19 November 2007

Der Bierkonflikt

Auf der Bühne des Docks explodiert der Retrorock der schwedischen Hives lauthals und stilbewusst (Anzüge! Krawatten! Schwarze Hemden!), doch ein kleines Drama spielt sich nicht da vorne ab, sondern neben uns am Tresen.

Ein Teenager hat ein Bier bekommen, aber zu wenig Wechselgeld. Behauptet er. „Ich habe dir zehn gegeben“, sagt er der Bedienung. „Nein, fünf“, sagt sie.

„Ehrlich: zehn“, barmt der Junge, und er sagt es auf eine dringliche Art, bei der jedes Gericht auf einen Eid verzichten würde. Seine Aussage stimmt, auf jeden Fall. Das irrlichternde Flackern in seinen Augen rührt von Verzweiflung her, nicht von Unrechtsbewusstsein.

Die Bedienung ist gleichwohl anderer Meinung. Sie bleibt hart. Gegenüber dem Franken schildere ich meine allgemeine Problemlösungsmethode für solche und vergleichbare Fälle: Telefonnummern austauschen, und abends nach dem Kassensturz checkt das Docks, ob ein Überschuss von fünf Euro aufgelaufen ist, ruft gegebenenfalls den Burschen an, und die Sache ist erledigt.

„Ich weiß genau“, insistiert der Junge, „dass ich noch Geld für zwei Bier hatte!“ Vergeblich. Eine Welle von Mitleid überschwemmt mich. Ich überlege, ob ich ihm das nächste Bier ausgeben soll, nicht nur aus Großherzigkeit, sondern auch, um die Bedienung zu düpieren.

Doch wie käme das an: Ein Mittvierziger (zumal in Begleitung eines gleichaltrigen Franken!) spendiert einem 18-jährigen Unbekannten ein Glas Gerstensaft – wirkt das nicht irgendwie anzüglich? Und will ich das riskieren? Zehn Minuten später bin ich noch immer zu keinem Entschluss gekommen. Da sehe ich die Bedienung, wie sie ihm ein Bier rüberschiebt, kostenlos, aus Kulanz.

Eine wirklich salomonische Lösung, in mehrerer Hinsicht.

11 Kommentare:

  1. tach matt!

    das enttäuscht mich aber aufs tiefste!
    die dir möglicherweise unangenehme meinung irgendwelcher fremder unwissender leute ist dir wichtiger als deine hilfsbereitschaft?!
    in solchen und anderen fällen kümmert mich die meinung der ahnungslosen einen dreck! aber ehrlich! vielleicht denken jetzt ja alle die dich heimlich beobachtet haben, daß du ausgesprochen hilfsunbereit bist? ach ja: was wäre wenn eine 18-jähriger atemspende statt bier bräuchte?

    nee nee nee - das hätt ich nich gedacht!

    blondyonly

    PS: nein ich bin nicht der 18-jährige biertrinker

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  2. Es ist eine Art Güterabwägung. Ich lege einen gewissen Wert darauf, in er Öffentlichkeit z. B. nicht als Sprengstoffattentäter oder Päderast rüberzukommen. Aber das ist bestimmt nur eine blöde Marotte … ;-)

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  3. Moinsen, jenseits der Kifidiskussion hätte ich ja zu gerne gewußt, wie das Konzert war? Wäre nämlich selbst auch gerne hingegangen... Gruß A.

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  4. also ich finde 18-jährige sind ja nun wirklich keine kinder mehr. und jemandem ein bier zu spendieren und anschließend seiner wege gehen kann selbst der dümmste spießer nicht als anmache verkaufen.
    was hättest du denn eigentlich gemacht wenn es eine 18-jährige gewesen wär? ;)
    vielleicht ist es ja doch eine latente homophobie? ;)

    blondyonly

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  5. Das wäre wahrscheinlich als unziemliche Anmache rübergekommen. Ein Dilemma.

    Aber wahrscheinlich wäre die 18-Jährige gar nicht in die Situation gekommen, weil ihr der freundliche junge Mann hinterm Tresen geglaubt hätte …

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  6. Solch ein positves Erlebnis,läßt jedes Konzert in den Hintergrund treten.

    Und alle, außer Kraftwerk,die mit Hemd und Krawatte auf die Bühne kommen sind eh zu vergessen.

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  7. Es gibt sie, die freundlichen herben Leute in den Kneipen, die einen dann doch wirklich erfreuen können.
    In den Neunziger Jahren im gun club folgendes: Wir kommen dort mitten in der Nacht mit zwei Russen (25 bis 30 Jahre alt) auf englisch ins Gespräch, "Bisnismen",
    Geplauder. Ihre Biergläser sind leer und einer von Ihnen holt aus einer Tüte eine Flasche heraus und macht sie auf. Der Mensch hinter der Bar sieht das, stutzt, macht einen Schritt auf uns zu, greift hinter sich - und stellt ein neues Bierglas auf den Tresen. Grins. Was für ein Willkommen, er hatte die Situation sehr genau verstanden. Die Jungs waren hier einfach fremd und nicht wohlhabend.
    So geht das.

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  8. Ich finde, Sie hätten Ihre weiter ausbaufähige philanthrophische Ader ruhig zeigen können. Diese merkwürdigen Ängste, etwas falsches zu tun, fördern imvho das Nichtstun. Es handelte sich wohl nicht um einen Komasäufer, sondern um einen Typen, der man selber mal war, nicht wahr?

    Was die unkomplizierte Lösung, die Sie schildern, nicht schmälert.

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  9. Die Lösung ist nicht salomonisch, sondern ausgesprochen unbefriedigend.

    Es geht hier nicht um das arme Kind, sondern um Sie.

    Klarer Fall von Homophobie, nur nicht latent, sondern eindeutig krankhaft. Und schon wieder muss der völlig unschuldige Franke herhalten ...

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  10. @opa:
    das latent war ja auch nur ein vorsichtiger lenkversuch um den patienten nicht gleich zu verschrecken ;)

    blondyonly

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  11. Ich bin ein aufrichtiger Bewunderer Ihrer ausgezeichneten Umgangsformen. :-)

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