28 Januar 2007

Jarvis kann Deutsch

Ein knallbunter Konzertsamstag, wie er nur auf St. Pauli möglich ist. Er beginnt nachmittags gegen 16 Uhr. Ich schaue mir die Berliner Prollrapper B-Tight und Sido im Grünspan an, was sich merkwürdig anfühlt, weil die meisten im Publikum meine Kinder sein könnten.

Trotzdem packt mich der Beat, denn wenn Drums und Bass rhythmisch mit den wilden Wortkaskaden der Rapper verschmelzen, hat das eine seltsame archaische Kraft, der man sich physisch kaum entziehen kann.

Intellektuell schon, denn Sido rotzt Sachen raus wie: „Ich behalt alles für mich, ich geb nie ab, ich scheiß auf Mitleid und Gefühl, ich geb nen Fick, ich bin unberechenbar.“ Vor allem stört mich natürlich der Anglizismus „Ich geb nen Fick“, doch das ahnten hier manche sicher schon.

Schon Freitagabend war ich von Fußballreporter Oliver Forster entsprechend geeicht worden. Kurz vor Schluss hatte er nämlich gruselig herumanglisiert: „Noch zwei Minuten zu gehn.“ Ein Deutschlehrer täte ihm gut, dem Forster (der übrigens in meiner Tipprunde mitspielt).


Abends erzählt uns Pulp-Legende Jarvis Cocker beim Konzert in der Großen Freiheit dann von seinem Deutschpauker. Der trug angeblich eine einzelne weiße Strähne im Haar, die aussah wie Vogelschiss. Immerhin brachte dieser Lehrer ihm Begriffe bei wie „Spiekley mid Bradkardoff'ln“.

Übrigens ist Jarvis auch schlagfertig. Er braucht keine Zehntelsekunde, um den Ruf „Don’t fuck it up!“ aus dem Publikum lakonisch mit „Too late“ zu kontern. (Ich frage mich gerade, wie Sido „Don’t fuck it up“ übersetzen würde – vielleicht mit „Verfick’s nicht“?)

Danach geht es ins Knust, wo ein kleines Festival stattfindet. Die erste Band ist schon durch, doch alsbald betritt der spröde Schwede Kristofer Åström die Bühne, um ein 90-minütiges Vollkonzert zu zupfen, was mir – ausgelaugt von B-Tight, Sido und Jarvis – zusehends die letzten Kräfte raubt. So sieht man mich in den letzten 20 Minuten vor der Theke auf der Couch sitzen, wo ich Bier trinke und versuche, im Halbdunkel Hinnerk zu lesen.

Irgendwelche transferierbare Erkenntnisse für mein Heteroleben gewinne ich nicht, und ich radele nach Hause und gucke noch stundenlang „Schlag den Raab“. Erkenntnisgewinn dort: Raab kann nicht rechnen – was ProSieben satte 1,5 Millionen Euro kostet. Autsch.

(Dieser Eintrag ist übrigens nichts anderes als eine ebenso latente wie wortreiche und absolut überzeugende Rechtfertigung dafür, gestern nichts gebloggt zu haben.)

7 Kommentare:

  1. Tja, dass mit dem Rap und dem Hip-Hop ist halt so eine Sache. Eigentlich bin ich ja dem Jazz verhaftet, aber ich zucke auch bei gutem Rap und Hip-Hop. Mit meiner pupertierenden Tochter war ich 2003 bei Eminem, war sicher einer der Älteren, fand es aber auch irgendwie bewegend. Und da ich, jetzt 41, in meiner Jugend die erste Welle des Hip Hop und Raps voll abbekommen habe, breakdancend durch die Discotheken gezuckt bin, ist es halt in mir drin und lässt mich nicht mehr los. Ich verstehe dich also. :)

    P.S. In der Zeit gab es mal ein Dossier über Hip Hop. Tenor des Artikels. Hip Hop ist überall und hat den Rock`n Roll abgelöst. Werden die Rocker nicht so schön finden, aber es ist wohl so.

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  2. Siehst Du!
    Und ich habe mir schon Sorgen gemacht ,du bist krank..weil nicht gebloggt.*grins*

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  3. Ich mag Sido nicht. Aber ich muss gestehen, dass mir Bushido immer mehr zusagt. Diese Beat von "Sonnenbankflavour" ist einfach genial.
    Oh, ja, der Jarvis, das war schön. Bei "I will kill again" hatte ich ne Träne im Auge. *schnief*

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  4. Apropos "Hinnerk". Kennen Sie schon die Liste der "schwulen Bands?"?

    http://blindtextblog.blogspot.com/2007/01/schwule-bands.html

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  5. Nein, kannte ich noch nicht … Aber warum diese christlichen so ausgewiesen heterosexuelle Leute wie Björk, die Stones, Nirvana oder Madonna als schwule (und damit gefährliche) Künstler einstufen, ist mir nicht ganz klar.

    Vielleicht sind sie allesamt zu homophil.

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  6. Klarer Fall von Verzettelung. Mir hätte das hier schon gereicht:

    http://absurdistan.blogspot.com/2007/01/whispers-of-winter.html

    Ich bin sicher, ich hätte es genossen.

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  7. ..schön auch dieses "weiß du was ich mein'" hinter jedem Dreiwortsatz. Auch versucht aus dem Englischen zu importieren, erfolglos. Weiß nicht, warum das immer so lächerlich klingt, alder ey :)

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