15 März 2007

Die depressive Garderobe

Sicher, St. Pauli hat viele Nachteile: Hundedreck, verhaltensgestörte Menschen, der verzweifelte Lärm temporärer Lebenslust. Doch es hat auch Vorteile: Manchmal fällt man gleichsam aus der Haustür in den richtigen Konzertsaal.

Heute Abend spielt die kanadische Zeitlupenband Cowboy Junkies in unserer, also der Seilerstraße, genauer gesagt im Imperial Theater, und weil ich die richtigen Freunde dabei habe, darf ich die Band vorm Konzert in der Garderobe aufsuchen.

Wären die Cowboy Junkies nicht eh eine der melancholischsten Bands der Welt (ich meine: Sie LIEBEN die Musik von Townes Van Zandt!), so wären sie es spätestens in diesem Kabuff geworden.

Fassungslos gewahre ich einen etwa drei Meter langen und kaum mehr als einen Meter breiten Schlauch im Bauch des Gebäudes, erleuchtet von einer trüben Deckenlampe, ohne Platz für einen Tisch oder Stühle und mit einer traurigen Anrichte, auf der ein paar Teller stehen mit Obst, das sich am Anfang seiner Karriere am Baum gewiss ein anderes Schicksal erträumt hatte, als in einer Art Computertomograf mit eingebauter Dusche zu enden.

Denn in der Tat: Das hintere Ende des Schlauches wird von einer Dusche begrenzt. Die Cowboy Junkies stehen dennoch keineswegs weinend und wehklagend, sondern eher ein wenig unschlüssig herum. Gitarrist und Songschreiber Mike Timmins hockt sogar auf einer undefinierbaren bodennahen Sitzgelegenheit (es ist die einzige), während die paradoxerweise nicht einmal missgelaunte Sängerin Margo – eine Frau, auf die endlich mal das aus-, leer- und abgedroschene Klischee der „engelsgleichen Stimme“ tausendprozentig zutrifft, was einen ernsthaft überlegen lässt, zu jener Religion zu konvertieren, die solche Engel hervorbringt –, während also Margo an der Wand lehnt und dem unmittelbar bevorstehenden Konzert mit einer Gelassenheit entgegenblickt, die nur durch das jahrzehntelange Umkleiden in Garderobenparodien wie dieser stalaktitenartig entstehen kann.

Das Konzert ist natürlich trotzdem traumhaft – eine Art magische Meditation, die ich, auch wenn es paradox klingt, hochkonzentriert im Halbdämmer erlebe. Dennoch wird sich der Eindruck dieser Garderobe nun auf symbiotische Weise mit der Erinnerung an die hochzerbrechliche Version von Neil Youngs „Powderfinger“ verbinden; ja, so wird es kommen, und ich und mein Gedächtnis werden nichts dagegen tun können, nichts.

5 Kommentare:

  1. Zwar bin ich nur bedingter Anhänger der Cowboy Junkies, dennoch gilt Ihnen mein heutiges Neidpensum für die Unmittelbarkeit und Authentizität der Erfahrung, die Sie machen durften. Ob es als Gegengewicht taugt, ich weiß es nicht, aber ich korrespondiere gerade sehr nett mit einer Hälfte von Witthüser & Westrupp, wer weiß, was daraus noch erwächst.

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  2. Jaja, die alten Krautköppe. Ihre LPs werden teuer gehandelt, vor allem „Der Jesuspilz“, das geht gegen 50 Euro. Solche Albumtitel macht ja auch heute keiner mehr.

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  3. Hallo Matt,
    vielleicht eine blöde Frage, aber ich habe da keine Erfahrung: Was macht man denn so, wenn man mit einer Band in der Garderobe steht? Ist ja nun nicht gerade gemütlich und lädt zum plauschen ein.
    Gerade neulich las ich in einem Interview mit Steve Hanley, dem ehemaligen Bassisten der von mir sehr verehrten Band THE FALL, dass er vor dem Auftritt immer ein wenig Ruhe braucht, um sich zu konzentrieren.
    Und ich dachte irgendwie auch immer, solche Begegnungen finden nach dem Konzert statt und dann zischt man entspannt zusammen ein Bier.
    Klär mich auf bitte!

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  4. Liebe Hausmeisterin, die Cowboy Junkies haben zwei Shows hintereinander gespielt, und ich war bei der zweiten – gewissermaßen war es also ein Besuch sowohl nach als auch vor dem Konzert …

    Künstler wie Hanley, die keine Leute backstage wünschen, lassen sie einfach nicht zu, so einfach ist das. Sie haben die Macht über ihre Garderobe.

    Die Cowboy Junkies haben sich jedenfalls gefreut, ein bekanntes Gesicht zu sehen; das war allerdings nicht meins, sondern das meiner Begleiterin, die hier auch schon öfter erwähnt wurde (die Sängerin Tish Hinojosa). Sie hat mit Margo über alte Zeiten und familiäre Dinge geplaudert, ich stand derweil mehr oder weniger mit Tishs Freud A. so rum und habe mir die Garderobe angeschaut … ;-)

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  5. Lieber Matt,
    Musikergarderoben wirken sehr häufig so :-). Das kann ich nach einer 25jährigen Bühnenerfahrung nur bestätigen. Ich hab mich in Wäsche- und Besenkammern gestylt und manchmal sogar im Auto. Und die Musiker, die sich in solchen Garderoben aufhalten, sind halt auch nur "Normalos", die sich kurzzeitig davon ausruhen auf der Bühne den Tiger zu mimen.
    Schön, dass Du mal über die Garderoben erzählst, vielleicht bessert sich was, wenn die Leute davon wissen.
    Let the good times roll, Gaby

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