und zurückfand in ein bürgerliches ziviles Leben, sowieso sorgsam trennen von Leuten wie Klar, die über Leichen gingen und sich mental und intellektuell seit 30 Jahren nicht weiterentwickelt haben.

    Ihrer Diagnose am Ende des Kommentars muss ich gleichwohl widersprechen. Wenn es sich nur um klinische Fälle handelte, wäre die Sache weitaus leichter zu verstehen - und zu therapieren.

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  8. Nun ja, das Irrenhaus war eher bildlich gemeint. Aber wenn ich nochmal drüber nachdenke: klinisch ist so falsch wahrscheinlich nicht. Immerhin reden wir von Leuten, die im Namen obskurer Heilslehren jeden Skrupel über Bord werfen. Nach allem, was mir befreundete Psychiatrieangestellte berichten, sitzen in ihren Häusern nicht wenige religiöse Fanatiker, die den Bogen irgendwann mal überspannt haben. Dass es in deren Hirnen sehr viel unaufgeräumter zugeht als in Herrn Klars, würde ich jedenfalls nicht beschwören wollen. Was nicht heißen soll, dass ich dem dämlichen Wegsperren-bis-zum-Ende-Geschrei auch nur das Mindeste abgewinnen könnte. Wegen mir soll Herr Klar ruhig seine Beleuchterlehre bei Herrn Peymann machen und nach Feierabend Grußworte verfassen - darauf kommt es im Grunde wirklich nicht mehr an.

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  9. Ja, Hauptsache, er lässt künftig die Finger von der Knarre. Aber vor 2010 wird das jetzt wohl nix mit dem Beleuchten.

    Ein begnadeter Taktiker war Klar halt nie.

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  10. Wohl wahr, hehe. Bloggen wäre vielleicht eine Lösung.

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