Der Traum ging so: Tagsüber sollte es niagaraartig schütten und die Spaßterroristen des Schlagermove vom Kiez spülen; abends dann würde es plötzlich aufklaren, so dass wir uns unter linden Bedingungen dem größten Konzert aller Zeiten widmen könnten, nämlich „Live Earth“ im Volksparkstadion.
Zunächst lief alles nach Plan. Es goss, als stünde Noah persönlich an den Schleusen. Ms. Columbo und ich frohlockten, während das vom Spielbudenplatz herüberwehende „Griechischer Wein“ übertönt wurde vom infernalischen Pladdern der Sintflut.
Das anschließende Aufklaren verfolgten wir bang, nahmen aber gegen 15:26 Uhr das göttliche Geschenk eines anständigen Gewitters gerne an.
Komischerweise schien den Veranstaltern ein Abbruch des Schlagermoves gleichwohl keine Option. Und dann wurde es um kurz nach 4 auch noch empörend trocken; nur die von Westen heraneilenden Wolkenwände ließen die Hoffnung leben.
Und siehe da: Um 16:55 zog irgendwo dort droben jemand erneut den ganz großen Stöpsel raus. Yippie! 17:35 aber ein ernster Rückschlag. Kurz bevor John Denvers „Country roads“ die Scheiben der Sexshops zum Klirren brachte, kam gar die verdammte Sonne raus.
Andererseits nahte auch unserer „Live Earth“-Besuch, und ein minutengenaues Timing kann man selbst Petrus nicht abverlangen. Wir brachen also auf. Ich schlug vor, über die Reeperbahn zur S-Bahn zu gehen, um einen angeekelten Blick auf die durchgeknallte Hossa-Hamas zu werfen. Doch erwies sich das als die schlechteste Idee, seit ich damals in Belgrad den falschen Zug bestiegen hatte und dies erst acht Stunden später bemerkte: an der Endstation.
Wir hingen nämlich sofort fest zwischen Massen lallender Rosaperückenträger, während auf der Reeperbahn Themenwagen entlangkrochen, die uns mit gefühlten zwanzigtausend Watt „Fremder Mann“ in alle Körperöffnungen pressten.
Endlich bei „Live Earth“. Der zweite Teil des Traum wurde einschränkungslos wahr: Es blieb trocken. Das Stadion aber gähnte vor Leere. In den Umbaupausen lief auf der Leinwand das Schwesterfestival in London, was uns schmerzlich bewusst machte, mit welchem Mittelmaß wir abgespeist wurden.
Hier Revolverheld – dort Duran Duran. Hier Juli – dort Metallica. Hmpf. Immerhin interpretierte Juli-Sängerin Eva Briegel die herbstlichen Temperaturen ganz und gar Gore-gemäß: „Es ist kälter geworden“, freute sie sich über ein wichtiges globales Ziel der Megaveranstaltung, „es wirkt schon!“
Das erklärt übrigens auch meine Aufmachung auf dem Foto.
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08 Juli 2007
07 Juli 2007
Lauter Banalitäten, aber wenigstens musikalische
Bereits gestern hatte mich Heißhunger auf bretonische Harfenmusik gepackt.
Wahrscheinlich lag es an etwas Kreuzbanalem, vielleicht war beim Skippen durchs „Fernseh” (Poodle) irgendwo im Off ein Harfenpartikel aufgeblitzt und hatte mir à la Proust eine verschollene Erinnerung aus dem Gedächtnis gefischt.
Heute jedenfalls gestand ich Ms. Columbo diesen Heißhunger – und gleich darauf auch das Bedürfnis, ihn endlich zu stillen, hier und jetzt.
Gottergeben sah sie mir zu, wie ich zur LP-Sammlung schritt und drei 70er-Jahre-Alben der bretonischen Harfencombo An Triskell hervorzog, um eine nach der anderen umstandslos aufzulegen – nicht ohne in erklärendes Salbadern zu verfallen übers Weshalb und Warum dieses von ihr richtigerweise als „schräg“ rubrizierten Tuns.
Aus welchen Gründen ich Ms. Columbo dann aber mit Zeltingers Kölschpunk „Müngersdorfer Stadion“ malträtierte, bleibt unklar. Und warum bloß stellte ich uns danach unter die prasselndste Fremdschämvolldusche seit „Borat“, nämlich mit Udo Lindenbergs „Wozu sind Kriege da?“? Der Abend endete dennoch versöhnlich, dank eines Dylan-Bootlegs („The Genuine Basement Tapes“, Teil 3).
Wen das alles interessieren soll, liegt übrigens genauso im Dunkeln wie die Ursache meines Heißhungers auf bretonische Harfenmusik.
Hat eigentlich jemand die Vinylsingle „Blanc bleu rouge“ von An Triskell? Das Ding muss ich haben. Wirklich.
Wahrscheinlich lag es an etwas Kreuzbanalem, vielleicht war beim Skippen durchs „Fernseh” (Poodle) irgendwo im Off ein Harfenpartikel aufgeblitzt und hatte mir à la Proust eine verschollene Erinnerung aus dem Gedächtnis gefischt.
Heute jedenfalls gestand ich Ms. Columbo diesen Heißhunger – und gleich darauf auch das Bedürfnis, ihn endlich zu stillen, hier und jetzt.
Gottergeben sah sie mir zu, wie ich zur LP-Sammlung schritt und drei 70er-Jahre-Alben der bretonischen Harfencombo An Triskell hervorzog, um eine nach der anderen umstandslos aufzulegen – nicht ohne in erklärendes Salbadern zu verfallen übers Weshalb und Warum dieses von ihr richtigerweise als „schräg“ rubrizierten Tuns.
Aus welchen Gründen ich Ms. Columbo dann aber mit Zeltingers Kölschpunk „Müngersdorfer Stadion“ malträtierte, bleibt unklar. Und warum bloß stellte ich uns danach unter die prasselndste Fremdschämvolldusche seit „Borat“, nämlich mit Udo Lindenbergs „Wozu sind Kriege da?“? Der Abend endete dennoch versöhnlich, dank eines Dylan-Bootlegs („The Genuine Basement Tapes“, Teil 3).
Wen das alles interessieren soll, liegt übrigens genauso im Dunkeln wie die Ursache meines Heißhungers auf bretonische Harfenmusik.
Hat eigentlich jemand die Vinylsingle „Blanc bleu rouge“ von An Triskell? Das Ding muss ich haben. Wirklich.
06 Juli 2007
Moby Dick und meine Badelatschen
Heute hatte alles einen Wasserbezug, nicht nur wegen des Regens. Nein, im Hafen liegt auch ein toter Pottwal (Foto: Spon).
Außerdem habe ich neue Badelatschen gekauft. Sie steckten in einer luftdichten Plastikhülle, deshalb enttarnten sie ein wichtiges Detail erst nach dem Auspacken. Die Latschen stinken nämlich, und zwar bestialisch.
Es ist, als hätten sich eine Teer- und eine Lackfabrik zusammengetan, um danach einen gewaltigen gemeinsamen Rülpser auszustoßen. Und dann noch einen.
Ms. Columbo jedenfalls rümpft zu Recht die hübsche Nase. „Kannst du sie nicht heute Nacht auf dem Balkon auslüften lassen?“, fragt sie rhetorisch. „Sie sind bestimmt nicht mit dem Kyoto-Protokoll zu vereinbaren.“
Genau diesen Verdacht habe ich auch. Gäbe es eine Methode, die Badelatschen zu verflüssigen, könnte man mit der entstehenden Brühe wahrscheinlich ein Auto betanken und die Rallye Paris-Dakar gewinnen. Oder einen toten Pottwal für sehr, sehr lange Zeit konservieren.
Mal sehen, wie morgen früh die olfaktorische Lage ist, nach der Nacht auf dem Balkon.
Außerdem habe ich neue Badelatschen gekauft. Sie steckten in einer luftdichten Plastikhülle, deshalb enttarnten sie ein wichtiges Detail erst nach dem Auspacken. Die Latschen stinken nämlich, und zwar bestialisch.
Es ist, als hätten sich eine Teer- und eine Lackfabrik zusammengetan, um danach einen gewaltigen gemeinsamen Rülpser auszustoßen. Und dann noch einen.
Ms. Columbo jedenfalls rümpft zu Recht die hübsche Nase. „Kannst du sie nicht heute Nacht auf dem Balkon auslüften lassen?“, fragt sie rhetorisch. „Sie sind bestimmt nicht mit dem Kyoto-Protokoll zu vereinbaren.“
Genau diesen Verdacht habe ich auch. Gäbe es eine Methode, die Badelatschen zu verflüssigen, könnte man mit der entstehenden Brühe wahrscheinlich ein Auto betanken und die Rallye Paris-Dakar gewinnen. Oder einen toten Pottwal für sehr, sehr lange Zeit konservieren.
Mal sehen, wie morgen früh die olfaktorische Lage ist, nach der Nacht auf dem Balkon.
04 Juli 2007
Schäuble ist undankbar
Ein aktueller Artikel auf tagesschau.de beschäftigt sich mit Blogaktionen gegen die immer schamloseren Schnüffelambitionen unserer Regierung. Dabei wird auch mein Aufruf „Blogger helfen Schäuble“ erwähnt.
Grund genug für ein kurzes Fazit dieser Aktion. Nicht nur ich, auch der erwiesene Staatsfreund German Psycho und viele andere verschickten wochenlang ihre privaten Mails in Kopie auch an Dr. Wolfgang Schäuble.
Das Seltsame aber: Es gab nie auch nur das kleinste Reaktiönchen, und deshalb macht die Aktion zurzeit Pause.
Es scheint nämlich, als sei unser Innenminister einer vom Stamme Nimm; mit Gegenleistungen hingegen hat er es nicht so. Stoisch schweigend nahm er unseren patriotischen Einsatz hin, als sei der selbstverständlich. Dabei ist er das gar nicht!
Ein klitzekleines Dankeschön wäre m. E. also schon opportun gewesen, oder wenigstens das Bundesverdienstkreuz am Bande. Gab es aber beides nicht.
Und so was verletzt schon ein Stück weit.
Grund genug für ein kurzes Fazit dieser Aktion. Nicht nur ich, auch der erwiesene Staatsfreund German Psycho und viele andere verschickten wochenlang ihre privaten Mails in Kopie auch an Dr. Wolfgang Schäuble.
Das Seltsame aber: Es gab nie auch nur das kleinste Reaktiönchen, und deshalb macht die Aktion zurzeit Pause.
Es scheint nämlich, als sei unser Innenminister einer vom Stamme Nimm; mit Gegenleistungen hingegen hat er es nicht so. Stoisch schweigend nahm er unseren patriotischen Einsatz hin, als sei der selbstverständlich. Dabei ist er das gar nicht!
Ein klitzekleines Dankeschön wäre m. E. also schon opportun gewesen, oder wenigstens das Bundesverdienstkreuz am Bande. Gab es aber beides nicht.
Und so was verletzt schon ein Stück weit.
Wer stoppt den Regen? Gute Frage.
Beim Konzert von John Fogerty im Stadtpark regnet es praktisch vom ersten bis zum letzten Stück. Der Mann rockt, dass sich ihm die dritten Zähne lockern, aber überdacht und deshalb im Trockenen.
Wir hingegen – also Tish Hinojosa und ich – stehen im Matsch. Das Wasser kommt nicht in Tropfen vom Himmel, sondern in Fäden. Was aber auch Vorteile hat. Denn süffelt man sein Bier im Regen, sinkt der Pegel im Becher deutlich langsamer, als es die Trinkgeschwindigkeit eigentlich nahelegt.
Natürlich sinkt zugleich auch peu à peu der Alkoholgehalt, doch das werden nur Proleten als Nachteil empfinden. Dem Mann von Welt indes vermittelt sich dies einfach als verfeinertes Geschmackserlebnis.
Ähnliches gilt auch für die Musik. Wer nie von John Fogerty live und persönlich überzeitliche Großballaden wie „Have you ever seen the rain“ und „Who’ll stop the rain“ serviert bekam, derweil ihm sinnigerweise bindfadenartiger Regen den Bierbecher auffüllte, der kann nicht mitreden bei den Themenkomplexen Rock’n’Roll, Authentizität, Tautologie und dämliche Zufälle.
Das weiß ich aber selbst erst seit heute Abend. Und jetzt schnell umziehen.
Wir hingegen – also Tish Hinojosa und ich – stehen im Matsch. Das Wasser kommt nicht in Tropfen vom Himmel, sondern in Fäden. Was aber auch Vorteile hat. Denn süffelt man sein Bier im Regen, sinkt der Pegel im Becher deutlich langsamer, als es die Trinkgeschwindigkeit eigentlich nahelegt.
Natürlich sinkt zugleich auch peu à peu der Alkoholgehalt, doch das werden nur Proleten als Nachteil empfinden. Dem Mann von Welt indes vermittelt sich dies einfach als verfeinertes Geschmackserlebnis.
Ähnliches gilt auch für die Musik. Wer nie von John Fogerty live und persönlich überzeitliche Großballaden wie „Have you ever seen the rain“ und „Who’ll stop the rain“ serviert bekam, derweil ihm sinnigerweise bindfadenartiger Regen den Bierbecher auffüllte, der kann nicht mitreden bei den Themenkomplexen Rock’n’Roll, Authentizität, Tautologie und dämliche Zufälle.
Das weiß ich aber selbst erst seit heute Abend. Und jetzt schnell umziehen.
03 Juli 2007
Eine Erde reicht uns nicht
Wir fliegen nie (okay, das liegt an meiner Flugangst), und wir fahren kein Auto.
Wir essen vor allem frische, unverpackte Lebensmittel, beziehen Ökostrom und stolpern lieber im Dunkeln durchs Treppenhaus, als diese dämonische Nichtenergiesparlampe anzuknipsen.
Und trotzdem: Lebten alle so wie Ms. Columbo und ich, bräuchten wir exakt 2,3 Planeten.
Ja, was sollen wir denn NOCH tun, Himmelsakra?
(Auf den Link zu diesem teuflischen Test wies mich dieser Herr hin. Na, danke auch …)
Wir essen vor allem frische, unverpackte Lebensmittel, beziehen Ökostrom und stolpern lieber im Dunkeln durchs Treppenhaus, als diese dämonische Nichtenergiesparlampe anzuknipsen.
Und trotzdem: Lebten alle so wie Ms. Columbo und ich, bräuchten wir exakt 2,3 Planeten.
Ja, was sollen wir denn NOCH tun, Himmelsakra?
(Auf den Link zu diesem teuflischen Test wies mich dieser Herr hin. Na, danke auch …)
01 Juli 2007
Warum ich nicht in einer Dokusoap mitspiele
Morgen um 18 Uhr startet auf RTL II eine neue tägliche Dokusoap über den Alltag auf St. Pauli. Sie heißt „Mein Kiez“.
Das erwähne ich nicht nur, weil sie eine hübsche Ergänzung zu diesem Blog sein könnte, sondern auch, weil ich vor einigen Wochen gefragt wurde, ob ich nicht selber mitspielen möchte.
Wollte ich nicht. Mein Durchschnittsgesicht gehört mir, da gehört es hin, und das kriegt auch in diesem Blog niemand zu sehen.
Der wichtigste Grund aber war der: Ich hätte angesichts einer Kamera bestimmt nur hochrot rumgestottert, idiotisch gegrinst und insgesamt gewirkt wie ein grenzdebiler IQ-Abstinenzler.
Vor allem mir selber mochte ich das nicht zumuten (für den Rest der Welt wäre das womöglich unterhaltsam gewesen). „Aber stell dir mal die explodierenden Zugriffszahlen auf dein Blog vor!“, charmierte mich Andreas, über den die Produzentin von „Mein Kiez“ mich kontaktiert hatte.
Ja, wirklich reizvoll. Wenn man aber meine Abneigung in Relation setzt zu vielleicht tausend Klicks mehr, dann verhält sie sich wie der Pazifik zu einer Urinpfütze am Rande der Reeperbahn.
Und nicht weit davon entfernt – nämlich in der Wohlwillstraße – ist das heutige Foto entstanden.
Das erwähne ich nicht nur, weil sie eine hübsche Ergänzung zu diesem Blog sein könnte, sondern auch, weil ich vor einigen Wochen gefragt wurde, ob ich nicht selber mitspielen möchte.
Wollte ich nicht. Mein Durchschnittsgesicht gehört mir, da gehört es hin, und das kriegt auch in diesem Blog niemand zu sehen.
Der wichtigste Grund aber war der: Ich hätte angesichts einer Kamera bestimmt nur hochrot rumgestottert, idiotisch gegrinst und insgesamt gewirkt wie ein grenzdebiler IQ-Abstinenzler.
Vor allem mir selber mochte ich das nicht zumuten (für den Rest der Welt wäre das womöglich unterhaltsam gewesen). „Aber stell dir mal die explodierenden Zugriffszahlen auf dein Blog vor!“, charmierte mich Andreas, über den die Produzentin von „Mein Kiez“ mich kontaktiert hatte.
Ja, wirklich reizvoll. Wenn man aber meine Abneigung in Relation setzt zu vielleicht tausend Klicks mehr, dann verhält sie sich wie der Pazifik zu einer Urinpfütze am Rande der Reeperbahn.
Und nicht weit davon entfernt – nämlich in der Wohlwillstraße – ist das heutige Foto entstanden.
Auf dem Nachtflohmarkt
Wie alles auf dem Kiez geht hier auch ein Flohmarkt erst zu später Stunde los, und deshalb heißt der auf dem Spielbudenplatz neben der Reeperbahn auch kurzerhand Nachtflohmarkt.
Seine Laufzeit – von 17 bis 23.30 Uhr – ist für Spätaufsteher wie mich von geradezu erotischem Reiz. Ich war sogar wild entschlossen, dort einen eigenen Stand zu betreiben. Allerdings fand sich für heute kein Mitstreiter, weshalb ich erst bei einem der nächsten meine Waren feilbieten werde. Lauter legale natürlich.
Beim Streunen über den Markt stachen relativ wenige kieztypische Stände ins Auge; der abgebildete gehörte aber definitiv dazu. Trotzdem erstand ich keine dreiviertelnackten Schaufensterpuppen, sondern langweiligerweise das, was ich immer erstehe, nämlich viel zu viele Platten.
Und ich knipste den Himmel überm Spielbudenplatz. Ein halbgarer Sommer wie dieser fährt nämlich am Firmament ästhetisch besonders viel auf – und bietet so jede Chance, sich auch dieses Wetter schönzureden.
30 Juni 2007
Mein Dauerkartenversuch
Klar. Selbstverständlich. Natürlich reserviere ich mir den Vormittag meines letzten Urlaubstags für die Schlange vorm Fanladen des FC St. Pauli, schließlich will ich eine Dauerkarte für die nächste Saison.
Ich bereite mich vor wie auf eine Expedition. Als ich am Stadion ankomme, bin ich bestens gerüstet: mit Mütze und Schirm (gegen den Regen), Winterjacke (gegen den empörend bissigen Juniwind), anderthalb Liter Mineralwasser (gegen den Durst) und aktuellem Spiegel (gegen die Langeweile).
Nur ein Klappstuhl fehlt, was mir aber erst nach anderthalb Stunden millimeterweisen Vorrückens unangenehm auffällt. Ich ertappe mich sogar dabei, den Rollstuhlfahrer hinter mir zu beneiden, schäme mich aber nur ein ganz klein bisschen.
Endlich habe ich mich vorgekämpft bis ins Innere des Containers; es ist, als stünde man vor der Himmelspforte. „Eine Dauerkarte für die Haupttribüne“, sage ich erschöpft und glücklich zu Petrus, „letzte Saison hatte ich noch keine, aber hier ist mein Mitgliedsausweis.“
Petrus schaut mich an. Und sagt irgendwie milde: „Tut mir Leid, ich kann dir keine verkaufen. Die bisherigen Kartenbesitzer haben ein Vorkaufsrecht. Nur wenn danach noch welche übrig sind, hast du vielleicht eine Chance. Aber die ist klein.“
Etwas in mir zerbricht, doch zum Glück sehr leise. Die anderen in der Schlange hören es nicht. Sie schweigen auch alle taktvoll. Das ist St. Pauli, yeah.
Als ich am verlorenen Vormittag meines letzten Urlaubstages zerbrochen aus dem Container schleiche, verstaut der Rollstuhlfahrer am Nachbarschalter gerade seine Dauerkarte in der Geldbörse und zockelt davon.
Ich folge ihm unbemerkt. Jetzt weiß ich, wo er wohnt. Nur für den Fall, dass ich nach der Verkaufsphase für die Vorsaisondauerkartenbesitzer doch nicht zum Zug kommen sollte. Aber so weit wird es nicht kommen.
In seinem Interesse.
Ich bereite mich vor wie auf eine Expedition. Als ich am Stadion ankomme, bin ich bestens gerüstet: mit Mütze und Schirm (gegen den Regen), Winterjacke (gegen den empörend bissigen Juniwind), anderthalb Liter Mineralwasser (gegen den Durst) und aktuellem Spiegel (gegen die Langeweile).
Nur ein Klappstuhl fehlt, was mir aber erst nach anderthalb Stunden millimeterweisen Vorrückens unangenehm auffällt. Ich ertappe mich sogar dabei, den Rollstuhlfahrer hinter mir zu beneiden, schäme mich aber nur ein ganz klein bisschen.
Endlich habe ich mich vorgekämpft bis ins Innere des Containers; es ist, als stünde man vor der Himmelspforte. „Eine Dauerkarte für die Haupttribüne“, sage ich erschöpft und glücklich zu Petrus, „letzte Saison hatte ich noch keine, aber hier ist mein Mitgliedsausweis.“
Petrus schaut mich an. Und sagt irgendwie milde: „Tut mir Leid, ich kann dir keine verkaufen. Die bisherigen Kartenbesitzer haben ein Vorkaufsrecht. Nur wenn danach noch welche übrig sind, hast du vielleicht eine Chance. Aber die ist klein.“
Etwas in mir zerbricht, doch zum Glück sehr leise. Die anderen in der Schlange hören es nicht. Sie schweigen auch alle taktvoll. Das ist St. Pauli, yeah.
Als ich am verlorenen Vormittag meines letzten Urlaubstages zerbrochen aus dem Container schleiche, verstaut der Rollstuhlfahrer am Nachbarschalter gerade seine Dauerkarte in der Geldbörse und zockelt davon.
Ich folge ihm unbemerkt. Jetzt weiß ich, wo er wohnt. Nur für den Fall, dass ich nach der Verkaufsphase für die Vorsaisondauerkartenbesitzer doch nicht zum Zug kommen sollte. Aber so weit wird es nicht kommen.
In seinem Interesse.
29 Juni 2007
Polnischer Nachtrag: Der nasse Slip
Wir hatten uns ein paar Fahrkarten gekauft und in die Tram gesetzt, wie wir es oft tun in unbekannten Städten.
Einfach losfahren und irgendwann, irgendwo aussteigen, wo es hübsch ist. Später wieder ein- und umsteigen, ins Blaue hinein die Fremde erkunden, und alles für ein paar Zloty (die „Swoti“ ausgesprochen werden, aber das nur nebenbei).
So waren wir kreuz und quer durchs öffentliche Verkehrsnetz von Danzig mäandert und irgendwie in Brzezno gelandet, einem kleinen Vorort direkt am Meer, dessen Seebrücke auf dem Foto zu sehen ist.
Brösen, wie das Städtchen früher auf deutsch hieß, ist nicht so überdeutlich auf Touristen abgestimmt wie Zoppot. Nein, hier gehen traditionell die Arbeiterfamilien baden, hier verleiht niemand Strandkörbe.
Der Sand ist feinkörnig und weißgelb, man sinkt sanft ein beim Gehen, und an jenem Tag lag die Ostsee bereitwillig flach da und glitzerte in der Sonne wie eine einzige Verlockung. Unwiderstehlich.
Einziges Problem: Badesachen hatten wir keine dabei, und von FKK halten die Polen ungefähr so viel wie von Schwulen und Lesben, nämlich wenig. „Dann gehe ich eben in Unterhosen rein“, informierte ich Ms. Columbo und schritt sofort zur Tat.
Eine halbe Stunde lang erfreute ich mich meines aquatischen Daseins. Allmählich aber schob sich mir das Problem des Landgangs ins Bewusstsein.
Mein Slip nämlich flatterte mir schon im trockenen Zustand nicht gerade um den Hintern (und um alles andere, was so ein Slip zu umhüllen hat). Die Aussicht, damit aus dem Wasser zu steigen und einen Strand voller polnischer Familien mit sehr vielen Kindern zu betreten, bereitete mir zunehmend Unbehagen.
Und das war berechtigt. Denn der wassersatte Slip tat an der Luft genau das, was man von ihm erwarten durfte: Er schmiegte sich mir derart eng an die Haut, als wäre er aufgesprüht. Dabei arbeitete er sämtliche drunter liegenden Körpermerkmale aufs Deutlichste heraus.
Mich beschlich sogar das Gefühl, seine einst weiße Farbe habe sich völlig verflüchtigt und einer weitgehenden Transparenz Platz gemacht, der polnische Familien mit sehr vielen Kindern nicht gerade mit uferloser Toleranz zu begegnen bereit wären.
Manchmal träumt man ja davon, aus heiterem Himmel öffentlich untenrum nackt dazustehen, und das sind keine schönen Träume, wirklich nicht. Doch das hier war kein Traum.
Ich zuppelte ein wenig am Slip herum in der Hoffnung, die dadurch einströmende Luft möge eine Art Blase unterm Stoff bilden, so dass darunter alles einigermaßen im Vagen verschwände. Doch mit einem kurzen präzisen Schmatzen sog sich die Unterhose wieder fest – wie die Abgussform einer hyperrealistischen Skulptur, die in Polen nur ohne Jugendfreigabe ausgestellt werden dürfte, wenn überhaupt.
Mir fiel meine Mütze ein, mit der ich aus Sonnenschutzgründen schwimmen gegangen war. Ich nahm sie ab und hielt sie wie zufällig vor die problematische Region. Und so stapfte ich verkrampft durch den weißgelben Sand hoch zu Ms. Columbo, die mich mit spöttischem Grinsen empfing.
Die Situation war damit allerdings noch nicht überwunden. Ohne Handtuch war ich dazu verdammt, mich vom Brösener Wind trocknen zu lassen, ehe ich dazu übergehen konnte, mich wieder polengemäß korrekt zu kleiden. Und das zog sich hin.
Der Slip selbst hingegen, dessen besonders problematische Vorderseite ich noch immer mühsam mit der Mütze verdeckte, schien sich jeder Verdunstungsaktivität hämisch zu verweigern. Das würde Stunden dauern.
Eine schnellere Lösung musste her. Unterwegs hatten wir an einem Kiosk die einzige deutsche Tageszeitung gekauft, und sie erwies sich nun als Rettung. Ms. Columbo versuchte meine Körpermitte mithilfe der ausgebreiteten Blätter (ich glaube, es war der Sportteil) möglichst umfänglich zu verdecken, ich zog mir dahinter fahrig den verzweifelt klammernden textilen Wasserspeicher runter und die richtige Hose an.
Und so war doch wahrhaftig die Hamburger Tageszeitung Die Welt mal zu irgendetwas nütze.
Einfach losfahren und irgendwann, irgendwo aussteigen, wo es hübsch ist. Später wieder ein- und umsteigen, ins Blaue hinein die Fremde erkunden, und alles für ein paar Zloty (die „Swoti“ ausgesprochen werden, aber das nur nebenbei).
So waren wir kreuz und quer durchs öffentliche Verkehrsnetz von Danzig mäandert und irgendwie in Brzezno gelandet, einem kleinen Vorort direkt am Meer, dessen Seebrücke auf dem Foto zu sehen ist.
Brösen, wie das Städtchen früher auf deutsch hieß, ist nicht so überdeutlich auf Touristen abgestimmt wie Zoppot. Nein, hier gehen traditionell die Arbeiterfamilien baden, hier verleiht niemand Strandkörbe.
Der Sand ist feinkörnig und weißgelb, man sinkt sanft ein beim Gehen, und an jenem Tag lag die Ostsee bereitwillig flach da und glitzerte in der Sonne wie eine einzige Verlockung. Unwiderstehlich.
Einziges Problem: Badesachen hatten wir keine dabei, und von FKK halten die Polen ungefähr so viel wie von Schwulen und Lesben, nämlich wenig. „Dann gehe ich eben in Unterhosen rein“, informierte ich Ms. Columbo und schritt sofort zur Tat.
Eine halbe Stunde lang erfreute ich mich meines aquatischen Daseins. Allmählich aber schob sich mir das Problem des Landgangs ins Bewusstsein.
Mein Slip nämlich flatterte mir schon im trockenen Zustand nicht gerade um den Hintern (und um alles andere, was so ein Slip zu umhüllen hat). Die Aussicht, damit aus dem Wasser zu steigen und einen Strand voller polnischer Familien mit sehr vielen Kindern zu betreten, bereitete mir zunehmend Unbehagen.
Und das war berechtigt. Denn der wassersatte Slip tat an der Luft genau das, was man von ihm erwarten durfte: Er schmiegte sich mir derart eng an die Haut, als wäre er aufgesprüht. Dabei arbeitete er sämtliche drunter liegenden Körpermerkmale aufs Deutlichste heraus.
Mich beschlich sogar das Gefühl, seine einst weiße Farbe habe sich völlig verflüchtigt und einer weitgehenden Transparenz Platz gemacht, der polnische Familien mit sehr vielen Kindern nicht gerade mit uferloser Toleranz zu begegnen bereit wären.
Manchmal träumt man ja davon, aus heiterem Himmel öffentlich untenrum nackt dazustehen, und das sind keine schönen Träume, wirklich nicht. Doch das hier war kein Traum.
Ich zuppelte ein wenig am Slip herum in der Hoffnung, die dadurch einströmende Luft möge eine Art Blase unterm Stoff bilden, so dass darunter alles einigermaßen im Vagen verschwände. Doch mit einem kurzen präzisen Schmatzen sog sich die Unterhose wieder fest – wie die Abgussform einer hyperrealistischen Skulptur, die in Polen nur ohne Jugendfreigabe ausgestellt werden dürfte, wenn überhaupt.
Mir fiel meine Mütze ein, mit der ich aus Sonnenschutzgründen schwimmen gegangen war. Ich nahm sie ab und hielt sie wie zufällig vor die problematische Region. Und so stapfte ich verkrampft durch den weißgelben Sand hoch zu Ms. Columbo, die mich mit spöttischem Grinsen empfing.
Die Situation war damit allerdings noch nicht überwunden. Ohne Handtuch war ich dazu verdammt, mich vom Brösener Wind trocknen zu lassen, ehe ich dazu übergehen konnte, mich wieder polengemäß korrekt zu kleiden. Und das zog sich hin.
Der Slip selbst hingegen, dessen besonders problematische Vorderseite ich noch immer mühsam mit der Mütze verdeckte, schien sich jeder Verdunstungsaktivität hämisch zu verweigern. Das würde Stunden dauern.
Eine schnellere Lösung musste her. Unterwegs hatten wir an einem Kiosk die einzige deutsche Tageszeitung gekauft, und sie erwies sich nun als Rettung. Ms. Columbo versuchte meine Körpermitte mithilfe der ausgebreiteten Blätter (ich glaube, es war der Sportteil) möglichst umfänglich zu verdecken, ich zog mir dahinter fahrig den verzweifelt klammernden textilen Wasserspeicher runter und die richtige Hose an.
Und so war doch wahrhaftig die Hamburger Tageszeitung Die Welt mal zu irgendetwas nütze.
28 Juni 2007
Ars longa, vita Briefs
Wer auf den Tag genau 22 Jahre nach dem Tod des Gatten noch immer verdammt teure Gedenkanzeigen in der FAZ schaltet, ist entweder plemplem oder strebt nach dem Ideal der ewigen Liebe.
Bei Frau Briefs vermute ich einfach mal Letzteres. Ohne zu wissen warum.
Allerdings erwarte ich nun auch am 7. Juli eine Anzeige zum verpassten 87. Geburtstag des Verblichenen. Sonst muss ich den Fall einer kompletten Neubewertung unterziehen.
(Hoffentlich denke ich an jenem Tag auch dran, die FAZ zu kaufen, bei dem ganzen Trubel um Live Earth in Hamburg.)
Bei Frau Briefs vermute ich einfach mal Letzteres. Ohne zu wissen warum.
Allerdings erwarte ich nun auch am 7. Juli eine Anzeige zum verpassten 87. Geburtstag des Verblichenen. Sonst muss ich den Fall einer kompletten Neubewertung unterziehen.
(Hoffentlich denke ich an jenem Tag auch dran, die FAZ zu kaufen, bei dem ganzen Trubel um Live Earth in Hamburg.)
27 Juni 2007
Meine Jacke ist gefährlich
Heute besuchen wir die Otto-Dix-Ausstellung im Bucerius-Kunstforum am Rathausmarkt. Lässig trage ich meine Jacke überm Arm.
Plötzlich tritt eine Aufseherin an mich heran und beginnt mich alarmierend großäugig anzuflüstern. Ich möge doch bitte, insistiert sie, die Jacke nicht überm Arm, sondern besser um die Hüfte gebunden tragen oder gerne auch anziehen; alternativ stünde es mir frei, sie der Garderoberie anzuvertrauen, die ein Stockwerk tiefer ihrem verdienstvollen Tagwerk nachginge.
„Ähm“, wundere ich mich, „warum darf ich denn meine Jacke nicht überm Arm tragen?“ Ihre Erklärung liefert ein Beispiel für das unkaputtbare Etikett „Typisch deutsch“, das mich in der Regel ärgert, weil mich Klischees meistens ärgern, hier aber hilflos macht. Denn die Erklärung ist einfach entwaffnend bizarr.
Sie sagt nämlich: „Das hat versicherungsrechtliche Gründe. Wenn Sie die Jacke überm Arm tragen und sich umdrehen, dann könnte der Reißverschluss andere gefährden.“
In der Tat hatte ich meinen Jackenreißverschluss bisher nicht im Verdacht, die öffentliche Ordnung bis hin zur Versicherungsrelevanz zu gefährden. Aber man lernt ja nie aus.
Folgsam binde ich mir also die Jacke um die Hüfte – und schaue mir das nächste Gemälde von Otto Dix an, auf dem eine fette, rauchende, schlauchbrüstige Hure sich einem Matrosen anbietet, der lüstern grinsend sein luziferianisches Wesen zur Schau stellt.
Beim nächsten Mal will ich die wilden Dix-Bilder (von denen sie hier eins sogar hinter einem roten Vorhang versteckt haben) auf dem Kiez sehen. Am besten in einem Pornokino in der Seilerstraße oder im Laufhaus an der Reeperbahn – also dort, wo von Reißverschlüssen nur eine Gefahr ausgeht: dass sie sich beim Aufzippen irreparabel verhaken.
Plötzlich tritt eine Aufseherin an mich heran und beginnt mich alarmierend großäugig anzuflüstern. Ich möge doch bitte, insistiert sie, die Jacke nicht überm Arm, sondern besser um die Hüfte gebunden tragen oder gerne auch anziehen; alternativ stünde es mir frei, sie der Garderoberie anzuvertrauen, die ein Stockwerk tiefer ihrem verdienstvollen Tagwerk nachginge.
„Ähm“, wundere ich mich, „warum darf ich denn meine Jacke nicht überm Arm tragen?“ Ihre Erklärung liefert ein Beispiel für das unkaputtbare Etikett „Typisch deutsch“, das mich in der Regel ärgert, weil mich Klischees meistens ärgern, hier aber hilflos macht. Denn die Erklärung ist einfach entwaffnend bizarr.
Sie sagt nämlich: „Das hat versicherungsrechtliche Gründe. Wenn Sie die Jacke überm Arm tragen und sich umdrehen, dann könnte der Reißverschluss andere gefährden.“
In der Tat hatte ich meinen Jackenreißverschluss bisher nicht im Verdacht, die öffentliche Ordnung bis hin zur Versicherungsrelevanz zu gefährden. Aber man lernt ja nie aus.
Folgsam binde ich mir also die Jacke um die Hüfte – und schaue mir das nächste Gemälde von Otto Dix an, auf dem eine fette, rauchende, schlauchbrüstige Hure sich einem Matrosen anbietet, der lüstern grinsend sein luziferianisches Wesen zur Schau stellt.
Beim nächsten Mal will ich die wilden Dix-Bilder (von denen sie hier eins sogar hinter einem roten Vorhang versteckt haben) auf dem Kiez sehen. Am besten in einem Pornokino in der Seilerstraße oder im Laufhaus an der Reeperbahn – also dort, wo von Reißverschlüssen nur eine Gefahr ausgeht: dass sie sich beim Aufzippen irreparabel verhaken.
26 Juni 2007
Mit Kutis Groove durch Westpommern
Wir jagen im Zug durch die Kaschubei nach Westen.
In Rumia sind alle Häuser schlammfarben, doch plötzlich strahlt ein blaues Dach surreal auf im Licht der launischen Sonne. Nah an den Gleisen schaukelt ein Kind, bewacht von seiner Mutter.
Ein halbfertiger Rohbau liegt rot und traurig da im Stillstand des Sonntags, während mir Grayson Capps sein „Mercy“ ins Ohr singt. Verlassen steht ein grüner Bus auf einem menschenleeren Platz in Wejherowo. Er ist der heimliche Bruder des traurigen Rohbaus; den Score dazu liefert Bert Janschs Folkmelancholie „Magdalina’s dance“.
Ich verbringe die meiste Zeit im Gang am offenen Fenster, und als mich niemand sieht, werfe ich ein gebrauchtes Papiertaschentuch heimlich hinaus in den Fahrtwind – Dünger für die polnische Krume …
In der weiten Tieflandebene vor Wiekowo steht ein Fuchs reglos auf einer Wiese zum baldigen Schaden einer Maus, lauernd, konzentriert und unbeeindruckt vom Rattern unseres Zugs, von der Zeit, dem Universum und davon, dass in zwölf Milliarden Jahren die Sonne die Erde auf großer Flamme braten wird, auch Polen.
Von Runowo bis Ulikowo, also fast durch halb Westpommern, legt Fela Kutis halbstündiges „Beast of no nation“ den richtigen Groove unters Stampfen des Zugs, während ich die Nase in den Wind halte, und ich verwettete Haus und Hof, dass noch nie irgendein Mensch die Zugfahrt zwischen Runowo und Ulikowo mit Kutis „Beast of no nation“ verbracht hat.
Das verändert den Blick auf die Landschaft, o ja, und der Blick verändert die Musik, das hätte ewig so weiter gehen können. Doch jetzt sind wir wieder zurück auf St. Pauli, die meisten polnischen Geschichten sind erzählt. Nur die noch nicht von mir in nasser Unterhose am Strand von Brzezno, aber die erzähle ich erst morgen.
Frühestens.
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24 Juni 2007
23 Juni 2007
Wo ist der Tiger?
Wir wollten einen Wodka trinken, und zwar in Dariusz Michalczewskis höchstpersönlicher Danziger Kneipe, dem Tiger Pub.
Als wir in der Rajska-Straße vorm Haus Nummer 4c standen, präsentierte sich uns allerdings nur eine fleckige Fassade samt traurig vor sich hin rottender Tür. Nichts davon hatte irgendeinen Boxbezug.
Offenbar war des Tigers Kneipierskarriere ähnlich zu Ende gegangen wie seine Boxerlaufbahn: mit einer Niederlage. Also gingen wir in eine Kneipe um die Ecke und orderten dort zwei Smirnoff.
Schon nach wenigen Schlucken erkundigte sich Ms. Columbo besorgt: „Kann es sein, dass ein Wodka mehr reinhaut, wenn man vorher keinen Wein getrunken hat?“
In dieser Kneipe schenkt man übrigens erheblich außergewöhnlichere Wodkaportionen aus, als es in Michalczewskis Tiger Pub der Fall gewesen wäre. Deshalb wurde es noch ein sssiemlich lussdiger Ahmd.
Als wir in der Rajska-Straße vorm Haus Nummer 4c standen, präsentierte sich uns allerdings nur eine fleckige Fassade samt traurig vor sich hin rottender Tür. Nichts davon hatte irgendeinen Boxbezug.
Offenbar war des Tigers Kneipierskarriere ähnlich zu Ende gegangen wie seine Boxerlaufbahn: mit einer Niederlage. Also gingen wir in eine Kneipe um die Ecke und orderten dort zwei Smirnoff.
Schon nach wenigen Schlucken erkundigte sich Ms. Columbo besorgt: „Kann es sein, dass ein Wodka mehr reinhaut, wenn man vorher keinen Wein getrunken hat?“
In dieser Kneipe schenkt man übrigens erheblich außergewöhnlichere Wodkaportionen aus, als es in Michalczewskis Tiger Pub der Fall gewesen wäre. Deshalb wurde es noch ein sssiemlich lussdiger Ahmd.
Lost in desorientation
Ich hätte gern einen perfekten Code, eine mathematische Methode, die ein für alle Mal meine erschreckende Desorientiertheit abschaffte.
Könnte ich zum Beispiel sicher sein, unser Hotel (Foto: eine Innenansicht) läge wirklich immer genau in der entgegengesetzten Richtung von der, die ich vermute, dann wäre alles gut. Ich stapfte einfach los in die „falsche“ Richtung und stünde alsbald vor der Unterkunft.
Manchmal ist es auch wirklich so – tätä! –, meistens aber ganz und gar nicht. Das Problem: Es gibt so viele Richtungen.
Vor allem die schrägen, diagonalen, abknickenden, ums Eck laufenden, auch die kurvigen, mäandernden, unmerklich gebogenen, Parallelität vortäuschenden machen mir zu schaffen. Sie verwirren mich. Und schon ist das Hotel ganz woanders.
Ich hätte gern deine Orientierungsgabe, seufze ich zu Ms. Columbo, und würde gern eine meiner Spezialfähigkeiten dagegen eintauschen. Welche denn, fragt Ms. Columbo. Zum Beispiel die, sage ich, noch in 100 Jahren sicher zu wissen, wer „Griechischer Wein“ geschrieben hat.
Reicht mir nicht, sagt Ms. Columbo. Na gut, rufe ich, dann dass Bernd Clüver einst im 20. Jahrhundert „Der Junge mit der Mundharmonika“ gesungen hat: Das würde ich hergeben für Orientierung!
Ms. Columbo aber will noch immer nicht tauschen. „Lady Bump“ von Penny McLean!, spiele ich meinen letzten von weiteren unübersehbar vielen Trümpfen aus. Doch sie will nur tauschen gegen eine echte Gabe und nicht, wie sie schonungslos offen darlegt, gegen Trashwissen.
Also werde ich weiterhin vermuten, das Hotel läge im Norden, werde daraus seine strikt südliche Lage ableiten und es am Ende im halblinken Mittelwesten wiederfinden.
Allerdings nur mit Ms. Columbos Hilfe.
Könnte ich zum Beispiel sicher sein, unser Hotel (Foto: eine Innenansicht) läge wirklich immer genau in der entgegengesetzten Richtung von der, die ich vermute, dann wäre alles gut. Ich stapfte einfach los in die „falsche“ Richtung und stünde alsbald vor der Unterkunft.
Manchmal ist es auch wirklich so – tätä! –, meistens aber ganz und gar nicht. Das Problem: Es gibt so viele Richtungen.
Vor allem die schrägen, diagonalen, abknickenden, ums Eck laufenden, auch die kurvigen, mäandernden, unmerklich gebogenen, Parallelität vortäuschenden machen mir zu schaffen. Sie verwirren mich. Und schon ist das Hotel ganz woanders.
Ich hätte gern deine Orientierungsgabe, seufze ich zu Ms. Columbo, und würde gern eine meiner Spezialfähigkeiten dagegen eintauschen. Welche denn, fragt Ms. Columbo. Zum Beispiel die, sage ich, noch in 100 Jahren sicher zu wissen, wer „Griechischer Wein“ geschrieben hat.
Reicht mir nicht, sagt Ms. Columbo. Na gut, rufe ich, dann dass Bernd Clüver einst im 20. Jahrhundert „Der Junge mit der Mundharmonika“ gesungen hat: Das würde ich hergeben für Orientierung!
Ms. Columbo aber will noch immer nicht tauschen. „Lady Bump“ von Penny McLean!, spiele ich meinen letzten von weiteren unübersehbar vielen Trümpfen aus. Doch sie will nur tauschen gegen eine echte Gabe und nicht, wie sie schonungslos offen darlegt, gegen Trashwissen.
Also werde ich weiterhin vermuten, das Hotel läge im Norden, werde daraus seine strikt südliche Lage ableiten und es am Ende im halblinken Mittelwesten wiederfinden.
Allerdings nur mit Ms. Columbos Hilfe.
22 Juni 2007
Die Wodkafrage
Am Strand von Sopot, unweit der Mole (Foto), habe ich wie neulich angekündigt nach Bernstein gegraben. Allerdings war das Spektakulärste, was ich fand, ein Vogelfuß.
Er war frisch abgerissen und hatte geradezu storchartige Ausmaße. „In der Ostsee gibt es doch Haie!“, verkündete ich aufgeregt. Als mich danach bei einem längeren Schwimmausflug etwas am Bein streifte, fiel mir dieser Satz wieder ein. Ich beschleunigte.
Meine vogelfußinduzierte Grundmulmigkeit wird zusätzlich verstärkt durch die hiesige Meeresfarbe. Es handelt sich um ein matschmattes Braungrün, welches schon nach wenigen Zentimetern jeden Blick in die Tiefe verhindert.
Wie nah meine Beine und Füße eventuell herumdümpelnder alienartiger Fauna kommen, bleibt also völlig im Trüben, erregt aber umso mehr die Fantasie. Ich beschleunige.
Abends nach dem Essen bestelle ich zwei Wodka, und der Ober rasselt mir ein halbes Dutzend zur Auswahl runter. „Ok, the best one!“, sage ich so ratlos wie forsch, wofür mich Ms. Columbo sogleich kritisiert.
„Ja, was hätte ich denn sagen sollen?“, errege ich mich, „the worst one? The cheapest one?“
„Nein“, sagt Ms. Columbo, „the strongest one.“ Versteh einer die Frauen.
Er war frisch abgerissen und hatte geradezu storchartige Ausmaße. „In der Ostsee gibt es doch Haie!“, verkündete ich aufgeregt. Als mich danach bei einem längeren Schwimmausflug etwas am Bein streifte, fiel mir dieser Satz wieder ein. Ich beschleunigte.
Meine vogelfußinduzierte Grundmulmigkeit wird zusätzlich verstärkt durch die hiesige Meeresfarbe. Es handelt sich um ein matschmattes Braungrün, welches schon nach wenigen Zentimetern jeden Blick in die Tiefe verhindert.
Wie nah meine Beine und Füße eventuell herumdümpelnder alienartiger Fauna kommen, bleibt also völlig im Trüben, erregt aber umso mehr die Fantasie. Ich beschleunige.
Abends nach dem Essen bestelle ich zwei Wodka, und der Ober rasselt mir ein halbes Dutzend zur Auswahl runter. „Ok, the best one!“, sage ich so ratlos wie forsch, wofür mich Ms. Columbo sogleich kritisiert.
„Ja, was hätte ich denn sagen sollen?“, errege ich mich, „the worst one? The cheapest one?“
„Nein“, sagt Ms. Columbo, „the strongest one.“ Versteh einer die Frauen.
Pragmatismus auf polnisch
Viele Männer hier humpeln. Wir sehen Krücken, steife Beine, grenzbelastete Gehstöcke. Polen scheint in orthopädischer Hinsicht eine Gefahrenzone zu sein. Der lahme Mann Europas.
Legte man eine normale Fortbewegungsfähigkeit zugrunde, dann kommt Polen ungefähr auf die Quadratwurzel davon. Zu dieser Problematik passt die abgebildete Telefonzelle.
Wie hat man sie zur behindertengerechten Version umgebaut? Man riss ihr einfach die Tür raus und setzte ein Rollstuhlsymbol aufs Dach.
Pragmatismus auf polnisch.
Legte man eine normale Fortbewegungsfähigkeit zugrunde, dann kommt Polen ungefähr auf die Quadratwurzel davon. Zu dieser Problematik passt die abgebildete Telefonzelle.
Wie hat man sie zur behindertengerechten Version umgebaut? Man riss ihr einfach die Tür raus und setzte ein Rollstuhlsymbol aufs Dach.
Pragmatismus auf polnisch.
21 Juni 2007
Polnische Prioritäten
Link: sevenload.com
Dem Bier bringen die Polen viel Verehrung entgegen. Höchstens der Papst steht noch höher im Rang.
Trotzdem habe ich noch in keiner Danziger Kneipe eine derart altarähnliche Inszenierung Benedikts gesehen wie für dieses Fläschchen Heineken – siehe Clip.
Ich indes halte mich gerstensafttechnisch ans einheimische Ziwiec (sprich „Tschiwi-etsch“), nicht nur wegen der besseren Klimabilanz, sondern auch aufgrund eines ganz generellen Interesses an jeweils lokaler Kulinarik.
Zur Kuttelsuppe konnte ich mich trotzdem noch nicht durchringen.
20 Juni 2007
Ziemlich Grass
Wir unternahmen einen Ausflug in jenen Stadtteil Danzigs, wo Günter Grass geboren wurde: nach Langfuhr. Die Danziger nennen dieses Viertel allerdings nicht Langfuhr, sondern Wrzeszcz.
Das macht einen einsamen Vokal auf acht Buchstaben – und klingt, als versuchte man das Wort „Wirsingschaschlik“ auszusprechen, während man ein klitschnasses Leinenbeutelchen im Mund hat, das mit Günter Grass’ und Lech Walesas Schnurrbarthaaren gefüllt ist.
„Walesa“ ist übrigens eine lachhaft unzureichende deutsche Schreibweise für den Namen des polnischen Expräsidenten. Das hiesige durchgestrichene l ist in Wahrheit nämlich ein W-Laut, so ähnlich wie im englischen „water“. Und das e in Walesa hat ein Häkchen untendran, was es als Nasallaut kennzeichnet.
Man sagt also so etwas Ähnliches wie „Wawengsa“, wenn man von Lech spricht, was in Polen aber nicht mehr allzuviele Leute tun. Von Grass indes hört und sieht man hier auch wenig, und so richtig weiß man auch in Wrzeszcz nicht Bescheid über den Nobelpreisträger.
Wir waren frohgemut ohne Stadtplan hingefahren und wollten uns durchfragen. War schwierig. Von der Straße, in der sein Geburtshaus steht, der Ulica Lelewela, hatten zwar einige Wrzeszczer und Wrzeszczerinnen schon mal gehört, doch wo genau die liegt: großes Fragezeichen.
Schließlich standen wir doch vor einem grauen Reihenhaus mit tiefhängenden Fenstern, an dessen Fassade eine kleine weiße Gedenktafel an den berühmtesten Danziger erinnert. Dann verließen wir Wrzeszcz wieder, um uns an den Strand zu legen.
Abends aßen wir dann kein Wirsingschaschlik, sondern das polnische Nationalgericht Bigos, was aber wenigstens so ähnlich aussieht.
Das macht einen einsamen Vokal auf acht Buchstaben – und klingt, als versuchte man das Wort „Wirsingschaschlik“ auszusprechen, während man ein klitschnasses Leinenbeutelchen im Mund hat, das mit Günter Grass’ und Lech Walesas Schnurrbarthaaren gefüllt ist.
„Walesa“ ist übrigens eine lachhaft unzureichende deutsche Schreibweise für den Namen des polnischen Expräsidenten. Das hiesige durchgestrichene l ist in Wahrheit nämlich ein W-Laut, so ähnlich wie im englischen „water“. Und das e in Walesa hat ein Häkchen untendran, was es als Nasallaut kennzeichnet.
Man sagt also so etwas Ähnliches wie „Wawengsa“, wenn man von Lech spricht, was in Polen aber nicht mehr allzuviele Leute tun. Von Grass indes hört und sieht man hier auch wenig, und so richtig weiß man auch in Wrzeszcz nicht Bescheid über den Nobelpreisträger.
Wir waren frohgemut ohne Stadtplan hingefahren und wollten uns durchfragen. War schwierig. Von der Straße, in der sein Geburtshaus steht, der Ulica Lelewela, hatten zwar einige Wrzeszczer und Wrzeszczerinnen schon mal gehört, doch wo genau die liegt: großes Fragezeichen.
Schließlich standen wir doch vor einem grauen Reihenhaus mit tiefhängenden Fenstern, an dessen Fassade eine kleine weiße Gedenktafel an den berühmtesten Danziger erinnert. Dann verließen wir Wrzeszcz wieder, um uns an den Strand zu legen.
Abends aßen wir dann kein Wirsingschaschlik, sondern das polnische Nationalgericht Bigos, was aber wenigstens so ähnlich aussieht.
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