04 September 2011

Hoden, Kutteln, Karaoke



Mal wieder lockte mich Jutta gegen Mitternacht in die Thaibar in der Großen Freiheit, wo sie erneut enthemmt Karaoke zu singen versprach, diesmal sogar mit ihrem neuen Freund, dem überaus groß(artig)en Cinema Noir.

Und genau so kam es dann auch. Ich hielt derweil die Getränkezufuhr kostengünstig am Laufen, da ich gegen U. eine spontane Wette gewann. Ich weiß wirklich nicht mehr, wie wir darauf kamen, doch irgendwann beharrte U. steif und fest darauf, Kutteln seien Hoden, das habe ihre Mutter immer behauptet, und ihre Mutter sei in dieser Hinsicht und generell meinungsmäßig unantastbar.

Zufällig aber wusste ich, ohne diese Spezialität je verzehrt zu haben, von der wahren Herkunft der Kutteln aus Kuhmägen, und so nahm ich beherzt ihr vehementes Wettangebot an. Dank sofortiger Googleverifikation brachte mir dieser glückliche Umstand alsbald einen Sekt ein und U. ein tief erschüttertes Muttervertrauen, welches innerfamiliär noch fürchterliche Folgen haben wird, doch dafür kann ich ja nun nichts.

Während ich lässig an der Tür lehnte und diesen ganzen liebenswerten armen Irren beim Verhunzen von „Mamma Mia“ oder „Knockin’ on heaven’s door“ zuschaute, hielt mir ein Typ, der den ganzen Abend lang immer wieder als Rapper aufgefallen war, plötzlich sein Handy vor die Nase. Es zeigte ein Cabriolet von testarossahafter Protzigkeit.

„Davon träumen wir doch alle, oder?“, sagte er mit kumpelhafter Leutseligkeit, die ein arg verkürztes Männerbild offenbarte. Ich verneinte knapp. Er schaute prüfend, fast frappiert. „Hast du schon drei oder vier davon in der Garage stehen, oder was?“

„Mitnichten“, antwortete ich, „ich habe überhaupt kein Auto.“

Er schaute mich an, als hätte ich ihm erzählt, der Papst habe gerade eine Bank in Stockholm überfallen oder sein Piepmatz sei verdampft. Dann schüttelte er den Kopf und ging rein, um zu vergessen bzw. „What a wonderful world“ mit einer Rapeinlage hinzurichten.

Ich schlürfte derweil behaglich am gewonnenen Sekt, sah Jutta und Cinema Noir beim hochgradig verturtelten „Something stupid“-Singen zu und dachte ein wenig bang an U.s Mutter, die demnächst zweifellos den krachenden Zusammenbruch einer Lebenslüge zu verkraften haben würde.

Aber noch waren Kutteln Hoden in ihrer Welt, noch ahnte sie nicht das Geringste.

8 Kommentare:

  1. Hallo, ich lese seit einiger Zeit bei Dir mit.

    Heute nehme ich die verbindende Tatsache, dass ich ebenfalls kein Auto habe und damit oft eine Verwunderung erzeuge, die vermuten lässt, dass ich mindestens von einem anderen Stern kommen müsste, zum Anlass bei Dir zu kommentieren.

    Vielen Dank für die amüsanten und sprachgewandt erzählten kleinen Geschichten aus dem Leben.

    LG vom Rostkopp

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  2. Ach, Sie sind so streng. Geht man nach der Ungenießbarkeit der debattierten Teile, macht es keinen Unterschied, aus welcher Körperregion sie geschnitten sind, womit man zugunsten des Uschen (Hätte da jetzt ein Deppendings reingehört? Man traut sich ja kaum noch ...) Haussegens und Seelenheils getrost hätte sagen können: Is doch Hemd wia Hosn! Ois a schtinkads Gschloda und net zum dafressn!
    Übrigens: Der Verkauf und Verzehr tierischer Geschlechtsteile ist in Österreich verboten - in Deutschland meines Wissens seit einiger Zeit wieder erlaubt. Also sollte man bei euch den Unterschied und alle Bezeichnungen sattelfest im Kopf haben, um Katastrophen auf dem Teller zu vermeiden. Wobei: Is doch Hemd wia Hosn! Ois a schtinkads Gschloda ...

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  3. Ein Schweizer Kollege von mir schwor einmal Stein und Bein, dass Stierhoden nur deshalb nicht in den freien Verkauf gelangen, weil alle Schlachter diese leckere Spezialität für sich reklamieren würden. Schließlich gäbe es diese Knusperkugeln nicht in genügender Anzahl, um eine adäquate Versorgung aller Hodenconnaisseure gewährleisten zu können.
    Nachdem ich in der Schweiz einmal Konserven mit Kutteln in Tomatensauce entdeckt habe, war ich geneigt ihm auch diese Geschichte zu glauben.

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  4. Echt jetzt, ja? Ich dachte immer, "Kutteln" seien Nieren.

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  5. Haben Sie Ihre Antwort wenigstens als Parodie auf die alte Kaffeeersatzwerbung gebracht? Also so: "Isch abe gar keine Auto".

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  6. Nein, dazu fehlte mir – wie üblich – die Geistesgegenwart.

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  7. Ella, man lernt eben nie aus, selbst Sie nicht.

    Zaphod, dann käme auch Kaviar nicht in den freien Verkauf. Oder Safran.

    blogg-hittn-wirtin, bei manchen Ihrer Beiträge wünsche ich mir ein Dialektwörterbuch. Heute ist es wieder so weit.

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  8. Ach so, 'Verzeihung. Ich vergesse immer wieder, dass das einzige, was Österreich und Deutschland trennt, die gemeinsame Sprache ist.
    http://www.janko.at/Wienerisch/Lexikon/a.htm

    Übersetzung:
    Ist doch Hemd wie Hose! Alles ein stinkendes ... hm ... schlabberiges Gebräu? ... und ungenießbar.

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