Von allen Vorstellungen und Vorurteilen über St. Pauli stimmen die meisten, aber beileibe nicht immer. Diese Woche aber doch, und zwar geballt.
Vorurteil 1: Der Kiez ist eine Verbrecherhochburg
– Beim Brötchenholen gerate ich in der Talstraße in einen Polizeieinsatz. Vorm Fahrradladen versperren mehrere Streifenwagen die Durchfahrt, bewaffnete Sonnenbrillenmänner in Blau und Schwarz laufen geschäftig hin und her, und mitten auf der Straße steht ein spitteriger Twen mit schlechten Zähnen, seine Hände sind hinterm Rücken mit Handschellen gefesselt, zusätzlich hält ihm ein Polizist die Arme fest. Er brabbelt unverständliche Proteste vor sich hin. Natürlich ist er unschuldig, schon klar. Was genau los ist, erfahre ich nicht, denn zu Hause wartet Ms. Columbo auf eine zügige Brötchenlieferung. Ich muss weitermachen, immer weitermachen.
Vorurteil 2: Der Kiez ist ständig Filmkulisse
– Auf der Rückfahrt gerate ich an der Clemens-Schulz-Straße/Ecke Rendsburger Allee mit Karacho in Dreharbeiten. Die bösen Blicke des Filmteams ernte ich zu Recht, denn ich fuhr auf dem Gehweg, den sich der Locationscout bestimmt genau deshalb ausgesucht hatte, weil dort gemeinhin keine Fahrräder unterwegs sind. „Entschuldigung“, murmele ich, ernte aber nur eisiges Schweigen. Schon habe ich die Kosten für die Produktion wieder um ein paar tausend Euro nach oben getrieben. Und das bei den Lohnnebenkosten!
Vorurteil 3: Auf dem Kiez wohnt man nicht sicher
– Vorgestern Nacht gegen 2 Uhr klingelte es zweimal an der Tür, was mich aber – wie Stammleser wissen – um diese Zeit nie zum Nachschauen oder gar Öffnen bewegt. Heute erfahre ich von einer Nachbarin, was los war. Sie ertappte nämlich in jener Nacht im fünften Stock einen verwirrten etwa 20-jährigen mit Einstichlöchern in der Armbeuge, der vorgab, auf der Suche nach einer Freundin zu sein. Der Nachbarin gelang es, ihn trotz seines Wunsches, doch bitte ersatzweise bei ihr übernachten zu dürfen, hinauszukomplimentieren – und zwar unter Verweis auf die grimmigen männlichen Bewohner des Hauses, die zu seinem Glück bisher noch nichts vom unerwünschten Besuch erfahren hätten, jedoch kiezweit berüchtigt dafür seien, „nicht lange zu fackeln“. Damit meinte sie auch mich – einen Menschen, der stets recht lange fackelt. Aber das konnte der Eindringling ja nicht wissen, und so trollte er sich mühsam, aber beeindruckt.
Vorurteil 4: Kiez und Sex sind synonym
– Okay, okay, nirgendwo auf der Welt würde man einen selbstgebastelten Zettel mit der befehlsnah formulierten Bitte „Kondome in den Müll“ an einer Klinkermauer finden – vor allem nicht direkt neben einem Sterbehospiz.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Verbrechen und Verbrecher
1. „Wanted man" von Bob Dylan
2. „Crime of the century" von Supertramp
3. „The great deception" von Van Morrison
In Hamburg habe ich grundsätzlich das Gefühl, dass man nur ein, zwei Stunden ziellos in der Gegend herumlaufen muss, um auf ein Filmteam zu treffen. Jedenfalls im Sommer.
AntwortenLöschenHat man denn wenigstens die Leichenteile der Transe aus dem Koffer-Trolly schon identifiziert?
AntwortenLöschenOpa, man hat sie identifiziert und sogar den dazugehörigen Mörder. Und ich kann endlich mit gutem Gewissen sagen: Ich war's nicht!
AntwortenLöschenÜbrigens hat man gleich im Anschluß noch eine erwürgte Stripperin gefunden. Diesmal aber nicht in Kieznähe. Aber auch dazu gibt's schon den Täter. Verdammte Verbrecher! Denen gehen völlig die Ideen aus. Jedesmal war's der Freund. Gäähn.
Das war allerdings bereits zu meinen untoten Zeiten ähnlich. Damals war es immer der Gärtner.
AntwortenLöschenMatt, an Komparsen die z.B. auf Fahhrädern ohne Sattel fahren können, werden immer noch hohe Gagen gezahlt. Wäre das nicht ein einträglicher Nebenjob?
AntwortenLöschenAuf Dauer ist das recht – ähem – gesundheitsschädlich. Von daher: nein, danke.
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