18 Mai 2009

Kulturelle Unterschiede beim Aussichherausgehen

Bei einer Stadtführung durch Würzburg gerieten wir in die Fänge mehrerer sogenannter Originale: eine gewisse „Marktbärbel“, ein „Schorsch“ und ein „Karl“ (Foto).

Bereits frühmorgens fütterten sie uns mit pforztrockenen Bratwürsten und reichten dazu reichlich Frankenwein. Zudem erlaubte uns das Trio tiefe Einblicke in die fränkische Seele.

„Der Frang-ge an sich“, psychologisierte zum Beispiel der Karl, „geht scho aus sich raus – abber mehr so nach inne.“


Auch dem dort wild grassierenden Katholizismus standen die Drei überraschend pragmatisch gegenüber. „Die war Nonne“, gluggste der Schorsch über eine historische Würzburgerin, „unn zwar scho inner dridde Generadsion …“

Als ich diese Schnurren heute im Büro dem Exilfranken erzählte, lachte er sich fast einen Kropf. Wir sind also – wie man aus der letzten Bemerkung mühelos rückschließen kann – wieder zurück auf St. Pauli.

„Willkommen zu Hause!“, juchzte Ms. Columbo freudestrahlend, als wir vor unserer Haustür eine eben erst eingetrocknete Kotzpfütze vom Wochenende entdeckten. Home, schiet home …

Drunten im Frankenland haben wir solchen Straßenschmuck hingegen nirgends gesehen. Nicht mal ein Autokennzeichen mit der naheliegendsten aller Kombinationen: „WÜ-RG“.

Das ist eben der Hauptunterschied zwischen dem Kiez und Würzburg: Hier geht man zwar auch gern aus sich heraus, aber mehr so nach außen.



17 Mai 2009

Schein und Sein



Als ich heute in Würzburg durch die Innenstadt lief und auf das Plakat mit Meryl Streep stieß, dachte ich: Hoppla, die Hollywooddiva macht jetzt Wahlkampf für die Schwarzen?

Andererseits wäre das kaum frappierender als ein Spot, in dem Bruce Willis gemeinsam mit Rudi Assauer auftritt.

Auf dem CSU-Wahlplakat stand allerdings nicht der Name „Meryl Streep“, sondern der einer gewissen Angela Merkel. Aus irgendeinem Grund erinnerte mich das ans Motiv einer Bierwerbung vergangenes Jahr hier auf dem Kiez.

Keine Ahnung warum – schließlich zeigt es ebenfalls nicht Meryl Streep.



15 Mai 2009

Wunderliches Frankenland

Im brutalstkatholischen Würzburg, wo wir auf Einladung des Maritim-Hotels das Wochenende verbringen, liegt nicht etwa eine Gideonbibel im Nachtschränkchen des Hotels, sondern – „Die Lehre Buddhas“.

Herrschaftszeiten, die Welt ist auch nicht mehr das, was sie mal war! Selbst in Franken nicht.

Der Rest hingegen präsentiert sich hier bislang exakt so, wie wir ihn uns dank jahrelanger zoologischer Studien des Hamburger Exilfranken vorgestellt haben: bier-, wein- und wurstfixiert.

Den mutmaßlich merkwürdigen Zungenschlag der Eingeborenen werden wir aber erst morgen im Rahmen einer innerstädtischen Exkursion detaillierter studieren können, denn unser Hauptgesprächspartner heute Abend war Österreicher.

Globalisierung: Selbst im brutalstkatholischen Würzburg ist das also kein Fremdwort mehr.


Puff, günstig

Aus dem Hintereingang einer Spielhölle in der Seilerstraße taumeln mir zwei angetrunkene Geschäftsleute von Ende 20 vor die Füße, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Der eine ein beleibter, gedrungener Afrikaner à la Forest Whitaker, dessen zu enges Hemd unschön über den Gürtel quillt; der andere eine spitterige blasse Gestalt mit hochgegeltem Haar, dunklem Anzug und einem Schlips schmaler als ein Lineal.

Die globalisierte Ausgabe von Pat und Patachon im Rotlichtviertel.

Der Dünne spricht mich an, in osteuropäisch gefärbtem Deutsch. „Wir suchen Puff, günstig“, vertraut er mir ohne Umschweife an. Ich signalisiere ihm sanft eine gewisse Unbedarftheit auf diesem Gebiet, ohne meine wohnsitzbedingte grundsätzliche Informiertheit zu verhehlen; völlig vergrätzen möchte ich die beiden ja nicht, schließlich bin ich dafür mitverantwortlich, dass Hamburg – hier: der Kiez – sich von seiner besten Seite zeigt.

Also beschreibe ich den pipileichten Weg zur Reeperbahn: Da vorne links, und schon steht man auf dem Boulevard der Lüste. Dort, sage ich, würden sie sicher fündig.

„Reeperbahn!“, juchzt der Dünne, „genau! Genau! So 30 Euro?“ Mein Grinsen verrutscht ein wenig ins Windschiefe. „Wie gesagt: So genau kenne ich mich nicht aus“, sage ich, „aber das scheint mir etwas wenig.“

Jetzt mischt sich der Afrikaner schüchtern ein. Er trägt kein Jackett, weil ihm offensichtlich heiß ist, doch den Würgegriff seiner Krawatte hat er keinen Millimeter gelockert.

„Wir sind nicht von hier“, entschuldigt er sich. Das ahnte ich freilich schon, belobige sein Bekenntnis gleichwohl durch aufmunterndes Lächeln. Er wirkt erleichtert.

„Gans’n Tag offen?“, lallt der Dünne weiterhin hochinteressiert. Eine Wegbeschreibung zur Herbertstraße scheint mir angesichts ihrer herabgesetzten Aufnahmefähigkeit unangebracht, deshalb bestätige ich das kurz und knapp.

Sie bedanken sich im Chor und wanken froh von dannen. Plötzlich dreht sich der Schmalhans noch mal um:

„Suche aber frisch, ne?“

Ich muss wirklich eine beängstigende Kompetenz ausstrahlen. Ein entsprechender Selbsttest vorm Spiegel heute Abend hat aber nichts Auffälliges ergeben.


12 Mai 2009

Die Wahrheit hinter DHL

Manche Menschen sind mir ein Rätsel.

Ich meine: Wer setzt sich bloß hin und verschwendet Lebenszeit, um ein denunzierendes Logo zu entwerfen, das Motiv teuer auf Klebepapier drucken zu lassen und es dann an Altonaer Briefkästen zu pappen?

Und warum nur so viel Aufwand wegen eines Transportunternehmens?

Wäre diese Lebenszeit nicht besser investiert gewesen, wenn man Goethe gelesen hätte oder meinetwegen auch Charlotte Roche oder auch einen Abend lang das Muster der Wellen am Elbstrand in Neumühlen? Ganz bestimmt.

DHL leitet sich übrigens in Wahrheit ab von den Anfangsbuchstaben der Unternehmensgründer Adrian Dalsey, Larry Hillblom und Robert Lynn. Sagt Wikipedia.



Trau keinem Lober!

„Die fünf Tuben hätte ich aber noch aufgebraucht!“, schimpft der sich als geizig enttarnende Franke, nachdem er gehört hat, dass wir nach einem Bericht der Zeitschrift „Öko-Test“ den kompletten Vorrat an Dentagard mit Kräutern in die Tonne getreten haben.

„Ihr benutzt die schon jahrelang“, versucht er mit fränkischer Unlogik Gewohnheit gegen Vorsorge auszuspielen, „da kommt’s auch nicht mehr drauf an.“ Wohl kommt’s darauf an!

Jahrelang wussten wir nämlich nix von den bedenklichen Inhaltsstoffen, die Öko-Test in unserer Stammzahnpasta gefunden haben will. Das frische Wissen aber vergällt uns nun sehr gründlich das Vergnügen des Putzens mit Dentagard – unabhängig vom „Sehr gut“-Siegel der Stiftung Warentest, das uns von jeder Tube seither wie Hohn entgegen grinst.

Ich als Skeptiker neige jedenfalls eher dem Warner zu als dem Lober – und gern auch zu schnellen Entscheidungen. („Nein: hysterischen!“, ruft der Franke.)

Nachdem die fünf Tuben seufzend fotografiert und sodann entsorgt waren, gingen wir nach dem Abendessen mundhygienisch noch unversorgt zu Schlecker („Schläggor“, wie Ms. Columbo den Laden gern sächselnd ironisiert), um uns dort mir der hervorragend beleumundeten AS-Dent Kräuter zu bevorraten, doch Schläggor hatte schon zu.

So mussten wir zum eigentlich unzumutbaren Lidlladen eingangs der Reeperbahn, um uns mit Dentalux Zahncreme Kräuter zu behelfen, deren Preisleistungsverhältnis paradiesisch anmutet: kein Gift und doch nur 39 Cent.

Die kontaminierten Dentagardtuben krame ich am besten wieder aus dem Müll, um sie morgen dem Franken sardonisch auf den Schreibtisch zu packen.

Mal gucken, wie er guckt.

11 Mai 2009

Kaiserwetter am Patentag

Heute war Patentag. Heißt: Wir haben uns in kleiner Runde alle drei Teile der „Paten“-Trilogie von Francis Ford Coppola hintereinander weg angeschaut, nur unterbrochen von Pasta-, Espresso-, Barolo- und Tiramisupausen, wobei wir manche der Einfachheit halber zusammenlegten.

Nach diesen knapp zehn Stunden „Pate“ bin ich zu kaum noch was in der Lage – nur noch dazu, die Frage „Wer war der Mörder?“ mit einem sicheren „Keinesfalls der Gärtner“ zu beantworten. Zumal in keinem der drei Filme auch nur das Fitzelchen eines Gärtners auftauchte.

Wir hatten uns angesichts der auf Innenräume beschränkten Herkulesaufgabe für draußen hämisch Donner, Blitz und Regen gewünscht, doch über St. Pauli prangte der blauste Himmel seit Erfindung des Vollrauschs.

Ich musste sogar gereizt die Vorhänge zuziehen, um die Hafengeburtstagssonne daran zu hindern, Marlon Brandos Hamsterbäckchen heller auszuleuchten, als es Coppola vorgesehen hatte.

Fazit: Das Konzept Mafia hat gewisse moralische Mängel, ist kulinarisch hingegen voll zu begrüßen.

(Foto: babble.com)


09 Mai 2009

Ohne Worte (38): Kiezfassaden



Entdeckt in der Wohlwillstraße.


Es flackert (noch) nicht





Ins Haus gegenüber ist eine neue Spielothek eingezogen. Sie heißt Novolino, und darauf scheinen die Betreiber sehr stolz zu sein.

Denn sie scheuen weder (Strom-)Kosten noch Mühe, um der Welt von Novolino zu künden – vor allem den Nachbarn gegenüber, also uns.

Seitdem Novolinos Leuchtreklame allabendlich erstrahlt, fühlen wir uns nämlich wie in einem alten Film noir, wo der desillusionierte Detektiv – also meistens Bogart oder Cagney – immer in genau dem Zimmer der billigen Absteige landet, vor dessen Fenster die Riesenlampe prangt.

In diesen Filmen flackert sie zumeist, was Novolino immerhin nicht tut. Noch nicht, möchte der Pessimist in mir anmerken, doch ich verbiete ihm barsch das Maul.

Die beiden Fotos zeigen jedenfalls den Status quo: einerseits unseren Blick vom Balkon auf Novolino (der Schriftzug wird überstrahlt), andererseits den Effekt, den die Situation auf die Illumination unseres Wohnzimmers hat.

Am Millerntorplatz sind immer ein paar Pflastersteine locker, raunt der Pragmatiker in mir konspirativ, doch ich verbiete ihm barsch das Maul. Schließlich flackert Novolino wenigstens nicht.

Noch nicht.



08 Mai 2009

Gib mir ein l!

Öffentliche Mülleimer mit kalauernden Sprechblasen zu versehen ruft bei Leuten mit tiefergelegtem Humor natürlich helle Begeisterung hervor.

Bei mir ganz besonders.

Doch immer, wenn ich an der abgebildeten Tonne vorbeikomme, vermisse ich schmerzlich ein weiteres l. Warum bloß keine „müllde“ Gabe? Jeden Tag ein kleiner Stich ins Herz.

Ich glaube, ich mal da mal eins hin.



07 Mai 2009

Der semantische Hamburger Stadtplan



Wo sind Hunde am glücklichsten?
In Wedel.

Wo geht es zwangsläufig hektisch zu?
In Eilbek und Schnelsen.

Wo ist das Tragen einer Narrenkappe nicht nur an Karneval Pflicht?
In Fuhlsbüttel (Foto).

Wo sind Einbrecher quasi arbeitslos?
In Hausbruch.

Wo fühlten sich Kastraten wie zu Hause, wenn es noch welche gäbe?
In Ochsenwerder.

Wo wäre das Rotlichtviertel am besten aufgehoben?

In Poppenbüttel.

Wo ist den Leuten nichts heilig?
In Sankt Pauli, ausgerechnet.

Wo waren die Dummen wenigstens klug genug, ihre Defizite durchs Weglassen des Anfangsbuchstabens zu verschleiern?
In Eppendorf.



06 Mai 2009

Tannenzapfenzupfen (12): Die Kuttner-Edition

(Foto via FHS Holztechnik)

Willkommen zurück im Gammelsprechland. Diese Serie über Sprachkatastrophen trägt den Namen ihres ersten Eintrags (nämlich „Tannenzapfenzupfen“). Wie immer gilt beim Konsum auf eigene Gefahr das bewährte Motto: Ohren zu und durch.

1. Die Fernsehfrau Sarah Kuttner wollte auch mal was schreiben. Prompt wird überall ihr Roman gelobt, aber keiner traut sich uns Kuttnernichtlesern zu erzählen, dass ihre Sprache bisweilen an ein schweres Zugunglück erinnert (und zwar mit einem ICE der neusten Generation).

Weil ich das Buch trotz seines Erfolges noch nicht gelesen habe, erfuhr ich erst heute vom Ausmaß seines Elends, und zwar dank eines Rundbriefs des Konzertveranstalters Berthold Seliger. Die Frau schreibt nämlich Sätze wie:
„Eine Depression ist ein fucking Event!“

Damit geht es frecherweise sogar los, doch dann steigert sich Frau Kuttner konsequent hinein in den Vollhirnriss und missbraucht dabei sogar die Rolling Stones:
„You can get it if you really want. Ich wante vermutlich nicht really genug. Auf der anderen Seite wante ich zumindest genug, um ordentlich unzufrieden zu sein, es nicht zu getten.“ WHAT THE HOLY FUCK???


2. Ich ahne allmählich, woran es liegt: Sarah Kuttner hat einfach eine Internetübersetzungsmaschine benutzt, um ihren Roman zu schreiben, und jetzt lacht sie sich zu Hause einen künstlichen Darmausgang, weil das bis heute keiner gemerkt hat.

Wahrscheinlich griff sie vor allem auf das hochgelobte linguee.de zurück, das nicht einfach übersetzt, sondern sich für den gesuchten Satz gelungene Eindeutschungen aus dem Web zusammensucht. Wobei gelungen ein dehnbarer Begriff ist.

Denn für den hübschen englischen Satz „First of all, what the fuck kind of episode title is that? “ bietet linguee.de etwas extrem Kuttnerhaftes an: „Zuerst was ist die Bumsenart des Episodetitels die?“


Und genau das frage ich mich auch schon den ganzen Tag.

Was bisher geschah: 11, 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1





04 Mai 2009

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (9)

Dieses Foto habe ich vor einigen Wochen in der Hein-Hoyer-Straße geknipst und aus unerfindlichen Gründen mit dem Dateinamen „Ex-SPD-Eingang“ versehen.

Ich weiß partout nicht mehr, wieso. Wenn dort früher mal die SPD residierte, wie komme ich dann heute zu dieser Information? Ein ordnungsgemäß verwittertes Schild ist auf dem Foto jedenfalls nicht zu erkennen.

Andererseits könnte auch die „Ex“-Information falsch sein, und die SPD sitzt noch immer dort. Denn mal ehrlich: Erinnert das zerzauste, verwahrloste Szenario nicht bis ins Detail an den Zustand der deutschen Sozialdemokratie? Und das Rot der rechten Tür trifft das von Müntes Schal beängstigend genau.

Hiermit streiche ich also das „Ex“ wieder aus dem Dateinamen. Und morgen gehe ich noch mal hin, um die Sachlage endgültig zu klären.


Ranz und Elend

Eine Viertelstunde Brötchenholen reicht, und man ist wieder auf dem Boden aller Tatsachen.

10.45 Uhr. Mitten auf dem Gehweg der Reeperbahn liegt einer in Sack und Asche und pennt. Als Kopfkissen fungiert seine schwarzverfärbte Hand. Fünf Meter entfernt geraten zwei Typen aneinander. Einer brüllt irgendwas, der Angebrüllte wird von seinem Kumpel weggezogen, „Komm, wir gehen, lass ihn!“, sagt er hastig und hat Angst im Blick.


(Angst ist ein sehr guter Ratgeber auf dem Kiez.)

Der Schläfer auf dem Gehweg schläft ungerührt weiter. Inzwischen sind die Streithähne schon 20 Meter auseinander, doch der, der eben brüllte, brüllt immer noch – na ja, Hunde, die bellen, und so weiter …

Vor den Backwaren bei Penny steht ein Mann mit verfilzter Graumähne und weißverdreckten Schlabberjeans. Er stiert mit gesenktem Kopf ins Regal und beschimpft die Brote. Sie können nichts dafür!, möchte man ihm zurufen. Doch es würde nichts nützen, überhaupt nichts.

Als ich draußen mein Fahrrad vom Mast abschnalle, liegt plötzlich ein schwarzer Stringtanga hinterm Hinterreifen. Vorher lag er m. E. noch nicht da. Ich schaue mich interessiert um, entdecke aber nirgends eine potenzielle Eigentümerin.

Auf der Fahrt durch den Hamburger Berg (Beispielfoto) schaffe ich es nicht, alle Scherben zu umfahren. Eine bohrt sich ins Vorderrad und klackt bei jeder Umdrehung kurz und hell aufs Kopfsteinpflaster.

Ich halte an, ziehe sie raus, es pfeift nicht; erst Stunden später wird der Reifen platt sein, insgesamt kostet mich die Viertelstunde Brötchenholen schließlich 22 Euro.

Hinter mir klirrt es, die nächste Flasche geht den Gang alles Irdischen. Ein paar Jungs johlen, sie übertönen kurz den Hardrock aus dem Goldenen Handschuh, der Kneipe, vor der sie stehen und Flaschen zertrümmern. Ranz und Elend des Kiez …

Es ist kurz vor 11, der Tag hat erst begonnen. Oder die Nacht ist noch nicht zu Ende – so genau weiß man das hier ja nie.


03 Mai 2009

Fundstücke (48)



Als belesener Pudel würde ich mich beim gemütlichen Kacken schon fragen, wie eigentlich das unvollständige Wort komplett lauten könnte – „-schaufeln“? „-schlagen“? „-schtellen“?

Aber man kann ja nicht alles wissen.

02 Mai 2009

Die Wahrheit liegt nicht mal aufm Paltz

Oh Mann, die Linke ist auch nicht mehr das, was sie mal war.

Als ich mich auf dem Heimweg mühsam gegen den Strom durch die 1.-Mai-Demo kämpfte (genauer gesagt: durch die polizeilichen Hundertschaften, die unumschränkt über den Gehweg herrschten), reichte mir einer der Demonstranten en passant ein Faltblatt rüber.

Es kündigte eine Kundgebung auf dem Hein-Köllisch-„Paltz“ an, doch nicht dieser Druckfehler bestürzte mich besonders, sondern die wichtigste Forderung des Blattes.

Sie lautete: „Weg mit der Marktwirtschaft!“

Hallo? Niemand zu Hause, McFly? Das heißt „Kapitalismus“, ihr theorielosen Aufdenleimgeher!

Denn „Marktwirtschaft“ ist – vor allem, wenn sie um das tolldreiste Adjektiv „soziale“ erweitert wurde – nichts weiter als ein euphemistischer Kampfbegriff des Kapitals, welches so den Kapitalismus zum Kuschelkaffeekränzchen verharmlosen will – und ihr fallt darauf rein!

Nein, Linke, du bist wirklich nicht mehr das, was du mal warst. Wir sprechen uns erst wieder, wenn du Marx gelesen hast.

Also frühestens am 1. Mai 2010 – denn das Lesen dauert seine Weile, oh ja.



01 Mai 2009

Einmal Paralleluniversum, bitte



Stehe im Fitnessclub neben zwei jungen Burschen von muskulöser Statur unter der Dusche.


„Wenn ich Schule blau mach, Alder“, sagt der eine, während er sich die Eier einseift, „dann lieg ich morgens im Bett und guck Teleshopping, Alder.“

Ein erschütterndes Bekenntnis. So ziemlich alles andere Denkbare wäre eine Rechtfertigung fürs Schuleschwänzen gewesen, aber Teleshoppinggucken …?

Wenn ich früher blaumachte, setzte ich mich in ein Café und schrieb ostentativ Gedichte, um die hübsche Bedienung auf mich aufmerksam zu machen. Gut, das klappte nie, obwohl ich irgendwann sogar dazu überging, Gedichte ÜBER sie zu schreiben.

Doch selbst wenn es damals schon Teleshopping gegeben hätte: Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, das Verticken von Tupperschüsseln gegen das bittersüße Bohèmedasein eines Caféhausmöchtegernliteraten einzutauschen.

„Die ham da Messer, Alder“, sagt er eine, während er sich die Poritze rubbelt, „die bleiben ewig scharf, Alder.“

Wo gibt es noch mal Fahrkarten ins Paralleluniversum?
Ich hab auch eine Bahncard 50.


PS: Da ich aus nachvollziehbaren Gründen keine geeignete
Illustration anfertigen konnte, kann ich genausogut die inzwischen abgebaute Domachterbahn abbilden.


30 April 2009

Nur noch Boxershorts

Der Promoter, der mich zur einstündigen Massage ins East Hotel (Foto) eingeladen hatte, sagte vorher am Telefon irgendetwas von „nur oben rum freimachen“.

Pustekuchen.

Hätte ich gewusst, dass ich einer Ganzkörpermassage (hinten wie vorne) entgegenging, wären unbedingt Boxershorts erste Wahl gewesen.

Und nicht dieser körperbetonte, mir irgendwie plötzlich tangaverwandt erscheinende Winzslip, den ich zu meinem Missbehagen erblickte, als ich mir die Jeans abstreifte.

Die außergewöhnlich attraktive Masseurin verkniff sich aber jede Bemerkung.

29 April 2009

Ein beglückendes 0:0

Wenn Champions League läuft und ich mich für ein Spiel interessiere, dann gehe ich in ein Restaurant im Millerntorhochhaus an der Reeperbahn, direkt gegenüber vom Mandarin Kasino, wo die abgebildete Lampe hängt.

Dort, in diesem Restaurant, haben sie eine lichtarme Großbildleinwand aufgespannt, und Marcel Reifs Stimme ist ein Murmeln im Hintergrund – die Ahnung einer Moderation zwischen Gläserklirren und Tischgesprächen.

Ich weiß nicht einmal, wie das Restaurant heißt, das ist mir peinlich. Andererseits esse ich dort auch nie etwas, sondern rette mich mit einem einzigen Grauburgunder, den sie hier Pinot Grigio nennen, über die rund 115 Minuten, die heutzutage ein Champions-League-Spiel samt Halbzeitpause dauert.

Man toleriert mich trotz dieser durchschaubaren Taktik. Sie wissen: Das Restaurant wäre niemals voll an einem Dienstagabend, also ist auch ein Grauburgundergast hochwillkommen.

Messi trifft nicht, Ballack kriegt Gelb, alles endet in einem erregenden 0:0. Draußen hat es inzwischen geregnet, und ich stelle fest, dass mein Fahrradschloss nicht eingerastet war, weil der Laternenmast zu dick war für die Länge der Kette.


Jeder hätte das Fahrrad klauen können, was auch im Schnitt alle drei Jahre passiert. Doch die doofen Diebe vom Kiez waren unaufmerksam. Und so etwas reicht schon, um einen Abend auf St. Pauli als beglückend zu klassifizieren.

Das ist hiermit geschehen.


28 April 2009

Dafür gibt es keine Entschuldigung



Wir setzten mit der Fähre über zum „König der Löwen“-Zelt.

Als Chris Norman irgendwann zur Akustikgitarre griff und „If you think you know how to love me“ spielte, wurde mir aus Gründen, für die ich nicht willens bin mich zu entschuldigen, ganz warm ums Herz.

Mir fielen Funny van Dannens Zeilen ein: „Gib es zu, du warst im Nana-Mouskouri-Konzert/Ich war auch da und du hast geweint.“ Es war so ähnlich, jawohl.

Doch während mir mittig das Herz aufging, keimten weiter oben Mordfantasien – wegen der Leute, die anfingen mitzuklatschen. Etwas Dumpfes, Mechanisches entwertete meine kitschige, kindliche, sentimentale, nostalgische Minute.

Da ich eh schon zoombedingt nur wacklig mitfilmte, konnte ich mich leider nicht hinstellen und mit schroffen Worten ein sofortiges verbindliches Mitklatschmoratorium anordnen. Somit ist das Klatschen mit auf dem Film, für immer und ewig.

Und wer mir jetzt mit einem „Was, haha, du magst Chris Norman …?“ dumm kommen zu müssen glaubt, wird sofort standrechtlich exkommuniziert.

26 April 2009

Schöneberger Nächte sind lang



Ein Konzert von Antony & The Johnsons (Foto) ist ohne Zweifel das Sakralste, was man als Agnostiker erleben kann – vielleicht gerade deshalb, weil Antony alle Sünden verkörpert, welche das Christentum besonders verdammt: Promiskuität, homosexuelle Liebe, Verwischung der Geschlechter.

Dafür kann man auch schon mal extra nach Berlin fahren, in den Admiralspalast. Wir sitzen auf dem Balkon. Zwei Reihen vor uns streitet sich Herbert Grönemeyer im Stehen mit einer blonden Frau, die aussieht wie Nina Hoss und es wahrscheinlich auch ist.

Es geht hin und her, am Ende scheinen sie sich zu einigen und sitzen schließlich friedlich in einer Reihe, wenn auch nicht nebeneinander. Vielleicht ging es einfach nur darum, wer die Getränke holen sollte. Wenn ja, dann hat Hoss gewonnen.

Nach dem Konzert versacken Dr. K., Xóchil und ich in einer langen Schöneberger Nacht, und ich frage mich, ob es für eine Künstlerin wirklich eine angemessene Art ist, den Tag, an dem ihr langersehntes Debütalbum erscheint, mit zwei haarlosen bebrillten Endvierzigern zu verbringen, die ihr von gestörten Vater(bzw. Mutter-)beziehungen und der säkularen Gottesdefinition in Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ erzählen.

Immerhin lief sie nicht schreiend davon, und das auch erst um drei Uhr morgens.


24 April 2009

Ein getränkelastiger Abend



Den Weißwein im Mandarin Kasino an der Reeperbahn gießt der Barkeeper stillos in einen Plastikbecher.

„Das ist aber stillos“, sage ich, wie es ist, und zwar quer durch den erstaunlich erträglich lauten 60er-Wave-Mix der kalifornischen Band Airborne Toxic Event.

„Ja“, grinst der Barmann selbstgewiss und gießt weiter ein, „das ist völlig stillos.“ Nachdem ich den ersten Schluck genommen habe, muss ich jedoch sagen: Ich lag falsch. Diesen Wein aus einem Plastikbecher zu süffeln, ist keineswegs stillos – sondern völlig angemessen.

Neugierig blättere ich in der Getränkekarte, um Traube, Herkunftsgebiet und Jahrgang der Plörre herauszufinden. Dort steht allerdings nur „Weißwein“. Auch das: nichts weniger als kongenial. Das Getränkekonzept im Mandarin ist zweifellos durchdacht und homogen.

Nach dem Konzert gehe ich zum Kiosk im Millerntorhochhaus, weil ich Puffbrause kaufen will, einen Prosecco in Blechdosen mit Tittenbild vorne drauf, der exklusiv nur auf dem Kiez erhältlich ist. Feine Sache, vor allem als Gastgeschenk, und morgen geht es ja nach Berlin, wo man dergleichen nicht bekommt, zumindest nichts, wo außen unverhohlen „Puffbrause“ draufsteht.

Doch vielleicht war es ein Fehler, in genau diesen Kiosk zu gehen, denn der Betreiber ist offenkundig nahöstlicher Herkunft und wurde möglicherweise puffbrausenskeptisch sozialisiert. Und in der Tat: Das Produkt führt er nicht.

Allerdings kommt er mir plötzlich nachgelaufen. „An der Tankstelle gibt’s das“, ruft er, „das habe ich in der Zeitung gelesen!“

Danke für den Titt… äh Tipp. Zumal er stimmt.



23 April 2009

Das Hinternargument

Der Franke will zu Kieser. Ich bin entsetzt.

Immerhin: Dass Mr. Wachsende Wampe überhaupt anfängt, körperliche Ertüchtigung als Option zu erwägen, gehört zu den größten Sensationen seit Entdeckung des Turiner Grabtuchs.

Gleichwohl liebäugelt er mit dem falschen Anbieter – und das auch nur aus Bequemlichkeit, weil nämlich eins dieser monothematischen (Rücken!) Quälstudios bei ihm in Eimsbüttel um die Ecke liegt.

„Geh da nicht hin!“, beschwöre ich ihn. „Qual, Askese und Selbstkasteiung erwarten dich dort!“ Stichhaltige Argumente, die selbst ein Franke kognitiv verarbeiten können müsste, doch er bleibt seltsam still.

Plötzlich fällt mir ein, dass er ja als Katholik sozialisiert wurde, also gewissermaßen zu den Miterfindern der Selbstgeißelung gehört. Vielleicht erweckt Kieser einfach bittersüße Kindheitserinnerungen in ihm.

„In meinem Fitnessclub“, locke ich ihn gleichwohl, „kannst du schönen Frauen auf den Hintern starren und danach gepflegt saunieren, und zwar gemischt! Na?“ Außerdem sehen die Flaschenregale dort schön aus (Foto).

Richtig überzeugt ihn das alles aber noch immer nicht. Er stopft sich weiter wortlos löffelweise lavaheiße Lasagne in den Schlund, während die Option Kieser über ihm schwebt wie ein Damoklesschwert, das er für ein Origamiflorett hält.

„Da kann man dreimal kostenlos trainieren“, nuschelt er zwischen Blattnudeln und Hackfleischbrocken. „Mensch, Franke, Probetraining besorge ich dir auch!“, weise ich ihn erbarmungslos zurecht.

Doch alles vergeblich: Der Standortvorteil ist für ihn ein Killerargument. Läge die Hölle in Eimsbüttel und böte Hanteltraining mit gleichzeitigem Gegrilltwerden: Er unterschriebe sofort den Vertrag, Hauptsache, er hätte es von dort nur zwei Minuten nach Hause.

Vielleicht sollte ich ihm also die Sache mit der körperlichen Ertüchtigung einfach komplett ausreden. Denn so wie er isst, verbraucht er schon genug Kalorien. Und Muskelaufbau ist bei seiner spezifischen Art der Messer- und Gabelhandhabung ebenfalls eine gleichsam beiläufige Nebenwirkung.

Nur an den Hintern schöner Frauen mangelt es in seiner Welt. Vielleicht ein Ansatzpunkt, den ich noch mal vertiefen sollte, als letzte Rettung vor Kieser.


21 April 2009

Neulich im Zug von Berlin nach Hamburg

Kontrolleur: „Noch jemand zugestiechen?“
Mein Nachbar, ein fülliger Mann, der bereits an der vorletzten Station zugestiegen war, nämlich in Wittenberge: „Ich bin schon in Wittenberge zugestiegen.“
Kontrolleur (patzig): „Schullijung, dass ich nich gleich doa woahr. Mir höm nämlich möhrere Woachen.“
Ein schönes Beispiel für präventives Angepisstsein, das mir dennoch etwas überempfindlich vorkam. Beispielsweise wäre auch eine deutlich deeskalierendere Gesprächsfortführung wie diese denkbar gewesen: „Widdenberche? E scheenes Gaff. Gänsefleisch drozzdem de Fohrgorrde zeiche?“

Doch so kam es nicht, sondern anders. Gleichwohl gibt es entlastende Fakten, die man zugunsten des Kontrolleurs anführen muss.

So war der Arme zum Zeitpunkt seiner nur scheinbar grundlos schroff geführten Kommunikation noch Gefangener im fremden und seltsamen Mehdornland. Und dieser Zustand muss zuletzt auf Bahnangestellte gewirkt haben wie Leipzig 1988.

Der füllige Wittenberger jedenfalls sank nach diesem Anpfiff muffelnd in sich zusammen wie ein beleidigter Mollusk und sagte gar nichts mehr.


Am Freitag fahren wir übrigens wieder nach Berlin. Wir freuen uns schon.

Foto: Hauptbahnhof Hamburg, U-Bahnstation



20 April 2009

Fundstücke (47)

Manche Geschichten glaube ich einfach nicht. Selbst wenn sie –hüstel – in der Mopo stehen.

Trotzdem würde ich gern mal Fotos der Tatbeteiligten sehen. Vor allem von der Friseurin, dieser Caligula aus Kaluga.

(Entdeckt in der Samstagsausgabe.)