Der Kategorische Imperativ lautet bekanntlich: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Wendet man Immanuel Kants verflixte Forderung aufs persönliche Konsumverhalten an, stellt sich mir sofort folgende Frage: Welche Branchen wären pleite, wenn sich alle so verhielten wie ich – und welche gingen durch die Decke?
Nun, zunächst einmal raffte es sämtliche Fastfoodketten dahin. Ich esse keine Hamburger, und wenn das nun mal keiner täte, könnten Burger King und McDonald's einpacken, aber in nullkommanichts. Blöd für die Gesamtsituation wäre natürlich das durch meine Autoabstinenz verursachte Zusammenbrechen des Individualverkehrs. Aber vielleicht könnte die Branche das kompensieren – durch den Mehrbedarf an Bussen und Taxen.
Was ebenfalls augenblicks Geschichte wäre: alle Branchen, die an der Herstellung von Limonaden mittun. Ob Coca oder Pepsi, Fanta oder Ahoj-Brause mit Himbeergeschmack: pleite, allesamt. Den kompletten Kollaps gewärtigen müssten auch Schmuck- und Tabakbranche, das Bezahlfernsehen und natürlich Microsoft.
Jetzt zur Sonnenseite dieser Überlegungen. Geradezu explodieren durch mein verallgemeinertes Konsumverhalten würde der Markt für Zwischenraumzahnbürsten, und auch dem deutschen Winzertum stünden die glorreichsten Zeiten seiner Geschichte bevor; es müsste allerdings seine Anbauflächen komplett auf Riesling umstellen.
Restaurants fast jeder Couleur (außer den griechischen und „jugoslawischen” natürlich) wären auf beängstigende Weise überlaufen, und in Frankreich bräche wegen der ungeheuren Mengen auszuliefernder Rohmilchkäsemengen ein unsagbarer Jubel aus, wohingegen die weltweite Atombombenproduktion sofort dichtmachen könnte, denn dafür ist hier in der Seilerstraße noch nie der kleinste Bedarf angefallen.
Und für den dank Kant aufkommenden Megabedarf an hocharomatischen Ökostrauchtomaten müsste man leider sämtliche Anbauflächen für Hanf, Tee und Runkelrüben heranziehen – sie würden ja nicht mehr gebraucht, und irgendwoher müssen die Billionen Tomaten ja kommen, nicht wahr?
Das alles geschähe, wenn sich die Menschheit unisono einigen meiner wichtigsten Konsumgewohnheiten anschlösse. Die Welt wäre eine andere. Aber ganz sympathisch, wie ich finde.
Eigentlich könnte man aus diesem Beitrag fast wieder mal ein Stöckchen … okay, okay, ich hab nichts gesagt.
„3000 Plattenkritiken“ | „Die Frankensaga – Vollfettstufe“ | RSS-Feed | In memoriam | mattwagner {at} web.de |
20 August 2006
Schweinchen gehabt
„Wie?“, ruft Ms. Columbo perplex ihrem Monitor zu, „keine einzige Mail? NICHT MAL SPAM?“
Ja, das ist schlimm. Im Rahmen eines spontanen Tröstungsversuchs führe ich einfühlsam aus, dass eine Nachricht der Nigeria-Connection ihre Lage auch nicht entscheidend verbessert hätte. Sie sieht das ein und schwenkt um auf einen gesunden Fatalismus: „Dann hat die Welt mich halt einfach mal vergessen.“
Abends läuft auf 3Sat eine Sendung über Tiertelepathen. In Worten: TIERTELEPATHEN. Das sind Leute, die Herrchen und Frauchen beibringen, die Gedanken ihrer Lieblinge zu verstehen. (Diese Gedanken werden übrigens immer in klar verständlichem Deutsch formuliert, was eine sehr gute Einrichtung ist.)
Unter anderem sehen wir die weinende Besitzerin eines Meerschweinchens. Sie ist zutiefst erschüttert, weil der Nager sich telepathisch über Frauchens mangelnde Selbstkritik beklagt hat.
Das sind Schicksale! Da kommt einem ein Tag ohne Spam doch gleich viel weniger deprimierend vor.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Tiere
1. „Me and you and a dog named Boo" von Lobo
2. „Human guinea pig" von Suicidal Tendencies
3. „Lone wolf" von Jerry Jeff Walker
(Foto: petwebsite.com)
18 August 2006
Gesichtszwillinge (10)
Zwei Haudegen der Popgeschichte werden allmählich zu Spiegelbildern ihrer selbst: der zurzeit Herrn Bush bashende Ur-Grunger Neil Young (Jahrgang 1945) und der Swamprocker und einstige Elvis-Zulieferer Tony Joe White (Jahrgang 1943).
Whites neues Album kommt übrigens am 8. September in den Handel – und ist ein Meisterstück.
Weitere Gesichtszwillinge:
- Franz Beckenbauer und Erich Honecker
- Angela Merkel und Peter Ustinov
- Anthony Hopkins und Köbi Kuhn
- Udo Lattek und Sven-Göran Eriksson
- Gene Hackman und Luiz Filipe Scolari
- Corny Littmann und Homer Simpson
- Kofi Annan und Morgan Freeman
- Chris Stills und Jens Lehmann
- Robert Mitchum und Jean Reno
Ex cathedra: Die Top 3 der besten Songs von Young und White
1. „Thrasher" von Neil Young
2. „Rainy night in Georgia (2006)" von Tony Joe White
3. „Like a hurricane" von Neil Young
Whites neues Album kommt übrigens am 8. September in den Handel – und ist ein Meisterstück.
Weitere Gesichtszwillinge:
- Franz Beckenbauer und Erich Honecker
- Angela Merkel und Peter Ustinov
- Anthony Hopkins und Köbi Kuhn
- Udo Lattek und Sven-Göran Eriksson
- Gene Hackman und Luiz Filipe Scolari
- Corny Littmann und Homer Simpson
- Kofi Annan und Morgan Freeman
- Chris Stills und Jens Lehmann
- Robert Mitchum und Jean Reno
Ex cathedra: Die Top 3 der besten Songs von Young und White
1. „Thrasher" von Neil Young
2. „Rainy night in Georgia (2006)" von Tony Joe White
3. „Like a hurricane" von Neil Young
Ein Scanner macht Witze
Bei Penny in der Bahrenfelder Straße zieht die Kassiererin ächzend einen Wandschrank fürs Bad über den Scanner. Es piepst, und auf dem Display steht: 250 Gramm Tomaten. Gesamtpreis: 69 Cent.
Unverzüglich bricht Heiterkeit aus in allen Schlangen. Ich empfehle der Wandschrankkundin kichernd, auf Zahlung zu bestehen und rasch zu entschwinden. Kundin und Kassiererin nehmen es als Scherz. Da ist mir ein echter Schenkelklopfer gelungen. Beider Wangen röten sich vor Glucksigkeit.
Der Franke, herkunftstypisch praktisch veranlagt, macht auf eventuelle Probleme bei einem späteren Umtausch aufmerksam. Auch das ist witzig. Ein Chef hastet herbei und reguliert die Situation, zuungunsten der Wandschrankkundin und des halben Pfunds virtueller Tomaten. Alles lacht und freut sich.
Was sich während der WM schon andeutete, wird bei Penny in der Bahrenfelder Straße neu und eindrucksvoll bestätigt: Wir haben doch Humor! Zum Glück sind sogar ein paar langgewandete Kopftuchmatronen anwesend, die das hoffentlich deutlichst mitkriegen.
Tomaten sind übrigens genau genommen kein Gemüse, sondern Obst. Weil sie nämlich – Klugscheißermodus an – die essbare Frucht einer Pflanze sind, und so ist Obst definiert.
Das weiß ich aus der FAS vom letztem Sonntag, aber der Artikel ist online kostenpflichtig. Tja.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Obst im weitesten Sinne
1. „Strange fruit" von Billie Holiday
2. „Under the cherry moon" von Prince
3. „Peach pickin' time in Georgia“ von Jimmie Rodgers
Unverzüglich bricht Heiterkeit aus in allen Schlangen. Ich empfehle der Wandschrankkundin kichernd, auf Zahlung zu bestehen und rasch zu entschwinden. Kundin und Kassiererin nehmen es als Scherz. Da ist mir ein echter Schenkelklopfer gelungen. Beider Wangen röten sich vor Glucksigkeit.
Der Franke, herkunftstypisch praktisch veranlagt, macht auf eventuelle Probleme bei einem späteren Umtausch aufmerksam. Auch das ist witzig. Ein Chef hastet herbei und reguliert die Situation, zuungunsten der Wandschrankkundin und des halben Pfunds virtueller Tomaten. Alles lacht und freut sich.
Was sich während der WM schon andeutete, wird bei Penny in der Bahrenfelder Straße neu und eindrucksvoll bestätigt: Wir haben doch Humor! Zum Glück sind sogar ein paar langgewandete Kopftuchmatronen anwesend, die das hoffentlich deutlichst mitkriegen.
Tomaten sind übrigens genau genommen kein Gemüse, sondern Obst. Weil sie nämlich – Klugscheißermodus an – die essbare Frucht einer Pflanze sind, und so ist Obst definiert.
Das weiß ich aus der FAS vom letztem Sonntag, aber der Artikel ist online kostenpflichtig. Tja.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Obst im weitesten Sinne
1. „Strange fruit" von Billie Holiday
2. „Under the cherry moon" von Prince
3. „Peach pickin' time in Georgia“ von Jimmie Rodgers
16 August 2006
Eine wilde, wütende, ganz & gar ungerechte Schimpfkanonade
[Nestbeschmutzungsmodus an:]
Unter Kulturkritikern gibt es eine gar nicht kleine Fraktion Verbohrter, deren geschmackspolizeiliches Gehabe zutiefst reaktionär ist. Diesen Leuten sind ihre zementierten Vorurteile heiliger als jede Kunst, und deshalb könnte ein von ihnen einmal als verachtenswert eingestufter Künstler auch mit einem überraschenden Meisterwerk nie mehr reüssieren.
Wer einmal als irrelevant abgehakt wurde, hat es bei den Geschmackskapos auf ewig verschissen. Und manchmal reicht ihnen als Grund fürs Todesurteil schon das Geburtsdatum im Pass – als wenn das biologische Alter automatisch große Kunst verhindern würde. Das tut es manchmal wirklich, aber halt nicht immer. Doch den Vernagelten entgeht die späte Spitzenleistung auf jeden Fall.
Manchmal lassen sie eine Ausnahme zu – wie im Fall Johnny Cash –, aber nicht, weil sie selbst den Künstler wiederentdeckt hätten. Nein, weil junge Fans, deren Hirn noch nicht vollvernagelt war, überraschenderweise angerührt wurden von der zeitlosen Kunst eines großen Alten, die ihnen vermittelt wurde von einem Produzenten, der bisher nur die Jugendkultur bedient hatte. Ihm haben sie geglaubt, er hat sie hingeführt zu einer wundersam spröden Musik der Gefühle, die ihnen ganz und gar unbekannt geblieben wäre, wenn die Verbohrten allein die Sache geregelt hätten.
Aber plötzlich hören die Kids Johnny Cash, und die Vernagelten reiben sich die Augen und hören auch mal wieder zu – aber nur, damit sie sagen können: Wir sind gar keine Vorurteilsfaschisten, wir hören uns doch alles an! Und im nächsten Augenblick fahren sie besinnungslos fort mit ihrer Lieblingstätigkeit, dem pawlowschen Verachten all dessen, was nicht als hip und cool gilt.
Diejenigen aber, die gerade als hip und cool gelten, denken da (natürlich) oft anders. Junge Künstler wissen in der Regel, auf wessen Schultern sie stehen, und wenn sie die Chance haben, ihre glühende Verehrung fürs Vorbild zu demonstrieren, dann nutzen sie die gern. Deshalb schwärmen Jungstars wie die Kooks oder Nerina Pallot für Bob Dylan, deshalb freut sich der New Yorker Hippiefolkie Devendra Banhart einen Wolf, wenn er auf einem Album des vitalen Folkrentners Bert Jansch mitsingen darf, deshalb schreibt Will Oldham Songs für die alte Souldame Candi Staton, deshalb gibt es fast jedes Jahr einen neuen Tribute-Sampler mit Songs der Rolling Stones.
Die Kapos aber raffen das nicht. Sie suhlen sich lieber im faden Schlamm ihrer kleinen, kleinen Welt; sie wissen nichts von Geschichte, von der dreidimensionalen zeitlichen Struktur von Kunst und Kultur. Einen Roman wie „Robinson Crusoe“ hätten sie gar nicht erst gelesen, denn der Dichterdebütant Daniel Defoe war schon 60, als er ihn veröffentlichte – Rentnerprosa, hätten sie genasrümpft und nicht mal die Schutzfolie entfernt. Beethovens 9. Sinfonie wäre ihnen nicht in den Player gekommen, denn was kann man schon erwarten von einem alten tauben Wirrkopf, dessen beste Zeiten Jahrzehnte zurückliegen?
Geschmackspolizisten haben natürlich nicht die Spur einer Ahnung davon, wie unglaublich scheiße sie sind. Sie leben in einer Pfütze, die mit den Brettern vor ihrem Kopf umzäunt ist, und diesen flachen Wasserklecks halten sie für die ganze Welt. Das uralte und tiefe Meer, die Schaumkronen und Brandungswellen: All das kennen sie nicht, weil sie es nicht kennen wollen – oder sie leugnen es prophylaktisch.
Das alles wäre natürlich herzlich egal, wenn solche Kritiker nicht wesentlich die Wahrnehmung neuer Platten, Bücher, Filme und bildender Kunst bestimmen würden. Doch über ihre armseligen Texte sickern die Vorurteile ein in die Köpfe des Publikums; und dort erstarren sie zum gleichen reaktionären Zement, auf den die Kapos so stolz sind.
Ich spare mir Namen. Lest ihre Texte, hört ihnen zu. Sie sind leicht zu erkennen.
[:Nestbeschmutzungsmodus aus]
So, und jetzt zurück an die Arbeit: Platten rezensieren.
Ex cathedra: Die Top 3 der tollsten Songs von geschmackspolizeilich misshandelten Künstlern
1. „If you think you know how to love me" von Smokie
2. „Johnny W." von Marius Müller-Westernhagen
3. „Lyin' eyes" von The Eagles
Unter Kulturkritikern gibt es eine gar nicht kleine Fraktion Verbohrter, deren geschmackspolizeiliches Gehabe zutiefst reaktionär ist. Diesen Leuten sind ihre zementierten Vorurteile heiliger als jede Kunst, und deshalb könnte ein von ihnen einmal als verachtenswert eingestufter Künstler auch mit einem überraschenden Meisterwerk nie mehr reüssieren.
Wer einmal als irrelevant abgehakt wurde, hat es bei den Geschmackskapos auf ewig verschissen. Und manchmal reicht ihnen als Grund fürs Todesurteil schon das Geburtsdatum im Pass – als wenn das biologische Alter automatisch große Kunst verhindern würde. Das tut es manchmal wirklich, aber halt nicht immer. Doch den Vernagelten entgeht die späte Spitzenleistung auf jeden Fall.
Manchmal lassen sie eine Ausnahme zu – wie im Fall Johnny Cash –, aber nicht, weil sie selbst den Künstler wiederentdeckt hätten. Nein, weil junge Fans, deren Hirn noch nicht vollvernagelt war, überraschenderweise angerührt wurden von der zeitlosen Kunst eines großen Alten, die ihnen vermittelt wurde von einem Produzenten, der bisher nur die Jugendkultur bedient hatte. Ihm haben sie geglaubt, er hat sie hingeführt zu einer wundersam spröden Musik der Gefühle, die ihnen ganz und gar unbekannt geblieben wäre, wenn die Verbohrten allein die Sache geregelt hätten.
Aber plötzlich hören die Kids Johnny Cash, und die Vernagelten reiben sich die Augen und hören auch mal wieder zu – aber nur, damit sie sagen können: Wir sind gar keine Vorurteilsfaschisten, wir hören uns doch alles an! Und im nächsten Augenblick fahren sie besinnungslos fort mit ihrer Lieblingstätigkeit, dem pawlowschen Verachten all dessen, was nicht als hip und cool gilt.
Diejenigen aber, die gerade als hip und cool gelten, denken da (natürlich) oft anders. Junge Künstler wissen in der Regel, auf wessen Schultern sie stehen, und wenn sie die Chance haben, ihre glühende Verehrung fürs Vorbild zu demonstrieren, dann nutzen sie die gern. Deshalb schwärmen Jungstars wie die Kooks oder Nerina Pallot für Bob Dylan, deshalb freut sich der New Yorker Hippiefolkie Devendra Banhart einen Wolf, wenn er auf einem Album des vitalen Folkrentners Bert Jansch mitsingen darf, deshalb schreibt Will Oldham Songs für die alte Souldame Candi Staton, deshalb gibt es fast jedes Jahr einen neuen Tribute-Sampler mit Songs der Rolling Stones.
Die Kapos aber raffen das nicht. Sie suhlen sich lieber im faden Schlamm ihrer kleinen, kleinen Welt; sie wissen nichts von Geschichte, von der dreidimensionalen zeitlichen Struktur von Kunst und Kultur. Einen Roman wie „Robinson Crusoe“ hätten sie gar nicht erst gelesen, denn der Dichterdebütant Daniel Defoe war schon 60, als er ihn veröffentlichte – Rentnerprosa, hätten sie genasrümpft und nicht mal die Schutzfolie entfernt. Beethovens 9. Sinfonie wäre ihnen nicht in den Player gekommen, denn was kann man schon erwarten von einem alten tauben Wirrkopf, dessen beste Zeiten Jahrzehnte zurückliegen?
Geschmackspolizisten haben natürlich nicht die Spur einer Ahnung davon, wie unglaublich scheiße sie sind. Sie leben in einer Pfütze, die mit den Brettern vor ihrem Kopf umzäunt ist, und diesen flachen Wasserklecks halten sie für die ganze Welt. Das uralte und tiefe Meer, die Schaumkronen und Brandungswellen: All das kennen sie nicht, weil sie es nicht kennen wollen – oder sie leugnen es prophylaktisch.
Das alles wäre natürlich herzlich egal, wenn solche Kritiker nicht wesentlich die Wahrnehmung neuer Platten, Bücher, Filme und bildender Kunst bestimmen würden. Doch über ihre armseligen Texte sickern die Vorurteile ein in die Köpfe des Publikums; und dort erstarren sie zum gleichen reaktionären Zement, auf den die Kapos so stolz sind.
Ich spare mir Namen. Lest ihre Texte, hört ihnen zu. Sie sind leicht zu erkennen.
[:Nestbeschmutzungsmodus aus]
So, und jetzt zurück an die Arbeit: Platten rezensieren.
Ex cathedra: Die Top 3 der tollsten Songs von geschmackspolizeilich misshandelten Künstlern
1. „If you think you know how to love me" von Smokie
2. „Johnny W." von Marius Müller-Westernhagen
3. „Lyin' eyes" von The Eagles
15 August 2006
Der Franke bleibt störrisch
Obwohl ich flehte und barmte, obwohl ich mir in des Franken Gegenwart die Haare zu raufen versuchte (aber nicht fündig wurde), hat er dieser Tage ein Windows-Notebook erworben. All meine Apple-Lobbyarbeit nützte nichts, weil der verblendete Mann sich von der Strahlkraft eines niedrigeren Preises in die Irre führen ließ.
Wie auch immer: Jetzt hat er den Salat, nämlich ein Windows-Notebook. Und plötzlich ist er ein anderer Mensch. Der Franke, so grobschlächtig er gemeinhin auf die Außenwelt wirken mag, verfügt nämlich durchaus über zärtliche Seiten, und sein Windows-Notebook fördert sie unverhofft zutage. Dessen Wohlergehen widmet er sich nun mit gluckenhafter Hingabe.
Essenziell dafür: ein vorsorglich mitangeschafftes Notebookpflegeset. Das Rundumsorglos-Ensemble umfasst nicht nur eine dezent anthrazite Neoprentasche („Wasserabweisend!“, erläutert er mit leuchtendem Blick), sondern auch einen Bildschirmwischflausch, ein leicht gröberes Tuch fürs Gehäuse, eine feine Bürste für die Tasten und eine langhaarigere für jene verflixten Flusen, die tief im Tastenuntergrund aufs Überleben hoffen, sowie einen speziellen Notebookreiniger („Alkoholfrei!“, berauscht er sich). Alles zusammen, wie der schwabenverwandte Franke stolz verkündet, für lediglich 9,95 Euro.
Bei mir freilich erntet er mit diesem Mutterkomplex nur Häme. „Vergiss es!“, beömmle ich mich, „auch dein Notebook wird schon bald genauso durch die Gegend fliegen wie alles andere diesseits von rohen Eiern.“ Er werde nämlich unweigerlich daran zu zerren und zuppeln beginnen, kläre ich ihn schonungslos auf; unwirsch wegschieben werde er es, wenn es im Weg stünde, brutal werde er es sogar über raue Untergründe schubsen; alle möglichen Dinge werde er achtlos darauf ablegen und in unmittelbarer Nähe des Notebooks sogar Bier- und Mineralwasserflaschen öffnen, so dass sich der hochgeschwind herauszischende Tröpfchennebel feinverteilt auf Display und Tasten niederlassen und selbst die interessanten Schlünde sämtlicher USB- und Firewire-Eingänge erkunden könne.
Ja, so werde es kommen, rufe ich erregt aus, weil das nun mal der Lauf der Dinge sei, und niemand könne daran etwas ändern, selbst er, der Franke, und sein Notebookpflegeset für 9,95 nicht. Und Punkt.
Nützte alles nichts: Der Notebooknovize bleibt unbelehrbar. Trotz aller offenkundigen Evidenz zweifelt er an meinen Worten und streichelt weiter zärtlich übers Neopren seiner Schutztasche. Ich, einmal in Schwung, führe die Wunden und Kratzer meines tapferen Powerbooks (Foto) ins Feld, schildere sein grobes und unummanteltes Verstautwerden im Rucksack beim Reisestart, entwerfe dem Verstockten schließlich das schillernde Bild einer freien und ungebundenen Notebookexistenz, die das Gerät fordert statt fördert, die es der ganzen Härte des Daseins aussetzt, damit es selbst härter wird unterm Einfluss dessen, was es nicht umbringt.
All das aber kümmert den Franken keinen Deut. Er ist fest gewillt, weiter zu wischen und zu windeln, er will sein Baby schützen vor einer Wirklichkeit, vor der auf Dauer doch gar kein Schutz möglich ist. Irgendwann, gebe ich ihm zu verstehen, wird er loslassen müssen. Und die wichtigste Kraft, die dabei wirkt, ist die wohl mächtigste überhaupt nach der Gravitation: die Kraft der menschlichen Faulheit.
Meinem Notebook geht es übrigens prächtig. Es trägt seine Schmisse mit dem souverän schiefen Lächeln des Kriegsveteranen. Der Franke wird auch noch dahinterkommen. Sofern sein Windows-Weichei überhaupt den ersten groben Rempler übersteht.
Die bisherigen Teile der Frankensaga
19. Der Kulturstoffel 18. Fußball auf Fränkisch! 17. Auhuuu! 16. Die Bettelblickattacke 15. Der Franke bleibt störrisch 14. Der unvollendete Panini-Coup 13. Duck dich, Sylt! 12. Auf Partypatrouille 11. Laggs auf vier Uhr 10. Der Franke ist überall 9. Die Greeb-Pfanne 8. Erste gegen dritte Liga 7. Die verspätete Riesenkartoffel 6. Der historische Tag 5. Der Alditag 4. Der Faschingskrapfen 3. Der Klozechpreller 2. Der Dude 1. Das Alte Land
Wie auch immer: Jetzt hat er den Salat, nämlich ein Windows-Notebook. Und plötzlich ist er ein anderer Mensch. Der Franke, so grobschlächtig er gemeinhin auf die Außenwelt wirken mag, verfügt nämlich durchaus über zärtliche Seiten, und sein Windows-Notebook fördert sie unverhofft zutage. Dessen Wohlergehen widmet er sich nun mit gluckenhafter Hingabe.
Essenziell dafür: ein vorsorglich mitangeschafftes Notebookpflegeset. Das Rundumsorglos-Ensemble umfasst nicht nur eine dezent anthrazite Neoprentasche („Wasserabweisend!“, erläutert er mit leuchtendem Blick), sondern auch einen Bildschirmwischflausch, ein leicht gröberes Tuch fürs Gehäuse, eine feine Bürste für die Tasten und eine langhaarigere für jene verflixten Flusen, die tief im Tastenuntergrund aufs Überleben hoffen, sowie einen speziellen Notebookreiniger („Alkoholfrei!“, berauscht er sich). Alles zusammen, wie der schwabenverwandte Franke stolz verkündet, für lediglich 9,95 Euro.
Bei mir freilich erntet er mit diesem Mutterkomplex nur Häme. „Vergiss es!“, beömmle ich mich, „auch dein Notebook wird schon bald genauso durch die Gegend fliegen wie alles andere diesseits von rohen Eiern.“ Er werde nämlich unweigerlich daran zu zerren und zuppeln beginnen, kläre ich ihn schonungslos auf; unwirsch wegschieben werde er es, wenn es im Weg stünde, brutal werde er es sogar über raue Untergründe schubsen; alle möglichen Dinge werde er achtlos darauf ablegen und in unmittelbarer Nähe des Notebooks sogar Bier- und Mineralwasserflaschen öffnen, so dass sich der hochgeschwind herauszischende Tröpfchennebel feinverteilt auf Display und Tasten niederlassen und selbst die interessanten Schlünde sämtlicher USB- und Firewire-Eingänge erkunden könne.
Ja, so werde es kommen, rufe ich erregt aus, weil das nun mal der Lauf der Dinge sei, und niemand könne daran etwas ändern, selbst er, der Franke, und sein Notebookpflegeset für 9,95 nicht. Und Punkt.
Nützte alles nichts: Der Notebooknovize bleibt unbelehrbar. Trotz aller offenkundigen Evidenz zweifelt er an meinen Worten und streichelt weiter zärtlich übers Neopren seiner Schutztasche. Ich, einmal in Schwung, führe die Wunden und Kratzer meines tapferen Powerbooks (Foto) ins Feld, schildere sein grobes und unummanteltes Verstautwerden im Rucksack beim Reisestart, entwerfe dem Verstockten schließlich das schillernde Bild einer freien und ungebundenen Notebookexistenz, die das Gerät fordert statt fördert, die es der ganzen Härte des Daseins aussetzt, damit es selbst härter wird unterm Einfluss dessen, was es nicht umbringt.
All das aber kümmert den Franken keinen Deut. Er ist fest gewillt, weiter zu wischen und zu windeln, er will sein Baby schützen vor einer Wirklichkeit, vor der auf Dauer doch gar kein Schutz möglich ist. Irgendwann, gebe ich ihm zu verstehen, wird er loslassen müssen. Und die wichtigste Kraft, die dabei wirkt, ist die wohl mächtigste überhaupt nach der Gravitation: die Kraft der menschlichen Faulheit.
Meinem Notebook geht es übrigens prächtig. Es trägt seine Schmisse mit dem souverän schiefen Lächeln des Kriegsveteranen. Der Franke wird auch noch dahinterkommen. Sofern sein Windows-Weichei überhaupt den ersten groben Rempler übersteht.
Die bisherigen Teile der Frankensaga
19. Der Kulturstoffel 18. Fußball auf Fränkisch! 17. Auhuuu! 16. Die Bettelblickattacke 15. Der Franke bleibt störrisch 14. Der unvollendete Panini-Coup 13. Duck dich, Sylt! 12. Auf Partypatrouille 11. Laggs auf vier Uhr 10. Der Franke ist überall 9. Die Greeb-Pfanne 8. Erste gegen dritte Liga 7. Die verspätete Riesenkartoffel 6. Der historische Tag 5. Der Alditag 4. Der Faschingskrapfen 3. Der Klozechpreller 2. Der Dude 1. Das Alte Land
Wenn Mahmud bloggt
Seit neustem betextet der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad ein eigenes Weblog. Seine längeren Ausführungen über Gott und die Welt schrien natürlich geradezu danach, kommentiert zu werden.
Allerdings schaltete der Präsident meinen eigentlich recht interessanten Beitrag nicht frei, was mir aber auch bei MC Winkel und Gerhard Seyfried schon passiert ist. Womit ich nicht sagen will, die drei hätten außer einem Bart weitere Gemeinsamkeiten, zumal Seyfried nicht mal einen Bart hat.
Bei der Gelegenheit fällt mir übrigens noch etwas ein, was ich schon länger loswerden möchte; und jetzt, wo Mahmud bloggt, ist die Zeit reif dafür. Islamisten werfen uns Westlern ja regelmäßig vor, wir seien verderbt und sexbesessen. Angesichts mancher Beiträge nicht nur dieses Blogs – zum Beispiel dem von gestern – mag da auch etwas dran sein.
Aber sich selbst in die Luft zu sprengen, nur um endlich mit 72 Jungfrauen rummachen zu dürfen – das nenne ich sexbesessen.
Zum unentwirrbaren Geschwurbel aus Sex und Religion passt natürlich ein Foto von St. Pauli am besten. Voilà: die Talstraße. Gegenüber befindet sich übrigens ein Schwulenpornokino.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Staatschefs mit laxem Demokratieverständnis
1. „Leopard-skin pill-box hat" von Bob Dylan (inspiriert von Mobutu)
2. „Drugstore truck drivin man" von The Byrds (über Ronald Reagan)
3. „„Washington bullets von The Clash" (über Fidel Castro)
Allerdings schaltete der Präsident meinen eigentlich recht interessanten Beitrag nicht frei, was mir aber auch bei MC Winkel und Gerhard Seyfried schon passiert ist. Womit ich nicht sagen will, die drei hätten außer einem Bart weitere Gemeinsamkeiten, zumal Seyfried nicht mal einen Bart hat.
Bei der Gelegenheit fällt mir übrigens noch etwas ein, was ich schon länger loswerden möchte; und jetzt, wo Mahmud bloggt, ist die Zeit reif dafür. Islamisten werfen uns Westlern ja regelmäßig vor, wir seien verderbt und sexbesessen. Angesichts mancher Beiträge nicht nur dieses Blogs – zum Beispiel dem von gestern – mag da auch etwas dran sein.
Aber sich selbst in die Luft zu sprengen, nur um endlich mit 72 Jungfrauen rummachen zu dürfen – das nenne ich sexbesessen.
Zum unentwirrbaren Geschwurbel aus Sex und Religion passt natürlich ein Foto von St. Pauli am besten. Voilà: die Talstraße. Gegenüber befindet sich übrigens ein Schwulenpornokino.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Staatschefs mit laxem Demokratieverständnis
1. „Leopard-skin pill-box hat" von Bob Dylan (inspiriert von Mobutu)
2. „Drugstore truck drivin man" von The Byrds (über Ronald Reagan)
3. „„Washington bullets von The Clash" (über Fidel Castro)
13 August 2006
St.Pauli-Nacht
Gute Idee, fanden wir, als die Nachbarn vom Balkon gegenüber einen großen gefährlichen Plastikraben am Geländer befestigten – bis die Tauben anfingen, ihm auf den Kopf zu kacken.
Gute Idee, fand ich, als Opa Edi vorschlug, ich könne doch dem zu Besuch weilenden Münchner Bloggerkollegen Fellow Traveller mal den Kiez zeigen. Das allerdings blieb eine gute Idee bis zum Schluss.
Gemeinsam nämlich gewannen wir interessante Erkenntnisse. Der alte Elbtunnel (Bild) etwa schlägt den neuen in punkto Fotogenität und symmetrische Reize um Längen.
Wir bewunderten zudem die Choreografie der stolzen Huren in der Davidstraße. Immer, wenn eine aus der Phalanx ausbrach, um auf die Beute loszugehen wie eine furchtlose Taube auf einen Plastikraben, rückte sofort eine Kollegin auf. Nie entstanden Lücken. Ein Hurenballett vorm Burger King.
Dann verschlug es uns via Herbertstraße in den erstklassigen Tabledanceclub Dollhouse, und auch dort wartete eine interessante Erkenntnis: Die Silikonära ist offenbar vorbei. Man präsentierte uns überwiegend knabenhafte Brüste. „Im Gegensatz zur Herbertstraße“, merkte der inzwischen sachkundige Fellow trocken an.
Der Mann lernt schnell.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Tunnel und andere Röhren
1. „Down in the tube station at midnight" von The Jam
2. „Tunnel of love" von Dire Straits
3. alles von The Tubeway Army
Gute Idee, fand ich, als Opa Edi vorschlug, ich könne doch dem zu Besuch weilenden Münchner Bloggerkollegen Fellow Traveller mal den Kiez zeigen. Das allerdings blieb eine gute Idee bis zum Schluss.
Gemeinsam nämlich gewannen wir interessante Erkenntnisse. Der alte Elbtunnel (Bild) etwa schlägt den neuen in punkto Fotogenität und symmetrische Reize um Längen.
Wir bewunderten zudem die Choreografie der stolzen Huren in der Davidstraße. Immer, wenn eine aus der Phalanx ausbrach, um auf die Beute loszugehen wie eine furchtlose Taube auf einen Plastikraben, rückte sofort eine Kollegin auf. Nie entstanden Lücken. Ein Hurenballett vorm Burger King.
Dann verschlug es uns via Herbertstraße in den erstklassigen Tabledanceclub Dollhouse, und auch dort wartete eine interessante Erkenntnis: Die Silikonära ist offenbar vorbei. Man präsentierte uns überwiegend knabenhafte Brüste. „Im Gegensatz zur Herbertstraße“, merkte der inzwischen sachkundige Fellow trocken an.
Der Mann lernt schnell.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Tunnel und andere Röhren
1. „Down in the tube station at midnight" von The Jam
2. „Tunnel of love" von Dire Straits
3. alles von The Tubeway Army
Gesichtszwillinge (9)
Klar, Robert Mitchum war noch längst nicht tot, als Jean Reno schon lange lebte, weshalb die Reinkarnationstheorie (die eh nur was für ängstliche Romantiker ist) schon mal flachfällt.
Außerdem ist die Ähnlichkeit zwischen beiden Schauspielern auch nicht soooo frappant. Aber sie reicht gerade so eben für die Gesichtszwillingsrubrik.
Mir zumindest.
Außerdem ist die Ähnlichkeit zwischen beiden Schauspielern auch nicht soooo frappant. Aber sie reicht gerade so eben für die Gesichtszwillingsrubrik.
Mir zumindest.
11 August 2006
Die Fundstücke des Tages (23)
1. Bekam gerade eine Postkarte meiner knapp 13-jährigen Nichte. Sie schreibt: „Hier in Kroation ist es voll heiß und cool.“
2. Im Fremdwörterbuch auf Seite 444 steht mein Lieblingswort des Tages: Insinuationsmandatar. Das ist jemand, der berechtigt ist, Eingaben entgegenzunehmen; eine Art Notar für Beschwerden. Mein Produkt des Tages hingegen ist der sehr nützliche Mündungsschoner für Bockbüchsflinten. Kostet lachhafte 14,85 Euro. Noch – bald ist Mehrwertsteuererhöhung.
3. Die Süddeutsche Zeitung hält das fallweise vom Duden schon immer erlaubte Deppenapostroph für so empörend neu, dass sie einen leidenschaftlichen Deppenapostrophensammler dazu interviewt. Schönste Passage: „Manchmal setzen die Menschen auch statt des Deppenapostrophs ein Deppenkomma, weil sie die Apostrophtaste auf der Tastatur nicht finden.“
4. Auf einem tschechischen Server habe ich nun in perfekter Aufbereitung alle Radiosendungen von Bob Dylan entdeckt. Der reinste Präsentierteller. Und er wird jede Woche voller.
5. Der Komiker Stephen Colbert lieferte beim traditionellen Dinner, das US-Präsidenten jährlich für Korrespondenten geben, eine unglaubliche Performance ab. Die Quote an vergifteten Komplimenten für George W. Bush war derart niederschmetternd, dass der am Ende die Mundwinkel nicht mal mehr zum höflichen Lächeln hochkriegte. Ein Giftpfeil: „Dieser Mann weiß, wo er steht. Er glaubt am Mittwoch das Gleiche wie am Montag – egal, was dienstags passiert ist.“ Und Colberts vernichtende Parodie auf verschwurbelten Patriotismus ist einfach glorios: „Ich glaube an Amerika. Ich glaube, dass es existiert. Mein Bauch sagt mir, dass ich dort lebe. Ich fühle, dass es sich vom Atlantik bis zum Pazifik erstreckt. Und ich glaube felsenfest daran: Es hat 50 Staaten.“ Sein Fazit lieferte er schon mittendrin: „Misery accomplished!“ Hier folgt der erste Teil von Colberts Glanzstück im Angesicht des Opfers; die restlichen zwei gibt es dort.
Alle bisherigen Fundstücke des Tages:
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14,
15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, Oh, my Google!
Nachtrag vom 14.8.2006: Nachricht von: Ales Pavelka – Hi Matt, I found out that some people accessing my web site directly from you blog. Because my site is not a primary source of TTRH please add to your site notice about the main server and people who are the bravest of all and thanks to them we all have possibility to listen Bob Dylan's TTRH. Please see Patrick Crosley blog http://www.whitemanstew.com/2006/05/12/bob-dylans-theme-time-radio-hour/
2. Im Fremdwörterbuch auf Seite 444 steht mein Lieblingswort des Tages: Insinuationsmandatar. Das ist jemand, der berechtigt ist, Eingaben entgegenzunehmen; eine Art Notar für Beschwerden. Mein Produkt des Tages hingegen ist der sehr nützliche Mündungsschoner für Bockbüchsflinten. Kostet lachhafte 14,85 Euro. Noch – bald ist Mehrwertsteuererhöhung.
3. Die Süddeutsche Zeitung hält das fallweise vom Duden schon immer erlaubte Deppenapostroph für so empörend neu, dass sie einen leidenschaftlichen Deppenapostrophensammler dazu interviewt. Schönste Passage: „Manchmal setzen die Menschen auch statt des Deppenapostrophs ein Deppenkomma, weil sie die Apostrophtaste auf der Tastatur nicht finden.“
4. Auf einem tschechischen Server habe ich nun in perfekter Aufbereitung alle Radiosendungen von Bob Dylan entdeckt. Der reinste Präsentierteller. Und er wird jede Woche voller.
5. Der Komiker Stephen Colbert lieferte beim traditionellen Dinner, das US-Präsidenten jährlich für Korrespondenten geben, eine unglaubliche Performance ab. Die Quote an vergifteten Komplimenten für George W. Bush war derart niederschmetternd, dass der am Ende die Mundwinkel nicht mal mehr zum höflichen Lächeln hochkriegte. Ein Giftpfeil: „Dieser Mann weiß, wo er steht. Er glaubt am Mittwoch das Gleiche wie am Montag – egal, was dienstags passiert ist.“ Und Colberts vernichtende Parodie auf verschwurbelten Patriotismus ist einfach glorios: „Ich glaube an Amerika. Ich glaube, dass es existiert. Mein Bauch sagt mir, dass ich dort lebe. Ich fühle, dass es sich vom Atlantik bis zum Pazifik erstreckt. Und ich glaube felsenfest daran: Es hat 50 Staaten.“ Sein Fazit lieferte er schon mittendrin: „Misery accomplished!“ Hier folgt der erste Teil von Colberts Glanzstück im Angesicht des Opfers; die restlichen zwei gibt es dort.
Alle bisherigen Fundstücke des Tages:
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14,
15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, Oh, my Google!
Nachtrag vom 14.8.2006: Nachricht von: Ales Pavelka – Hi Matt, I found out that some people accessing my web site directly from you blog. Because my site is not a primary source of TTRH please add to your site notice about the main server and people who are the bravest of all and thanks to them we all have possibility to listen Bob Dylan's TTRH. Please see Patrick Crosley blog http://www.whitemanstew.com/2006/05/12/bob-dylans-theme-time-radio-hour/
10 August 2006
Hornochse!
„Donnerwetter!“, entfährt es heute Ms. Columbo, während sie Unterlagen studiert. Ein Ausruf, von dem ich ohne langes Nachdenken behaupten kann, ihn seit der letzten „Fix & Foxi“-Lektüre nicht mehr gehört zu haben. Und das ist gefühlte hundert Jahre her, muss also irgendwann in den 70ern gewesen sein.
Ms. Columbo amüsiert meine Irritation sehr, und sie fühlt sich bemüßigt, sie souverän mit einem „Potzblitz!“ zu verdoppeln, worauf ich nur mit einem recht lahmen „Heidewitzka!“ zu kontern imstande bin.
Wohin verschwinden eigentlich solche altgedienten Wörter? Gibt es irgendwo eine Art Seniorenresidenz für aus der Mode gekommene Vokabeln? Was zum Beispiel macht das Wörtchen „dalli“ heute? Wie geht es dem ergrauten „Gammler“? Hört er noch immer „Schallplatten“? Irgendwo in der hintersten Ecke des Wortseniorenstifts muss auch noch das gute alte „Fräulein“ einsame Tränen in seine Caprisonne weinen.
Anders als echte Rentner, deren genetisches Programm gnadenlos abläuft, könnte man ausgemusterte Worte revitalisieren, man könnte „knorke“ wie zufällig wieder einfließen lassen ins Ensemble der tagtäglich benutzten Superlative, man könnte ab und zu ein „mannigfach“ einstreuen oder zur Überraschung aller ein „behufs“.
Vor allem der Kanon der Beschimpfungen, von denen ich nachgewiesenermaßen ein feuriger Anhänger bin, erführe durch die Einbeziehung aller leichtfertig Ad-acta-Gelegten eine womöglich inspirierende Auffrischung. Nehmen wir die schöne, doch bereits fast komplett vergessene Beleidigung „Hornochse!“. Müsste nicht der mit dem Messer fuchtelnde und „Ich stech dich ab, Alda!“ krakeelende Grundschulabbrecher geradezu verblüfft verstummen angesichts dieses kapitalen Dreisilbers?
Wahrscheinlich gelänge uns das sogar mit Ms. Columbos Altersheiminsassen „Donnerwetter!“, aber drauf ankommen lassen würd’ ich's dann lieber doch nicht.
Ex cathedra: Die Top 3 der altbacken betitelten Songs
1. „Ich bin aus jenem Holze geschnitzt" von Reinhard Mey
2. „Wie schön blüht uns der Maien" von Hannes Wader
3. „Nearer my God to thee" von Pat Boone
Foto: universum.co.at
Ms. Columbo amüsiert meine Irritation sehr, und sie fühlt sich bemüßigt, sie souverän mit einem „Potzblitz!“ zu verdoppeln, worauf ich nur mit einem recht lahmen „Heidewitzka!“ zu kontern imstande bin.
Wohin verschwinden eigentlich solche altgedienten Wörter? Gibt es irgendwo eine Art Seniorenresidenz für aus der Mode gekommene Vokabeln? Was zum Beispiel macht das Wörtchen „dalli“ heute? Wie geht es dem ergrauten „Gammler“? Hört er noch immer „Schallplatten“? Irgendwo in der hintersten Ecke des Wortseniorenstifts muss auch noch das gute alte „Fräulein“ einsame Tränen in seine Caprisonne weinen.
Anders als echte Rentner, deren genetisches Programm gnadenlos abläuft, könnte man ausgemusterte Worte revitalisieren, man könnte „knorke“ wie zufällig wieder einfließen lassen ins Ensemble der tagtäglich benutzten Superlative, man könnte ab und zu ein „mannigfach“ einstreuen oder zur Überraschung aller ein „behufs“.
Vor allem der Kanon der Beschimpfungen, von denen ich nachgewiesenermaßen ein feuriger Anhänger bin, erführe durch die Einbeziehung aller leichtfertig Ad-acta-Gelegten eine womöglich inspirierende Auffrischung. Nehmen wir die schöne, doch bereits fast komplett vergessene Beleidigung „Hornochse!“. Müsste nicht der mit dem Messer fuchtelnde und „Ich stech dich ab, Alda!“ krakeelende Grundschulabbrecher geradezu verblüfft verstummen angesichts dieses kapitalen Dreisilbers?
Wahrscheinlich gelänge uns das sogar mit Ms. Columbos Altersheiminsassen „Donnerwetter!“, aber drauf ankommen lassen würd’ ich's dann lieber doch nicht.
Ex cathedra: Die Top 3 der altbacken betitelten Songs
1. „Ich bin aus jenem Holze geschnitzt" von Reinhard Mey
2. „Wie schön blüht uns der Maien" von Hannes Wader
3. „Nearer my God to thee" von Pat Boone
Foto: universum.co.at
Gesichtszwillinge (8)
Es gab mal einen Westcoastrocker namens Stephen Stills, der heiratete eine französische Chanteuse namens Veronique Sanson, und die Frucht ihrer Liebe tauften sie auf den Namen Chris.
Heute ist Chris Stills selbst ein bekannter Popsänger – und falls es mit dem neuen Album kommerziell nicht hinhaut, kann er sich einfach einen neuen Job suchen: als Doppelgänger von Jens Lehmann (Foto: abendblatt.de).
Heute ist Chris Stills selbst ein bekannter Popsänger – und falls es mit dem neuen Album kommerziell nicht hinhaut, kann er sich einfach einen neuen Job suchen: als Doppelgänger von Jens Lehmann (Foto: abendblatt.de).
09 August 2006
Hamburger Chaostage
Zurzeit arbeite ich hart an meinem Diplom als Blödmannsgehilfe. Sehr hart. Im Fitnessclub ließ ich meinen Spind unverschlossen und dazu auch noch die Tür gähnendweit offen. Als ich zurückkam, sah ich bestürzt die Bescherung – und meine zuvor in der Hose versteckte Geldbörse auf der Sporttasche liegen.
Allerdings war noch alles drin. Was soll das? Ein anständiger Diebstahl hätte mich wahrscheinlich weniger beunruhigt. Denn es ist erstaunlich, was so eine Börse dem Interessierten alles an Informationen bereitstellt: Scheckkartennummern, Krankenkasse, wie ich mit 19 aussah (der Führerschein!), wie Ms. Columbo heute aussieht (toll!), wo wir wohnen … WO WIR WOHNEN!
Tja, und gestern habe ich mir auch noch beinah die Zungenspitze abgebissen, und zwar kurz vor Abschluss des Abendessens, als ich schon längst satt war. Gier und wilder, ungezügelter Hunger gehören gemeinhin zu den häufigsten Ursachen für Zungenspitzenabbisse; beides traf zu diesem Zeitpunkt aber nicht mehr zu. Warum also dennoch? Ich weiß es nicht.
Als der groteske Schmerz (der durch das heutige Foto treffend illustriert wird) leicht nachließ, tat der beschädigte Teil der Zunge so, als klebe ein gummiartiger Sticker drauf, und die unwillkürlichen und hochvorsichtigen Versuche, das imaginäre Geklebsel loszuwerden, bestärkten die Blutung nicht gerade darin, endlich aufzuhören.
Minutenlang kühlte ich die Stelle zu Betäubungszwecken mit einem sehr empfehlenswerten 2005er Riesling Kabinett vom Moselwinzer Kallfelz. Der Wein indes erwärmte sich recht rasch, und ich musste mehrfach nachgießen.
Am Ende saß ich blutend und bedüdelt im Sessel und wusste: Ich hab das Diplom.
Als Blödmannsgehilfe.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über dummes Verhalten
1. „Ooops … I did it again" von Britney Spears
2. „Living next door to Alice" von Smokie
3. „One piece at a time" von Johnny Cash
Allerdings war noch alles drin. Was soll das? Ein anständiger Diebstahl hätte mich wahrscheinlich weniger beunruhigt. Denn es ist erstaunlich, was so eine Börse dem Interessierten alles an Informationen bereitstellt: Scheckkartennummern, Krankenkasse, wie ich mit 19 aussah (der Führerschein!), wie Ms. Columbo heute aussieht (toll!), wo wir wohnen … WO WIR WOHNEN!
Tja, und gestern habe ich mir auch noch beinah die Zungenspitze abgebissen, und zwar kurz vor Abschluss des Abendessens, als ich schon längst satt war. Gier und wilder, ungezügelter Hunger gehören gemeinhin zu den häufigsten Ursachen für Zungenspitzenabbisse; beides traf zu diesem Zeitpunkt aber nicht mehr zu. Warum also dennoch? Ich weiß es nicht.
Als der groteske Schmerz (der durch das heutige Foto treffend illustriert wird) leicht nachließ, tat der beschädigte Teil der Zunge so, als klebe ein gummiartiger Sticker drauf, und die unwillkürlichen und hochvorsichtigen Versuche, das imaginäre Geklebsel loszuwerden, bestärkten die Blutung nicht gerade darin, endlich aufzuhören.
Minutenlang kühlte ich die Stelle zu Betäubungszwecken mit einem sehr empfehlenswerten 2005er Riesling Kabinett vom Moselwinzer Kallfelz. Der Wein indes erwärmte sich recht rasch, und ich musste mehrfach nachgießen.
Am Ende saß ich blutend und bedüdelt im Sessel und wusste: Ich hab das Diplom.
Als Blödmannsgehilfe.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über dummes Verhalten
1. „Ooops … I did it again" von Britney Spears
2. „Living next door to Alice" von Smokie
3. „One piece at a time" von Johnny Cash
07 August 2006
Das Camillo-Felgen-Mantra
Neulich auf dem Flohmarkt an der Hoheluftchaussee stand ich versonnen vor einer alten 45er-Single von Camillo Felgen. Der Song auf der A-Seite, „Ich hab' Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren", fand auf erstaunlich homogene Weise seine inhaltliche Fortsetzung auf der B-Seite: „Schaukelstuhl, bleib niemals stehn". Und das verpackt in ein bedenkenlos unhippes Cover.
Wow, dachte ich in meiner Versonnenheit, welch mutige Preisung des in unserer besinnungslos jugendvernarrten Zeit so verpönten Alters!
Doch dazu später. Zunächst einmal dieser Name, den ich schon halb vergessen hatte, so tief ist er eingesunken in die Fernseh- und Hitparadengeschichte und somit auch in mein Kindheitsgedächtnis: Camillo Felgen. Camillo. Felgen. Wenn man sich diese fünf Silben oft genug vorsagt, kommt man dem Nirwana näher, als man es je erwartet hätte. Wirklich wahr, ich hab's ausprobiert.
Dabei war das nicht mal ein Künstlername, zumindest fast nicht. Der Luxemburger, der für die Beatles deutsche Fassungen ihrer Hits textete („Sie liebt dich“; „Komm gib mir deine Hand“) hieß nämlich Camille Jean Nicolas Felgen. Man braucht nur das o aus Nicolas herzunehmen, es zu tauschen gegen das e in Camille, streiche dann den ganzen Rest bis auf Felgen, und schon landet man bei diesem Mantra. Camillofelgen. Om.
Doch ich schweife ab. Das Besondere an dieser Single von 1973 war nämlich das unverblümte Feiern und Preisen eines gesellschaftlichen Zustandes, den man damals eigentlich nicht einmal hätte erahnen dürfen: die Gerontokratie.
Erst jetzt stecken wir mitten in der Pubertät dieser Gesellschaftsform; es werden bereits Bücher über unsere dramatische Vergreisung geschrieben, niemand zeugt mehr Kinder, es gibt bereits Seniorensupermärkte, die Rente ist so realistisch wie die Apokalypse nach den Berechnungen der Zeugen Jehovas, und ich selbst erkenne mit jedem neuen grauen Haar plötzlich die wachsende Relevanz dieser beiden Lieder, ihre hellsichtige, geradezu avantgardistische Kühnheit.
Camillofelgen. Der Nostradamus der 70er Jahre. Ich glaube, es ist höchste Zeit für einen Remix, von A- und B-Seite.
Wer übernimmt – Sven Väth?
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs übers alte Menschen
1. „Old man" von Neil Young
2. „When I'm 64" von The Beatles
3. „The ballad of Gary Glitter" von Al DeLoner
Wow, dachte ich in meiner Versonnenheit, welch mutige Preisung des in unserer besinnungslos jugendvernarrten Zeit so verpönten Alters!
Doch dazu später. Zunächst einmal dieser Name, den ich schon halb vergessen hatte, so tief ist er eingesunken in die Fernseh- und Hitparadengeschichte und somit auch in mein Kindheitsgedächtnis: Camillo Felgen. Camillo. Felgen. Wenn man sich diese fünf Silben oft genug vorsagt, kommt man dem Nirwana näher, als man es je erwartet hätte. Wirklich wahr, ich hab's ausprobiert.
Dabei war das nicht mal ein Künstlername, zumindest fast nicht. Der Luxemburger, der für die Beatles deutsche Fassungen ihrer Hits textete („Sie liebt dich“; „Komm gib mir deine Hand“) hieß nämlich Camille Jean Nicolas Felgen. Man braucht nur das o aus Nicolas herzunehmen, es zu tauschen gegen das e in Camille, streiche dann den ganzen Rest bis auf Felgen, und schon landet man bei diesem Mantra. Camillofelgen. Om.
Doch ich schweife ab. Das Besondere an dieser Single von 1973 war nämlich das unverblümte Feiern und Preisen eines gesellschaftlichen Zustandes, den man damals eigentlich nicht einmal hätte erahnen dürfen: die Gerontokratie.
Erst jetzt stecken wir mitten in der Pubertät dieser Gesellschaftsform; es werden bereits Bücher über unsere dramatische Vergreisung geschrieben, niemand zeugt mehr Kinder, es gibt bereits Seniorensupermärkte, die Rente ist so realistisch wie die Apokalypse nach den Berechnungen der Zeugen Jehovas, und ich selbst erkenne mit jedem neuen grauen Haar plötzlich die wachsende Relevanz dieser beiden Lieder, ihre hellsichtige, geradezu avantgardistische Kühnheit.
Camillofelgen. Der Nostradamus der 70er Jahre. Ich glaube, es ist höchste Zeit für einen Remix, von A- und B-Seite.
Wer übernimmt – Sven Väth?
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs übers alte Menschen
1. „Old man" von Neil Young
2. „When I'm 64" von The Beatles
3. „The ballad of Gary Glitter" von Al DeLoner
06 August 2006
Bei Fatih Akin hakt es
Ms. Columbo vertrat spontan die Auffassung, es handele sich um eine Falte im T-Shirt. Ich hatte ihr den Mopo-Artikel (Foto) hingehalten und sie gefragt, ob sie auch sähe, was ich sähe, nämlich den Namenszug „BUSH“ mit einem Hakenkreuz als S auf dem T-Shirt des Hamburger Regisseurs Fatih Akin.
Aber es ist keine Falte. Es ist wirklich ein Hakenkreuz.
Neulich vertrat jemand mir gegenüber die Einschätzung, es sei erbärmlich billig, Leute wie den Papst oder Bush zu kritisieren, weil sie ein allzu leichtes Opfer abgäben; es erfordere einfach keinen Mut. Andererseits: Wenn sich jemand allein dadurch, dass er füchterlich schlechte Politik macht, gegen jede Kritik immunisieren könnte, wüchse der Anreiz für ihn, falsche Entscheidungen zu treffen, ins Unendliche. Also muss man draufhauen auf jene, die des Draufhauens würdig sind.
Auch auf Bush natürlich. Aber nicht so, Fatih. Einerseits ist das Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole verboten, und das Hakenkreuz gehört dazu. Selbst Antifaschisten, die mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz gegen Nazis demonstrieren wollen, werden zurzeit rechtskräftig bestraft – dem Gesetz ist es eben pimpe, welches Motiv dahinter steckt. Zeigen ist strafbar, und Punkt.
Fatih Akin muss also mit einem Verfahren rechnen. Das ist die juristische Seite. Doch auch die politische Seite spricht gegen ihn. Klar ist Bush ein gefährlicher Fundamentalist, und wir wissen, wie bedrohlich und gnadenlos Regimes handeln können, deren Handlungsoptionen religiös motiviert sind. Aber eins ist sicher: Bush ist nicht Hitler, und die USA im Jahr 2006 sind nicht vergleichbar mit dem Dritten Reich.
Wer ein T-Shirt trägt, auf dem das S in „BUSH“ als Hakenkreuz dargestellt wird, verharmlost Hitler – denn diese Symbolik sagt auch, dass jener nicht schlimmer war als Bush. War der Holocaust also wirklich so was wie Guantanamo Bay? Ist der Irakkrieg vergleichbar mit dem Überfall auf die Sowjetunion? War die reine Willkür der Nazijustiz unter Freisler wirklich dem Obersten US-Gerichtshof ähnlich?
Wenn ja – und all das ist latent mitgemeint, wenn man BUSH mit Hakenkreuz-S schreibt –, dann waren die zwölf Jahre des 1000-jährigen Reiches nicht so furchtbar, wie uns die Geschichtsbücher weismachen wollen.
Natürlich hat Akin das alles ganz anders gemeint. Nützt aber nichts.
Aber es ist keine Falte. Es ist wirklich ein Hakenkreuz.
Neulich vertrat jemand mir gegenüber die Einschätzung, es sei erbärmlich billig, Leute wie den Papst oder Bush zu kritisieren, weil sie ein allzu leichtes Opfer abgäben; es erfordere einfach keinen Mut. Andererseits: Wenn sich jemand allein dadurch, dass er füchterlich schlechte Politik macht, gegen jede Kritik immunisieren könnte, wüchse der Anreiz für ihn, falsche Entscheidungen zu treffen, ins Unendliche. Also muss man draufhauen auf jene, die des Draufhauens würdig sind.
Auch auf Bush natürlich. Aber nicht so, Fatih. Einerseits ist das Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole verboten, und das Hakenkreuz gehört dazu. Selbst Antifaschisten, die mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz gegen Nazis demonstrieren wollen, werden zurzeit rechtskräftig bestraft – dem Gesetz ist es eben pimpe, welches Motiv dahinter steckt. Zeigen ist strafbar, und Punkt.
Fatih Akin muss also mit einem Verfahren rechnen. Das ist die juristische Seite. Doch auch die politische Seite spricht gegen ihn. Klar ist Bush ein gefährlicher Fundamentalist, und wir wissen, wie bedrohlich und gnadenlos Regimes handeln können, deren Handlungsoptionen religiös motiviert sind. Aber eins ist sicher: Bush ist nicht Hitler, und die USA im Jahr 2006 sind nicht vergleichbar mit dem Dritten Reich.
Wer ein T-Shirt trägt, auf dem das S in „BUSH“ als Hakenkreuz dargestellt wird, verharmlost Hitler – denn diese Symbolik sagt auch, dass jener nicht schlimmer war als Bush. War der Holocaust also wirklich so was wie Guantanamo Bay? Ist der Irakkrieg vergleichbar mit dem Überfall auf die Sowjetunion? War die reine Willkür der Nazijustiz unter Freisler wirklich dem Obersten US-Gerichtshof ähnlich?
Wenn ja – und all das ist latent mitgemeint, wenn man BUSH mit Hakenkreuz-S schreibt –, dann waren die zwölf Jahre des 1000-jährigen Reiches nicht so furchtbar, wie uns die Geschichtsbücher weismachen wollen.
Natürlich hat Akin das alles ganz anders gemeint. Nützt aber nichts.
05 August 2006
Zweiradsex
Vielleicht liegt es am Christopher Street Day, der heute halb Hamburg (unter Verschonung St. Paulis) mit bizarr kostümierten Wesen allerlei Geschlechts ausstattet – aber das abgebildete Motorrad am Bahnhof Altona kommt mir irgendwie … schwul vor.
Und wenn wir an dieser Stelle schon mal so hirnrissig kühn sind und Zweirädern sexuelle Bedürfnisse unterstellen, so darf man die beiden eingewachsenen Drahtesel in der Beckers Passage wohl mit Fug und Recht als in dieser Hinsicht krass unterversorgt betrachten. Wer sich derart lange nicht reiten lässt, darf sich eben nicht wundern, wenn irgendwann Gras über die ganze Sache wächst.
Die Kleinanzeigenrubrik „Fisch sucht Fahrrad“ bekommt übrigens in meiner verqueren Fantasie gerade eine ganz seltsame Nebenbedeutung.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs übers Reiten
1. „Night ride home" von Joni Mitchell
2. „Ride a white swan" von T. Rex
3. „Ballad of Jolly Jumper" von Mardi Gras.BB
Und wenn wir an dieser Stelle schon mal so hirnrissig kühn sind und Zweirädern sexuelle Bedürfnisse unterstellen, so darf man die beiden eingewachsenen Drahtesel in der Beckers Passage wohl mit Fug und Recht als in dieser Hinsicht krass unterversorgt betrachten. Wer sich derart lange nicht reiten lässt, darf sich eben nicht wundern, wenn irgendwann Gras über die ganze Sache wächst.
Die Kleinanzeigenrubrik „Fisch sucht Fahrrad“ bekommt übrigens in meiner verqueren Fantasie gerade eine ganz seltsame Nebenbedeutung.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs übers Reiten
1. „Night ride home" von Joni Mitchell
2. „Ride a white swan" von T. Rex
3. „Ballad of Jolly Jumper" von Mardi Gras.BB
Alles wird gut
Die Five-Bar an der Reeperbahn. Von draußen sieht man, wie erschreckend leer der Laden ist. Nur am Tresen sitzt eine junge Frau.
Doch etwas stimmt nicht am Gesamtbild.
Die Frau nämlich trägt ein Kopftuch, welches ihr Haar komplett verdeckt. Ihre Kleidung lässt bis auf Gesicht und Hände keine Haut sehen.
Eine Muslimin. Und sie sitzt in der Five-Bar am Tresen und unterhält sich giggelnd mit der Barkeeperin. Ein surrealistisches Bild.
Vielleicht wird doch noch alles gut.
Doch etwas stimmt nicht am Gesamtbild.
Die Frau nämlich trägt ein Kopftuch, welches ihr Haar komplett verdeckt. Ihre Kleidung lässt bis auf Gesicht und Hände keine Haut sehen.
Eine Muslimin. Und sie sitzt in der Five-Bar am Tresen und unterhält sich giggelnd mit der Barkeeperin. Ein surrealistisches Bild.
Vielleicht wird doch noch alles gut.
03 August 2006
Der Sitzfreund
Die Bedienung im Restaurant Freudenhaus (Foto: max-online) ist aufgedreht wie ein Brummkreisel. Jede unserer Antworten auf ihre Fragen kommentiert sie mit einem juchzenden „Super!“, wahlweise auch „Supi!“.
Und bevor sie Wein nachschenkt, legt sie dir jovial die Hand auf die Schulter wie einem alten Freund.
Ihr Energielevel amüsiert uns, wir fühlen uns wohl in ihrer Nähe. Am Ende des Dinners gehe ich zur Kasse und möchte zahlen.
„Von welchem Tisch kommst du?“, fragt sie.
Ich bin überrascht, sogar enttäuscht. Bis vor einer Sekunde habe ich mich noch gefühlt wie ihr alter Freund; sie saß doch gleichsam mit uns am Tisch!
„Du musst entschuldigen“, ergänzt sie eilig, „ich erkenne meine Gäste nur im Sitzen.“
Offenbar sehe ich von unten anders aus als von oben.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Kneipenbedienungen
1. „Highlands” von Bob Dylan
2. „Dear catastrophe waitress” von Belle & Sebastian
3. „Waiter there's a yawn in my ear" von Manfred Mann's Earthband
Und bevor sie Wein nachschenkt, legt sie dir jovial die Hand auf die Schulter wie einem alten Freund.
Ihr Energielevel amüsiert uns, wir fühlen uns wohl in ihrer Nähe. Am Ende des Dinners gehe ich zur Kasse und möchte zahlen.
„Von welchem Tisch kommst du?“, fragt sie.
Ich bin überrascht, sogar enttäuscht. Bis vor einer Sekunde habe ich mich noch gefühlt wie ihr alter Freund; sie saß doch gleichsam mit uns am Tisch!
„Du musst entschuldigen“, ergänzt sie eilig, „ich erkenne meine Gäste nur im Sitzen.“
Offenbar sehe ich von unten anders aus als von oben.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Kneipenbedienungen
1. „Highlands” von Bob Dylan
2. „Dear catastrophe waitress” von Belle & Sebastian
3. „Waiter there's a yawn in my ear" von Manfred Mann's Earthband
Eeeeebola!
Die Hamburger Hochbahn ließ im Mai einen „Haar Styling Zug“ übers Schienennetz tuckern, original mit Deppenleerzeichen. Leider habe ich die nur viertägige Aktion verpasst, sonst hätte ich meine drei Haare mal dem sogenannten Szenefriseur und Modelabelchef Michael Jung und seinem hochmotivierten Team hingehalten. Ich bin nämlich schon lange unzufrieden sowohl mit der Üppigkeit meines Haupthaars als auch mit der zunehmend verblassenden Kolorierung des verbliebenen Restes.
Vor allem aber hätte mich interessiert, wie das Team Jung die üblichen Zottelbärte auf den hintersten U-Bahnsitzen angegangen wäre, bei denen milieubedingte Spezifika eine Stilberatung erschweren. Zum Beispiel bei jenen Gesellen, die dazu neigen, in ihrer eigenen Kotze einzuschlafen. Oder die, welche statt Haaren eine festgebackene Filzmasse hutartig herumtragen, der sich selbst die hartgesottenen Mikrobiologen vom Tropeninstitut wohl nur mit Handschuhen und Mundschutz zu nähern wagten.
Andererseits hätten ja gerade Herrschaften mit Naturfilzhut das segensreiche Wirken des Teams Jung und der kooperierenden Körperpflegemarke besonders nötig gehabt. Aber egal: Ich hab die sicher sehr unterhaltsame Aktion eh komplett verpasst.
Apropos Tropeninstitut: Es ist weltberühmt und befindet sich nur wenige Fußminuten von hier in der Bernhard-Nocht-Straße. Gar nicht so selten fällt mir schaudernd ein, welch possierliche Kleinstlebewesen dort liebevoll in Kost und Logis gehalten werden. Zum Beispiel das Ebolavirus: keine hundert Meter Luftlinie von hier. Marburgvirus, Gelbfieber, HIV – die Tropeninstitutler sagen allmorgendlich herzhaft hallo zu diesen Schlawinern, natürlich im Schutzanzug.
Ms. Columbo und ich haben uns übrigens mal eine Zeitlang mit dem kleinen makabren Scherz vergnügt, den Werbespot eines schweizer Hustenbonbonherstellers virologisch anzuverwandeln – und statt des typischen „Riiiiicola!“ ein genau ins Versmaß passendes „Eeeeebola!“ zu jubilieren. Inzwischen gucken wir aber keine Fernsehwerbung mehr.
Von hinten übrigens sieht der Gebäudekomplex, in dem sich auch das Tropeninstitut befindet, streckenweise so aus wie auf dem heutigen Foto. Da sollte unbedingt auch mal ein Hair Styling Team drübergehen.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Kleinstlebewesen
1. „Language is a virus" von Laurie Anderson
2. „Die Wahrheit ist ein Virus" von Rainer von Vielen
3. und alles von Biohazard
Vor allem aber hätte mich interessiert, wie das Team Jung die üblichen Zottelbärte auf den hintersten U-Bahnsitzen angegangen wäre, bei denen milieubedingte Spezifika eine Stilberatung erschweren. Zum Beispiel bei jenen Gesellen, die dazu neigen, in ihrer eigenen Kotze einzuschlafen. Oder die, welche statt Haaren eine festgebackene Filzmasse hutartig herumtragen, der sich selbst die hartgesottenen Mikrobiologen vom Tropeninstitut wohl nur mit Handschuhen und Mundschutz zu nähern wagten.
Andererseits hätten ja gerade Herrschaften mit Naturfilzhut das segensreiche Wirken des Teams Jung und der kooperierenden Körperpflegemarke besonders nötig gehabt. Aber egal: Ich hab die sicher sehr unterhaltsame Aktion eh komplett verpasst.
Apropos Tropeninstitut: Es ist weltberühmt und befindet sich nur wenige Fußminuten von hier in der Bernhard-Nocht-Straße. Gar nicht so selten fällt mir schaudernd ein, welch possierliche Kleinstlebewesen dort liebevoll in Kost und Logis gehalten werden. Zum Beispiel das Ebolavirus: keine hundert Meter Luftlinie von hier. Marburgvirus, Gelbfieber, HIV – die Tropeninstitutler sagen allmorgendlich herzhaft hallo zu diesen Schlawinern, natürlich im Schutzanzug.
Ms. Columbo und ich haben uns übrigens mal eine Zeitlang mit dem kleinen makabren Scherz vergnügt, den Werbespot eines schweizer Hustenbonbonherstellers virologisch anzuverwandeln – und statt des typischen „Riiiiicola!“ ein genau ins Versmaß passendes „Eeeeebola!“ zu jubilieren. Inzwischen gucken wir aber keine Fernsehwerbung mehr.
Von hinten übrigens sieht der Gebäudekomplex, in dem sich auch das Tropeninstitut befindet, streckenweise so aus wie auf dem heutigen Foto. Da sollte unbedingt auch mal ein Hair Styling Team drübergehen.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Kleinstlebewesen
1. „Language is a virus" von Laurie Anderson
2. „Die Wahrheit ist ein Virus" von Rainer von Vielen
3. und alles von Biohazard
01 August 2006
Kollateralschäden der Klimakatastrophe
Jetzt, wo die Hitze Atempause macht, ist die Gelegenheit günstig, über ihre Nachteile zu sprechen. Hitze nämlich ist gefährlich. Nicht nur unmittelbar, auch indirekt.
Kramer zum Beispiel schlurft seit Tagen nur noch barfuß durch die Räume, und gestern rollte ihm der Franke mit seinem Stuhl versehentlich über den linken großen Zeh.
Hätte Kramer Gummistiefel getragen oder eisenbeschlagene Straßenschuhe, wie es etwa winters durchaus Usus ist, nichts wäre geschehen. So aber brüllte er auf wie Godzilla, der gerade einen Panzerfausteinschlag im Schritt wegstecken muss.
Bestürzt stürmte ich rüber ins Nachbarbüro. „Nicht lachen“, mahnte der Franke bei meinem Eintritt beschwörend und mit ernster Miene, während Kramer durch wildes Fluchen und Herumspringen die Phase des akuten Schmerzgebrülls zu überbrücken suchte.
Keine Stunde später drang erneut ein urtümlicher Schrei aus diesem Abu Ghureib Ottensens, und wieder war unverkennbar Kramer das Opfer. Diesmal gemahnten Timbre und Ausdruckskraft seiner vokalen Eruptionen eher an King Kong auf dem Empire State Building (Remakefassung). Was war denn jetzt schon wieder passiert?
Gelassener als beim ersten Mal begab ich mich zur Erkundung der näheren Umstände hinüber. Der Franke hatte erneut diesen warnenden „Bloß nicht lachen!“-Blick, während Kramer durchs Büro marodierte wie eine amoklaufende Abrissbirne. Offenbar war er intuitiv zu der Überzeugung gelangt, es sei ein probates Mittel zur Linderung seines Leids, unschuldige Gegenstände wie Bücher, Sandalen oder halbplatte Minilederbälle in alle Büroecken zu pfeffern. Mir schien zwar spontan eine Packung Thomapyrin geeigneter, doch ich hielt schön den Mund.
Kramer jedenfalls hüpfte auf dem vor einer Stunde noch immobilen Fuß herum, was diesmal klar das rechte Pendant als geschädigt auswies. Allmählich kristallisierten sich auch vage die Details des Zwischenfalls heraus. Eine seiner Lautsprecherboxen war wohl durch letztlich unklärbare Umstände vom Tisch gerutscht und ihm dann direkt auf den rechten großen Zeh gedonnert – offenbar mit der Ecke voran, so dass sich die kinetische Energie der Box sehr effizient auf einer kleinen Stelle der Kramerschen Gesamtkonstruktion entladen konnte.
Den genauen Verlauf durch Rückfragen zu klären, kam keinesfalls in Frage. Dazu fehlte sowohl dem Franken als auch mir der Mut. So betrachteten wir stumm unser geschundenes Mitgeschöpf, welches seiner schmerzbefeuerten Wut auf Gott und die Welt und jedes Grad Celsius freien Lauf ließ und keinerlei Ansprache mehr zugänglich war.
Später, als ich noch einmal vorsichtig um die Ecke ins Nachbarbüro lugte, sah ich Kramer auf seinem Stuhl kauern und mit einem Eisbeutel hantieren. Für ein freundliches Wort war es aber immer noch zu früh. Und schuld ist wer? Die Klimakatastrophe.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Schmerz
1. „Hurt" von Johnny Cash
2. „Pain killer" von Turin Brakes
3. „A pain that I'm used to" von Depeche Mode
Kramer zum Beispiel schlurft seit Tagen nur noch barfuß durch die Räume, und gestern rollte ihm der Franke mit seinem Stuhl versehentlich über den linken großen Zeh.
Hätte Kramer Gummistiefel getragen oder eisenbeschlagene Straßenschuhe, wie es etwa winters durchaus Usus ist, nichts wäre geschehen. So aber brüllte er auf wie Godzilla, der gerade einen Panzerfausteinschlag im Schritt wegstecken muss.
Bestürzt stürmte ich rüber ins Nachbarbüro. „Nicht lachen“, mahnte der Franke bei meinem Eintritt beschwörend und mit ernster Miene, während Kramer durch wildes Fluchen und Herumspringen die Phase des akuten Schmerzgebrülls zu überbrücken suchte.
Keine Stunde später drang erneut ein urtümlicher Schrei aus diesem Abu Ghureib Ottensens, und wieder war unverkennbar Kramer das Opfer. Diesmal gemahnten Timbre und Ausdruckskraft seiner vokalen Eruptionen eher an King Kong auf dem Empire State Building (Remakefassung). Was war denn jetzt schon wieder passiert?
Gelassener als beim ersten Mal begab ich mich zur Erkundung der näheren Umstände hinüber. Der Franke hatte erneut diesen warnenden „Bloß nicht lachen!“-Blick, während Kramer durchs Büro marodierte wie eine amoklaufende Abrissbirne. Offenbar war er intuitiv zu der Überzeugung gelangt, es sei ein probates Mittel zur Linderung seines Leids, unschuldige Gegenstände wie Bücher, Sandalen oder halbplatte Minilederbälle in alle Büroecken zu pfeffern. Mir schien zwar spontan eine Packung Thomapyrin geeigneter, doch ich hielt schön den Mund.
Kramer jedenfalls hüpfte auf dem vor einer Stunde noch immobilen Fuß herum, was diesmal klar das rechte Pendant als geschädigt auswies. Allmählich kristallisierten sich auch vage die Details des Zwischenfalls heraus. Eine seiner Lautsprecherboxen war wohl durch letztlich unklärbare Umstände vom Tisch gerutscht und ihm dann direkt auf den rechten großen Zeh gedonnert – offenbar mit der Ecke voran, so dass sich die kinetische Energie der Box sehr effizient auf einer kleinen Stelle der Kramerschen Gesamtkonstruktion entladen konnte.
Den genauen Verlauf durch Rückfragen zu klären, kam keinesfalls in Frage. Dazu fehlte sowohl dem Franken als auch mir der Mut. So betrachteten wir stumm unser geschundenes Mitgeschöpf, welches seiner schmerzbefeuerten Wut auf Gott und die Welt und jedes Grad Celsius freien Lauf ließ und keinerlei Ansprache mehr zugänglich war.
Später, als ich noch einmal vorsichtig um die Ecke ins Nachbarbüro lugte, sah ich Kramer auf seinem Stuhl kauern und mit einem Eisbeutel hantieren. Für ein freundliches Wort war es aber immer noch zu früh. Und schuld ist wer? Die Klimakatastrophe.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Schmerz
1. „Hurt" von Johnny Cash
2. „Pain killer" von Turin Brakes
3. „A pain that I'm used to" von Depeche Mode
Abonnieren
Posts (Atom)