29 Mai 2013

Ein Spiegel-Bashing aus gegebenem Anlass


Barbara Supp, stellvertretende Ressortleiterin „Gesellschaft und Reportagen“ beim Spiegel, erzählt in der aktuellen Druckausgabe (Foto), wie sie mit heftigen Krankheitssymptomen in die Hände eines Homöopathen fiel und trotzdem überlebte.

Supp will uns nach überstandenem Typhus anscheinend warnen vor wirkungslosen Zuckerkügelchen. Wow. Doch sie schießt sich und ihrem Magazin mit dieser Story voll ins eigene Knie – und zwar mit einem Dum-Dum-Geschoss.

Das wirklich Erschreckende an Supps Erfahrungsbericht ist nämlich nicht die Binsenweisheit, dass Homöopathie Humbug ist, sondern die Tatsache, dass eine stellvertretende Ressortleiterin bei einem der Aufklärung verbundenen Medium wie dem
Spiegel über so wenig Skepsis, so wenig gesunden Menschenverstand und stattdessen derart verrostete Hirnrisssensoren verfügt, dass sie sich dem lebensgefährlichen Verdünnungsflachsinn eines Homoöpathen auslieferte.

Hat diese Frau das vergangene Jahrhundert, das sie immerhin 41 Jahre lang miterleben durfte, komplett verschlafen? Nur so nämlich ist erklärlich, dass erst unmittelbare Todesgefahr sie vom Glauben an magische Vorstellungen erlöste – und das sogar trotz des tragischen Schicksals einer Freundin, die vergeblich glaubte, ihren Krebs mit Globuli behandeln zu können.

Es ist erschütternd und erschreckend, dass beim
Spiegel Leute von derart treuherziger Naivität beschäftigt sind. Und es es ist erschütternd und selbstzerfleischend, wenn diese Leute ihre treuherzige Naivität auch noch öffentlich darstellen dürfen, ohne dass eine noch höhere interne Instanz sie vor sich selbst und damit den Ruf des Spiegel als der Aufklärung verbundenem Magazin schützt.

Immerhin wissen wir jetzt wenigstens eins: Vom
Spiegel als Hort der Investigation, als Medium der Wahrheitsfindung ist nicht mehr viel übrig. Dort arbeiten Menschen, denen erst mit 41 Grad Fieber in der Klinik allmählich dämmert, dass sie drauf und dran waren, der Scharlatanerie zum Opfer zu fallen. Sie arbeiten nicht beim Goldenen Blatt, nicht bei der Freizeit-Revue – beim Spiegel.

Und statt vor Scham feuerrot anzulaufen und alle Mitwisser zu bitten, diese Peinlichkeit nie, nie, niemals öffentlich werden zu lassen, kriegen sie im
Spiegel ausgiebig Raum, um alles zuzugeben – und nutzen ihn auch noch.

Kurz: Ich will Augstein wieder haben. Oder zur Not auch Aust.

PS: Homöopathiegläubige bitte ich übrigens inständig, von Kommentaren abzusehen – und stattdessen Zuckerkügelchen gegen aufflammende Empörung zu schlucken.


27 Mai 2013

26 Mai 2013

Eine Ratte

Buslinie 25. Am Bahnhof Altona schließt der Fahrer die Tür vor der Nase einer alten Dame, die zunächst verdutzt guckt statt empört.

An der Holstenstraße hingegen hält der Fahrer extra noch mal an, um eine herbeistürzende attraktive 25-Jährige mit Pferdeschwanz noch einsteigen zu lassen.

 

Wenig später, an einer Ampel an der Fruchtallee, läuft plötzlich eine Ratte über die Straße. Der Fahrer schaut sich um zu mir und sagt mehr verdutzt als empört: „Eine Ratte!“

Und was soll ich sagen: Der Mann hat recht.

25 Mai 2013

Auf dem Elbjazzfestvial


Pianomeister Chilly Gonzales bittet vor seinem Auftritt darum, keine Handyaufnahmen zu machen.

Haha – das ist ungefähr so, als würde man von Fischen verlangen, für anderthalb Stunden die Kiemenatmung einzustellen. Es ist 2013, Chilly, der Geist ist aus der Flasche, die Büchse der Pandora steht sperrangelweit offen!

Derweil gibt es Ärger am Eingang der Halle, weil niemand mehr reingelassen wird. In der Tat wirkt die Location, wie wir Medienleute sagen, halbleer; ein Anblick, den die draußen Wartenden mit eskalierendem Unmut quittieren.

Irgendwann schaffen sie es sogar, sich zum Chor zu solidarisieren. Ihr „Wir wollen rein!“ erinnert mich an „Wir sind das Volk!“ von Leipzig, 1989. Und wie damals fällt schließlich auch hier die Mauer, allerdings nur für jeweils so viele, wie die Halle verlassen.

Dazu gehöre auch ich bald. Ich bin leicht verstimmt, weil man mich a) mit Getränkebons versorgt hatte, die man sich b) nun weigert einzulösen.

Na gut, schaue ich mir eben c) die Girls In Airports im Golem gegenüber an – ein Plan, der schnell scheitert, weil nunmehr ich zu jenen gehöre, die wegen „Überfüllung“ oder aus „Sicherheitsgründen“ nicht eingelassen werden. Der Rückweg in die Fischauktionshalle ist nun natürlich ebenfalls versperrt.


Klingt, als sei ich gefangen in the middle of nowhere, doch wir sind hier beim Elbjazzfestival, da geht immer auch noch was anderes. Zum Beispiel ein paar hundert Meter weiter westlich im beeindruckend hohen Atrium des Holzhafens.

Dort spielt d) das wunderbare Don Friedman Trio unter LED-illuminierten Glas- und Klinkerflächen. Und weil der altgediente Klaviervirtuose Friedman von keinem Fisch der Welt verlangen würde, die Kiemenatmung einzustellen, gelingt mir e) ein geometrisches Foto fürs Blog.

Morgen geht das Festival weiter. Mal gespannt, wie viele Leute sich bei The Notwist in der Fischauktionshalle einfinden werden – Anpfiff … äh … Konzertbeginn ist f) (wie Fußball) kurz vorm Champions-League-Finale.

24 Mai 2013

Schlipsbinden leicht gemacht

„Ich bevorzuge ja den doppelten Knoten“, sagt A. lässig, „der ist ganz einfach. Die Falte in der Mitte finde ich dabei besonders elegant.“

Da ich mir gerade einen großen Stapel Seidenschlipse angeschafft habe, bin ich – als Novize bisher nur in zufälligen Ausnahmefällen zu einem maximal einfachen Knoten fähig – höchst neugierig auf sein Herrschaftswissen. Zumal der Satzteil „ganz einfach“ mich elektrisiert.

Ich schlage A. vor, mir das ganz Einfache einfach mal zu zeigen, während ich den Prozess mitfilme. Immer, wenn ich mir hinfort einen doppelten Schlipsknoten binden möchte (obwohl das natürlich ganz einfach ist und ich das im Rahmen meines passablen IQ bestimmt in Nullkommanix gelernt haben werde), habe ich dann den Film als Erinnerungsbackup in der Hinterhand.

Soweit mein Kalkül. Doch A. reagiert auf meinen Vorschlag erstaunlicherweise verhaltener, als ich es mir gewünscht hätte. Statt schneidig „Na klar! Schmeiß die Digimühle an!“ auszurufen, murmelt er etwas von „muss erst mal proben“.

Ich reiche ihm einen meiner zahlreichen Seidenschlipse. „Seide?“, sagt A. und runzelt missbilligend die Stirn. Ich bin verunsichert. Gilt Seide nicht als Königsmaterial der Schlipse?

Nun, einerseits. Anderseits, führt A. fachmännisch aus, rutsche Seide immer so leicht, sie sei gleichsam zu glatt, ja geradezu doppelknotenfeindlich. Da ich aber zufällig gerade keine Krawatte aus grobem Sackleinen verfügbar habe, begnügt er sich grummelnd mit einer aus Seide und verzieht sich in eine entlegene Wohnzimmerecke, um für sich zu proben.

Von dort höre ich ihn von Zeit zu Zeit Dinge murmeln. Es wehen Satzfetzen herüber, so was wie „schon lang nicht mehr gemacht“, „wie ging das noch mal“, auch ein „ich mein, das müsste von unten obendrüber. Oder doch von hinten unten durch?“ vermag ich herauszuhören.

Nach drei Versuchen mit differierender Erfolgsquote mahne ich vorsichtig das Ende der Probenphase an und präsentiere ihm meine gezückte Kamera. Bereit, wenn er es ist. Doch er ist es nicht. „Einer noch“, wimmelt er mich ab und hantiert fahrig an seiner Brust herum.

Zehn Minuten später nähere ich mich ihm erneut, natürlich mit der Demut eines Schülers, der dem Zenmeister ein Stückchen Weisheit ablauschen möchte. Unwirsch bedeutet er mir, mich zu trollen. Auch kaum verhohlene Polemiken gegen den Werkstoff Seide meine ich seiner Suada entnehmen zu können. Doch irgendwann ist es endlich so weit. Ich darf filmen.

Das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen. Finde ich. Gut, das schmale Ende baumelt unten raus, lappt gar übern Gürtel, während die Krawattenspitze hoch unterm Rippenbogen die Aussicht genießt, und ihre Mittenfalte hat durch eine deutliche Verlagerung Richtung Rand einen Großteil ihrer Eleganz eingebüßt.

Doch ich habe zweifellos die technische Ausführung eines Krawattendoppelknotens auf Band und kann jetzt üben.

Ganz einfach. Im Grunde.

PS: Nein, den Lehrfilm werde ich NICHT auf YouTube hochladen. Darüber herrscht zwischen A. und mir eine Art stummes Einverständnis.

22 Mai 2013

Das Geheimnis der Fußleiste

Unser Haus ist deutlich über hundert Jahre alt, und die Fußleisten bestimmt kaum jünger, wenn überhaupt. Beim Renovieren mussten sie nun einmal abgenommen werden.

Dahinter tauchte unversehens ein Stapel handschriftlicher Dokumente auf. Sie waren angesengt, verrußt, von den Zeitläuften deformiert und gewellt. Aufregend!

Ich beugte mich konzentriert über die gestochen scharfe Sütterlinschrift. Allerdings konnte ich kaum etwas entziffern. Nur ein paar Datumsangaben und hie und da ein Wort wie „verwundet“ oder so ähnlich.

Vielleicht stammten die Aufzeichnungen aus einem der beiden Weltkriege. Waren wir etwa auf die echten Hitler-Tagebücher gestoßen? Sollte ich Gerd Heidemann – immerhin wohnt er in Ottensen – um eine Expertise bitten?

Ich beschloss, damit noch zu warten und zunächst meine betagten Eltern zu konsultieren, beide des Sütterlins nicht unkundig. Sie beugten sich interess- und konzentriert über die gestochen scharfe Schrift.

Aus den Bruchstücken, die sie enträtseln konnten, schloss ich indes leicht enttäuscht rück auf eine profane Schularbeit. Vielleicht ein Diktat. Es gab rot angestrichene Wörter und ein Kapitel, das klar lesbar mit „Verbesserung“ überschrieben war.

Eine ausführliche sachkundige Exegese der historischen Artefakte steht allerdings weiter aus, Überraschungen sind also ohne weiteres noch drin. Alles ist möglich!

Wenn der Stern Interesse hat, soll er mir bitte ein Angebot machen.

19 Mai 2013

Fundstücke (173)






















… und wir sind Rechtschreibschwach! Und wir haben trotzdem Bald unsern bachelor!

Entdeckt in der Universitätsstadt (!) Marburg.

15 Mai 2013

Ein Baur zieht nicht ein

Beim Baur-Versand ein Sofa (Beispielfoto) auf Rechnung bestellt.

Nach einigen Tagen kommt eine Mail, in der mir mitgeteilt wird, der Auftrag werde nur dann weiterbearbeitet, wenn ich eine Anzahlung von 120 € leiste. Das Übliche also, wenn man mit der Postleitzahl 20359 geschlagen ist: Keiner traut einem.

Wie, der wohnt auf St. Pauli? OMFG! Halt bloß die Geldbörse fest!

Ich seufze tief, erteile dem Baur-Versand per Mail eine einmalige Einzugsermächtigung über den Gesamtbetrag und wende mich anderen Dingen zu.

Einige Stunden später ruft mich eine Baur-Mitarbeiterin an und teilt mir mit, ein Einzug sei „aus technischen Gründen“ nicht möglich. Ich solle doch am besten den kompletten Auftrag stornieren, eine neue Bestellung des gleichen Inhalts aufgeben und dann …

Kann mir bitte mal einer erklären, warum ich überhaupt auf die Schnapsidee gekommen bin, etwas NICHT bei Amazon zu bestellen?


13 Mai 2013

Wie ich mal Safranbutter kaufen wollte

Die reizende Frau Twelectra hatte uns neulich beim Raclette mit aromatisierten Buttersorten verwöhnt, die es nur bei Lidl gibt, dort aber fatalerweise nur zeitweise verfügbar sind.

Seither schnürte ich ab und zu durch Lidl-Gänge auf der Suche nach Safranbutter, stets erfolglos. Heute erhielt ich eine Twitternachricht von Frau Twelectra, die mich auf eine neue Lieferung aufmerksam machte.

Elektrisiert radelte ich zu Lidl an der Reeperbahn und stürzte mich in den Kühlgang. Allerdings fand ich nirgends Safranbutter. Daraufhin wandte ich mich hilfesuchend an einen dumpf vor sich hin packenden Handelsfachpackergehilfsgehilfen, der mir mit einem „nix verstehen“ zu verstehen zu geben versuchte, für alles mögliche nicht zuständig zu sein, vor allem nicht für Safranbutter.

Ein zweiter Kollege zuckte bräsig mit den Schultern und verwies in ähnlich rumpeligen Worten an die Leute an der Kasse. Inzwischen auf 166 sprach ich eine Frau an, die erstaunlicherweise sogar fähig und willens schien, sich meines Problems anzunehmen.

Ich folgte ihr zum Kühlregal, doch wir fanden auch gemeinsam keine Safranbutter. Daraufhin enteilte sie zwecks Beschaffung eines Wochenprospektes, den sie in meiner Gegenwart von vorne bis hinten und von hinten bis vorne durchblätterte, ohne auch nur einen Hauch Safranbutter entdecken zu können.

Selbstverständlich zweifelte ich während dieser ganzen Phase keine einzige Nanosekunde lang an der Verlässlichkeit von Frau Twelectras Information, schließlich hatte sie diese sogar mit dem oben abgebildeten Beweisfoto untermauert. Nein, der Fehler musste woanders liegen, und zwar bei Lidl.

„Sie können es natürlich auch“, wandte sich die Verkäuferin an mich, „in einer anderen Penny-Filiale versuchen.“

In einer anderen Penny-Filiale …?

Ich stierte sie an, als hätte sie behauptet, der Papst habe auf Fuerteventura mit lauter Ladyboys einen Harem gegründet. Dann sah ich den Prospekt, den sie in der Hand hielt. Ein Penny-Prospekt. Ich war gar nicht bei Lidl.


100 Meter weiter auf der anderen Seite der Reeperbahn, bei Lidl, erwischte ich problemlos ein Päckchen Safranbutter.

Es duftet wunderbar.

10 Mai 2013

Tage des Elends

Was vom Herrentag übrigbleibt, liegt danach gerne mal in der Seilerstraße rum.

Eine Stunde später war die fotografierte Stelle allerdings schon wieder verwaist – wenn man von der langsam trocknenden undefinierbaren Flüssigkeit absah, die breitflächig Richtung Rinnstein rann.

Es sind Tage des Elends, fürwahr. Gestern stand ich am Bahnhof Altona, als ein – wie man so schön sagt – distinguierter Herr um die 70 den Bahnsteig abschritt.

Sein Haar war weiß und schütter, sein Sakko saß gut, er trug einen Regenschirm, Jeans und tadellose Schuhe. So weit, so gut, doch plötzlich war nichts mehr gut.

Denn er beugte sich über den vierlöchrigen Mülleimer, schaute in jede Öffnung, griff hinein, wühlte drin herum, fand nichts und ging zur einfahrenden Bahn, als sei er nichts weiter als ein distinguierter Herr.

Beim Einsteigen bedeutete er höflich einem jüngeren Mann, er möge vor ihm die Bahn betreten, der lehnte ab, bat seinerseits den Herrn, ihm voranzugehen, und der nahm lächelnd an.

Wahrscheinlich stieg er schon an der Holstenstraße wieder aus. Dort gibt es den nächsten Mülleimer.

06 Mai 2013

Die Ausgangssperre kann kommen

Etwas abseits der Weinstraße führten unsere Gastgeber uns zu einem jungen Winzerpaar, mit dem sie befreundet sind.

Dort, in Wachenheim, gibt es keinen rebenumrankten Garten mit Bierbänken und Lampions, es stehen keine pittoresken Eichenfässer an der Einfahrt. Im Hinterhof dagegen trocknen alte Reben (Foto) vor sich hin und still der Grillsaison entgegen.

Die Schmucklosigkeit dieses Gutes, dessen Lagen im Grenzbereich von Rheinhessen und Pfalz angesiedelt sind und das deshalb Weine aus zwei Regionen im Sortiment hat, fällt sofort auf. Es putzt sich nicht heraus, es brüstet sich nicht, alles hier sieht aus nach Mühe, Plage, Arbeit.

So lockt man natürlich keine Touristen oder Verkostungsflaneure an. Das aber hat einen großen Vorteil: ein umwerfendes Preis-/Leistungsverhältnis.

Nehmen wir den köstlichen 2011er Riesling Mölsheimer Zellerweg, dem der rheinhessische Kalksteinboden eine knackige Mineralität mit auf den (hoffentlich kurzen!) Lebensweg gab: Der Wachenheimer Winzer will für die Literflasche dieses Tröpfchens bei Abholung nur 2,90 €! Ich wiederhole: zwei Euro neunzig. Für einen Liter.

Selbst wenn er ihn für vier Euro die Flasche verschicken würde (was er wahrscheinlich nicht mal tut), wäre das immer noch ein Preis, bei dem jedes beliebige Hamburger Restaurant, das noch für die letzte 0,2-Literplörre vierfuffzig haben will, vor Scham dornfelderesk erröten müsste.

Und die vor lauter Dichte geradezu kaubare 2011er Trockenbeerenauslese von der Huxelrebe kostet hier in Wachenheim pro halber Flasche unwiderstehliche 10,50 €. Klar, dass ich mir den Reisekoffer voll machte bis zum Bizepsriss. Und jetzt ist es sogar bereits geschafft, alle Flaschen sind unter Mühen und Ächzen, doch unbeschadet in St. Pauli angelandet. Die Ausgangssperre kann kommen.

Den Namen dieses Weinguts behalte ich aber für mich, sonst kaufen Sie mir noch die ganzen Trockenbeerenauslesen weg, ich kenne Sie doch.

04 Mai 2013

Der hat Humor, der Pfälzer


Während angeblich in Hamburg die Sonne scheinen soll, tapern wir triefend durch die Weingebiete der regennassen Pfalz. Auch Speyer statten wir einen Besuch ab.

Dort zaubern gleich mehrere merkwürdige Schilder (s. Fotos) große Fragezeichen über unsere Köpfe. Unsere Ratlosigkeit sieht ein im Einstein-Look frisierter Speyrer Zausel und kommt – wie es Pfälzer Art ist – eilends herbei.

„Schpresche Se Deutsch?“, fragt er. Wir bejahen. „Verschtehnse dess Schild nett?“, fragt er. Wir bejahen. Und dann erläutert er den auf dem Schlauch stehenden Touristen
mit sischtlischem Vergnügen die hintersinnige Semantik.

Wenn ein Fahrrad also fährt, so dämmert uns unter Pälzer Ägide allmählich, dann ist das Abstellen, was während der Fahrt ja eh nicht möglich wäre, verboten. Sobald es allerdings steht, das Rad, darf es das auch dort tun.

Ein Schild mit der Aufschrift „Fahrrad abstellen erlaubt“ hätte also die gleiche Aussage gehabt. Aber so ist er nun mal nicht gestrickt, der Pfälzer, wenn ich mir diese eigentlich unzulässige Verallgemeinerung erlauben darf.

Auch zum zweiten Schild, dem mit dem Hauseckenverweis, liefert der eifrige Zausel eine weitschweifige Exegese, die ich aber wieder vergessen habe.

Was natürlich auch mit dem abendlichen Besuch des Weinfestes in Haardt zu tun haben könnte, aber wer weiß das schon so genau.



02 Mai 2013

Beinah wollte ich wieder nur helfen

Morgens auf dem Weg zum Brötchenholen sehe ich in einer Parklücke eine junge Frau im kleinen Schwarzen. Um sie herum verstreute Sachen. Ihre Sachen, wie es scheint.

Es liegen da: diverse Kleidungsstücke. Ihre Handtasche. Und der Inhalt ihrer Handtasche. Sie steht mittendrin und bürstet sich wütend die Haare.

Ich spüre den kurzen Impuls, sie zu fragen, ob alles in Ordnung sei, doch sogleich kommt mir ein unschöner Vorfall vom Juni vergangenen Jahres wieder in den Sinn, und ich nehme von jedweder Intervention Abstand.

Als ich vom Brötchenholen zurückkomme, ist die Frau immer noch da, und auch ihre Sachen liegen immer noch auf der Straße herum. Sie dreht sich mehrfach um die eigene Achse, als führe sie einen tribalen Volkstanz auf.

Dann beugt sie sich runter und greift nach einem Stück Stoff. Es ist ihr Slip.

Ich fahre schnell nach Hause. Das Frühstück wartet.



27 April 2013

Ottilie echauffiert sich

Alle paar Monate ruft mich eine ältere Dame namens Ottilie auf dem Handy „zurück“, weil ich sie angeblich angerufen hätte.

Sie verlangt dann mit Berliner oder Brandenburger Zungenschlag eine gewisse Katharina Wagner zu sprechen, mit der ich allerdings trotz des geteilten Nachnamens nicht aufwarten kann.

Ottilie ist immer sehr aufgeregt, sie versteht schon nach wenigen Sekunden die Welt nicht mehr und verlangt immer ultimativer, Katharina Wagner ans Telefon zu holen. Beim letzten Mal drohte sie mir sogar mit der Polizei.

Während des zweiten Telefonats mit ihr, es muss im Februar gewesen sein, gelang es mir immerhin in mühsamer rhetorischer Kleinarbeit, ihr die Telefonnummer zu entlocken, von der aus ich sie angeblich öfter anrufe. Und siehe da: Es ist eine Internetnummer mit Hamburger Vorwahl, die ich mir mal beim Anbieter Sipgate zugelegt habe.

Meine Fritzbox habe ich so eingerichtet, dass sie auf dieser Sipgate-Nummer eingehende Anrufe automatisch auf mein iPhone weiterleitet – ein kleiner Trick, der dem Anrufer Kosten spart. Gedacht war diese Nummer für meine Mutter, die über keinen Pauschaltarif verfügt. Auf der ganzen weiten Welt ist sie deshalb die einzige, die diese Nummer kennt.

Und Ottilie natürlich.

Wer die Gute allerdings von dieser Nummer aus angerufen hat, ohne dass ich als Anschlussinhaber dabei meine Finger im Spiel habe, ist mir schleierhaft. Ottilie geht es genauso, doch das ist ihr kreuzegal. Sie will nun mal Katharina Wagner sprechen, jeder Einwand ist zwecklos, vor allem und gerade, wenn er von mir kommt. Schließlich habe ich mich im Lauf des zurückliegenden Vierteljahres in ihren Augen mit meiner störrischen Haltung komplett disqualifiziert.

Dass ich im Verlauf unserer stets sehr munteren Gespräche manchmal ein Glucksen nicht unterdrücken kann, verbessert die emotionale Gesamtsituation nicht unbedingt. Bislang konnte ich zudem kaum Details von Ottilies Gesamtproblematik in Erfahrung bringen, denn eine strukturierte Darlegung komplexer Sachverhalte ist ihr fremd.

Sie vermag dieses Manko allerdings mühelos auszugleichen mit einem übergroßen Maß an Echauffage. Ihre Empörung ist dabei mit einer stark vorwurfsvollen Haltung mir gegenüber verbunden, und das schmerzt. Ich fühle mich nämlich unschuldig, komplett unschuldig.

„Ja, hören Se mal, dit is ja eene eenzije Abzogge!“, hub Ottilie heute Nachmittag hocherregt an, als ich ihr eröffnete, Katharina Wagner leider nicht ans Telefon holen zu können.

„Ne eenzije Abzogge!“, schimpfte sie, „dit hat mir ooch die Polizei schon jesacht! Und der Herr Koch ooch! Aber mit uns alte Leute könnses ja machen! Jrade wenn wir aus der ejemalijen DDR kommen!“

Wer ist denn jetzt Herr Koch … ? Ich glaube, ich lege mir eine neue Sipgate-Nummer zu. Oder eine Katharina Wagner.


24 April 2013

Wie der FC Bayern den Frikadellenabsatz fördert

Wenn man unvorsichtigerweise den Franken zum Fußballgucken eingeladen hat, müsste man eigentlich vorher bei allen Nachbarn klingeln und sie mental einstimmen auf Schalleruptionen, die sonst nur unter  Gorillas in der Brunft verbreitet sind.

Wenn dann auch noch sein Verein, der FC Bayern, Messi viernull weghaut, sollte zur Sicherheit aller Be- und Anwohner unbedingt ein Statiker anwesend sein.

War aber nicht.

Trotzdem wurden wir heute vom Hauseigentümer nicht spontan entmietet, und das liegt an zweierlei:

1. Des Franken Stimme verabschiedete sich zum Glück im Lauf der zweiten Halbzeit in etwas vergleichsweise angenehm Röchelhaftes, wodurch die sonische Belastung des Viertels erheblich gemindert wurde.

2. Er und Kramer sprachen hochgestimmt und zunehmend herzhaft – vulgo: bis zur Neige – dem Mirabellenwasser zu. Das hatte einen deutlich kalmierenden Effekt. Auf alles.

Heute Morgen sah ich den Franken im Büro wieder. Er saß matt am Schreibtisch und murmelte was von „brauche Frikadellenbrötchen“. Dann schlurfte er tatsächlich los und besorgte sich welche, um halb zehn in der Früh.

Wenig später stand der Verzehr der Frikadellenbrötchen unmittelbar bevor – ein Ereignis, welches mitzuerleben ich tunlichst vermied, nicht nur aus optischen, auch aus olfaktorischen Gründen.

Zum Rückspiel werde ich übrigens beim Franken in Eimsbüttel zu Gast sein. Die Seilerstraße (Beispielfoto) kann aufatmen – und die Ohrstöpsel rausnehmen.


20 April 2013

Pareidolie (59): A-H …!

Mal ehrlich: Erinnert Sie das Ende dieses mastartigen Gebildes mit seinem (wenn auch etwas verrutschten) Schnauzbart nicht auch an einen gewissen Völkermörder, der heute zum Glück schon seit 68 Jahren seinen Geburtstag nicht mehr feiern kann?

Mich auf jeden Fall, daran ändern auch die Pippi-Langstrumpf-artigen Zöpfe nichts. Und das Blöde daran: Er ragt vor meinem Ottenser Bürofenster hoch und lugt mir tagein, tagaus auf die Tastatur.

Wenn ich wenigstens die Funktion dieses Dings begriffe, wäre mir schon wohler. Aufklärung bitte in den Kommentaren, danke.

PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.

19 April 2013

Acht Jahre bis zum Boss

Zwei historische Ereignisse waren entscheidend dafür, dass ich just heute in Hosseinis Stellinger Änderungsschneiderei vor einem Spiegel stand und sich mir ein kleiner Afghane mit einem vollbestückten Nadelkissen näherte.

Eins dieser beiden Ereignisse geschah 1991. Damals entschloss sich der US-amerikanische Autor Bret Easton Ellis, einen Roman namens „American Psycho“ zu schreiben.

Das hätte aber noch nicht gereicht für meinen heutigen Auftritt vor Hosseinis Spiegel in Stellingen. Hinzukommen musste – neben der unabdingbaren Erfindung des Internets 1969, die ich aber jetzt mal besser nicht mitzähle, sonst lande ich irgendwann noch beim Urknall –, hinzukommen musste 14 Jahre später Ereignis Nummer zwei: meine Entdeckung des Blogs Lyssas Lounge.

Ellis’ Roman löste vor 22 Jahren bei einem österreichischstämmigen Hamburger einen bis heute anhaltenden Fetisch für Herrenmode aus – und Lyssas lesenswerte Schreibe bei mir das Bedürfnis, selber das Bloggen anzufangen.

Dem österreichischstämmigen Hamburger gefiel, was er ab 2005 hier, auf der Rückseite der Reeperbahn, zu lesen bekam, weshalb er den Kontakt suchte. Nach anfänglichem Fremdeln wurde daraus Freundschaft, doch erst acht lange Jahre später – nämlich neulich – infizierte er mich (endlich) mit seiner Manie für hochwertige Herrenmode, als er mir notorischem Sparfuchs riet, mich doch mal auf Ebay nach all diesen Schurwollpreziosen umzuschauen.

Dort nämlich, raunte er, müsse man nicht etwa die üblichen vier-, sondern mit etwas Glück nur zweistellige Beträge für gebrauchte Spitzenware zahlen.

Was soll ich sagen: Der Mann hat recht. Und deshalb stand ich heute in Stellingen vor einem Spiegel, während mir ein kleiner Afghane Nadeln in den Hugo-Boss-Selection-Anzug steckte und ich von hinten German Psycho sagen hörte: „Die Ärmel müssen aber noch etwas kürzer.“

Ohne Bret Easton Ellis wäre das alles niemals passiert. Ohne Lyssa auch nicht. Und natürlich auch nicht ohne den Urknall.