16 August 2007

Zwischen Strand und Spritzenplatz

Ms. Columbo lacht sich halb kaputt über die Fortbewegungsart unbeholfener Seeelefanten auf 3Sat. In der Tat: Wenn die Viecher loskrauchen, sieht das wirklich aus, als wallten Wellen durch eine Presswurst voller Fettgeschwabbel.

„Wer denkt sich so was bloß aus!“, gluckst Ms. Columbo, „das allein ist doch schon eine Widerlegung der Schöpfungstheorie!“ Stimmt, jeder Kreationist müsste vom Glauben abfallen beim Betrachten eines x-beliebigen Seeelefantenfilms.

Apropos Wellen: Während einer unserer üblichen spitzfindigen Sprachdiskussionen kommen wir auf „La Ola“, bekannt als „Die La-Ola-Welle“. Da „La Ola“ aber übersetzt einfach „die Welle“ heißt, ist der Ausdruck „die La-Ola-Welle“ nichts weiter als eine ziemlich bescheuerte Verdopplung: „Die die Welle Welle“.

Warum reden wir so? Warum müssen Seeelefanten übern Strand walken, als wallten Wellen durch eine Presswurst voller Fettgeschwabbel?

Und warum hat mein Arzt seine Praxis ausgerechnet am Spritzenplatz und treibt auch noch seine typografischen Späßchen damit?

Clever und dreist



Gut, dieser stattliche Mensch war heute Abend vielleicht nicht der typischste aller Stones-Fans. Aber er war einer der cleversten.

Ich zum Beispiel hatte nicht mal mit dem Gedanken gespielt, unterm Hemd eine Abstellfläche fürs Bier in die Arena zu schmuggeln.

Die Rolling Stones höchstselbst waren
hingegen noch dreister: Sie schleppten gleich ein ganzes Parkhaus (ca. aus den Spätsechzigern) mit ins Stadion und versuchten es als Bühnenaufbau zu tarnen.

Hat nicht funktioniert.

14 August 2007

Tag der Stecher

Zunächst rauschte nachmittags eine Wespe volley in meinen USB-Ventilator. Keine Millisekunde später zappelte sie verdattert und verteidigungsunfähig auf der Schreibtischplatte.

Ich erwog sie mithilfe des WOM-Magazins zu erlösen, doch ihr progressives Zucken schien eine leichte Erholung anzudeuten. Also schob ich sie auf ein Blatt und schubste sie aus dem Fenster. Taumelnd und flugunfähig sank sie hinab in den Abgrund. Was aus ihr wurde, werde ich nie erfahren.

Im Gegensatz zu den Moskitos, deren Schicksal ich abends sehr genau mitbestimmen konnte. Über Jahre hinweg habe ich mich professionalisiert. Was mit einer Fliegenklatsche begann, führte über eine hand- und schlaggerecht gerollte Zeitschrift zu strombetriebener Technik: Moskitos jage ich inzwischen nur noch mit dem Staubsauger.

Eine effektive und saubere Methode – großer Radius und keine Flecken auf der Tapete. Das Teleskoprohr wird ausgefahren, die Bürste abgezogen und halali.

Es gehörte allerdings keineswegs zum Plan, mit dem Staubsaugerschlauch mehrere Flaschen Alkoholika vom Kachelofen zu fegen. Taumelnd und flugunfähig rauschten sie hinab in den Abgrund, doch merkwürdigerweise zerbrachen sie nicht, als sie aufs Parkett krachten.

Der Tresterbrand (Kallfelz, Mosel) schäumte lediglich entrüstet auf, und die Roséflasche (Sella & Mosca, Sardinien) entledigte sich protestierend ihres Korkens, so dass eine blutähnliche Weinlache den Boden aufhübschte. Und alles nur wegen ein paar winziger Lebewesen, die so leicht sind wie Luft.

Immerhin saugte ich nach den Aufräumarbeiten insgesamt drei von ihnen ins Beutelnirvana und installierte danach zur Sicherheit noch das unbezahlbare Moskitonetz im Schlafzimmer.

Das ging erstaunlich pannenlos vonstatten, obwohl ich doch mit einem Hammer hantieren musste. Wahrscheinlich ist Ms. Columbo ziemlich stolz auf mich. Ich auf mich auf alle Fälle.

Foto: Micropolitan.org

Haarige Sache



Beim Konzert von Devendra Banhart im Knust muss ich frustriert feststellen: Dieser dünne Amerikaner ist praktisch unfotografierbar. Dabei wendet er eine grundsätzlich andere Taktik an als einst Graf Dracula, der als Abbild – ob im Spiegel oder auf Fotos – einfach unsichtbar blieb.

Nein, Herr Banhart kehrt dir entweder den bestürzend schmalen Rücken zu, was fototechnisch unbefriedigend bleibt, oder du knipst ihn seitlich oder von vorne und hast trotzdem nur Bart und Haare drauf.

Ich erinnere mich, mir einst aus purer Neugierde mal den viele Jahre alten Vollbart abrasiert zu haben, nur um zu erfahren, wie ich überhaupt aussehe.

Devendra Banhart scheint dieses Bedürfnis noch nicht zu verspüren, nicht mal im Ansatz. Der Mann ist völlig zugewachsen. In botanischen Kategorien ausgedrückt wäre er der brasilianische Regenwald und ich die Wüste Gobi.

Doch ob haarig oder nicht: Wer so wie er Townes’ „Colorado girl“ covert, kann kein schlechter Mensch sein, im Gegenteil.

12 August 2007

Auf der Dorfdisco

Nach fünfstündiger Bahnfahrt, während der mir nahe Northeim das Himmelsbild gelang, verbringen wir ein Wochenende in meinem hessischen Heimatdorf am Fuße des Westerwaldes. So vertraut, so fremd.

Die Verwandtschaft zum Beispiel hat die Angewohnheit, so fröhlich wie lautstark durcheinanderzuplappern. Eine von A angefangene Geschichte wird von B begeistert zu Ende erzählt, was A aber nicht dazu bewegt, den Staffelstab einfach loszulassen.

Nein, munter spinnt er die Geschichte ebenfalls fort, und die so entstehende kommunikative Kakophonie ergibt erstaunlicherweise am Ende doch eine recht runde Story.

Abends Oldiedisco in der einzigen Kneipe des Dorfes. Man erkennt mich, nötigt mir Bier auf, tätschelt mir die Glatze, lobt lallend Hamburg, artikuliert gesteigerten Besuchswillen.

Oft nicke und lächle ich einfach freundlich, weil ich im brachialen Lärm der Oldiedisco eh nichts verstehe und klar ist, dass eine Nachfrage kaum mehr Klarheit ins semantische Dunkel brächte.

Heute, am Tag danach, habe ich allerdings den Verdacht, durch unbewusstes Abnicken mehreren reisefreudigen Dorfdiscobesuchern persönliche Kieztouren und weitere Betreuungsangebote in Aussicht gestellt zu haben.

Übrigens ist nicht nur eine generelle Kakophonie typisch für meine Familie, sondern auch eine beeindruckende Gestaltungshöhe im Ethisch-Moralischen. „De Marga erzeehld Geschichde“, informiert man mich mit latenter Empörung über den geistigen Dämmerzustand einer Heiminsassin, „dej sei gor ned wuhr!“

Selbst eigentlich entlastende Demenz vermag also einen gottesfürchtigen Protestanten nicht davon abzuhalten, auf die generelle Sündhaftigkeit des Lügens hinzuweisen.

Zum Ausgleich sehe ich auf der Rückfahrt am Marburger Bahnhof eine junge Frau, die ein T-Shirt mit der Aufschrift „Back from Hell“ trägt. Und direkt hinter ihr gehen zwei Nonnen.

10 August 2007

Kostbare Sekunden

Einer der schönsten Momente heute war der, als der Rührarm unserer Brotbackmaschine plötzlich im gleichen Takt lief wie der im Hintergrund laufende Song „Amelia“ von Michael Hall.

Eine kleine unverhoffte Harmonie im ansonsten konsequent asynchronen Alltagsgeschehen. Allerdings hielt sie nur wenige Sekunden vor.

Es waren die kostbarsten.

Von Gefriertüten und Eiderenten

Dieser Artikel auf Spiegel online über das Glück auf einer kleinen norwegischen Insel ist fast zu kuschelig, um wahr zu sein. Doch er glänzt mit einem wunderbaren deppenbindestrichlosen Wort. Es heißt „Eiderentendaunenschulden“.

Das Wort ist nicht einfach erfunden, sondern sorgsam eingebetteter Bestandteil einer Geschichte, die fast zu kuschelig ist, um wahr zu sein.

Überraschenderweise muss man das Wort kuschelig neuerdings auch auf den sprichwörtlich rustikalen Franken anwenden. Der mit allen Weihwassern gewaschene Grobmotoriker hegt und pflegt zu Hause eine umfangreiche Sammlung von DVDs, und genau eine einzige davon hat er unlängst aus Gründen des besseren Staub- und Erosionsschutzes eingeschlagen – und zwar in eine Gefriertüte.

Für Außenstehende klingt das wahrscheinlich nicht sonderlich liebevoll; es hätte gewiss für mehr öffentlichen Applaus gesorgt, wenn der Franke eine Schmuckschatulle verwendet hätte.

Doch für uns, die wir das Pech haben, tagtäglich mit seinem landsmannschaftlich typischen Rumgepoltere und seiner unterfränkischen Stoffeligkeit konfrontiert zu werden, steckt in der übergestülpten Gefriertüte eine rührende Symbolik.

Irgendwo nämlich, tief versteckt unterm Unterfrankenpanzer, scheint doch so etwas wie ein Herz zu pochen, wenn auch sehr, sehr leise.

Die interessanteste Frage aber ist die, welcher Film denn nun in den Genuss seiner schier zärtlichen Anwandlung kam. Uns erwartet eine überraschende Antwort.

Denn weder handelt es dabei um eine Scheibe seines geliebten Harald Schmidt, noch wurde einem David-Lynch-Film die Gefriertütenehre zuteil. Nicht einmal seine „Twin Peaks“-DVDs erfreuen sich der Spezialunterbringung.

Nein: Es ist die „Sissi“-Box!

Kramer und ich starren ihn an, als übte er gerade im Baströckchen einen Balztanz für den nächsten Christopher-Street-Day. „Weil das Cover aus Samt ist!“, ruft der Franke in einem lächerlichen Versuch, sich zu verteidigen. „Alles andere kann man abwischen!“

Er hat ausgerechnet die „Sissi“-Box in eine Gefriertüte gesteckt. Das ist unglaublich kuschelig. Und hätte der Franke bei irgendjemand Eiderentendaunenschulden, ich würde sie bezahlen, eventuell.


Das Foto der Eiderentenfedern schoss Ian Walker.

09 August 2007

Das Plattenrätsel



Eine Wand seines Musikzimmers tapeziert Andreas immer wieder neu mit wechselnden Plattencovers, die stets eine Gemeinsamkeit aufweisen, zum Beispiel Obstmotive, Leute mit Hut oder Bands, die uns den Rücken zuwenden – alles ist denkbar.

Neuerdings hängt bei ihm das abgebildete Ensemble, welches ich direkt vorm Platziertwerden ablichten konnte. Ich tumber Tor stand indes ratlos davor und kam einfach nicht auf das gemeinsame Kriterium, welches all diese Cover als homogene Gruppe definiert.

Doch bestimmt ist nicht jeder so begriffsstutzig wie ich, und deshalb lobe ich mal wieder einen selbstkompilierten CD-Sampler aus für jenen Schlaumeier, der mir als erstes per Mail mitteilt, aus welchem Grund wohl Andreas ausgerechnet auf dieses Plattencoverensemble gekommen ist.

Er hat’s mir schließlich verraten – und natürlich fiel es mir sofort wie Schuppen aus den Haaren. Aber hinterher ist man ja immer schlauer.

Andreas selbst, seine Verwandten und Leute mit unmittelbarem Zugang zu seinen Kontaktdaten sind natürlich von der Verlosung ausgeschlossen. Und nicht schummeln – das gibt schlechtes Karma!

Blogprobleme

Blogger.com hat momentan technische Probleme, man kann keine Fotos hochladen. Und ohne Fotos kein Beitrag.
Das wird sich aber bestimmt sehr bald wieder ändern.

07 August 2007

Ich dünge den Stadtpark

Grundsätzlich ist es natürlich kein Problem, ein Magnum Mandel zu möfeln, während man in der Abendsonne das überraschende Duett von M. Ward mit Norah Jones genießt. Doch dann erzählt Ward etwas von einem Stück, das man jetzt spielen werde, und zwar habe es ein amerikanischer Songpoet verfasst, der wahrscheinlich öfter durch Deutschland als durch seine Heimat getourt sei. 

Noch scheint es so, als habe diese Ansage rein gar nichts zu tun mit meinem Magnum Mandel. Noch. Jedenfalls werde ich nicht nur extrem hellhörig, nein, bei mir schrillen sogar alle Alarmglocken, und vor meinem inneren Auge blinken große Warntafeln mit der Aufschrift „Townes Van Zandt! Townes Van Zandt!“ 

Nur er kann gemeint sein, und wer meine Verehrung des Texaners kennt, ahnt vielleicht, welche Drüsen gerade unter Hochdruck anfangen zu pumpen, nämlich die für Adrenalin zuständigen. Fahrig taste ich nach der Kamera in meiner Hosentasche, denn wenn M. Ward und Norah Jones jetzt wirklich gemeinsam einen Townes-Van-Zandt-Song singen sollten, ohne dass ich diesen kostbaren Moment konservieren würde, so müsste ich mich selbst ohrfeigen. Nicht nur dabei allerdings wäre ein Magnum Mandel eher hinderlich. Nein, auch beim Aktivieren der Kamera entpuppt sich das Halbgefrorene am Stil als wenig nützlich. 

Rechtshändig drücke ich an meiner widerwilligen Kamera herum, während mir links der erste Vanilletropfen den Daumenansatz kühlt. Beim sofortigen Abbeißen der suppenden Stelle fallen zudem die ersten größeren Schokoladenplättchen zu Boden. Übrigens passiert mir das immer beim Magnummandelmöfeln, selbst wenn ich beide Hände frei zur Verfügung habe. Entweder ein Konstruktionsfehler oder Matt’sche Tollpatschigkeit, ich weiß es nicht. 

Was ich jedoch weiß: Ich würde meine Karriere aufgrund mangelnder Steigerungsmöglichkeiten sofort beenden, sobald ich es schaffte, ein Magnum Mandel verlustfrei zu inkorporieren. Hier und jetzt ist daran aber nicht zu denken, im Gegenteil. Während das Eis weiter tropft und bröckelt, ist die blöde Kamera endlich soweit. Und schon erklingen die ersten Takte von „Loretta“, Townes’ Song über eine Bardame. Ja, in der Tat: M. Ward und Norah Jones covern Zandt. 

Ein unwirklicher Moment, ein magischer Moment. Denn sie tun es gut, die beiden, schleppend und zart, er mit dieser angerauten Rock’n’Roll-Stimme, die immer ein wenig klingt, als sänge er durch ein Megafon; sie mit diesem melancholischen Kleinmädchentimbre, es ist ein Genuss. Ich filme schleckend, sabbernd und bröckelnd mit, zwar aus viel zu großer Ferne, aber immerhin – und nach gut drei Minuten drücke ich statt auf den Stop- auf den Ausschaltknopf.  

Datei. Nicht. Gespeichert. 

Dafür habe ich den Stadtparkboden mit erheblich mehr Schokoladenplättchen gedüngt als üblich. Ich. Könnte. Heulen.  

(Townes-Foto von Claus-Marco Dieterich, Marburg 1993)

 

06 August 2007

Vom Knüppeln in verschiedenen Varianten

Auf dem heiligen Rasen des Millerntorstadions, wo am Wochenende mein FC St. Pauli noch sensationell Bayer Leverkusen wegknüppelte, steht jetzt eine große Leinwand. Freiluftkino – und das in einer warmen Sommernacht!

Auf dem Programm: Klaus Lemkes ebenso dilettantischer wie charmanter Hamburgklassiker „Rocker“ von 1971. Das Tollste am Film ist neben der unfreiwilligen Komik der derbe Kiezsprech jener Zeit.

„Komm mit raus, Torte!“, pflaumt da ein vom Feminismus noch völlig unbeleckter Koteletten- und Schnäuzerträger seine Ex an. Und ein Ganove namens Ulli fragt seinen kleinen Bruder: „Hast du schon mal ne Alte geknüppelt?“ Hat er nicht.


Parallel zur Filmspule dreht sich drüben auf dem Dom majestätisch das Riesenrad, von der Achterbahn und der Überschlagsschaukel (Foto) wehen die Lustschreie der Teenies herüber, und wir versuchen auf den Schalensitzen der Haupttribüne eine halbwegs bequeme Position zu finden.

Tags darauf schauen wir uns eine Dokumentation über eine Seychelleninsel an. Ein 150 Jahre alter Schildkrötenbulle kommt vor, der gerade eine gepanzerte Dame besteigt.

„Ich würde auch gern mit 150 noch ne Alte knüppeln können“, sage ich versonnen zu Ms. Columbo. Die Torte grinst süffisant, und ich nippe entschlossen optimistisch an meinem Single Scotch Malt (Laphroaig, 10-jährig).

Kein Lamm, nirgends

Der Angestellte der Tankstelle am Spielbudenplatz will mir auf den 12er-Kasten Warsteiner kein Pfand geben. Diese Konfiguration, wird mir kühl beschieden, hätte man nicht im Angebot, ergo erfolge auch keine Rücknahme. Nur die Flaschen könne ich dalassen.

Das versuche ich auch, doch der zuständige Automat ruckelt und piept zwar eifrig, folgt aber seiner einzigen Bestimmung hienieden nicht: Flaschen zu schlucken und dafür einen Bon auszuspucken. Streik also nicht nur bei der Bahn.

Frustriert packe ich den Kasten draußen auf den Gepäckträger des Fahrrads und schlendere über den Flohmarkt – in der Hoffnung, die Kiste geklaut zu bekommen und somit diese Last ohne weitere Mühe, aber auch ohne Erlös los zu sein. Doch heute streiken selbst die Diebe.

Später versuche ich, Lammfilets zu kaufen, weil Ms. Columbo vom Fischmarkt aus irgendwelchen Gründen Bohnen heimbrachte. Und was kann man zu Bohnen schon essen außer Lamm? Also muss ich los.

Doch die Frustrationsserie reißt nicht ab. Bei Penny: kein Lamm. Bei Lidl: dito. Da wohnen wir schon in einem Viertel mit gefühlt mehr als 50 Prozent kleinasiatischer Bevölkerung, der doch wohl eine deutliche Lammaffinität unterstellt werden darf – und der hiesige Einzelhandel setzt dennoch voll auf Huhn und Schwein.

Vorm Lidl-Markt schläft übrigens ein besoffener Teenager im Stehen und hat sich zur Unterstützung seines vegetativen Nervensystems, das neben der Atmung auch seine aufrechte Haltung sichern soll, an einen Pfosten gelehnt.

Während er also dalehnt und sanft schwankend schläft, dreht er sich in Höhe der Körpermitte eine Zigarette. Ganz erstaunlich.

Heute Abend gab es dann übrigens weder Lamm noch Bohnen, sondern Käse und Salat. Auch lecker.

04 August 2007

Schrei nach Liebe

Wahrscheinlich hattet auch ihr heute diesen infamen Prospekt des Deutschen Atomforums im Briefkasten, der meinen Tag kontaminierte.

Darin jammert die Atomindustrie uns einen vor: Sie fühlt sich missverstanden, zu Unrecht ungeliebt. Außerdem listet sie fünf Gründe auf, weshalb sie der wahre Klimaschützer sei.

Nur eins kam in diesem rührenden Schrei nach Liebe schamhafterweise nicht vor: Plutonium.

Deshalb hier kurz eine Ergänzung, damit der Prospekt auch vollständig ist: Die ungeliebten Klimaschützer produzieren tagtäglich das tödlichste Gift der Welt, ohne auch nur den Schimmer einer Ahnung zu haben, wo es am Ende hin soll.

Sie produzieren das tödlichste Gift der Welt und halsen es einfach unseren Nachfahren auf, und zwar für die nächsten 24 000 Jahre – also fast zehnmal so lange, wie die gesamte bisherige Geschichte der menschlichen Zivilisation andauert.

Mal ehrlich, ihr armen ungeliebten Klimaschützer: Dann. lieber. Klimawandel.

Amputate in Plastikfolie

Unsere Nachbarn haben heute im Erdgeschoss einen schicken Laden für chinesische Möbel eröffnet. Er heißt „38 Geister“, was ein sehr geheimnisvoller Name ist – und hoffentlich den Flaneuren ausreichend vermittelt, worum es hier überhaupt geht.

Bei der Eröffnungsparty stieß ich nicht nur auf exotische Schränke und patinöse Plakate aus Post-Pu-Yi-Zeiten, sondern unvorbereitet auch auf eingeschweißte Hühnerfüße.

„Die gibt’s dort an jedem Imbiss“, winkte einer der Inhaber lässig ab. Dank des luftdichten Verschlusses sollen die wenig appetitlichen Amputate recht lange haltbar sein. Mich erinnern sie übrigens an Menschenhände.

Doch sie sind natürlich kleiner, und deshalb dürfte man beim Hühnerfußfuttern kaum richtig satt werden, wie mir auch das Betasten durch die Folie hindurch zu bestätigen schien. Reizvoll sind sie wohl nur für jene, die von einem Leben als Nager träumen oder eine Party in Schwung bringen wollen.

Ob es an chinesischen Imbissständen auch eingeschweißte Hundenasen oder Kuhschwanzquasten gibt? Das habe ich leider vergessen zu fragen.

Doch ich komme ja öfter vorbei. Geradezu täglich.


03 August 2007

Von Humor- und anderen Bomben



Im schwäbische Kneipenrestaurant Brachmanns Galeron in der Hein-Hoyer-Straße sind wir die ersten Gäste.

Als wir eintreten, läuft dissonanter Avantgardepop mit extremem Nervpotenzial, der bestimmte Lebenssituationen durchaus adäquat illustrieren könnte (zum Beispiel eine Kniespiegelung), doch keinesfalls ein Abendessen mit Ms. Columbo.

„Sind Sie wirklich sicher“, frage ich den Ober, „dass diese Musik appetitanregend wirkt?“ Er grinst säuerlich. Sie hätten diese Platte, führt er ernst aus, „nur zum Aufbauen“ aufgelegt, wobei mir nicht ganz klar ist, was er mit Aufbauen meint.

Ist ja auch nicht wichtig, solange er die Musik wechselt. Das tut er, und ein schöner Abend schließt sich an, einer mit Lachs auf Linsen, Rösti mit Rauke, Hefebrand nach Grauburgunder.

Am Ende möchte ich mit Karte zahlen. „Tut mir Leid“, sagt der Avantgardepop-Ober, „nur bar.“

„Na gut“, antworte ich, „können wir dann Teller waschen?“ Sein säuerliches Grinsen ist am Tisch bereits bekannt. Eine echte Humorbombe, der Mann.

Eine Bombe spielt übrigens auch eine wichtige Rolle in diesem kleinen bösen Clip von heute. Und wer das jetzt empörend mühsam zusammengebogen findet, der hat völlig Recht.

02 August 2007

Audienz beim Fußballgott

Natürlich, objektiv gesehen ist das völlig gaga, schon klar. Doch für mich hat es etwas unbeschreiblich Erhebendes, im gleichen Stadion ein- und auszuatmen wie Alessandro Del Piero

Nur wenige Meter von mir entfernt schreitet der Fußballgott zur Eckfahne, und ich bin verzückt, auch wenn der Ball im Strafraum versandet. Hach, der Atem der Fußballgeschichte! Am Ende verliert Del Piero mit Juventus Turin 0:1 beim HSV in einem bedeutungslosen Testspiel, das ich mir jedoch legendär zu reden versuche. Denn wir sehen nirgends Fernsehkameras, diese Partie findet unter Ausschluss der medialen Öffentlichkeit statt, und das hat man ja heutzutage nicht mal mehr auf dem Kiez

Mir wird ganz pathetisch beim Gedanken daran. „Dieses Spiel“, raune ich dem Franken zittrig zu, „wird ausschließlich in unserer Erinnerung weiterexistieren!“ „Und auf tausenden Digicams“, lässt der tumbe Aurakiller ungerührt die Luft aus meinem Pathos und filmt den nächsten Freistoß. 

Verdammt, er hat Recht. Also knipse ich Del Piero, wie er sich den Ball zur Ecke zurechtlegt. Ein Moment, den mir niemand mehr nehmen kann.  

PS: Hier gibt es drei Minuten lang Del-Piero-Tore.

01 August 2007

Sinkewitz’ gelöschte Lüge



Wieso eigentlich kaufen die Chinesen plötzlich unsere ganze Milch? Ich dachte immer, sie könnten sie gar nicht verdauen.

Nein, mit Logik kommt man manchmal einfach nicht weiter. Zum Beispiel gibt es Radrennfahrer, die schmieren sich abends ein Testosterongel auf den Arm, obwohl sie wissen, dass der Missbrauch der Paste pipileicht auffliegt.

Wie Patrik Sinkewitz, der heute endlich alles zugegeben hat. Am 18. Juli klang das noch einen Tuck anders, wie mein vorsorgliches Bildschirmfoto seiner Webseite dokumentiert.

Seitdem habe ich auf zweierlei gewartet: auf Sinkewitz’ Einknicken und das Verschwinden seines Dementis. Heute geschah beides. Er gab alles zu, und unterm 18. Juli steht auf einmal etwas ganz anderes.

Pinocchio Sinkewitz hat die dreiste Lüge flugs gegen ein dopingbereinigtes Bulletin ausgetauscht; jetzt betreibt der Mann auch noch Geschichtsklitterung. Ts, ts.

Übrigens verdamme ich das Lügen nicht grundsätzlich; schließlich soll das jedem von uns rund 200-mal pro Tag unterlaufen, meistens unmerklich. Doch man sollte lieber keine Lüge wagen, deren Entdeckung einen dazu zwingt, monatelang mit hochrotem Kopf rumzulaufen.

Sinkewitz tat fatalerweise genau das, und er dachte, jetzt lösch ich den peinlichen Quatsch einfach und behebe damit das Problem. War aber nix.

Uns Normallügnern droht gemeinhin nur dank eines Sonnenbrands ein hochroter Kopf, doch den zu erwerben fällt in diesem grausamen Juli immens schwer. Dafür bietet der pflichtvergessene Monat wenigstens weiterhin den Vorteil eines actionreichen Himmels.

Über den Kiez ziehen zurzeit gewaltige Wolkenwattebäusche, die geformt sind wie Walhaimünder oder wie Riesenmäuseköpfe mit liegenden Nixenkörpern. Manche sehen sogar aus wie der Drache Fuchur, und einer erinnerte mich geradezu an ein plattes Fahrrad.

Wobei der letzte Vergleich erstunken und erlogen ist. Aber sonst stimmt alles, ehrlich.

31 Juli 2007

Ein alberner Beitrag, der gerade noch die Kurve kriegt

Vor 544 Jahren verschwand der mutmaßliche Mörder, Magister und geniale Dichter François Villon spurlos. Er war 32, und man hörte nie mehr etwas von ihm, sein Leichnam wurde nie entdeckt.

Genau genommen gibt es also keinen Beweis für seinen Tod. Vielleicht ist der Fall Villon gar ein Indiz für die Unrichtigkeit der statistisch sonst gut belegten These von der Sterblichkeit des Menschen. Vielleicht geistert Villon seit 544 Jahren durch die Weltgeschichte, mal hier, mal da.

Wenn ja, dann scheint er sich zurzeit immer noch in Frankreich aufzuhalten, allerdings unter einem lachhaft leicht zu durchschauenden Pseudonym. Der aktuelle französische Premierminister heißt nämlich – François Fillon … Da Mord nicht verjährt, sollte man Monsieur le Premier bald mal mit den forensischen Erkenntnissen von 1455 konfrontieren.

Diese alberne Überlegung hat zumindest einen Vorteil: Sie verschafft mir mal wieder die Gelegenheit, auf die so lebenstrunkene wie wehmütige Vertonung von Villons Gedicht „Cylea“ durch Christian Redl hinzuweisen und dringend den Kauf seines eigentlich vergriffenen, aber gebraucht hie und da noch erhältlichen Albums anzuregen. Es heißt „14 und ein viertel Jahr“, wurde 1991 aufgenommen und ist unbedingt dem jüngeren und viel schwächeren „CR singt François Villon“ vorzuziehen.

Wie komme ich nach dieser Verzettelung bloß wieder zurück auf den Kiez? Vielleicht über ein verdienstvolles Projekt der Künstlerin Gabriele Horndasch. Sie suchte nach deutschen Synonymen für „Hure“ und sammelte verblüffenderweise fast 600, darunter „Zwitscherliese“ und „Amüsierfleisch“.

Die meisten davon fand sie mit Sicherheit hier, auf dem Kiez. Wo Villon übrigens nie war – aber das könnte Fillon ja nachholen.

29 Juli 2007

Wenn es Nacht wird auf St. Pauli

In der Kiezklause nahe dem Hans-Albers-Platz brüllt uns aus der Musikbox Ballermannmucke das Hirn aus dem Schädel.

Als dann auch noch ein als Mensch getarnter Panzerschrank mit Glatze und riesigem „Thor Steinar“-Schriftzug auf dem Rücken an der Theke auftaucht, verlassen wir den Laden – nicht ohne dass GP ein Naserümpfen der Missbilligung und des Ekels Richtung Tresendame schickt. Hoffentlich hat sie verstanden.

Nächste Station: der Club Inside. Er liegt im Keller, ein DJ spielt ausschließlich Musik der 80er, doch meinen Wunsch („Electricity“, OMD) kann er trotzdem nicht erfüllen. Im Inside hängen halbierte Discokugeln an der Decke, und wenn man hochschaut durch die Kellerfenster, kann man den Huren unter die Röcke sehen.

Beim Weiterziehen Richtung Kogge verliert sich unsere Gruppe binnen zehn Metern, so viel Trubel herrscht hier nachts um eins, und wir müssen uns zusammentelefonieren. GP versucht noch schnell in einer Kneipe aufs Klo zu gehen, doch er kommt schon nach wenigen Sekunden wieder zurück. „Geht nicht“, sagt er, „da kotzt gerade einer die Treppe voll.“

Später, gegen zwei, auf dem Weg ins nächste Kneipenirgendwo, begegnen wir einem Typen, der an die ehrwürdigen Mauern der Davidwache pinkelt, doch es ist keine despektierliche Kritik an der Ordnungsmacht, sondern pures Laufenlassenmüssen in Verbindung mit Faulheit.

„Drüben an der Reeperbahn ist eine öffentliche Toilette!“, belle ich den Neandertaler an und hoffe, dass ihm vor lauter Scham der Strahl erstirbt, während ich gleichzeitig versuche, das über den Gehweg schäumende Rinnsal zu umtänzeln.

Er stammelt etwas Unverständliches, während sein Genital weiter in der kalten Julinacht baumelt und einen unbeeindruckt kräftigen Strahl gegen die Davidwache pladdern lässt. Es ist alles so vergeblich, so hoffnungslos.

Und darüber verliert sich erneut die Gruppe, wir stehen unversehens nur noch zu zweit auf dem Spielbudenplatz, schauen hin und her – doch die anderen sind verschwunden, verschluckt von den Menschenmassen, und es ist zu spät, um sich zum zweitenmal in dieser Nacht zusammenzutelefonieren.

Also verabschieden wir uns, ich kämpfe mich gegen den Strom die Reeperbahn hoch und frage mich eine Sekunde lang ernsthaft, was diese Menschen überhaupt alle hier wollen. Aber ich weiß es ja, und deshalb frage ich keinen einzigen von ihnen.

Zum Trost hing heute ein Regenbogen überm Kiez. Alles war gut.

28 Juli 2007

Nass und baff

Wenn man an einem Samstag genau dreimal das Freie aufsucht, und das Wetter geruht, jeweils genau dann einen brachialen Wolkenbruch zu inszenieren – dann fühlt man sich auf einmal ganz schön wichtig. Und nass. Dreifach.

Wie ich außerdem erstaunt erfahren muss, sind die
Tagesschau-Damen Laura Dünnwald und Caroline Hamann beide gleichzeitig schwanger – und ich wusste nicht mal, dass die beiden überhaupt einen Unterkörper haben.

Merkwürdiger Tag, echt.