Es ist 2.13 Uhr in der Früh, und von draußen dringt enervierend rhythmisches Hupen durch die Fenster, obwohl sie schallisoliert sind. Eine Alarmanlage, natürlich.
Der Blick vom Balkon identifiziert den Schuldigen. Es handelt sich um einen silbernen Sportwagen Marke Ludenglück, mit haifischartigen Kiemenapplikationen an den Seiten und so tiefgelegt, dass du dafür einen Tauch- statt Führerschein brauchst.
Der Silberling trötet und blinkt wie von Sinnen, doch weit und breit ist kein Autoknacker zu sehen. Nur drinnen rührt sich was, das ist von oben durch die Windschutzscheibe deutlich zu sehen. Man sieht eine Hand, Stoff bewegt sich.
Plötzlich verstummt der Alarm. Dann geht er wieder los. Und verstummt wieder. Noch während ich unschlüssig überlege, ob ich wieder mal bei der Davidwache anklingeln soll, öffnet sich die Beifahrertür und eine junge Frau steigt aus.
Im Halbdunkel der Kieznacht ist sie nicht richtig zu erkennen, doch ihre Figur ist eindeutig Marke Ludenglück und ihr Minirock derart hochgerutscht, dass ich automatisch wieder durch die Scheibe linse, um eventuelle weitere Insassen, die möglicherweise für die Derangiertheit der Dame mitverantwortlich sind, erspähen zu können.
Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Der Rock muss ohne Fremdeinwirkung hochgerutscht sein. Jetzt zieht sie ihn runter, ob seiner Passgenauigkeit mit einer gewissen Anstrengung.
Sie wirft die Tür zu, zwei Versuche braucht sie dafür. Dann geht sie los mit geradezu schnippischem Schritt – und generiert damit einen erneuten Proteststurm des Sportwagens, optisch wie akustisch.
Sie bleibt stehen, stampft mit dem rechten Pumps empört auf den Seilerstraßenbürgersteigbeton und kreischt in einem hochfrequenten Mix aus Verzweiflung und Empörung: „Stilllll!“
Augenblicklich ersterben Lärm und Licht. Dann stöckelt sie endgültig davon, und der Wagen bleibt stumm für den Rest der Nacht, vielleicht für immer.
„3000 Plattenkritiken“ | „Die Frankensaga – Vollfettstufe“ | RSS-Feed | In memoriam | mattwagner {at} web.de |
06 Dezember 2009
Eine kam durch (und davon)
Tauben sind die populärsten Tiere hier auf der Rückseite der Reeperbahn. Allerdings aus den falschen Gründen. Denn es ist echt zum Milbenmelken: Schon wieder schaffte es eine Taube auf unseren vollvernetzten, inzwischen gar mit Drähten gesicherten, kurz: zur quasi uneinnehmbaren Trutzburg ausgebauten Balkon. Den Horden Dschingis Khans hätte er gewiss mondelang widerstanden, doch leider nicht den hiesigen Luftratten. Zumindest einer nicht.
Die verlustigte sich hier nun fröhlich flatternd und stürzte sich immer wieder kopfüber und krallenvoran ins Netz juchhe, während ihre Gang draußen auf dem Baum saß und Haltungsnoten vergab.
Eine selbstverständlich untragbare Situation. Doch diesmal war kein Profivergrämer mehr nötig, oh nein. Es war klar, was zu tun war.
Ich suchte mir die älteste, fleckigste, gelbste Pannesamtdecke aus den niedersten Niederungen meines geerbten 19.-Jahrhundert-Steckschranks und betrat den Balkon wie Django, nur halt ohne Sarg und Knarre. Aber mit Pannesamtdecke.
Das Tier wusste augenblicklich, was auf es zukam, und nahm die Herausforderung an.
Es folgte eine wilde Jagd auf engstem Raum, die darin bestand, dass ich ein ums andere Mal den Samt durch die Gegend warf wie Lucky Luke sein Lasso, nur mangels Übung ohne dessen Treffsicherheit. Die Taube entkam gewiss ein Dutzend mal. Doch dann war es soweit: Die Decke begrub den Vogel unter sich – was ihn erstaunlicherweise sofort in eine für mich höchst kommode Duldungsstarre versetzte.
Warum wehrte er sich nicht mehr – war es Erschöpfung? Taktik? Einsicht gar? Wie auch immer: Ich konnte ihn packen, mitsamt Decke auf den unbefestigten und dennoch von Tauben komplett verschmähten Südbalkon tragen und dort aus dem Samt schütteln.
Auf dem Weg durch den Flur war nur kurz der Gedanke an einen leckeren Taubenbraten aufgeflammt. Doch wenn man gerade keinen Metzger zur Hand hat, sind die sich abzeichnenden Begleitumstände seiner Herstellung doch recht unappetitlich. So nahm ich Abstand.
Stattdessen delektierten wir uns später an Rotbarsch.
War wohl eine Art Übersprungshandlung.
05 Dezember 2009
Fundstücke (62): Lose Zusammengekehrtes
Neulich bewarb sich ein freier Autor bei mir. Seine Fähigkeiten als Sprachästhet versuchte er per Mail mit folgendem Wortquas herauszustellen:
„Hiermit generiere ich Ihnen Abdruckrechte zur Berichterstattung meines Interviews.“
Das war natürlich zum Davonlaufen (Beispielfoto, mit den Beinen von Ms. Columbo), und eigentlich sollte in einem solchen Fall die goldene Regel gelten: Nicht mal ignorieren. Das tat ich dann auch.
Ungefähr am gleichen Tag beteiligte sich eine weitere Combo am so berüchtigten wie bockelharten Wettbewerb um den ekligsten Bandnamen der Welt. Sie hofft auf eine Weltkarriere mit dem Einfall The toten Crackhuren Im Kofferraum. Die Chancen sind m. E. eher gemischt.
Dazu passt ein ganz bisschen ein Flohmarktdialog, den ich unlängst auf dem Schlachthofgelände genießen durfte.
Händler: „Wie kann ich Ihnen helfen?“
Kunde (vergnügt): „Mir ist nicht mehr zu helfen. Sagt meine Frau.“
„Hiermit generiere ich Ihnen Abdruckrechte zur Berichterstattung meines Interviews.“
Das war natürlich zum Davonlaufen (Beispielfoto, mit den Beinen von Ms. Columbo), und eigentlich sollte in einem solchen Fall die goldene Regel gelten: Nicht mal ignorieren. Das tat ich dann auch.
Ungefähr am gleichen Tag beteiligte sich eine weitere Combo am so berüchtigten wie bockelharten Wettbewerb um den ekligsten Bandnamen der Welt. Sie hofft auf eine Weltkarriere mit dem Einfall The toten Crackhuren Im Kofferraum. Die Chancen sind m. E. eher gemischt.
Dazu passt ein ganz bisschen ein Flohmarktdialog, den ich unlängst auf dem Schlachthofgelände genießen durfte.
Händler: „Wie kann ich Ihnen helfen?“
Kunde (vergnügt): „Mir ist nicht mehr zu helfen. Sagt meine Frau.“
03 Dezember 2009
02 Dezember 2009
Pfannkuchen!
Paul McCartney wunderte sich ziemlich darüber, beim Betreten der Bühne der Color Line Arena ausgepfiffen zu werden. Doch sein Publikum – darunter viele Leute, die ihn schon im Starclub live gesehen haben könnten – war heute Abend einfach nicht mehr jung und tolerant genug, um ihm die fast anderthalbstündige Konzertverspätung nachzusehen. Auch bei mir wollte das „OmfG: Ich bin in einem Raum mit einem BEATLE!“-Gefühl nicht aufkommen.
Nach einer Stunde abgeschmackten Heavyrocks legte McCartney dann ein hübsches akustisches Intermezzo ein, inklusive „Blackbird“. Der unterhaltsamste Moment war aber der, als er ohne jede kontextuelle Einbindung unvermittelt „Spiegelei auf Toast!“ sagte. Und direkt danach „Pfannkuchen!“.
Und warum? Weil er es kann. Auch nach 49 Jahren noch.
Schtand licht hat viele Vorteile
Der Fahrradladen meines bedingungslosen Vertrauens kam hier im Blog schon mal vor, und zwar auf etwas delikate Weise.
Nach einem mehrmonatigen Interimsdomizil in der Clemens-Schultz-Straße ist er vor einiger Zeit wieder zurückgezogen in sein Stammhaus in der Talstraße, und ebendort wurde ich heute mal wieder erzwungenermaßen und dennoch freudig vorstellig. Nach meinem dilettantischen Versuch nämlich, die hintere Lampe zu reparieren, ging nun auch die vordere nicht mehr. Irgendetwas Rumpeldummes hatte ich mit den Kabeln angestellt, mir passiert so was immer.
Eine komplett defekte Belichtungsanlage ist dummerweise ein Manko, welches die Hamburger Polizei derzeit mit einer Gnadenlosigkeit verfolgt, die an die damalige Fahndung nach Albaner-Willi erinnert. Deshalb musste ich in den Fahrradladen.
Als ich dort meinen Anteil am Problem beschönigungslos geschildert hatte, kümmerte sich sogleich der Chef um mich. Er ist ein kleiner gedrungener Mann mit gemütlicher Frontwölbung, der stets schüchtern lächelt und so eine grundsympathische Melancholie verströmt. Da die augenblicklich in Angriff genommene Reparatur etwas länger dauerte, konnte ich mich umsehen.
Erstmals in meiner langen Karriere als Ladenbesucher nahm ich die Ausstattungsmerkmale der Fahrräder auf den angehefteten gelben Zetteln in Augenschein. Ein hochinteressantes Studienobjekt. Sie sind per Hand beschriftet, wahrscheinlich vom Chef persönlich.
Da gibt es zum Beispiel ein „Renrad“ mit beeindruckender „Rahmen grose“. Viele Modelle verfügen lobenswerterweise über eine „Rücktred Brems“, was ich aus Sicherheitsgründen unterstützenswert finde.
Und hätte ich just ein paar Euro mehr zur Hand gehabt, wäre es gewiss eine Überlegung wert gewesen, Ms. Columbos allzu schmalen Fahrzeugpark um das ausgelobte Damenrad mit „schtand licht“ und „und plad bare Reifen“ zu erweitern. Zumal es über „3 gönge“ verfügte, wenn auch nicht über „Bremz scheiben“.
Inzwischen war Cheffe fertig, er hatte meinem Fahrrad hinten ein „schtand licht“ montiert. „Mit LED“, sagte er stolz und melancholisch, „die lade auf, wenn trede. Un brenne weider an Ampel.“
Genauso muss es sein. Hoffentlich geht bald wieder was kaputt an meinem Rad.
01 Dezember 2009
Effizienz am Arbeitsplatz
Matt: (stellt der vermeintlich zuständigen Mitarbeiterin das defekte Homehandy auf den Tisch): „Putt.“
Vermeintlich zuständige Mitarbeiterin: „Sarah.“
Matt: „Ist nicht da.“
Vermeintlich zuständige Mitarbeiterin (nimmt Telefon, drückt ein paar Tasten, es funktioniert sofort wieder): „Da.“
Matt: „Wtf?”
Vermeintlich zuständige Mitarbeiterin: „Vorführeffekt.“
Matt (geht. Kann ab sofort wieder angerufen werden.)
Vermeintlich zuständige Mitarbeiterin: „Sarah.“
Matt: „Ist nicht da.“
Vermeintlich zuständige Mitarbeiterin (nimmt Telefon, drückt ein paar Tasten, es funktioniert sofort wieder): „Da.“
Matt: „Wtf?”
Vermeintlich zuständige Mitarbeiterin: „Vorführeffekt.“
Matt (geht. Kann ab sofort wieder angerufen werden.)
30 November 2009
Echt dufte
Blogleserin Susanne betreibt einen Parfümladen in Halle und hat sich entschieden, drei Prozent ihres Gesamtumsatzes im November und Dezember an die Deutsche Kinderkrebsstiftung zu spenden.
Das ist natürlich klasse, doch weshalb sie sich mit der Bitte um Erwähnung dieser Aktion ausgerechnet an mich wendet, war mir zunächst schleierhaft. Dann dämmerte mir aber, dass es bestimmt mit der Fülle ofaktorisch bedenklicher Beiträge wie diesem zusammenhängt.
Warum sie aber glaubt, dieses kleine Kiezblog würde außer ihr noch von irgendeinem weiteren Hallenser (Hallener? Haller? Hallo?) gelesen – was ja erst die Grundlage für einen gleichwohl höchst unwahrscheinlichen Werbeeffekt wäre –, bleibt mir auch nach längerem Grübeln unklar.
(Eigentlich müsste ich diesen Beitrag von der Steuer absetzen können. Leider hat er keine Kosten verursacht.)
Das ist natürlich klasse, doch weshalb sie sich mit der Bitte um Erwähnung dieser Aktion ausgerechnet an mich wendet, war mir zunächst schleierhaft. Dann dämmerte mir aber, dass es bestimmt mit der Fülle ofaktorisch bedenklicher Beiträge wie diesem zusammenhängt.
Warum sie aber glaubt, dieses kleine Kiezblog würde außer ihr noch von irgendeinem weiteren Hallenser (Hallener? Haller? Hallo?) gelesen – was ja erst die Grundlage für einen gleichwohl höchst unwahrscheinlichen Werbeeffekt wäre –, bleibt mir auch nach längerem Grübeln unklar.
(Eigentlich müsste ich diesen Beitrag von der Steuer absetzen können. Leider hat er keine Kosten verursacht.)
29 November 2009
Nichts wie raus
Die beiden jungen Blondinen, die kurz nach Mitternacht in Altona unseren S-Bahnwagen betraten, lachten und scherzten. Zwei fröhliche Teenager auf dem Weg in die Nacht.
Es war keineswesgs abzusehen, dass eine der beiden sich unmittelbar vor Erreichen der Station Reeperbahn exorbitant erbrechen würde, und zwar in mehreren kräftigen Schüben, die gelbrot und lautstark auf den Boden pladderten.
Noch während dies in unserer unmittelbaren Nähe geschah, hielt die Bahn, und selten zuvor in unserer HVV-Geschichte war das Aussteigen von einem derartigen Gefühl der Erleichterung geprägt wie diesmal.
Mein Mitgefühl galt den uns entgegenbrandenden Massen, die nun nichtsahnend hineindrängten. Ihr Schicksal war besiegelt, daran war nichts mehr zu ändern.
Die beiden Kreuztaler Anwälte haben mit dieser ganzen Geschichte übrigens nicht das Geringste zu tun.
Es war keineswesgs abzusehen, dass eine der beiden sich unmittelbar vor Erreichen der Station Reeperbahn exorbitant erbrechen würde, und zwar in mehreren kräftigen Schüben, die gelbrot und lautstark auf den Boden pladderten.
Noch während dies in unserer unmittelbaren Nähe geschah, hielt die Bahn, und selten zuvor in unserer HVV-Geschichte war das Aussteigen von einem derartigen Gefühl der Erleichterung geprägt wie diesmal.
Mein Mitgefühl galt den uns entgegenbrandenden Massen, die nun nichtsahnend hineindrängten. Ihr Schicksal war besiegelt, daran war nichts mehr zu ändern.
Die beiden Kreuztaler Anwälte haben mit dieser ganzen Geschichte übrigens nicht das Geringste zu tun.
28 November 2009
Die falsche Schlange
Aldi im Brauquartier (Foto), an einem nassen dunklen Novemberfreitag. In der einzigen Kassenschlange nehme ich eine mittlere Position ein.
Schräg neben mich gesellt sich plötzlich ein grobschlächtig wirkender Narben- und Mützenträger mit einem Sechserpack Holsten im Arm. Klar, er will reingelassen werden, doch wenn er nicht fragt, kriegt er auch keine Antwort. So ist das.
Außerdem – und da ist geradezu der Kategorische Imperativ voll auf meiner Seite – darf man keinesfalls einen Menschen in mittlerer Schlangenposition als ersten ums Vorlassen ersuchen, sondern muss fairerweise hinten anfangen.
Schließlich kann niemand, der bereits ansteht, das Einverständnis jedes Einzelnen hinter sich voraussetzen – und das wäre unbedingt erforderlich, denn der Holsten-, Narben- und Mützenträger scherte ja nicht nur vor mir ein, sondern auch vor allen anderen dahinter.
Wie auch immer: Ich ignoriere den Mann und rücke ungerührt und schweigsam vor. Er nutzt allerdings die sich dadurch kurz öffnende Lücke, um sich wortlos hinter mir in die Schlange zu mogeln. Keiner sagt was. Präadventsdumpfheit.
Die Schlange ist inzwischen so lang wie ein Reisebus. Endlich bequemt sich Aldi, das Öffnen einer weiteren Kasse per Klingelzeichen anzukündigen. „Das wurde aber auch Zeit, dass es hier mal klingelt!“, blökt der Holstenmann hinter mir. Keiner sagt was.
Jetzt kommt der neue Kassierer, und vor und hinter mir stürzen sie alle ans frisch eröffnete Förderband. Mister Undgeduld ist nun Nummer 4 in der neuen Schlange, ich in meiner Nummer 6.
Doch es flutscht außergewöhnlich prächtig, mein Kassierer ist ein echtes As, eine Art Ribéry des Warenscanners, ich schiebe mich praktisch kontinuierlich vor und bin auf einmal auch schon dran. Als ich alles in den Wagen geräumt habe, linse ich hinüber zur anderen Schlange. Die Kasse ist schon wieder verwaist, es gab wohl ein Problem, ein technisches wahrscheinlich, so ist das ja meistens.
Der Grobschlächtige jedenfalls ist die kochende Nummer 3. Er hat also nur eine Position gutgemacht, ich fünf. Jetzt steht er da neben seinem Sechserpack und schüttelt bitter lächelnd den Kopf, seine Augen sind geschlossen.
Ich weiß, es ist nicht gerade ein weihnachtliches Gefühl und es wirft kein gutes Licht aufs Niveau meiner sittlich-moralischen Grundausstattung, doch ich lasse es einfach stillvergnügt zu, dieses kleine Bisschen Häme.
Zumal der Holstenmann sich noch nicht mal zum Trost an einer Flasche laben kann – er hat sie ja noch nicht bezahlt.
Schräg neben mich gesellt sich plötzlich ein grobschlächtig wirkender Narben- und Mützenträger mit einem Sechserpack Holsten im Arm. Klar, er will reingelassen werden, doch wenn er nicht fragt, kriegt er auch keine Antwort. So ist das.
Außerdem – und da ist geradezu der Kategorische Imperativ voll auf meiner Seite – darf man keinesfalls einen Menschen in mittlerer Schlangenposition als ersten ums Vorlassen ersuchen, sondern muss fairerweise hinten anfangen.
Schließlich kann niemand, der bereits ansteht, das Einverständnis jedes Einzelnen hinter sich voraussetzen – und das wäre unbedingt erforderlich, denn der Holsten-, Narben- und Mützenträger scherte ja nicht nur vor mir ein, sondern auch vor allen anderen dahinter.
Wie auch immer: Ich ignoriere den Mann und rücke ungerührt und schweigsam vor. Er nutzt allerdings die sich dadurch kurz öffnende Lücke, um sich wortlos hinter mir in die Schlange zu mogeln. Keiner sagt was. Präadventsdumpfheit.
Die Schlange ist inzwischen so lang wie ein Reisebus. Endlich bequemt sich Aldi, das Öffnen einer weiteren Kasse per Klingelzeichen anzukündigen. „Das wurde aber auch Zeit, dass es hier mal klingelt!“, blökt der Holstenmann hinter mir. Keiner sagt was.
Jetzt kommt der neue Kassierer, und vor und hinter mir stürzen sie alle ans frisch eröffnete Förderband. Mister Undgeduld ist nun Nummer 4 in der neuen Schlange, ich in meiner Nummer 6.
Doch es flutscht außergewöhnlich prächtig, mein Kassierer ist ein echtes As, eine Art Ribéry des Warenscanners, ich schiebe mich praktisch kontinuierlich vor und bin auf einmal auch schon dran. Als ich alles in den Wagen geräumt habe, linse ich hinüber zur anderen Schlange. Die Kasse ist schon wieder verwaist, es gab wohl ein Problem, ein technisches wahrscheinlich, so ist das ja meistens.
Der Grobschlächtige jedenfalls ist die kochende Nummer 3. Er hat also nur eine Position gutgemacht, ich fünf. Jetzt steht er da neben seinem Sechserpack und schüttelt bitter lächelnd den Kopf, seine Augen sind geschlossen.
Ich weiß, es ist nicht gerade ein weihnachtliches Gefühl und es wirft kein gutes Licht aufs Niveau meiner sittlich-moralischen Grundausstattung, doch ich lasse es einfach stillvergnügt zu, dieses kleine Bisschen Häme.
Zumal der Holstenmann sich noch nicht mal zum Trost an einer Flasche laben kann – er hat sie ja noch nicht bezahlt.
26 November 2009
Ein salomonisches Stöckchen
Eigentlich wollte ich hier und jetzt demonstrativ genervt aufstöhnen, weil es die unverschämte Sinnsphäre gewagt hat, mir eins jener unseligen Stöckchen zuzuwerfen, die eigentlich längst von der Genfer Konvention geächtet wurden.
Ich bin doch kein Dackel!, wollte ich ihm bereits aufgebracht entgegenschleudern, war aber davon sediert, dass er im Zusammenhang mit mir das Adjektiv „genial“ gebrauchte, und wer kann sich dagegen schon wehren?
Allerdings ist das Aufnehmen eines Stöckchen mit Arbeit verbunden, und als jemand, der die Bequemlichkeit weit mehr schätzt als den Schweiß, läge mir kaum etwas ferner. Dass ich es dennoch aufnehme, liegt aber nur zum Teil an der Schmeichelei.
Nein, der entscheidende Grund ist der, dass ich im Grunde die mir auferlegte Arbeit schon längst getan habe, nämlich im Rahmen dieses Interviews.
Eine salomonische Lösung – zumal ich das unlängst in Wien geknipste Foto in einem inhaltlich gerechtfertigten Zusammenhang endlich verbloggen kann.
So ist allen geholfen.
25 November 2009
In Wind, Wetter und aller Ruhe
Es gibt kaum einen lächerlicheren Anblick als Menschen, die mit aufgespanntem Schirm Fahrrad fahren.
Einhändig karriolte heute ein älterer Herr dergestalt die Straße lang, während der hanseatische Sprühregen ihn gleichwohl von allen Seiten einnässte, und zwar hämisch.
Menschen, die mit aufgespanntem Schirm Fahrrad fahren, müssen Zugezogene sein. Hamburger tun so etwas nicht. Hamburger ziehen sich einfach wetteradäquat an, in jeder Situation, auch und vor allem, wenn sie Fahrrad fahren wollen.
Andererseits kann nicht jeder Dödel, der bei Sturm mit offenem Schirm die Straße betritt, ein Zugezogener sein. Dafür sieht man zu viele dieser hilflosen Trottel mit wild um sich schlagenden Schirmen ringen, und dafür liegen dieser Tage viel zu viele logischerweise zerfetzte Schirme im Rinnstein.
Doch es geht auch anders. Heute Abend sah ich auf der Reeperbahn einen Radfahrer im hochgeschlagenen Trenchcoat, der hielt kurz an, um sich in Wind, Wetter und aller Ruhe eine Pfeife anzuzünden, statt einen Schirm aufzuspannen. Dann radelte er weiter, kleine Rauchwolken in die Kieznacht pustend wie Emma, die Lok von Jim Knopf.
Ich werde es zwar nie beweisen können, aber das war mit Sicherheit kein Zugezogener.
Einhändig karriolte heute ein älterer Herr dergestalt die Straße lang, während der hanseatische Sprühregen ihn gleichwohl von allen Seiten einnässte, und zwar hämisch.
Menschen, die mit aufgespanntem Schirm Fahrrad fahren, müssen Zugezogene sein. Hamburger tun so etwas nicht. Hamburger ziehen sich einfach wetteradäquat an, in jeder Situation, auch und vor allem, wenn sie Fahrrad fahren wollen.
Andererseits kann nicht jeder Dödel, der bei Sturm mit offenem Schirm die Straße betritt, ein Zugezogener sein. Dafür sieht man zu viele dieser hilflosen Trottel mit wild um sich schlagenden Schirmen ringen, und dafür liegen dieser Tage viel zu viele logischerweise zerfetzte Schirme im Rinnstein.
Doch es geht auch anders. Heute Abend sah ich auf der Reeperbahn einen Radfahrer im hochgeschlagenen Trenchcoat, der hielt kurz an, um sich in Wind, Wetter und aller Ruhe eine Pfeife anzuzünden, statt einen Schirm aufzuspannen. Dann radelte er weiter, kleine Rauchwolken in die Kieznacht pustend wie Emma, die Lok von Jim Knopf.
Ich werde es zwar nie beweisen können, aber das war mit Sicherheit kein Zugezogener.
23 November 2009
Saugen für die Wissenschaft
Wie langjährige Besucher der Rückseite der Reeperbahn wissen, wirke ich als Lenker meines Staubsaugers nicht immer segensreich und oftmals nur vage handbuchkompatibel.
Zum Beispiel gelang es mir beim Reinigen des Multifunktionsgerätes im Büro schon einmal versehentlich, ein bis heute unbekannt gebliebenes Schreiben an eine bis heute unbekannt gebliebene Frankfurter Nummer zu faxen.
Heute hingegen saugte ich turnusmäßig die Tastatur meines MacBook Pro und generierte nebenbei unverhofft ein munter aufploppendes Dialogfensterchen, das mich fragte, ob ich das sogenannte „Caret Browsing“ einschalten wolle.
Caret Browsing? Nie gehört. Wie jeder getriebene Forscher seit Galilei entschloss ich mich gleichwohl zum Einschalten, und siehe da: Caret Browsing entpuppte sich als recht nützliches Feature, das ich hinfort nicht mehr missen möchte – und alles nur, weil ich es unerschrocken wage, mit der brachialen mechanischen Urgewalt eines Staubsaugers besinnungslos und blind in die Welt des Digitalen vorzustoßen.
Auf ähnliche Weise sind wahrscheinlich auch das Penicillin, die Spaltbarkeit des Atoms und Amerika entdeckt worden. Um mir die okkulten Tiefen aller Programme des MacBook Pro erschließen zu können, müsste ich allerdings noch einige Äonen lang weitersaugen.
Aber soooo dreckig ist es auf der Rückseite der Reeperbahn nun auch wieder nicht.
P.S.: Eigentlich hätte ich im obigen Text die Tätigkeit des Staubsaugens gern als Blowjob minus Sex bezeichnet, doch das wäre mir im Kontext dieses Blogs doch etwas zu gewollt vorgekommen. Also habe ich es gelassen, und zwar komplett.
Zum Beispiel gelang es mir beim Reinigen des Multifunktionsgerätes im Büro schon einmal versehentlich, ein bis heute unbekannt gebliebenes Schreiben an eine bis heute unbekannt gebliebene Frankfurter Nummer zu faxen.
Heute hingegen saugte ich turnusmäßig die Tastatur meines MacBook Pro und generierte nebenbei unverhofft ein munter aufploppendes Dialogfensterchen, das mich fragte, ob ich das sogenannte „Caret Browsing“ einschalten wolle.
Caret Browsing? Nie gehört. Wie jeder getriebene Forscher seit Galilei entschloss ich mich gleichwohl zum Einschalten, und siehe da: Caret Browsing entpuppte sich als recht nützliches Feature, das ich hinfort nicht mehr missen möchte – und alles nur, weil ich es unerschrocken wage, mit der brachialen mechanischen Urgewalt eines Staubsaugers besinnungslos und blind in die Welt des Digitalen vorzustoßen.
Auf ähnliche Weise sind wahrscheinlich auch das Penicillin, die Spaltbarkeit des Atoms und Amerika entdeckt worden. Um mir die okkulten Tiefen aller Programme des MacBook Pro erschließen zu können, müsste ich allerdings noch einige Äonen lang weitersaugen.
Aber soooo dreckig ist es auf der Rückseite der Reeperbahn nun auch wieder nicht.
P.S.: Eigentlich hätte ich im obigen Text die Tätigkeit des Staubsaugens gern als Blowjob minus Sex bezeichnet, doch das wäre mir im Kontext dieses Blogs doch etwas zu gewollt vorgekommen. Also habe ich es gelassen, und zwar komplett.
21 November 2009
Alle Menschen werden prüder
Seit Jahren wird die Welt immer sexualisierter. Schon 12-Jährige gehen auf Gangbangs, jede C-Promi-Tusse lässt unaufgefordert die Glocken baumeln, und wenn wirklich noch kein Blowjob von dir auf Youporn zu sehen ist, bist du von gestern oder prüde.
Doch ausgerechnet der Kiez stemmt sich gegen diesen Trend – zumindest legt das renovierte Mauerbild an der Reeperbahn/Ecke Hein-Hoyer-Straße das nahe.
Erstmals fotografierte ich das Motiv 2006 (links). Gerade wurde es generalüberholt, nicht nur farblich, und siehe da: An pikanter Stelle tat sich äußerst Signifikantes. Ob bei der Dame noch alles fit im Schritt ist, vermag man neuerdings nicht mehr zu beurteilen, dafür fehlt jetzt die phänomenologische Basis.
Wird also ausgerechnet das Rotlichtviertel allmählich zu jener Tabuzone, die der Rest der Welt längst nicht mehr ist? Und was kommt als nächstes: Wickelhosen für die gespreizten Beine am Eingang der Ritze? Zuhälter, die „Was guckst du?“ blaffen, wenn man ihr Personal mustert? Huren, die mit dir für 50 Euro nur noch über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan diskutieren wollen?
Ich werde das weiter beobachten, und zwar mit Sorge und Bestürzung.
20 November 2009
Das Kreuz mit dem X
„Nein, tut mir Leid“, sagt der Polizist auf der Davidwache zu dem streng riechenden Mann, der vor ihm am Tresen steht, „gegen Sie liegt kein Haftbefehl vor. Ich habe im Computer nachgeschaut.“
Kein ganz uncleverer Versuch. Gleichwohl kann sich der Duftbolzen die geplante Nacht in der warmen Zelle nun abschminken. Scheißcomputer.
Ersatzweise durfte er sich die Novembersonne auf den Pelz brennen lassen – und ein kapitales Kondensstreifenkreuz am Hamburger Himmel bewundern, das uns alle schon mal einzustimmen versuchte auf den Advent, ob wir nun ein Dach über dem Kopf haben oder nicht.
Vielleicht war es aber auch nur ein X.
Foto: Ms. Columbo
19 November 2009
(K)ein Abend für Fußfetischisten
Während des Essens vorm Fernseher auf arte damit konfrontiert zu werden, wie jemand einem kranken Schaf die Klauen kürzt, bis sie bluten, erzwingt natürlich sofortiges fahriges Umschalten, trotz meiner kulinarischen Erfahrungen mit Lammfüßen.
Bei der ziellosen Flucht verschlägt es mich auf Phoenix, wo ich jedoch prompt in eine Sendung über misslungene Arktisexpeditionen stolpere und es nicht mehr rechtzeitig vermeiden kann zu sehen, wie ein Forscher einem anderen den verfaulten Fuß absägt.
Zum Glück mümmelte ich gerade kein Eisbein, sondern „Ritter Sport Voll-Nuss“, aber trotzdem. Jedenfalls war das kein Abend, der Fußfetischisten in ihrer Neigung hätte bestätigen können.
Oder gerade.
Bei der ziellosen Flucht verschlägt es mich auf Phoenix, wo ich jedoch prompt in eine Sendung über misslungene Arktisexpeditionen stolpere und es nicht mehr rechtzeitig vermeiden kann zu sehen, wie ein Forscher einem anderen den verfaulten Fuß absägt.
Zum Glück mümmelte ich gerade kein Eisbein, sondern „Ritter Sport Voll-Nuss“, aber trotzdem. Jedenfalls war das kein Abend, der Fußfetischisten in ihrer Neigung hätte bestätigen können.
Oder gerade.
„Ich such diesen Button nicht!“
Normalerweise gibt es hier nur selbstgefilmte Clips. Heute mal nicht, aus gegebenem Anlass.
Voilà, eine unglaubliche Performance: Pigor ist der Mount St. Helens des HipHop, die Nemesis der Digitalära, der Ikonoklast des Internet, der rasende Berserker im Porzellanladen des Hier und Jetzt – und heute Abend live in Hamburg zu sehen, in Sichtweite der Crackhuren vom Steindamm, nämlich im Polittbüro um 20 Uhr.
Es gibt noch Karten; man sieht sich.
Ergänzung von 23:15 Uhr: Auch morgen und übermorgen ist Pigor noch im Polittbüro am Werkeln. Und es ist g.r.a.n.d.i.o.s., versprochen.
17 November 2009
Heute gehen wir den Dingen mal auf den Grund
Wahrscheinlich gibt es kaum jemanden unter uns, der in den vergangenen Tagen nicht mit einem panischen Kettenbrief behelligt wurde, der praktisch allen gegen Schweinegrippe Geimpften – also auch mir – ein künftiges Siechtum dank Golfkriegssyndrom prophezeiht.
Man fragt sich natürlich schon, was intelligente junge Menschen dazu bringt, sich ungeprüft zum Büttel einer anscheindend paranoiden Ärztin zu machen, die seit Jahren die Welt nervt mit Antiimpfmails und die sogar die Existenz des HI-Virus abstreitet.
Warum verbreiten so viele Leute – darunter auch diverse aus meinem Bekanntenkreis – eine Mail mit Horrorzahlen, ohne vorher auch nur ansatzweise nachzurecherchieren? Offensichtlich ist der Reiz, jedweden abstrusen Grusel glauben zu wollen, größer als das natürliche Bedürfnis der Ratio, seltsam scheinenden Dingen auf den Grund zu gehen.
Ich neige manchmal zum anderen Extrem. Unlängst etwa schrieb mir eine Dame vom Spiegel, und deren Name las sich, als hätte man die Buchstaben eines anderen Namens in einen Würfelbecher gekippt und den dann kräftig geschüttelt: Die Gute heißt Gartred Alfeis.
Das schrie geradezu nach einer amtlichen Anagrammierung, also nahm ich den Wörterwürfelbecher, schüttelte und rüttelte, und das erste und naheliegendste neue Wort, das sich wundersam herausbildete, war ein Männername: Alfred Trageis.
Im Lauf einer höchst spaßigen Viertelstunde offenbarte die gute Gartred auch so hübsche Sachen wie „saftiger Adler“, „Strafgeldarie“, „fader Lagerist“ oder das ökologisch unbedenkliche „radelt gasfrei“. Man darf allerdings auch den unheimlichen und an Hannibal Lecter gemahnenden Komparativ „Alfred ist garer!“ keinesfalls verschweigen.
Manchmal macht es halt einfach Spaß, den Dingen auf den Grund zu gehen. Gerade als Geimpfter.
PS: Das heutige Foto zeigt übrigens keinesfalls Australien, sondern eine kunstvoll unrenovierte Wand im Restaurant Bullerei.
Man fragt sich natürlich schon, was intelligente junge Menschen dazu bringt, sich ungeprüft zum Büttel einer anscheindend paranoiden Ärztin zu machen, die seit Jahren die Welt nervt mit Antiimpfmails und die sogar die Existenz des HI-Virus abstreitet.
Warum verbreiten so viele Leute – darunter auch diverse aus meinem Bekanntenkreis – eine Mail mit Horrorzahlen, ohne vorher auch nur ansatzweise nachzurecherchieren? Offensichtlich ist der Reiz, jedweden abstrusen Grusel glauben zu wollen, größer als das natürliche Bedürfnis der Ratio, seltsam scheinenden Dingen auf den Grund zu gehen.
Ich neige manchmal zum anderen Extrem. Unlängst etwa schrieb mir eine Dame vom Spiegel, und deren Name las sich, als hätte man die Buchstaben eines anderen Namens in einen Würfelbecher gekippt und den dann kräftig geschüttelt: Die Gute heißt Gartred Alfeis.
Das schrie geradezu nach einer amtlichen Anagrammierung, also nahm ich den Wörterwürfelbecher, schüttelte und rüttelte, und das erste und naheliegendste neue Wort, das sich wundersam herausbildete, war ein Männername: Alfred Trageis.
Im Lauf einer höchst spaßigen Viertelstunde offenbarte die gute Gartred auch so hübsche Sachen wie „saftiger Adler“, „Strafgeldarie“, „fader Lagerist“ oder das ökologisch unbedenkliche „radelt gasfrei“. Man darf allerdings auch den unheimlichen und an Hannibal Lecter gemahnenden Komparativ „Alfred ist garer!“ keinesfalls verschweigen.
Manchmal macht es halt einfach Spaß, den Dingen auf den Grund zu gehen. Gerade als Geimpfter.
PS: Das heutige Foto zeigt übrigens keinesfalls Australien, sondern eine kunstvoll unrenovierte Wand im Restaurant Bullerei.
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