Matt auf Tour. Im Bunker an der Feldstraße besuche ich das Konzert einer Band aus Austin, die sich ihren entsagungsvoll pathetischen Namen bestimmt nur deshalb zugelegt hat, um traurige Nerds ins Netz zu locken: I Love You But I’ve Chosen Darkness. Ich setze mich zu zwei kiezbekannten traurigen Nerds auf den Boden, werde allerdings sogleich von links angetippt. Eine junge Frau.
Sie sagt: „Hier sitzt aber mein Freund.“ Ich sage: „Ups. Ich bin doch gar nicht dein Freund!“ – zumindest in meiner Fantasie sage ich das, denn momentan bin ich ein trauriger Nerd und alles andere als schlagfertig, weshalb mir ein lahmes und furchtbar nerdiges „Ich stehe auf, wenn er zurückkommt“ herausrutscht. Kein Ruhmesblatt.
Am nächsten Abend folgen Ms. Columbo und ich der Einladung zur Neueröffnung einer Kaffeerösterei an der Alster. Neben mir steht der Posaunist Nils Landgren. Er trägt einen tadellosen blauen Maßanzug; bei seiner leicht rundlichen Körperform eine weise Investition. Allerdings tummelt sich auf seinem Jackett unterm linken Schulterblatt ein fröhliches Ensemble weißer Fussel, das mein ästhetisches Empfinden massiv stört.
Ich tippe ihm auf die Schulter und sage: „Entschuldigen Sie, Herr Landgren, Sie haben störende weiße Fussel auf dem Rücken, darf ich Sie Ihnen entfernen?“ – zumindest in meiner Fantasie sage ich das, denn Landgren ist in weiblicher Begleitung, und das ist ja wohl ihre Aufgabe. Doch erst nach einer enervierenden Viertelstunde wird sie leicht vorwurfsvoll tätig.
Einen Espresso und ein paar Schnittchen später ziehen wir weiter ins Indra (Foto) auf der Großen Freiheit, dorthin, wo die Beatles ihren ersten Auftritt in Hamburg hatten. Die Luft ist angedickt mit Aura und Zigarettenqualm, und die Bühne betritt der auf tragische Weise verkapselte Singer/Songwriter Ray LaMontagne. Ein Mann, demgegenüber Nick Drake ein Zirkusclown gewesen sein muss.
Er sagt fast nichts, hält die Augen so fest geschlossen, als wäre er Lots Gattin und vor ihm läge Sodom; manchmal flüstert er „Thank you“ wie ein deprimierter Hamster – doch er singt mit heiserhoher Stimme die traumhaftesten Songs.
LaMontagne ist der Prototyp des traurigen Nerds, und wäre er eine Band, er hieße I Love You But I’ve Chosen Darkness, das wäre nur logisch. Irgendwann macht er eine kleine Ansage, so kraftvoll wie ein Kolibri. Ich rufe: „Lauter!“ – zumindest in meiner Fantasie, denn das Rufen übernimmt ein Typ in Thekennähe. Idiot.
Als Zugabe spielt LaMontagne mein Lieblingsstück. Es heißt „All the white horses“, und wenn man es hört, denkt man drei Minuten lang, es sei das Erstrebenswerteste auf der ganzen weiten Welt, ein trauriger Nerd zu sein.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs für Nerds
1. „Creep“ von Radiohead
2. „Loser“ von Beck
3. „Nobody loves you when you're down and out“ von John Lennon
„3000 Plattenkritiken“ | „Die Frankensaga – Vollfettstufe“ | RSS-Feed | In memoriam | mattwagner {at} web.de |
12 Oktober 2006
11 Oktober 2006
Dreimal fünf Dinge
Herr Stard hat ein Stöckchen unentschlossen ins Vage geschleudert, und ich bin Hirtenhund genug, um auch ohne richtige Aufforderung hinterherzuhecheln. Hier also …
… fünf Dinge, die ich nicht habe, aber gerne hätte
1. Haare (an der richtigen Stelle natürlich.)
2. Ein schallisoliertes Musikzimmer.
3. Eine Sekretärin.
4. Mehr Begeisterung beim Staubsaugen.
5. Zeit.
… fünf Dinge, die ich habe, aber lieber nicht hätte
1. Das komische Zeug auf dem Speicher.
2. Den Lottojackpot vom letzten Wochenende. (ups, hätte ich das jetzt nicht sagen sollen …?)
3. Angst vorm Fliegen.
4. Eine Promo-CD von Ivan Rebroff.
5. Die Glatze.
… fünf Dinge, die ich nicht habe und auch nicht haben möchte
1. Tickets für einen Langstreckenflug.
2. Windows.
3. Ein Auto.
4. Krankheiten, ganz generell.
5. Mehr Begeisterung beim Staubsaugen.
… fünf Gerngelesene, an die das Stöckchen weiterfliegt
1. Rabe
2. mspro
3. April Showers
4. Stefan Niggemeier
5. Ramses
… fünf Dinge, die ich nicht habe, aber gerne hätte
1. Haare (an der richtigen Stelle natürlich.)
2. Ein schallisoliertes Musikzimmer.
3. Eine Sekretärin.
4. Mehr Begeisterung beim Staubsaugen.
5. Zeit.
… fünf Dinge, die ich habe, aber lieber nicht hätte
1. Das komische Zeug auf dem Speicher.
2. Den Lottojackpot vom letzten Wochenende. (ups, hätte ich das jetzt nicht sagen sollen …?)
3. Angst vorm Fliegen.
4. Eine Promo-CD von Ivan Rebroff.
5. Die Glatze.
… fünf Dinge, die ich nicht habe und auch nicht haben möchte
1. Tickets für einen Langstreckenflug.
2. Windows.
3. Ein Auto.
4. Krankheiten, ganz generell.
5. Mehr Begeisterung beim Staubsaugen.
… fünf Gerngelesene, an die das Stöckchen weiterfliegt
1. Rabe
2. mspro
3. April Showers
4. Stefan Niggemeier
5. Ramses
10 Oktober 2006
Morgenpost, 9. 10. 2006
Erst haben sie den verdienstvollen Investor Burim Osmani verhaftet, der neben unserem Haus bereits Sandhaufen für einen Neubau hatte hinkippen lassen.
Und jetzt ist man selbst als harmloser kleiner Messerstecher, der in der kuscheligen Seilerstraße sein Taschengeld aufbessern möchte, nicht mehr sicher vor den Nachstellungen der Kiezpolizei.
Nein, St. Pauli ist auch nicht mehr das, was es mal war.
Und jetzt ist man selbst als harmloser kleiner Messerstecher, der in der kuscheligen Seilerstraße sein Taschengeld aufbessern möchte, nicht mehr sicher vor den Nachstellungen der Kiezpolizei.
Nein, St. Pauli ist auch nicht mehr das, was es mal war.
09 Oktober 2006
Mail ans Hoang Bistro in Altona
Sehr geehrtes Hoang Bistro,
heute fand ich in unserem Briefkasten in der Seilerstraße Ihre Postwurfsendung vor, die mir „Asiatische Spezialitäten“ im Lieferservice anbot.
Allerdings hätte sich diese Sendung keinesfalls in meinem Briefkasten befinden dürfen. Sie fragen sich bestimmt, warum eigentlich nicht. Nun, der Grund ist folgender: Auf der Vorderseite des Kastens prangt sehr groß und in augenattackierender roter Signalfarbe folgende Botschaft: „KEINE Werbung!“
Ich gebe zu: Die Botschaft ist verkürzt dargestellt, doch geschah dies nur, um ihr einen noch prägnanteren Zuschnitt zu verpassen.
Aus Gründen zusätzlicher Unmissverständlichkeit ist zudem ein typografisches Stilmittel verwendet worden, nämlich Großbuchstaben. Diese sogenannten Versalien heben das Wort „KEINE“ noch einmal verdeutlichend hervor. Dies, damit jedermann, der vor unserem Briefkasten steht und eine einwurfbereite Postwurfsendung in der Hand hält, auf gar keinen Fall dem Irrtum erliegen möge, es sei erwünscht, er würfe sie in besagten Briefkasten.
Im Gegenteil: Das ist vollkommen unerwünscht!
„KEINE Werbung!“, verstehen Sie?
Warum aber, Hoang Bistro, geschah genau dies dennoch? Warum - zum Gäng Phad Gung für 9,90 Euro noch mal! - fand ich Ihre Postwurfsendung, die mir „Asiatische Spezialitäten“ im Lieferservice offeriert, heute in meinem Briefkasten vor? WARUM? (Beachten Sie bitte die Versalien. Danke.)
Diese Frage sollten Sie Ihrem verschlagenen Helfershelfer vor Ort stellen, und zwar in scharfer Form. Und dann informieren Sie mich bitte darüber, was er Ihnen geantwortet hat.
Vielen Dank!
Mit freundlichen Grüßen
Matt Wagner
PS: Ähm, welche Überraschung halten Sie eigentlich „bei einer Bestellung ab 35 Euro“ für mich bereit?
heute fand ich in unserem Briefkasten in der Seilerstraße Ihre Postwurfsendung vor, die mir „Asiatische Spezialitäten“ im Lieferservice anbot.
Allerdings hätte sich diese Sendung keinesfalls in meinem Briefkasten befinden dürfen. Sie fragen sich bestimmt, warum eigentlich nicht. Nun, der Grund ist folgender: Auf der Vorderseite des Kastens prangt sehr groß und in augenattackierender roter Signalfarbe folgende Botschaft: „KEINE Werbung!“
Ich gebe zu: Die Botschaft ist verkürzt dargestellt, doch geschah dies nur, um ihr einen noch prägnanteren Zuschnitt zu verpassen.
Aus Gründen zusätzlicher Unmissverständlichkeit ist zudem ein typografisches Stilmittel verwendet worden, nämlich Großbuchstaben. Diese sogenannten Versalien heben das Wort „KEINE“ noch einmal verdeutlichend hervor. Dies, damit jedermann, der vor unserem Briefkasten steht und eine einwurfbereite Postwurfsendung in der Hand hält, auf gar keinen Fall dem Irrtum erliegen möge, es sei erwünscht, er würfe sie in besagten Briefkasten.
Im Gegenteil: Das ist vollkommen unerwünscht!
„KEINE Werbung!“, verstehen Sie?
Warum aber, Hoang Bistro, geschah genau dies dennoch? Warum - zum Gäng Phad Gung für 9,90 Euro noch mal! - fand ich Ihre Postwurfsendung, die mir „Asiatische Spezialitäten“ im Lieferservice offeriert, heute in meinem Briefkasten vor? WARUM? (Beachten Sie bitte die Versalien. Danke.)
Diese Frage sollten Sie Ihrem verschlagenen Helfershelfer vor Ort stellen, und zwar in scharfer Form. Und dann informieren Sie mich bitte darüber, was er Ihnen geantwortet hat.
Vielen Dank!
Mit freundlichen Grüßen
Matt Wagner
PS: Ähm, welche Überraschung halten Sie eigentlich „bei einer Bestellung ab 35 Euro“ für mich bereit?
08 Oktober 2006
Notration
Das Tolle am Bloggen ist ja: Man kann tun und lassen, was immer man will. Ob es einer liest oder nicht, ist letztlich nicht so wichtig (Anm. d. Red.: Gelogen!).
Nein: Allein die Freiheit des Tunundlassenkönnens zählt, und sie wird nur eingeschränkt durch den allgemeinen Rahmen der Gesetze und natürlich selbstgesteckte Grenzen.
Heute ist mal das Lassenkönnen dran. Ein Foto muss reichen.
Hauptbahnhof, Bahnsteig der U3.
Nein: Allein die Freiheit des Tunundlassenkönnens zählt, und sie wird nur eingeschränkt durch den allgemeinen Rahmen der Gesetze und natürlich selbstgesteckte Grenzen.
Heute ist mal das Lassenkönnen dran. Ein Foto muss reichen.
Hauptbahnhof, Bahnsteig der U3.
07 Oktober 2006
Letzte Geheimnisse: Das Herrenklo (2)
Diese Serie beschäftigt sich mit dem, was der weiblichen Hälfte der Menschheit gemeinhin verborgen bleibt: Herrentoiletten. Genauer gesagt: dem Innern der Kabinen.
Die zurecht als Kultkneipe geltende Ritze an der Reeperbahn versucht mit der gewagten Kombination aus Zierkacheln und Holzfurnier zu punkten, und das scheint selbst jene Besucher, die zufällig Schreibutensilien dabei haben, in eine Schockstarre zu versetzen. Denn Grafitti ist hier kaum zu sehen. Und wenn, dann ist es kryptisch statt vulgär.
Vielleicht liegt die Grafittiarmut auch an der abschreckenden Wirkung des in unmittelbarer Nähe liegenden Boxrings. Oder an der respekteinflößenden Aura von Michalczewski und anderen Weltmeistern, die im Lauf der Zeit vor dieser Klokabinenwand gestanden und versonnen an sich herab geschaut haben.
In der warmen Farbgebung offenbart sich schließlich doch ein entscheidender Vorteil der nur auf den ersten Blick fatalen Kachel/Holz-Kombi, denn mal ehrlich: Welches andere Herrenklo wirkt schon derart heimelig wie das im Bauch der Ritze? Nein, nein: Man hat hier alles richtig gemacht.
Teil 1: Bar Hamburg
Die zurecht als Kultkneipe geltende Ritze an der Reeperbahn versucht mit der gewagten Kombination aus Zierkacheln und Holzfurnier zu punkten, und das scheint selbst jene Besucher, die zufällig Schreibutensilien dabei haben, in eine Schockstarre zu versetzen. Denn Grafitti ist hier kaum zu sehen. Und wenn, dann ist es kryptisch statt vulgär.
Vielleicht liegt die Grafittiarmut auch an der abschreckenden Wirkung des in unmittelbarer Nähe liegenden Boxrings. Oder an der respekteinflößenden Aura von Michalczewski und anderen Weltmeistern, die im Lauf der Zeit vor dieser Klokabinenwand gestanden und versonnen an sich herab geschaut haben.
In der warmen Farbgebung offenbart sich schließlich doch ein entscheidender Vorteil der nur auf den ersten Blick fatalen Kachel/Holz-Kombi, denn mal ehrlich: Welches andere Herrenklo wirkt schon derart heimelig wie das im Bauch der Ritze? Nein, nein: Man hat hier alles richtig gemacht.
Teil 1: Bar Hamburg
Tannenzapfenzupfen (5)
(Foto via FHS Holztechnik)
Mensch, ist das lange her, das letzte Tannenzapfenzupfen! Dabei fällt mir fast täglich was vor die Füße. Also muss mal wieder ein bisschen was zusammengekehrt werden: gruselige Promoprosa, Pidginpoesie am Rande der Körperverletzung, „Hohlspiegel“-reife Stilblüten. Wie immer gilt: Alles Blaugefärbte wurde Originalpressetexten der Musikbranche entnommen, natürlich inklusive der bisweilen eigenwilligen Orthografie; diesmal ist allerdings ein Lawblog-Kommentator Gaststar. Los geht’s mit dem besonders gruseligen Genre …
… Denglisch:
1. „Please spread the news und sorge mit deinem Statement für einen mögliches Umdenken der Band.“
2. „Parallel zur 2-Track-Version im Slimcase erscheint auch eine enhanced 4-Track-EP im edlen Digi-Pack.“
3. „Das CURSE Mixtape "Einblick Zurück!" ging bereits vor einigen Tagen an Euch raus. Bitte gebt uns feedback ob ihr es in den reviews featuren werdet.“
4. „Wir betreiben selbst mehrere Mailserver und es ist kein Problem, z.B. lokal einen MTA wie Postfix zu installieren und dort entweder vorher die Sources entsprechend zu patchen oder aber auch mittels einfachem IP Spoofing das Relay zu täuschen.“ (via lawblog, Kommentar 5)
Einfach nur peinlich schlecht:
1. „Selbst seine Musik klingt eher lakonisch obenaufig als weinerlich jammernd.“ (Lest es bitte noch mal: „obenaufig“ …!)
2. „Durcheinander wuselnde Menschen in den Einsatzzentralen prasseln auf den Zuschauer ein.“
3. „Bereits auf dem Schoss seiner Mutter entdeckte Baby-Chris das Piano.“(Mann, muss das ein Schoß gewesen sein! Oder was für ein putziges Pianochen!)
4. „Vier zappelige junge Männer aus den wirreren Ecken Göteborgs geben wohldosiert schlichtweg Alles, und davon viel. Alarma Man sind … Action voller Action.“
Was bisher geschah
Tannenzapfenzupfen 4
Tannenzapfenzupfen 3
Tannenzapfenzupfen 2
Tannenzapfenzupfen 1
Mensch, ist das lange her, das letzte Tannenzapfenzupfen! Dabei fällt mir fast täglich was vor die Füße. Also muss mal wieder ein bisschen was zusammengekehrt werden: gruselige Promoprosa, Pidginpoesie am Rande der Körperverletzung, „Hohlspiegel“-reife Stilblüten. Wie immer gilt: Alles Blaugefärbte wurde Originalpressetexten der Musikbranche entnommen, natürlich inklusive der bisweilen eigenwilligen Orthografie; diesmal ist allerdings ein Lawblog-Kommentator Gaststar. Los geht’s mit dem besonders gruseligen Genre …
… Denglisch:
1. „Please spread the news und sorge mit deinem Statement für einen mögliches Umdenken der Band.“
2. „Parallel zur 2-Track-Version im Slimcase erscheint auch eine enhanced 4-Track-EP im edlen Digi-Pack.“
3. „Das CURSE Mixtape "Einblick Zurück!" ging bereits vor einigen Tagen an Euch raus. Bitte gebt uns feedback ob ihr es in den reviews featuren werdet.“
4. „Wir betreiben selbst mehrere Mailserver und es ist kein Problem, z.B. lokal einen MTA wie Postfix zu installieren und dort entweder vorher die Sources entsprechend zu patchen oder aber auch mittels einfachem IP Spoofing das Relay zu täuschen.“ (via lawblog, Kommentar 5)
Einfach nur peinlich schlecht:
1. „Selbst seine Musik klingt eher lakonisch obenaufig als weinerlich jammernd.“ (Lest es bitte noch mal: „obenaufig“ …!)
2. „Durcheinander wuselnde Menschen in den Einsatzzentralen prasseln auf den Zuschauer ein.“
3. „Bereits auf dem Schoss seiner Mutter entdeckte Baby-Chris das Piano.“(Mann, muss das ein Schoß gewesen sein! Oder was für ein putziges Pianochen!)
4. „Vier zappelige junge Männer aus den wirreren Ecken Göteborgs geben wohldosiert schlichtweg Alles, und davon viel. Alarma Man sind … Action voller Action.“
Was bisher geschah
Tannenzapfenzupfen 4
Tannenzapfenzupfen 3
Tannenzapfenzupfen 2
Tannenzapfenzupfen 1
06 Oktober 2006
Rosen in der Ritze
Beim Zechen mit Joshuatree und German Psycho im Herz von St. Pauli, der Ritze und Gretel und Alfons gehen unterwegs die Rosen verloren, die ich spontan bei einem fliegenden Händler für Ms. Columbo erstanden habe.
Genauer gesagt: Ich vergesse die Blumen in der Ritze, wo die platinblonde Drohne von Wirtin sich als besonders geschäftstüchtig erwiesen hatte (auf ihre Frage: „Noch drei Bier?“ antwortete GP besänftigend „Langsam“, woraufhin sie praktisch sofort drei Bier servierte – die wir widerstandslos akzeptierten.)
Zum Glück macht mich nach dem Ende der Zechtour joshuatree per SMS auf die verlorenen Rosen aufmerksam, woraufhin ich mich lange nach Mitternacht noch mal aufs Rad schwinge – und einen fulminanten Beweis für meine Orientierungslosigkeit abliefere.
Denn ich finde unfassbarerweise die Ritze nicht mehr.
Rauf und runter radle ich die Reeperbahn, und was präsentiert sich mir? Ein Tabledanceschuppen nach dem anderen, hochmotivierte Koberer, Hotdog-Läden, Polizisten im Einsatz, „Amazing grace“ grölende Penner – aber keine Ritze, nirgends.
Erst bei der dritten, inzwischen verzweifelten Durchfahrt entdecke ich sie; sie hat sich hämisch versteckt am Ende eines Seitengässchens, das seit dem Rosenvergessen mindestens um den Faktor 3 schmaler geworden ist.
Die Wirtin aber weiß schon Bescheid. Sie hat die Rosen verteidigt wie eine Löwin ihr Junges. „Da wollten schon viele ran“, erklärt sie stolz und saugt an ihrer Zigarette, dann wickelt sie die Blumen in eine Serviette und überreicht sie mir mit einer Anmut, die mir vorhin, als sie uns die drei unverlangten Biere hinklatschte, gar nicht aufgefallen ist.
Ein versöhnlicher Abschluss eines sowieso versöhnliches Abends, wie Joshuatree und German Psycho sicher bestätigen werden.
Sofern sie sich noch daran erinnern können.
Genauer gesagt: Ich vergesse die Blumen in der Ritze, wo die platinblonde Drohne von Wirtin sich als besonders geschäftstüchtig erwiesen hatte (auf ihre Frage: „Noch drei Bier?“ antwortete GP besänftigend „Langsam“, woraufhin sie praktisch sofort drei Bier servierte – die wir widerstandslos akzeptierten.)
Zum Glück macht mich nach dem Ende der Zechtour joshuatree per SMS auf die verlorenen Rosen aufmerksam, woraufhin ich mich lange nach Mitternacht noch mal aufs Rad schwinge – und einen fulminanten Beweis für meine Orientierungslosigkeit abliefere.
Denn ich finde unfassbarerweise die Ritze nicht mehr.
Rauf und runter radle ich die Reeperbahn, und was präsentiert sich mir? Ein Tabledanceschuppen nach dem anderen, hochmotivierte Koberer, Hotdog-Läden, Polizisten im Einsatz, „Amazing grace“ grölende Penner – aber keine Ritze, nirgends.
Erst bei der dritten, inzwischen verzweifelten Durchfahrt entdecke ich sie; sie hat sich hämisch versteckt am Ende eines Seitengässchens, das seit dem Rosenvergessen mindestens um den Faktor 3 schmaler geworden ist.
Die Wirtin aber weiß schon Bescheid. Sie hat die Rosen verteidigt wie eine Löwin ihr Junges. „Da wollten schon viele ran“, erklärt sie stolz und saugt an ihrer Zigarette, dann wickelt sie die Blumen in eine Serviette und überreicht sie mir mit einer Anmut, die mir vorhin, als sie uns die drei unverlangten Biere hinklatschte, gar nicht aufgefallen ist.
Ein versöhnlicher Abschluss eines sowieso versöhnliches Abends, wie Joshuatree und German Psycho sicher bestätigen werden.
Sofern sie sich noch daran erinnern können.
04 Oktober 2006
Podcast-Premiere mit Müllmail
Manchmal ist es sogar ganz okay, wenn eine Müllmail die Stacheldrahtzäune meiner Firewall überwinden kann. Zum Beispiel ein Phishingversuch von heute, angeblich von Ebay: Seine wirre Poesie und interessante Argumentation bereicherte meinen Tag enorm. Zumal das verantwortliche Übersetzungsprogramm trotz all seiner Schwächen bereits die Höflichkeitsform des großgeschriebenen Siezens fehlerfrei beherrschte.
Vollends mein Herz gewann die sympathische kleine Mail dann mit ihrem Schlusssatz, der in einen grandiosen Neologismus mündete. Selbst Ms. Columbo brachte ich beim Deklamieren dieses Textes zum glockenhellen Auflachen.
Hier kommt diese Müllmail als selbstverlesener Podcast; die Aufnahmequalität bitte ich zu entschuldigen.
03 Oktober 2006
Der Wink mit dem Bolzenschneider
Als ich nach viertelstündigem Besuch Andreas’ Wohnung in der Beckers Passage wieder verlasse und mein Fahrrad vom Eisenzaun gegenüber abschnallen will, steht dort zwar ein Fahrrad, aber nicht mehr meins.
Ich muss ähnlich konsterniert dreinschauen wie damals, als ich statt unseres Wagens nur eine bestürzend leere Asphaltfläche vorfand. Ich schaue mich ratlos um – und da ist es ja, mein Fahrrad. Es lehnt unversehrt auf der anderen Seite des Fußwegs, am Gitterzaun auf Andreas' Seite.
Allerdings hängt ihm nun lose die plastikummantelte Stahlkette über der Stange; die Kette ist mit einem sauberen Schnitt durchtrennt worden.
Offenbar wollte der Besitzer des zuständigen Bolzenschneiders so seinen Unmut über den Parkplatz meines Rades ausdrücken. Es wäre ihm wohl weitaus genehmer gewesen, ich hätte es gleich auf Andreas’ Seite angeschlossen. Doch statt mir dies auf altmodisch umständliche Weise mitzuteilen – etwa über einen Klebezettel auf meinem Sattel fürs nächste Mal –, wählte er die unverblümt brachiale, gewissermaßen metaphorische Kommunikation.
„Eure Rede sei ja, ja oder nein, nein“, plädiert ja schon die Bibel für Klarheit des Ausdrucks und gegen die schwachmatischen Anwandlungen der Diplomatie. Jedenfalls war dem Bolzenschneiderführer die Verdeutlichung seines Anliegens sogar ein Delikt wert (Sachbeschädigung), was mir noch einmal klar vor Augen führt, wie sehr ihn mein Falschparken innerlich aufgewühlt haben muss.
Wahrscheinlich habe ich sogar Glück gehabt, nicht persönlich zugegen gewesen zu sein, als der Herr (es muss ein Herr gewesen sein!) mit seinem Gerät die Szenerie betrat.
Kurz: Ich empfinde diesen Nachmittag als beglückend gelungen.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über unangemessenes Verhalten
1. „Folsom prison blues“ von Johnny Cash
2. „I’d rather go blind“ von Chicken Shack
3. „If you don’t love me (I'll kill myself)“ von Pete Droge
Ich muss ähnlich konsterniert dreinschauen wie damals, als ich statt unseres Wagens nur eine bestürzend leere Asphaltfläche vorfand. Ich schaue mich ratlos um – und da ist es ja, mein Fahrrad. Es lehnt unversehrt auf der anderen Seite des Fußwegs, am Gitterzaun auf Andreas' Seite.
Allerdings hängt ihm nun lose die plastikummantelte Stahlkette über der Stange; die Kette ist mit einem sauberen Schnitt durchtrennt worden.
Offenbar wollte der Besitzer des zuständigen Bolzenschneiders so seinen Unmut über den Parkplatz meines Rades ausdrücken. Es wäre ihm wohl weitaus genehmer gewesen, ich hätte es gleich auf Andreas’ Seite angeschlossen. Doch statt mir dies auf altmodisch umständliche Weise mitzuteilen – etwa über einen Klebezettel auf meinem Sattel fürs nächste Mal –, wählte er die unverblümt brachiale, gewissermaßen metaphorische Kommunikation.
„Eure Rede sei ja, ja oder nein, nein“, plädiert ja schon die Bibel für Klarheit des Ausdrucks und gegen die schwachmatischen Anwandlungen der Diplomatie. Jedenfalls war dem Bolzenschneiderführer die Verdeutlichung seines Anliegens sogar ein Delikt wert (Sachbeschädigung), was mir noch einmal klar vor Augen führt, wie sehr ihn mein Falschparken innerlich aufgewühlt haben muss.
Wahrscheinlich habe ich sogar Glück gehabt, nicht persönlich zugegen gewesen zu sein, als der Herr (es muss ein Herr gewesen sein!) mit seinem Gerät die Szenerie betrat.
Kurz: Ich empfinde diesen Nachmittag als beglückend gelungen.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über unangemessenes Verhalten
1. „Folsom prison blues“ von Johnny Cash
2. „I’d rather go blind“ von Chicken Shack
3. „If you don’t love me (I'll kill myself)“ von Pete Droge
Die Fundstücke des Tages (28)
1. Unfassbar, aber wahr: Nach den diesjährigen Hamburger Auftritten von Robbie Williams und Bruce Springsteen wird demnächst ein dritter Megastar unserer Zeit die Hansestadt beehren: Poodle! Anlass ist eine Bloggerlesung am 28. Oktober, die federführend das rührige Frl. Fuchs organisiert und bei der im Hauptprogramm neben Poodle nicht nur sie höchstselbst, sondern auch Herr Rationalstürmer und die in jeder Hinsicht aparte Ally Klein lesen werden. Details stehen hier – keiner soll sagen, er habe nix gewusst. Ms. Columbo und ich werden übrigens mit fliegenden Rockschößen aus Rom zurückeilen, um dabeisein zu können. Oja.
2. Wenn einer sagt, jedermann habe seine dunklen Geheimnisse, dann beweist das nur eins: Er selbst hat auf jeden Fall welche.
3. Im Gewürzmuseum in der Speicherstadt (das Foto zeigt ein Gebäude in der Nähe) entpuppt sich meine Suche nach einer Herrentoilette als fruchtlos. Verfügbar in Hülle und Fülle hingegen: Damentoiletten. In der Not freilich betritt der hanseatische Mann auch Orte, die er bislang als No-go-Area eingestuft hat – allerdings nur mit Ms. Columbo und dem Franken als Bodyguards vor der Tür. Man sollte jedes Risiko minimieren, ganz generell.
4. Beim lustvollen Suchen im CD-Archiv nach Songs, die ich mir als Vinylsingles für die Musikbox pressen lassen möchte, ertappe ich mich dabei, wie ich mich ärgere, einen dieser Songs bereits als reguläre Single zu besitzen. Oh Mann … Menschen sind schon verkorkste Kreaturen. Aber vielleicht sollte ich das gar nicht verallgemeinern.
Alle bisherigen Fundstücke des Tages:
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17,
18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, Oh, my Google!
2. Wenn einer sagt, jedermann habe seine dunklen Geheimnisse, dann beweist das nur eins: Er selbst hat auf jeden Fall welche.
3. Im Gewürzmuseum in der Speicherstadt (das Foto zeigt ein Gebäude in der Nähe) entpuppt sich meine Suche nach einer Herrentoilette als fruchtlos. Verfügbar in Hülle und Fülle hingegen: Damentoiletten. In der Not freilich betritt der hanseatische Mann auch Orte, die er bislang als No-go-Area eingestuft hat – allerdings nur mit Ms. Columbo und dem Franken als Bodyguards vor der Tür. Man sollte jedes Risiko minimieren, ganz generell.
4. Beim lustvollen Suchen im CD-Archiv nach Songs, die ich mir als Vinylsingles für die Musikbox pressen lassen möchte, ertappe ich mich dabei, wie ich mich ärgere, einen dieser Songs bereits als reguläre Single zu besitzen. Oh Mann … Menschen sind schon verkorkste Kreaturen. Aber vielleicht sollte ich das gar nicht verallgemeinern.
Alle bisherigen Fundstücke des Tages:
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17,
18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, Oh, my Google!
01 Oktober 2006
Wichtige Fragen (2)
Ich bin wahrlich nicht der Einzige, dessen Waschmaschine Socken auf Nimmerwiedersehen in ein Paralleluniversum beamt.
Aber drei Stück während eines einzigen Waschgangs …?
–> zu Teil 1
Aber drei Stück während eines einzigen Waschgangs …?
–> zu Teil 1
30 September 2006
Verletzte Gefühle, überall
Manchmal frage ich mich schon, wie es für Vegetarier sein muss, im Schlachthofviertel zu wohnen.
Eigentlich müssten sie sich doch übel beleidigt fühlen von Fassaden wie dieser und dem Fleischwurstgeruch, der durch die Sternstraße wabert. Eigentlich müssten sie protestieren gegen die Unsensibilität, mit der ihre Gefühle in aller Öffentlichkeit verletzt werden. Eigentlich müssten sich die radikalsten unter ihnen – sagen wir: die Veganer – Sprengstoffgürtel umschnallen und Fanale setzen gegen die degenerierte, amoralische Schlachthofgesellschaft des Westens.
Andererseits könnten wir freiwillig Fassaden wie diese neu tünchen und damit aufhören, Fleisch zu essen, dann gäbe es keine verletzten Gefühle mehr. Außer denen von Schlachtern natürlich.
Doch vielleicht würden die ja freundlicherweise darauf verzichten, sich beleidigt in die Luft zu sprengen. Damit wäre allen geholfen.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs, die Vegetariern nicht gefallen dürften
1. „Flesh and blood“ von The Neville Brothers
2. „Eat the rich“ von Motörhead
3. „One meat ball“ von Calvin Russell
Eigentlich müssten sie sich doch übel beleidigt fühlen von Fassaden wie dieser und dem Fleischwurstgeruch, der durch die Sternstraße wabert. Eigentlich müssten sie protestieren gegen die Unsensibilität, mit der ihre Gefühle in aller Öffentlichkeit verletzt werden. Eigentlich müssten sich die radikalsten unter ihnen – sagen wir: die Veganer – Sprengstoffgürtel umschnallen und Fanale setzen gegen die degenerierte, amoralische Schlachthofgesellschaft des Westens.
Andererseits könnten wir freiwillig Fassaden wie diese neu tünchen und damit aufhören, Fleisch zu essen, dann gäbe es keine verletzten Gefühle mehr. Außer denen von Schlachtern natürlich.
Doch vielleicht würden die ja freundlicherweise darauf verzichten, sich beleidigt in die Luft zu sprengen. Damit wäre allen geholfen.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs, die Vegetariern nicht gefallen dürften
1. „Flesh and blood“ von The Neville Brothers
2. „Eat the rich“ von Motörhead
3. „One meat ball“ von Calvin Russell
29 September 2006
Unter Weltrevolutionären
Ein Paket auf der Post abzuholen, ist für mich ein Klacks; schließlich residiert die nicht unumstrittene Filiale in Sichtweite unserer Wohnung. Angebote wie die sogenannte Packstation (Eigenwerbung: „Ihr neuer Immer-Offen-Paketschalter“) kommen mir daher so nützlich vor wie einem Eskimo Schneekanonen – zumal diese Stationen zur Störrischkeit neigen sollen.
Am letzten Werktag des Monats gerät der Besuch meiner Postfiliale allerdings stets aufwendig. Wie heute. Als ich gegen 14 Uhr vorm Gebäude eintreffe, wächst ihm eine Menschenschlange aus der Tür, als gäbe es dort etwas umsonst. Und das ist ja auch so, denn Hamburgs Hartz-IV-Armee erhält heute ihren jämmerlichen Monatsobolus.
Ich mache kehrt und versuche es eine Stunde später noch einmal. Mir präsentiert sich allerdings das gleiche Bild, und das wird heute wohl nicht mehr anders werden. Seufzend stelle ich mich also hinten an und bin unversehens Bestandteil des Subproletariats – jenes Menschenschlags also, dem Karl Marx einst die Weltrevolution zutraute und den Wladímir Iljítsch Uljánow alias Lenin noch lange irrtümlich als geschichtliche Avantgarde pries.
Von Wehrhaftigkeit und Wut, von umstürzlerischem Eifer gegen Diedaoben ist indes nichts zu spüren. Man will seine paar Kröten, und gut is. Der Verwendungszweck der letzten Auszahlung ist manchem Schlangensteher deutlich anzumerken; ein Typ mit Deutschlandmütze zum Beispiel liefert eine rein körperliche Neudefinition des Wortes „Schwankungsbreite“.
Gut, dass überall herumstehende Aufsteller („Tagesgeldkonto mit 3 Prozent Verzinsung! Kostenloses Girokonto bei einem ständigen Guthaben von mindestens 1200 Euro!“) einen gewissen Halt offerieren, den Mütze gern annimmt.
Jetzt kommt ein Kumpel von ihm raus, der sein Geld schon hat. „So’n Schiet“, lallt Mütze ihn an, „hier schdehdmanja ne ganse Schdunde!“ Sein Kumpel sieht aus, wie man nur auf dem Kiez aussehen kann, ohne sich der Gefahr sozialer Ächtung ausgesetzt zu sehen, und dafür liebe ich den Kiez. Er ist vielleicht Mitte 50, aber ausstaffiert wie ein 30-jähriger Mix aus Harley-Davidson-Freak, Lude und Späthippie: Jeansanzug, graue Strähnen bis zum Schlüsselbein, ein Bart wie DJ-Ötzi, schwarzgepunktete Bandana um den Kopf mit fünf Buttons dran, dazu eine lila Brille mit gelben Bügeln.
„Haldie Schdellung!“, muntert der bunte Vogel Mütze auf, den diese Kommunikation sichtbar anstrengt, weshalb er seinen hageren Körper matt gegen den Türrahmen sacken lässt. Ansonsten herrscht Stille in der Schlange. Es ist die fade Stille der Resignation und Duldsamkeit. Nur die Hoffnung ist ja eine Plappertasche, und die lebt hier schon lang nicht mehr.
Quälend langsam schiebt sich die Schlange in den Schlund der Postfiliale. Mütze wankt und schwankt, nach rechts muss er sich jetzt abstützen und rutscht mit dem Ellenbogen in ein knapp meterhohes Drahtgestell mit Notizblöcken und Timern drin. Rumms macht es, er zerdellt einen Spiralblock, schafft es aber, den aufrechten Stand halbwegs wieder herzustellen, ohne dem Interieur der Postfiliale größeren Schaden zuzufügen.
Am Schalter schließlich stützt er sich mit beiden Armen auf, seine Nase ist nur Zentimeter entfernt von den Scheinen, die ihm der Postmann hinblättert. „Dangesch’n“, sagt Mütze artig, „n schönes Woch’nnde.“ Und dann wankt er fast unfallfrei hinaus.
Das Schwarzrotgelb auf seinem Kopf leuchtet nicht mehr. Es ist verblasst von diesem traumhaften Sommer, der so viele Sonnenstunden hatte wie noch keiner vor ihm.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Postdienstleistungen
1. „The letter“ von The Box Tops
2. „Telegram Sam“ von T. Rex
3. „Please Mr. postman“ von The Beatles
Am letzten Werktag des Monats gerät der Besuch meiner Postfiliale allerdings stets aufwendig. Wie heute. Als ich gegen 14 Uhr vorm Gebäude eintreffe, wächst ihm eine Menschenschlange aus der Tür, als gäbe es dort etwas umsonst. Und das ist ja auch so, denn Hamburgs Hartz-IV-Armee erhält heute ihren jämmerlichen Monatsobolus.
Ich mache kehrt und versuche es eine Stunde später noch einmal. Mir präsentiert sich allerdings das gleiche Bild, und das wird heute wohl nicht mehr anders werden. Seufzend stelle ich mich also hinten an und bin unversehens Bestandteil des Subproletariats – jenes Menschenschlags also, dem Karl Marx einst die Weltrevolution zutraute und den Wladímir Iljítsch Uljánow alias Lenin noch lange irrtümlich als geschichtliche Avantgarde pries.
Von Wehrhaftigkeit und Wut, von umstürzlerischem Eifer gegen Diedaoben ist indes nichts zu spüren. Man will seine paar Kröten, und gut is. Der Verwendungszweck der letzten Auszahlung ist manchem Schlangensteher deutlich anzumerken; ein Typ mit Deutschlandmütze zum Beispiel liefert eine rein körperliche Neudefinition des Wortes „Schwankungsbreite“.
Gut, dass überall herumstehende Aufsteller („Tagesgeldkonto mit 3 Prozent Verzinsung! Kostenloses Girokonto bei einem ständigen Guthaben von mindestens 1200 Euro!“) einen gewissen Halt offerieren, den Mütze gern annimmt.
Jetzt kommt ein Kumpel von ihm raus, der sein Geld schon hat. „So’n Schiet“, lallt Mütze ihn an, „hier schdehdmanja ne ganse Schdunde!“ Sein Kumpel sieht aus, wie man nur auf dem Kiez aussehen kann, ohne sich der Gefahr sozialer Ächtung ausgesetzt zu sehen, und dafür liebe ich den Kiez. Er ist vielleicht Mitte 50, aber ausstaffiert wie ein 30-jähriger Mix aus Harley-Davidson-Freak, Lude und Späthippie: Jeansanzug, graue Strähnen bis zum Schlüsselbein, ein Bart wie DJ-Ötzi, schwarzgepunktete Bandana um den Kopf mit fünf Buttons dran, dazu eine lila Brille mit gelben Bügeln.
„Haldie Schdellung!“, muntert der bunte Vogel Mütze auf, den diese Kommunikation sichtbar anstrengt, weshalb er seinen hageren Körper matt gegen den Türrahmen sacken lässt. Ansonsten herrscht Stille in der Schlange. Es ist die fade Stille der Resignation und Duldsamkeit. Nur die Hoffnung ist ja eine Plappertasche, und die lebt hier schon lang nicht mehr.
Quälend langsam schiebt sich die Schlange in den Schlund der Postfiliale. Mütze wankt und schwankt, nach rechts muss er sich jetzt abstützen und rutscht mit dem Ellenbogen in ein knapp meterhohes Drahtgestell mit Notizblöcken und Timern drin. Rumms macht es, er zerdellt einen Spiralblock, schafft es aber, den aufrechten Stand halbwegs wieder herzustellen, ohne dem Interieur der Postfiliale größeren Schaden zuzufügen.
Am Schalter schließlich stützt er sich mit beiden Armen auf, seine Nase ist nur Zentimeter entfernt von den Scheinen, die ihm der Postmann hinblättert. „Dangesch’n“, sagt Mütze artig, „n schönes Woch’nnde.“ Und dann wankt er fast unfallfrei hinaus.
Das Schwarzrotgelb auf seinem Kopf leuchtet nicht mehr. Es ist verblasst von diesem traumhaften Sommer, der so viele Sonnenstunden hatte wie noch keiner vor ihm.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Postdienstleistungen
1. „The letter“ von The Box Tops
2. „Telegram Sam“ von T. Rex
3. „Please Mr. postman“ von The Beatles
28 September 2006
Die Schwanengleiche
Man macht sich selten die Tatsache klar, dass alles, was im und auf dem Meer schwimmt und paddelt, auch pinkelt und kackt. Aber so ist es. Selbst die stets so majestätisch tuenden Schwäne sind davon nicht frei, wie mir vor einiger Zeit auf der Binzer Seebrücke bewusst wurde.
Eben noch dümpelte der weiße Großvogel erhaben auf der Ostsee, dann schiss er plötzlich ins Flachwasser und schob sich sogleich mit kräftigem Schwimmstoß aus der eigenen Kloake. Irgendwie hat das die Majestätik dieses Schwans für mich beeinträchtigt. Ihn freilich schien das nicht zu bekümmern.
Auch sehr schöne Menschen müssen übrigens hie und da, sogar Kate Moss oder Heath Ledger, und sich dies bildlich vorzustellen, vermag manchen Starkult rasch zu dämpfen. Sowieso ist das ganze Konzept der biologischen Existenz in hygienischer Hinsicht indiskutabel. Der menschliche Körper zum Beispiel soll zu rund zehn Prozent aus Mikroorganismen bestehen. Sogar der von Scarlet Johansson. Das muss man sich mal vorstellen.
Die schwanenähnliche junge Frau allerdings, die sich heute auf den Grünstreifen der Reeperbahn hockte, die Hosen herunterließ und etwas tat, was man gemeinhin hinter verschlossener Tür tut und nicht im Angesicht von vier Spuren Verkehr, irritierten Touristen und stoischen St. Paulianern, konnte ihre eigene Mikroorganismenquote kurzfristig absenken. Und zwar deutlich, wie ich leider bezeugen kann.
Parallel aber stieg ihre soziale Inkompatibilität stark an. So gleicht sich alles im Leben wieder aus. Das nennt man, glaube ich, Entropie.
Ex cathedra: Die Top 3 der unhygienischen Songs
1. „I think I smell a rat“ von The White Stripes
2. „Dirt floor“ von Chris Whitley
3. „Mein Teil“ von Rammstein
Eben noch dümpelte der weiße Großvogel erhaben auf der Ostsee, dann schiss er plötzlich ins Flachwasser und schob sich sogleich mit kräftigem Schwimmstoß aus der eigenen Kloake. Irgendwie hat das die Majestätik dieses Schwans für mich beeinträchtigt. Ihn freilich schien das nicht zu bekümmern.
Auch sehr schöne Menschen müssen übrigens hie und da, sogar Kate Moss oder Heath Ledger, und sich dies bildlich vorzustellen, vermag manchen Starkult rasch zu dämpfen. Sowieso ist das ganze Konzept der biologischen Existenz in hygienischer Hinsicht indiskutabel. Der menschliche Körper zum Beispiel soll zu rund zehn Prozent aus Mikroorganismen bestehen. Sogar der von Scarlet Johansson. Das muss man sich mal vorstellen.
Die schwanenähnliche junge Frau allerdings, die sich heute auf den Grünstreifen der Reeperbahn hockte, die Hosen herunterließ und etwas tat, was man gemeinhin hinter verschlossener Tür tut und nicht im Angesicht von vier Spuren Verkehr, irritierten Touristen und stoischen St. Paulianern, konnte ihre eigene Mikroorganismenquote kurzfristig absenken. Und zwar deutlich, wie ich leider bezeugen kann.
Parallel aber stieg ihre soziale Inkompatibilität stark an. So gleicht sich alles im Leben wieder aus. Das nennt man, glaube ich, Entropie.
Ex cathedra: Die Top 3 der unhygienischen Songs
1. „I think I smell a rat“ von The White Stripes
2. „Dirt floor“ von Chris Whitley
3. „Mein Teil“ von Rammstein
27 September 2006
Countdown für The Bobs
Bei den Bobs-Blogawards gibt es einen erstaunlichen Zwischenstand: In der Rubrik „Gesellschaft“ liegt die „Rückseite der Reeperbahn“ auf Rang 4 – und ist dort das höchstplatzierte unter allen deutschsprachigen Weblogs.
Wer noch ein wenig pushen will: Hier geht’s lang; ganz unten kann man „Best Weblog Deutsch“ ankreuzen.
Die Nominierungsphase endet übrigens am Sonntag, den 30. 9. In den beiden Wochen danach kann man dann abstimmen. Mein aufrichtigster Dank an alle Unterstützer!
Wer noch ein wenig pushen will: Hier geht’s lang; ganz unten kann man „Best Weblog Deutsch“ ankreuzen.
Die Nominierungsphase endet übrigens am Sonntag, den 30. 9. In den beiden Wochen danach kann man dann abstimmen. Mein aufrichtigster Dank an alle Unterstützer!
26 September 2006
Erwischt!
Damals, als wir noch ein Auto hatten, habe ich mal am Westende der Reeperbahn illegal gewendet, um wieder umweglos zurückfahren zu können. Warum ich nicht vorm Losfahren das doch offenbar so Wichtige erledigt hatte und um was es sich dabei gehandelt haben könnte, ist mir ersatzlos entfallen.
Jedenfalls tuckere ich nach der gesetzlosen Wende wieder zufrieden die Reeperbahn hoch, als ich im Rückspiegel jenes grellblaue Lichterspiel erblicke, welches man partout nicht im Rückspiegel erblicken möchte. Verursacher ist ein Streifenwagen.
Zunächst münze ich dieses unangenehm hektische Signal gar nicht auf mich. Allerdings hängt mir der Wagen peinlich nah am Heck und macht keine Anstalten, heroisch den Schauplätzen empörenderer Verbrechen entgegenzueilen. Nein, die Ordnungsmacht hat mich im Blick. Ein kurzes Aufjaulen der Sirene vermittelt letzte Gewissheit: Ich soll bremsen, sogar stoppen, und zwar genau jetzt.
Meine Drüsen verdoppeln die Adrenalinproduktion. Ich muss anhalten! Höchst ungern allerdings mitten auf der Reeperbahn, dann wäre man ja ohne Not ein Verkehrshindernis, und das kann selbst die Kiezpolizei nicht wollen, nicht wahr?
Also rolle ich schwitzend und blaulichtumflackert weiter bis zur Lincolnstraße, biege dort ein und halte auf einem kleinen ungeteerten Parkplatz gleich linker Hand. Der Streifenwagen tut es mir gleich, zwei grimmige Männer steigen aus, die Waffen im Halfter und Verärgerung im Blick. Auch ich steige aus.
Sie stehen vor mir. Einer sagt eine Spur zu schneidend: „Warum haben Sie nicht angehalten? Führerschein und Fahrzeugpapiere bitte.“ Ich murmele etwas von Nichtbemerkthaben und der Vermeidung von Verkehrshindernissen mitten auf der Reeperbahn, doch der Zorn der Uniformierten schwindet im Zuge meiner Ausführungen nicht, im Gegenteil. Ich hätte, hebt der Wortführer nun sinngemäß an, am Abzweig zum Fischmarkt das Wendeverbot ignoriert, und das schreie nach Bestrafung.
Ein Dementi würde nichts fruchten, wie mir zügig dämmert, zumal die Einsicht in meine Schuld sich bestimmt in einem höchst halbherzigen Vortrag niederschlüge. Ich bin also widerstandslos bereit, mich in mein Schicksal zu fügen, welches sehr bald einen Bußgeldbescheid für mich bereithalten wird – als plötzlich eine schnarrende Stimme aus dem Funkgerät des Streifenwagens dringt. Einsatzbefehl!
Die beiden stürzen augenblicks zum Wagen, und bevor der Fahrer hineinspringt, dreht er sich kurz um und ruft: „Na, da haben Sie aber noch mal Glück gehabt!“ Und dann brettern diese Helden des Alltags davon, Kies klackert über die Lincolnstraße, und Sekunden später erinnert nur noch eine träg in der Luft träumende Staubwolke an die leidenschaftslose Lakonie, mit der die beiden einen Kleinen laufen lassen, um die ganz Großen zu fangen.
Dafür habe ich mich nie bedankt. Bei wem auch? Sie waren ja weg. Und wären sie dageblieben, hätte ich keinen Grund zum Dank gehabt, sondern einen Strafzettel.
Seither habe ich gewissermaßen dauerhaft 30 Euro mehr in der Tasche, zuungunsten der Stadtkasse.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs, in denen Polizisten vorkommen
1. „Hey cop" von A Subtle Plague
2. „Police & thieves" von The Clash
3. alles von The Police
(Foto: Reeperbahn, östliches Ende)
Jedenfalls tuckere ich nach der gesetzlosen Wende wieder zufrieden die Reeperbahn hoch, als ich im Rückspiegel jenes grellblaue Lichterspiel erblicke, welches man partout nicht im Rückspiegel erblicken möchte. Verursacher ist ein Streifenwagen.
Zunächst münze ich dieses unangenehm hektische Signal gar nicht auf mich. Allerdings hängt mir der Wagen peinlich nah am Heck und macht keine Anstalten, heroisch den Schauplätzen empörenderer Verbrechen entgegenzueilen. Nein, die Ordnungsmacht hat mich im Blick. Ein kurzes Aufjaulen der Sirene vermittelt letzte Gewissheit: Ich soll bremsen, sogar stoppen, und zwar genau jetzt.
Meine Drüsen verdoppeln die Adrenalinproduktion. Ich muss anhalten! Höchst ungern allerdings mitten auf der Reeperbahn, dann wäre man ja ohne Not ein Verkehrshindernis, und das kann selbst die Kiezpolizei nicht wollen, nicht wahr?
Also rolle ich schwitzend und blaulichtumflackert weiter bis zur Lincolnstraße, biege dort ein und halte auf einem kleinen ungeteerten Parkplatz gleich linker Hand. Der Streifenwagen tut es mir gleich, zwei grimmige Männer steigen aus, die Waffen im Halfter und Verärgerung im Blick. Auch ich steige aus.
Sie stehen vor mir. Einer sagt eine Spur zu schneidend: „Warum haben Sie nicht angehalten? Führerschein und Fahrzeugpapiere bitte.“ Ich murmele etwas von Nichtbemerkthaben und der Vermeidung von Verkehrshindernissen mitten auf der Reeperbahn, doch der Zorn der Uniformierten schwindet im Zuge meiner Ausführungen nicht, im Gegenteil. Ich hätte, hebt der Wortführer nun sinngemäß an, am Abzweig zum Fischmarkt das Wendeverbot ignoriert, und das schreie nach Bestrafung.
Ein Dementi würde nichts fruchten, wie mir zügig dämmert, zumal die Einsicht in meine Schuld sich bestimmt in einem höchst halbherzigen Vortrag niederschlüge. Ich bin also widerstandslos bereit, mich in mein Schicksal zu fügen, welches sehr bald einen Bußgeldbescheid für mich bereithalten wird – als plötzlich eine schnarrende Stimme aus dem Funkgerät des Streifenwagens dringt. Einsatzbefehl!
Die beiden stürzen augenblicks zum Wagen, und bevor der Fahrer hineinspringt, dreht er sich kurz um und ruft: „Na, da haben Sie aber noch mal Glück gehabt!“ Und dann brettern diese Helden des Alltags davon, Kies klackert über die Lincolnstraße, und Sekunden später erinnert nur noch eine träg in der Luft träumende Staubwolke an die leidenschaftslose Lakonie, mit der die beiden einen Kleinen laufen lassen, um die ganz Großen zu fangen.
Dafür habe ich mich nie bedankt. Bei wem auch? Sie waren ja weg. Und wären sie dageblieben, hätte ich keinen Grund zum Dank gehabt, sondern einen Strafzettel.
Seither habe ich gewissermaßen dauerhaft 30 Euro mehr in der Tasche, zuungunsten der Stadtkasse.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs, in denen Polizisten vorkommen
1. „Hey cop" von A Subtle Plague
2. „Police & thieves" von The Clash
3. alles von The Police
(Foto: Reeperbahn, östliches Ende)
Die Fundstücke des Tages (27)
1. Zweimal hintereinander springt mir eine Halbkugel Toffifee aus der Schale wie ein Champagnerkorken, zweimal muss ich sie vom Boden aufklauben, zweimal schmeißt er sich schier weg, der Franke, dessen Humorbereitschaft so ausgeprägt ist wie die Explosionsneigung von Nitroglyzerin. Diese Toffifees hängen aber auch fest in der Schale! Und dann urplötzlich nicht mehr! Direkt vom Festverwachsensein mit der Kuhle wechseln sie in den Aggregatzustand des von einer Sprungfeder abgeschossenen Gravitationsignorierers. Ich weiß schon, warum ich 70-prozentige Tafelschokolade mit ganzen Nüssen bevorzuge. Toffifee? Pah!
2. Eine Kollegin kommt am Flughafen Stuttgart nicht durch die Kontrolle, weil ihr Koffer verdächtig ist. Etwas darin sperrt sich gegen das Durchleuchtetwerden. Die Sicherheitsbeamten öffnen vorsichtig das Gepäckstück und holen ein seltsames Päckchen heraus. Es ist ein Geschenk ihrer Mutter: schwäbische Maultaschen, tiefgefroren.
3. Der Googler von der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt, der heute dank des Suchbegriffs „Bordelle in Sardinien“ auf meiner Seite landete, muss mahnend belehrt werden. Es heißt nämlich „auf“ Sardinien.
4. Der Berliner Manuel Dahmann komponiert aus mehr als 40 Einzelfotos kubische Panoramen: dreidimensionale Panoramabilder, die man in beliebige Richtungen erforschen kann. Faszinierend. Und er erklärt ausführlich, wie das überhaupt geht. Eine fantastische Seite – nicht nur, weil Dahmann auch in Hamburg tätig war. Eins seiner Motive, die er auf St. Pauli entdeckte: Herbertstraße, klar. Aber von außen. Noch klarer.
Alle bisherigen Fundstücke des Tages:
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, Oh, my Google!
2. Eine Kollegin kommt am Flughafen Stuttgart nicht durch die Kontrolle, weil ihr Koffer verdächtig ist. Etwas darin sperrt sich gegen das Durchleuchtetwerden. Die Sicherheitsbeamten öffnen vorsichtig das Gepäckstück und holen ein seltsames Päckchen heraus. Es ist ein Geschenk ihrer Mutter: schwäbische Maultaschen, tiefgefroren.
3. Der Googler von der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt, der heute dank des Suchbegriffs „Bordelle in Sardinien“ auf meiner Seite landete, muss mahnend belehrt werden. Es heißt nämlich „auf“ Sardinien.
4. Der Berliner Manuel Dahmann komponiert aus mehr als 40 Einzelfotos kubische Panoramen: dreidimensionale Panoramabilder, die man in beliebige Richtungen erforschen kann. Faszinierend. Und er erklärt ausführlich, wie das überhaupt geht. Eine fantastische Seite – nicht nur, weil Dahmann auch in Hamburg tätig war. Eins seiner Motive, die er auf St. Pauli entdeckte: Herbertstraße, klar. Aber von außen. Noch klarer.
Alle bisherigen Fundstücke des Tages:
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, Oh, my Google!
24 September 2006
Tortour mit Intermezzo
In den letzten 48 Stunden verbesserte sich meine Konzertstatistik im gleichen Maße, wie sich meine körperliche Verfassung verschlechterte.
Am Donnerstag in Berlin begann die Live(tor)tour mit Shawn Colvin, Fionn Regan und Maximilian Hecker, ehe es in Hamburg ab Freitag beim Reeperbahnfestival weiterging mit The Rifles, Kajak, Minor Majority, Maplewood, Nerina Pallot, Paolo Nutini, The On Offs, Dominic Miller sowie Epo 555.
Samstagnachmittag lief ich zur Auflockerung auch noch bei der offiziellen Beatlestour mit, die Stadtteilführerin Stefanie Hempel mit enthusiastischem Dauerlächeln moderierte. Wie ernst sie ihren Job nimmt, zeigten die Intermezzi. Zur Ukulele (und Verwunderung der Touristen) schmetterte die Musikerin illustrativ Beatlessongs über den Kiez.
Während der Führung begleitete uns ein Kamerateam von Tide TV; und das hatte vor allem am Ende richtig was zu filmen. Denn auf dem Gelände des alten Star Clubs in der Großen Freiheit saßen ein paar saufende britische Kleiderschränke mit Glatzen herum, die Stefanies formidable „Twist and shout“-Fassung um euphorisches Mitgrölen bereicherten. Riesenbeifall am Ende, für Stefanie und die Engländer.
Am Mittwoch soll das Ganze auf Tide TV laufen; hier gibt es vorab schon mal Stefanies liebenswerte Fassung von „In my life“.
23 September 2006
Der Bucklige
Auf Dienstreise in Berlin, Popkomm. Einer, den man mit Fug und Recht als Männchen bezeichnen kann, streunt am Busbahnhof Zoo herum. Er hat einen unfassbar horizontalen Buckel, auf dem man mühelos ein Tablett abstellen könnte. Und er ist alt. Seine Haare sind grau, er trägt schlammfarbene Hosen samt Träger, die in den 40ern mal en vogue gewesen sein müssen. Und jetzt stellt er sich frontal vor mich. Abstand: halber Meter.
Er mustert mich aufmerksam, sein trauriger dunkelbrauner Blick wandert von meinen Augen hinunter Richtung Nabel, wo mein Popkomm-Ausweis im Spätsommerwind baumelt. Ich nehme die Situation als Bewährungsprobe. Einfach so tun, als sei er nicht da. Einfach mal sehen, wie cool ich sein kann, ob ich diese Verletzung der sozialen Distanz aushalte und wie lange. Mal testen, wer zuerst zuckt.
Mir fällt das allerdings schwer, ehrlich gesagt. Mein wie zufällig über Busse und Bäume wandernder Blick wirkt sicherlich auf bemühte Weise unbeteiligt; manchmal schaue ich ihn auch direkt an, um Lockerheit auszustrahlen, die ich gleichwohl nur spiele. Denn das Männchen steht unmittelbar vor mir, und das macht man nicht, zumindest dann nicht, wenn man nichts zu sagen, sondern nur zu gucken hat.
Und zu gucken hat es offenbar viel. Inzwischen ruht sein Blick starr auf meinem Bauch, ganz kurz nur zuckt er manchmal musternd hoch und sucht meine Augen. Was will der Mann? Was fasziniert ihn so?
Natürlich sind das Fragen, die früher oder später aus mir herausbrechen werden; lange halte ich die Situation nämlich nicht mehr durch, die ich mir vorschnell als Selbsttest auferlegt habe. Aber jetzt, jetzt sagt er was. Es ist eine Frage, und sie lautet: „Ist das dein Gestapo-Ausweis?“
Ich sage: „Wie bitte?“, und er sagt es noch mal: „Ist das dein Gestapo-Ausweis?“
Dieser Frage wohnt ein solches Überraschungsmoment inne, dass ich nichts erwidern, sondern nur mit einem mimischen Mix darauf reagieren kann. Würde ich mich in dieser Sekunde im Spiegel sehen oder durch die Augen des Männchens, dann müsste ich diesen Mix als Komposition aus Verblüffung, Ärger und Empörung beschreiben.
Und das ist wohl auch seine Interpretation. Es dreht sich weg und huscht behende davon, ein buckliges graues Etwas mit jahrzehntealten Hosenträgern, das keine Antwort erwartet auf eine solche Frage, aber froh ist, sie gestellt zu haben.
Ich ahne schlagartig den Schleier einer ganzen Lebensgeschichte. Sie muss irgendwann in den 20ern oder 30ern begonnen haben; und das, was damals mit ihm und seiner Familie geschah, muss über Dekaden hinweg weitergeschwärt haben wie ein Fluch, der sich heute, am Berliner Bahnhof Zoo, als absurde Frage an einen Wildfremden wieder einmal kurz materialisiert.
Meinen Popkomm-Ausweis habe ich heute Abend übrigens weggeworfen.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs mit geschichtlichem Bezug
1. „The history of rain" von Paul K. & The Weathermen
2. „In Germany before the war“ von Randy Newman
3. „Ohio“ von Neil Young
Foto: Bahnhof Messe Nord, Berlin (Am Zoo war ich zu konsterniert zum Knipsen.)
PS: Heute steht in der taz ein Artikel über Blogger aus Altona und St. Pauli, in dem auch „Die Rückseite der Reeperbahn“ freundliche Erwähnung findet. Allerdings zitiert mich Frau Bigalke falsch. Ich würde nur unterm Einfluss von Drogen „der“ Blog sagen. In Wahrheit sagte ich „das“ Blog. Obwohl natürlich inzwischen beides geht, laut Duden.
Er mustert mich aufmerksam, sein trauriger dunkelbrauner Blick wandert von meinen Augen hinunter Richtung Nabel, wo mein Popkomm-Ausweis im Spätsommerwind baumelt. Ich nehme die Situation als Bewährungsprobe. Einfach so tun, als sei er nicht da. Einfach mal sehen, wie cool ich sein kann, ob ich diese Verletzung der sozialen Distanz aushalte und wie lange. Mal testen, wer zuerst zuckt.
Mir fällt das allerdings schwer, ehrlich gesagt. Mein wie zufällig über Busse und Bäume wandernder Blick wirkt sicherlich auf bemühte Weise unbeteiligt; manchmal schaue ich ihn auch direkt an, um Lockerheit auszustrahlen, die ich gleichwohl nur spiele. Denn das Männchen steht unmittelbar vor mir, und das macht man nicht, zumindest dann nicht, wenn man nichts zu sagen, sondern nur zu gucken hat.
Und zu gucken hat es offenbar viel. Inzwischen ruht sein Blick starr auf meinem Bauch, ganz kurz nur zuckt er manchmal musternd hoch und sucht meine Augen. Was will der Mann? Was fasziniert ihn so?
Natürlich sind das Fragen, die früher oder später aus mir herausbrechen werden; lange halte ich die Situation nämlich nicht mehr durch, die ich mir vorschnell als Selbsttest auferlegt habe. Aber jetzt, jetzt sagt er was. Es ist eine Frage, und sie lautet: „Ist das dein Gestapo-Ausweis?“
Ich sage: „Wie bitte?“, und er sagt es noch mal: „Ist das dein Gestapo-Ausweis?“
Dieser Frage wohnt ein solches Überraschungsmoment inne, dass ich nichts erwidern, sondern nur mit einem mimischen Mix darauf reagieren kann. Würde ich mich in dieser Sekunde im Spiegel sehen oder durch die Augen des Männchens, dann müsste ich diesen Mix als Komposition aus Verblüffung, Ärger und Empörung beschreiben.
Und das ist wohl auch seine Interpretation. Es dreht sich weg und huscht behende davon, ein buckliges graues Etwas mit jahrzehntealten Hosenträgern, das keine Antwort erwartet auf eine solche Frage, aber froh ist, sie gestellt zu haben.
Ich ahne schlagartig den Schleier einer ganzen Lebensgeschichte. Sie muss irgendwann in den 20ern oder 30ern begonnen haben; und das, was damals mit ihm und seiner Familie geschah, muss über Dekaden hinweg weitergeschwärt haben wie ein Fluch, der sich heute, am Berliner Bahnhof Zoo, als absurde Frage an einen Wildfremden wieder einmal kurz materialisiert.
Meinen Popkomm-Ausweis habe ich heute Abend übrigens weggeworfen.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs mit geschichtlichem Bezug
1. „The history of rain" von Paul K. & The Weathermen
2. „In Germany before the war“ von Randy Newman
3. „Ohio“ von Neil Young
Foto: Bahnhof Messe Nord, Berlin (Am Zoo war ich zu konsterniert zum Knipsen.)
PS: Heute steht in der taz ein Artikel über Blogger aus Altona und St. Pauli, in dem auch „Die Rückseite der Reeperbahn“ freundliche Erwähnung findet. Allerdings zitiert mich Frau Bigalke falsch. Ich würde nur unterm Einfluss von Drogen „der“ Blog sagen. In Wahrheit sagte ich „das“ Blog. Obwohl natürlich inzwischen beides geht, laut Duden.
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