13 September 2006

Die Fundstücke des Tages (25)

1. Das abgebildete Angebot scheint mir einige Haken zu viel zu haben. Und die wichtigste Frage bleibt unbeantwortet: Was macht Daniel mittwochs? Gefunden in der Bahrenfelder Straße in Ottensen.

2. Als unlängst die Veröffentlichung von Günter Grass’ Autobiografie anstand und er seine Waffen-SS-Mitgliedschaft zugab, unterstellten einige ihm Promotionmotive. Ich nehme an, bei Joachim Fest – sein Buch kommt in elf Tagen – wird sich das niemand trauen.

3. Auf seinem neuen Album „Dämmerung“ beklagt der altehrwürdige Liedermacher Franz Josef Degenhardt die jämmerliche Situation der Linken in der spätbürgerlichen Gesellschaft. Sein sarkastisches Fazit: Sie werde „nicht mal mehr verfolgt”. Mehr Resignation geht wirklich nicht.

4. „Es beunruhigt mich, dass ich keine Zukunftsangst habe", las ich in einem anderen Blog. Er hat also sozusagen Angst vor der Abwesenheit von Angst – wahrscheinlich lag der SPIEGEL letzte Woche mit seiner Titelstory doch mal wieder richtig.

Alle bisherigen Fundstücke des Tages:
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 22, 24, Oh, my Google!

11 September 2006

Der Ohrpopler

Alkoholismus ist mit Sicherheit auf St. Pauli verbreiteter als – sagen wir – in Altötting. Als Bewohner gewöhnt man sich an Kollateralschäden dieses Phänomens recht schnell, und über die am Sonntagmorgen ubiquitär herumliegenden Schnapsleichen steigt man routiniert hinweg. Keine von ihnen ist wirklich tot, und wenn, dann soll es bitte ein anderer merken; ich habe mich zu oft blamiert beim panischen Herbeirufen von Ordnungs- oder Rettungskräften, die es aber zum Glück bei mitleidigen Blicken beließen, statt über Regressforderungen nachzudenken.

Nein, wer sich gelähmt vom Suff gar nicht mehr bewegen kann, ist auf St. Pauli das kleinere Problem. Ein kaum größeres war jener Mann, der vorm U-Bahnhof St. Pauli (nicht fern von der abgebildeten Taubenstraße) mein Freund werden wollte. Er war vielleicht Mitte 50 und kein Zufallsbetrunkener wie viele der Partyterroristen, die uns allwochenendlich heimsuchen wie Wespenschwärme eine Freiluftausstellung von Sahnetorten. Aber er war auch kein Obdachloser, dazu war er nicht schmutzig genug.

Er war irgendetwas dazwischen, eine kleine grauhaarige Gestalt mit schroffen Furchen im Gesicht und abgetragenen Jeans. Früher oder später wird sich unerbittlich entscheiden, in welche Richtung das Pendel seines Lebens ausschlägt. „Prekär“ nennt man heutzutage wohl eine solche Situation.

Sein linkes Auge war blind; es sah aus, als hätte ihm jemand Kondensmilch in den Augapfel injiziert. Er schwenkte eine Flasche Astra, morgens um 9 an der Haltestelle, und die Afrikanerin, die mit ihrem Kinderwagen neben mir auf den Bus wartete, entfernte sich wortlos zwei Meter, als er wankend versuchte, ihr Baby auf eine Weise anzustammeln, die er in einem früheren Leben wohl als onkelhaft kennengelernt hatte.

Ich entschloss mich, ihn von Mutter und Kind fernzuhalten, sofern er die Verfolgung aufnehmen sollte. Doch das war unnötig, denn er wandte sich sowieso mir zu, mit einem irrlichternden Grinsen, das aussah nach dem verzweifelten Glück des Betrunkenen. „Was hörsten da?“, fragte er mit Blick auf meine Ohrhörer. „George Michael“, sagte ich. „Komm“, fuchtelte er mit seiner freien, astrafreien Rechten vor meinem Gesicht herum, „lass ma hörn!“

Er machte eine Bewegung Richtung Ohrhörer, als wollte er ihn mir vom Kopf nehmen und sich anschließend einführen, doch ich wehrte ab. „Ah“, machte er, und sein funktionierendes Auge weitete sich ein wenig, „ich verstehe!“

Dann steckte er sich seinen schrundigen Zeigefinger tief ins rechte Ohr, drehte, grub und bohrte darin herum, holte Unsagbares heraus, wischte dann den Finger mit großer Geste ab an seiner Jeans, die aussah, als hätte sie solches schon oft erdulden müssen – und glaubte, nun sei die Sache geregelt, nun dürfe er George Michael hören.

Ich musste ihn enttäuschen, und dann kam auch schon der Bus.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs übers Saufen
1. „The piano has been drinkin’“ von Tom Waits
2. „One bourbon, one scotch, one beer“ von John Lee Hooker
3. „Drunk“ von Vic Chesnutt

10 September 2006

Die Fundstücke des Tages (24)

1. Zufällig mitgehörter Dialogfetzen im Fitnessclub. Typ A: „ … dass du nach so einem Tag noch so zufrieden bist!“ Typ B: „Ich bin nicht zufrieden.“

2. Jetzt ist es meinem kleinen Stadtteilverein, dem FC St. Pauli, schon zum zweiten Mal in Folge gelungen, länger im DFB-Pokal zu verweilen als der HSV; auch wenn es diesmal nur Stunden waren. Alles Weitere beim kiezkicker.

3. „Neben der Bescheidenheit ist es meine wichtigste Tugend, mir auf die Bescheidenheit nichts einzubilden.“ Sagt Mspro.

4. Ich war – festhalten – am Freitag bei einem Konzert der schwäbischen Schlagerpopband Pur in der Großen Freiheit, einem Club, der allerdings schon ganz andere Zumutungen gleichmütig weggesteckt hat. (Übrigens: Ich war dort auf Einladung! Zum Repräsentieren!) Bei einem Pur-Konzert erlebt man die Vergötterung von Otto Normalverbraucher, und das ist auf gruselige Weise faszinierend. Pur peilen auf derart unverschämte, gleichsam verlegen lächelnde Weise das totale Mittelmaß an, dass sich potenziell alle Mittelmäßigen angesprochen fühlen müssen – und viele davon, stellte ich fest, reagieren ebenso hysterisch wie textsicher auf dieses Angebot. Mich wundert seit Freitagabend der immense Erfolg der Band nicht mehr: Sie hat einfach das mit Abstand größte Zielpublikum. Möchte eigentlich jemand das blaue Plastikarmband, das mich in den für mich quälenden Verdacht geraten ließ, Pur-Fan zu sein? Die mittelmäßigste Begründung gewinnt.

Alle bisherigen Fundstücke des Tages:
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, Oh, my Google!

09 September 2006

Lachhaft

Ja, es stimmt: Ms. Columbo und ich haben uns auf einer privaten Party mal dem Einfluss eines Lachyogi unterworfen. Vielleicht war es der gleiche, der gerade in Ottensen die Wände mit dem abgebildeten skurrilen Angebot beklebt.

Der Yogi begann also zu lachen, und einige in der Partyrunde ömmelten auch gleich mit, doch uns wollte die Erheiterung auf Kommando partout nicht gelingen. Ich versuchte angestrengt, dem Yogi immer auf die breit gebleckten Zahnreihen zu starren, um die Ansteckungsgefahr künstlich zu erhöhen, doch immer, wenn mein Blick hochrutschte, sah ich die Kühle in seinen Augen; ich sah, dass sein Lachen nur brillantes Handwerk war, und das verdarb mir alles.

Klar, der Mann war ein Profi. Er hätte jederzeit das Casting für „Deutschland sucht den Lachsackstar“ gewonnen, und das Produkt wäre ein Partyknüller geworden. Doch seine Kunst überzeugte eben nur akustisch; ihm dabei zuzusehen, verdarb mir buchstäblich den Spaß.

Dennoch würde ich es jedem Diabetiker gönnen, wenn er nach systematisch generierten Lachanfällen kein Insulin mehr zu spritzen bräuchte, das will ich hier mal klarstellen.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs übers Lachen
1. „The old laughing lady“ von Neil Young
2. „Wenn du so bist wie dein Lachen“ von Ina Deter
3. „The laughing gnome“ von David Bowie

08 September 2006

Geschmeichelte Rückseite

Wie wir inzwischen alle wissen, will BILD zehn Millionen Deutsche zu Paparazzi machen. Mit verhaltener Genugtuung referiert Monika Porrmann in der Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau die verheerende Kritik der Blogosphäre an dieser schäbigen Aktion.

Dabei erwähnt sie auch meinen Aufruf „Blogger helfen BILD“. Verblüffenderweise kommt die bezaubernde Frau Porrmann zudem zu der Einschätzung, dieses Blog hätte Chancen, für den internationalen Weblog-Award der Deutschen Welle nominiert zu werden.


Nun, ich müsste lügen, würde mir das nicht ein wenig schmeicheln; ja, ich könnte, käme es dazu, sogar ein gewisses Entzücken nicht verhehlen. Immerhin gebe ich mir ja Mühe hier, und zwar jeden Abend, bevor es in die Heia geht.

Wer also die „Die Rückseite der Reeperbahn“, die genau hinterm Café Keese liegt, für den Wettbewerb The Bobs vorschlagen möchte (die Häufigkeit zählt mit!) und sich zudem erdreistete, ebendort lobpreisende Kommentare zu hinterlassen, dem werde ich keinesfalls unwirsch in die Parade fahren.

Im Gegenteil: Ich werde jeden, der das tut, ebenso bezaubernd nennen wie Frau Porrmann. Und wer schon mal bei The Bobs aufschlägt, kann auch gleich Poodles Blog vorschlagen.

Genau das werde ich nämlich jetzt tun.

07 September 2006

Natascha Kampuschs Rückkehr ins unbekannte Leben

Natascha Kampusch dachte im Augenblick der Flucht mit Sorge an ihren Entführer, der für diesen Fall mit Selbstmord gedroht hatte. Sie dachte traurig an dessen Mutter und Freunde, deren Welt sie nun einstürzen lassen würde.

Und dann sprang sie doch über den Zaun, zurück in ein Leben, das sie überhaupt noch nicht kennengelernt hatte.

Wie Millionen anderer verfolgte ich heute Abend mit Ms. Columbo das erstaunliche und fesselnde Interview mit dieser Frau, von der bislang nur Kinderfotos existierten.

Wir starrten die ganze Zeit in dieses flackernde hübsche Teenagergesicht und konnten nicht umhin, die 18-Jährige zu bewundern – dafür, nach achteinhalb Jahren, in denen sie nur mit einem einzigen Menschen sprechen durfte, nun gefasst und bestimmt zu Millionen Menschen zu sprechen, ohne sich dabei in Luft aufzulösen.

Ein Abend, der Fernsehgeschichte schreiben wird. Hier ein knapp vierminütiger Ausschnitt aus dem TV-Interview.

05 September 2006

Nicht anfassen!

War am Sonntag auf dem Flohmarkt im Wal-Mart-Center an der Feldstraße. Ein kleines Mädchen wuselte zwischen den Ständen herum.

Irgendwann wurde es von seiner Mutter ermahnt: „Gucken darfst du“, sagte sie streng, „aber nicht anfassen!“

Den Satz hatte ich schon mal gehört, zuletzt im Dollhouse in der Großen Freiheit.

Und zwar von einer Stripperin.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Begegnungen im Rotlichtmilieu
1. „Postcard from a hooker in Minneapolis“ von Tom Waits
2. „Sammy’s song“ von David Bromberg
3. „Lola“ von The Kinks

Am Rand der Lawine

Wie viele andere Blogger erhielt ich heute einen kryptischen und handgeschriebenen Brief, dem zudem ein alter Autoschlüssel beilag. Sein Motto: „Hustle the sluff!“, was so viel heißen soll wie „Tritt die Lawine los!“ Na, das passiert ja wohl auch gerade.

Nur konsequentes Nichterwähnen des Schreibens hätte es verhindert, mich hier selbst zum Büttel dieses viralen Marketings zu machen, doch dazu ist heute zu wenig Bloggenswertes passiert. Ich verbreite das Virus also gewissermaßen aus Ereignislosigkeit.

Moralisch ist das natürlich verwerflich. Immerhin kann ich mir zugute halten, mit nur recht schläfrigem Interesse der Auflösung des Rätselspiels entgegenzublicken.

Das Ganze erinnert mich an einen hübschen Aphorismus von Werner Mitsch, den ich unlängst in den Kommentaren von brittbees Blog entdeckte: „Wer die Ursache nicht kennt, nennt die Wirkung Zufall.“

Auf durchaus ähnliche Weise kommt auch die heutige Bebilderung zustande. Sie zeigt die untere Ebene des Berliner Hauptbahnhofs, was immerhin den Bezug herstellt zum Lawinenlostreter (der in Berlin lebt) – und mit hinterfotziger Eleganz
noch mal verweist auf den Blogeintrag über Herrn Mehdorns gesammeltes Schweigen.

Und das ist auch gut so.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Briefe
1. „The letter“ von The Box Tops
2. „Black letter days“ von Frank Black & The Catholics
3. „An open letter to NYC“ von The Beastie Boys

04 September 2006

Blogger helfen BILD

Nachtrag vom 4. 9., 20:47 Uhr:
Ein fürsorglicher
Anwalt hat mich auf bestimmte Formulierungen in unten durchgestrichenem Text aufmerksam gemacht, die möglicherweise missinterpretiert werden könnten. Deshalb zur Klarstellung: Ich distanziere mich hiermit von jeder Äußerung, die als Fälschungsaufruf interpretierbar wäre!

Bitte fotografiert für BILD unbedingt nur Menschen, die damit einverstanden sind. Wenn es Prominente sind, umso besser. Wenn nicht, auch egal: BILD wird sicherlich auch Otto Normalverbraucher am Strand oder Lieschen Müller unter der Dusche zu schätzen wissen. Schließlich sind wir alle irgendwie prominent, und sei es nur – wie Andy Warhol einmal sinnig bemerkte – für
15 Minuten.

In diesem Sinne: „Do the right thing“
(Spike Lee).

Die BILD-Zeitung ermuntert neuerdings Millionen Deutsche zu visuellem Denunziantentum und druckt dafür auch noch lachhafte „BILD-Presseausweise“. Dagegen muss man natürlich was tun. Mein Vorschlag: massenhaft BILD-Leserreporterfotos faken!

Also: Knipst euren Hintern und macht BILD weis, es sei ziemlich sicher der von Jenny Elvers-Elbertzhagen. Betretet mit Zauselbart und aufgeklebter Halbglatze öffentliche Toiletten und deklariert das Ganze als Wolfgang Thierse. Bittet euren dicksten und Sigmar-Gabriel-ähnlichsten Freund, nachts einen Schwulenclub in der Hamburger Talstraße zu verlassen und schickt das Bild an BILD.

Sprecht Doppelgänger an! Verkleidet euch! Nutzt Photoshop! Montiert Bohlens Kopf auf Häuserpinkler! Verwirrt die BILD-Leute, wo ihr sie trefft, legt sie rein, ruiniert Diekmanns Deppenidee auf ähnliche Weise, wie damals der beste Blondinenwitz aller Zeiten via Google ein für alle Mal das Genre Blondinenwitz ruiniert hat!

Kurz: Schlagt die Faktenfaker mit ihren eigenen Waffen: mit massenhaft Fakes! Und denkt dabei an eine BILD-gemäß miese Bildqualität. Handytypische Grobkörnigkeit wirkt authentisch und verringert die Chance, von den BILD-Dödeln ertappt zu werden.

Wenn es Fakefotos schaffen, in BILD gedruckt zu werden, bitte ich um Mitteilung. Und setzt das BILDblog bitte auf CC.

03 September 2006

Wichtige Fragen (1)

Wo ich gerade mal wieder sinnierend vor der Auslage von World of Sex auf der Reeperbahn gestanden habe (weil da meine Bushaltestelle ist, Mensch!):

Wohin bringt man eigentlich so was zur Reparatur, wenn es mal kaputt ist?

02 September 2006

Hartmut Mehdorn oder Die Arroganz der Macht

Im neuen Berliner Hauptbahnhof, hinter dessen Gitterkonstruktion die Zentrale der Deutschen Bahn himmelhoch aufragt wie einst der Turm von Babylon, versteht man komischerweise alle Ansagen. Sogar wenn sie die Situation fünf Gleise weiter betreffen.

Aber warum sagt die Ansagerin bloß „siebzehnuhrDREIundfünfzig“ statt „siebzehnuhrdreiundFÜNFZIG“? Das klingt ja, als korrigiere sie eine Abfahrzeit. Tut sie aber gar nicht; es ist einfach ihre ganz normale Falschbetonung, die zu Verwirrung an den Bahnsteigen führt – sogar fünf Gleise weit.

Das bringt mich auf einen Disput, den ich zurzeit mit dem Bahnchef Harmut Mehdorn ausfechte. Besser gesagt: Ich disputiere, und Mehdorn schweigt dazu.

Vorgeschichte: Ms. Columbo und ich wollten nach Berlin, kauften online zwei Tickets, eine Erkrankung kam dazwischen, ich ging zwei Tage vor der Fahrt zum Schalter im Bahnhof Altona, wo man mir sagte, ich solle die Karten an den DB Service nach Frankfurt schicken und bekäme sie abzüglich Stornogebühr erstattet. Ich tat wie geheißen, erfuhr dann aber per Brief, aus „tarifrechtlichen Gründen“ sei eine Erstattung nicht möglich. Ich hätte nämlich – was ich nicht wusste – online stornieren müssen.

Natürlich widersprach ich, schilderte in bewegenden Worten die Begebenheit am Schalter, doch aus Frankfurt hörte ich nichts mehr. Auch nicht auf den nächsten Brief. Das ärgerte mich, und ich dachte: Na gut, dann auf zur nächsten Instanz. Oder zur höchsten: Hartmut Mehdorn, so meine Idee, sollte erfahren, wie seine Leute die Kunden behandeln. Wo er doch nächstes Jahr an die Börse will und jede Unterstützung braucht, selbst meine und die von Ms. Columbo!

Also schrieb ich ihn an, schilderte noch einmal höflich den ganzen Verlauf und lehnte mich in Erwartung einer Mehdornschen Intervention im Namen der Gerechtigkeit oder wenigstens der Kulanz wohlig zurück. Doch Mehdorn schwieg. Und schweigt noch immer. Die verweigerte Rückzahlung unverschuldet verfallener Tickets scheint offenbar auch ihm völlig rechtens. Zumindest muss ich sein Schweigen so deuten.

Wie die Chargen in Frankfurt möchte auch Herr Mehdorn, an den ich mich doch erst aus Verzweiflung wandte, mein Anliegen einfach wegschweigen – die Arroganz der Macht des Turmherrn von Babylon.

Mehdorn, der Bill Gates des deutschen Transportwesens, braucht mich eben nicht, trotz Börsengang. Er hat Millionen andere Fahrgäste, die lemminggleich hinströmen zu ihm und seinen Zügen und wahrscheinlich auch zu seinen Aktien. Warum also sollte er antworten auf den Brief eines kleinen frustrierten Bahnkunden – oder ihm gar das Ticket rückerstatten? Nein, Mehdorn sagt nix. Wahrscheinlich feixt er zwischendurch höchstens mal, wenn es denn sein Terminplan zulässt.

Da mir dummerweise ein Kohlhaas'scher Wesenszug eigen ist, wenn ich übers Ohr gehauen werde und sei es von der Deutschen Bahn, habe ich den Fall jetzt auf Anraten des Verbraucherschutzes der sogenannten Schlichtungsstelle Mobilität übergeben, deren Vorschlag zur Güte ich schon mal akzeptiert habe. Mal sehen, ob sich auch Turmherr Mehdorn oder ein Vasall nun endlich zu einer Äußerung herablässt. Ein Wort würde reichen, Mehdorn, eine kleine Geste! Es ist ja nur dieses hochmütige Angeschwiegenwerden, welches schmerzt! Und es schmerzt sehr.

Also, Mehdorn: Sag was! Dann geb ich auch Ruhe. Und dann kannst du dir die 90 Euro gerne dahin stecken, wo ein Triebwagen die Puffer hat.

Nachtrag vom 13. 9. 2006:
Über die Schlichtungsstelle hat die Bahn mir heute 50 Euro Rückerstattung angeboten, aus „Kulanz“. Ich habe angenommen.

Ex cathedra: Die Top 10 der Songs über Züge
1. „Orange Blossom Special“ von Johnny Cash
2. „Last train to mercy“ von Terry Lee Hale
3. „Last train to Memphis“ von The Band
4. „Silver city train“ von The Shivers
5. „Trolley in the train“ von Ai Phoenix
6. „The City of New Orleans“ von Steve Goodman
7. „Train serenade“ von 16 Horsepower
8. „Night train“ von Bruce Cockburn
9. „Post train to Bayreuth“ von Spyra
10. „Train to Jackson“ von Jeffrey Foucault

31 August 2006

Versteh einer die Frauen

Dieser heute in den Zeisehallen entdeckte, sorgsam in eine Klarsichtfolie gesteckte Zettel wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Zum einen schien es mir immer, als seien die ominösen Tage für Frauen eher kraftraubend. Nun lerne ich: Das Gegenteil ist der Fall.

Zum anderen wüsste ich – und alle interessierten Frauen sicherlich auch – sehr gerne, wo ich mich am 17. September nachmittags ab 15 Uhr denn einfinden muss, um überzeugende Argumente für diese verblüffend neue Erkenntnis präsentiert zu bekommen. Doch der Ort, er liegt im Dunkeln.

Die wichtigsten Fragen bleiben somit am Ende allesamt offen: Was soll dieser Zettel? Wer hat ihn aufgehängt? Und warum in einer Klarsichtfolie? Was kann die Rose dafür?

Hilfreiche Hinweise bitte via Kommentarfunktion.

Die Bettelblickattacke

Durch den Regen bin ich mit dem Franken zum Lunch in die Filmhauskneipe gehuscht. Neben dem Nachbartisch hockt ein netter grauweißer Zottelköter, irgendetwas Bobtail-artiges von erbarmungswürdiger Harmlosigkeit. Gäbe es nur Hunde wie ihn, die Maulkorbindustrie ginge genauso schnell pleite wie in Matts Welt Bill Gates.

Ich spüre seinen Hundeblick deutlich auf der linken Wange, es ist ein Bettelblick. Weil der Franke und ich es uns schon schmecken lassen, Frauchen und Herrchen aber noch aufs Essen warten, hat Waldi sich mit großer Konsequenz von ihnen ab- und uns zugewandt. Jetzt mustert er uns durch seine Zottelhaare mit treuherziger Traurigkeit. Sein Blick ist starr, er blinzelt nie. Können Hunde überhaupt blinzeln, oder befeuchten sie ihre Augen irgendwie anders? Immer dieses Viertelwissen.

Ich grinse ihn mit gespieltem Bedauern, in Wahrheit aber erschreckend herzlos an und nehme einen weiteren Bissen von der gebratenen Putenunterkeule, die ich auf der Gabel geschickt mit einem Stückchen Salzkartoffel und gedünstetem Walzenkürbis kombiniere. Zottels Blick scheint sich leicht ins Anklagende zu verschieben, wie ich aus dem Augenwinkel zu erkennen glaube.

„Man müssde“, mümmelt der Franke zwischen zwei Bissen seines blutigen Rindersteaks, welches im Begleitschutz einer quarkgefüllten Ofenkartoffel und eines unverschämt üppigen Salates unterwegs ist, „man müssde ihn auslachen, bevor man sich dann die letzde Gabel reinschiebd!“ Ein Vorschlag, der auf die in jedem von uns glosende dunkle Seite anspielt; insofern ein guter Vorschlag. Wir müssen zu dem stehen, was und wie wir sind.

Inzwischen ist auch der Nachbartisch bedient worden, Waldi wird mit kleinen Leckerlis versorgt. Nur noch ab und zu schaut er kurz zu uns rüber, und mir wäre es allmählich lieber, unsere dunklen Seiten verzögen sich recht zügig wieder ins Off.

Der Nachhall der Putenunterkeulenbratensoße überdeckt jedoch schon bald diesen trüben Gedanken, und der Rest des Tages verläuft ohne weitere Appelle an unser ethisches Empfinden.

(Bild: Maria Maehler)

Die bisherigen Teile der Frankensaga
19. Der Kulturstoffel 18. Fußball auf Fränkisch! 17. Auhuuu! 16. Die Bettelblickattacke 15. Der Franke bleibt störrisch 14. Der unvollendete Panini-Coup 13. Duck dich, Sylt! 12. Auf Partypatrouille 11. Laggs auf vier Uhr 10. Der Franke ist überall 9. Die Greeb-Pfanne 8. Erste gegen dritte Liga 7. Die verspätete Riesenkartoffel 6. Der historische Tag 5. Der Alditag 4. Der Faschingskrapfen 3. Der Klozechpreller 2. Der Dude 1. Das Alte Land

29 August 2006

Lemmy und die Häkeldamen

Gerade ist die neue Motörhead-Platte erschienen, und Zeitschriften, die schlau sind, haben ein Interview mit Bandboss Lemmy Kilmister (Foto) drin. Denn er ist für den wilden Rock das, was Michael Schumacher für die Formel 1 ist: eine lebende und sehr lebendige Legende. Auch ich habe Lemmy mal vorm Mikro gehabt. Das ist schon eine Weile her; der Text wurde damals in kulturnews gedruckt. Als Hommage an den größten Rocker der Welt wärme ich das alte hier noch mal auf.

Lemmy beäugt die kulturnews mit einer gewissen Skepsis. „Kultur?”, krächzt er, „if I hear kultur, I pull my gun.“ Trotz des imposanten Patronengürtels, der einen Teil seines überlappenden Bauchs stabilisiert, fühle ich den Drang, Lemmys Meinung zu korrigieren. 

„Ähm, Lemmy, sage ich vorsichtig, „du bist doch ein Teil davon … irgendwie. 

Lemmy wirft zwei Eiswürfel in seinen Jack Daniel’s, den er in einem für die Brause ungünstigen Verhältnis mit Cola verdünnt hat, und zieht an der Kippe. „Yeah“, sagt er, „irgendwie.“ 

Nach über einem Vierteljahrhundert Metalshouting für Hawkwind und Motörhead ist seine Stimme zu etwas geschrumpft, das klingt, als rutschte ein Schlitten über Sandpapier – der Preis des Ruhms. Würde man den Lemmy von heute nachmittag schockfrosten und in einem Hard Rock Café aufstellen, empörten sich die Gäste gewiss über die geballte Ladung Metalklischees, mit der das Denkmal ausstaffiert ist: aufgeknöpftes schwarzes Hemd mit hochgerollten Ärmeln, Kette mit eisernem Kreuz um den Hals, Tattoos an den Armen („Born to lose / Live to win), pferdeaugengroße Totenkopfringe an den Pranken, eine zu enge Hose mit Schlag und dazu weiße Spitzstiefeletten, die dringend geputzt werden müssten. Und immer, wenn die Lemmy-Statue weibliche Cafégäste erblickte, würde sie „silly cow röcheln. So nennt er jedenfalls (wenn sie grad nicht da ist) die Blonde von der Plattenfirma, die dafür sorgt, dass ihm Whiskey, Eis und Cola nicht ausgehen – in dieser Reihenfolge.

Ich meine: Lemmy ist wirklich böse. Er hat kirschtomatengroße Warzen im Bartgesicht! Und Zottelhaare mit eisgrauen Strähnen drin. Damals, 1975, war es seine Idee, Motörhead mit „ö” zu schreiben. Das sah irgendwie deutsch aus, und die Deutschen, Mann, sind für einen Engländer echt „mean”. 

Wir vereinbaren ein Stichwortinterview, das schont seine Kehle. Let's go, starten wir mit der Anatomie. 

Seine arme Stimme … ? „Hat sich zur Ruhe gesetzt.
Der Zustand seiner Ohren? „Ich hab genau verstanden, dass du mich das gefragt hast.

Exduopartnerin Samantha Fox (… the breast and the beast, haha): „Geschichte.

Britisches Rindfleisch? „Geschichte.

Drogen? „Naturgeschichte.

Techno? „Bald Geschichte.
 

Lemmy trinkt schnell, er raucht schnell, aber er denkt auch schnell.
Tanzen? „Ich tanze nicht. Except for the totentanz, hehehe.

Drei Dinge, die er am meisten hasst? „Politiker, organisierte Religion und – hmm – Intoleranz.

Gott? „Welchen? Gibt's einen? Ich glaube daran, dass wir unsere eigenen Entscheidungen treffen müssen. Es gibt keinen Ausweg namens Gott.

Alt zu sein? „Unvermeidlich. 

Lemmy wirft Eis nach und füllt mit Whiskey auf. Es ist 16 Uhr 11 an einem Dienstag. Wir sind in einem Hotel an der Kieler Straße, das bevölkert ist von ältlichen Frauen. Der Häkelclub Hodenhagen in der Großstadt. Und in einem der Zimmer, davon wissen die Damen nichts, sitzt Lemmy Kilmister. Der Melody Maker hält ihn für „radikal, roh, barbarisch und verrückt”. Was davon stimmt heute nicht mehr? „Nichts, seufzt Lemmy, „alles stimmt. 

Danke, das war's, sage ich. „Das war leicht, sagt Lemmy. Sein Händedruck ist sehr fest, ich fühle den Totenkopfring. Im Foyer wuseln aufgeregte Häkeldamen herum. Wahrscheinlich wollen sie heute Abend ins „Phantom der Oper.  

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs von Motörhead
1. „God was never on your side“
2. „Eat the rich“
3. „Stand“

 

28 August 2006

Vom Verschwinden des Walzenkürbis'

Echt schlimm, wenn der eigene Hund schlecht beleumundet ist. Alle springen bleich beiseite, dabei ist das doch nur ein total lieber Dobermann. Weil Hundchen auf die Umwelt oft martialisch wirkt, gibt es nur eine Lösung diesseits von Maulkorb und Einschläfern: ihn zum harmlosen Pudel aufzuhübschen!

Das sechsteilige Set ist in etwa einer Stunde angelegt. Es gibt diverse Ausführungen; eine davon beschönigt einen Deutschen Schäferhund zum Golden Retriever. Und das Beste: „It also works on Rottweilers!“

Ähnliches widerfährt seit einigen Jahren auch der deutschen Sprache. Wie wir alle wissen, musste ein altgedienter Weißwein namens Grauburgunder erst zum Pinot Grigio gehypt werden, ehe sich auch die Toskanafraktion wieder rantraute.

Ein vergleichbares Schicksal erlitt zuletzt die arme, alte Rauke. Wer kauft schon so was bäuerisch rumpeliges, grobianisch ungebildetes, geradezu pisaeskes wie „Rauke“? Nur Landeier. Den Städtern jubelt man deshalb die Rauke seit einiger Zeit als Rucola unter – prompt kaufen die jubelnden Massen das Gartengold hoch in die Top-Ten der Gemüsetrendcharts.

Manch italophones Ersatzwort hat im Lauf der Jahre seine mediterranen Ellenbogen derart brutal eingesetzt, dass der Ursprungsbegriff ganz und gar untergebuttert wurde – und inzwischen sogar humanitäre Hilfe aus dem Ausland benötigt. Das eifrig Deutsch lernende ukrainische Aupairmädchen von Doktor K. aus Berlin kam gestern zu ihm und artikulierte einen besonderen kulinarischen Wunsch: Sehr gerne, sagte sie, würde sie einmal einen Walzenkürbis verzehren.

„Walzenkürbis?“, staunte Doktor K. „Nie gehört.“ Ich übrigens auch nicht. Die Ukrainerin schon. Es steht in ihrem Wörterbuch – und heißt auf Neudeutsch „Zucchini“ … Bestätigen kann ich das übrigens nicht. Der Duden weiß nix mehr davon, und im ganzen weiten Web gibt es nur noch eine einzige Fundstelle: auf einer Seite, die über die Ukraine informiert. Der Walzenkürbis, er ist gleichsam verschwunden.

Das sollte übrigens auch der Dobermann bedenken, bevor er sich in ein Pudelkostüm stecken lässt. Er hätte die Mittel, sich dagegen zu verwahren.

27 August 2006

Der Messermann

Wenn ich mit dem Rad unterwegs bin und anhalten muss, steige ich möglichst nicht ab. Stets versuche ich mich irgendwo abzustützen. Es ist ein kleines lästiges Unglück, wenn vorm Erreichen des Ziels der Bodenkontakt unvermeidlich wird. Ms. Columbo hingegen verhält sich genau gegenteilig. Selbst wenn sie direkt an einem in Hüfthöhe angebrachten Geländer stoppen muss, steigt sie gelassen von den Pedalen, statt die vom Schicksal bereitgestellte Stützhilfe in Anspruch zu nehmen. Liegt das am Y-Chromosom?

Gestern allerdings stieg sogar ich freiwillig vom Rad. Als ich nämlich die Ampel an der Holstenstraße erreichte und mich mit ausgestrecktem Arm genüsslich abstützte, begann ein neben mir stehender Radler Aufkleber von einem am Pfosten befestigten Mülleimer zu kratzen – mit einem stehenden Messer.

Da dies in unmittelbarer Nähe meiner Pulsadern geschah, zog ich das kleine lästige Unglück dem Verbluten vor. Der Mann, ein hagerer, dunkelhaariger Enddreißiger, war mit ärgerlichem Eifer bei der Sache, und ich rückte ein wenig ab von ihm und seinem seltsamen Gebaren.

Als die Ampel grün wurde, fuhr ich alleine los. Ich schaute mich um und sah, wie er sich inzwischen am Ampelmast der abzweigenden Straße zu schaffen machte, obwohl er „unseren“ Mülleimer noch gar nicht endbearbeitet hatte. Drüben jedenfalls schabte er mit seinem Messer erneut an einem Aufkleber herum, schien aber dann auf die Grünphase zu warten, um alsbald den beklebten Flächen auf der anderen Straßenseite seine flatterhafte Aufmerksamkeit widmen zu können.

Die durchscheinende Wut, mit der er jeweils das Messer führte, schien mir psychopathisch kontaminiert – zumal dem Ganzen etwas deprimierend Sinnloses innewohnte: Es gibt Millionen von Aufklebern auf jeder freien Fläche St. Paulis, und jeden Tag werden neue irgendwohin gepappt. Du kannst nicht gewinnen.

Irgendwann, so vermute ich, wird auch er das Sysyphoshafte seines Tuns begreifen, wird die Beklebung der kiezianischen Mülleimer und Ampelpfähle als irreparabel erkennen und die Welt somit als unrettbar.


Welchen sinnvolleren Einsatz seines Messers er sich dann überlegt, möchte ich mir lieber nicht ausmalen.

Der abgebildete Pfahl steht übrigens an einem Bahngleis in Lüneburg. Vielleicht wäre der Messermann dort glücklicher.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Stichwaffen
1. „Mackie Messer“ von Kurt Weill & Bertolt Brecht
2. „Sword of Damocles" von Lou Reed
3. „Throw down the sword" von Wishbone Ash

Gesichtszwillinge (11)

Das Foto zieht schon eine Weile durch die Blogs, wie ich feststellen musste; also darf es auch hier noch mal vorüberziehen. Allerdings wusste ich zunächst nicht, wer das da neben Ronaldinho überhaupt sein soll.

Ich tippte vage auf eine Figur aus „Star Wars“, eine SciFi-Filmserie, die ich ungefähr so gut kenne wie die Dark Rooms auf St. Pauli. Na gut: ein bisschen besser schon, denn ich habe zumindest den ersten Teil gesehen, dessen trashiger Charme mich allerdings derart kalt ließ, dass ich mir alle weiteren Folgen sparte. Lichtschwerter – also wirklich!

Doch siehe da, meine „Star Wars“-Vermutung stimmt zufällig sogar, wie mir der nicht nur kinematografisch weitgereiste Alexander erläuterte. Er weiß sogar noch mehr: „Das furchtbare Wesen“, schreibt er, „heißt Jar Jar Binks. Es ist eine der größten Peinlichkeiten, die die Filmgeschichte je hervorgebracht hat. Mit JJ hat George Lucas seine großen Fans so richtig vergrault.“

Zumindest in der Hinsicht hat Hackfresse Binks rein gar nichts mit dem großen Fußballer Ronaldinho gemeinsam. Sonst aber schon einiges – sonst zöge das Foto nicht schon eine ganze Weile durch die Blogs.

Weitere Gesichtszwillinge:

- Franz Beckenbauer und Erich Honecker
- Angela Merkel und Peter Ustinov

- Anthony Hopkins und Köbi Kuhn

- Udo Lattek und Sven-Göran Eriksson

- Gene Hackman und Luiz Filipe Scolari

- Corny Littmann und Homer Simpson

- Kofi Annan und Morgan Freeman

- Chris Stills und Jens Lehmann

- Robert Mitchum und Jean Reno

- Neil Young und Tony Joe White


Ex cathedra: Die Top 3 der besten SciFi-Songs
1. „Space oddity" von David Bowie
2. „In the year 2525" von Zager & Evans
3. „Flash" von Queen

26 August 2006

Wahn und Wirklichkeit

Der österreichische Fall der entführten 10-jährigen Natascha Kampusch, die acht Jahre in einem schalldichten Kellerverlies zubrachte, hat auf unheimliche Weise ein literarisches Vorbild.

John Fowles’ meisterlicher Psychothriller „Der Sammler“ von 1963 (Originaltitel: „The Collector“) weist verblüffende Parallelen zu diesem beispiellosen Verbrechen auf. Auch im Roman bereitet der Täter akribisch die Entführung vor, baut seinen Keller zum schalldichten Gefängnis um und geht schließlich mit einem Lieferwagen auf die Pirsch, um eine junge Frau einzufangen wie einen seltenen Schmetterling.

Das Buch wurde 1965 von William Wyler verfilmt, mit Terence Stamp und Samantha Eggar in den Hauptrollen. Im deutschen Kino startete der Film unter dem Titel „Der Fänger“ Anfang 1966, er wurde auf VHS und DVD vertrieben und ist bis heute regelmäßig im Fernsehen zu sehen.

Könnte der Psychopath Wolfgang P. etwa Fowles’ Roman oder den Film als eine Art Handlungsanleitung für seine kranke Fantasie benutzt haben?

Man kann natürlich nicht aufhören, Literatur zu schreiben oder Kunst zu schaffen, nur weil sich davon jemand zu einem Verbrechen inspiriert fühlen könnte – aber es ist dennoch eine beklemmende Vorstellung, dass vielleicht ein Roman wie „The Collector“ die Blaupause geliefert haben könnte für die acht Jahre währende Tortur eines kleinen Mädchens, das seine Kindheit in einem schalldichten Keller verbringen musste, das alle Qual alleine und haltlos zu ertragen hatte, das seine erste Monatsblutung dort beistandslos erlebte und erlitt, das pubertierte und heranwuchs und immer nur einen einzigen Menschen sah und sprach: seinen Peiniger.

Ich würde mir gern einmal die Bibliothek und die Filmsammlung von Wolfgang P. ansehen.

25 August 2006

Das Bein von Sibylle

Heute hat mir Sibylle Berg mal wieder ein Newsletter geschrieben. Der Betreff der Mail lautete: „das wird wieder 2 mal kommen,weil ist noch nicht repariert“. Und das stimmte auch. Es lagen knapp drei Stunden dazwischen. (Ich habe trotzdem beide Mails aufgehoben; ich kann einfach nichts wegschmeißen.)

Frau Berg ist eine Schweizer Schriftstellerin, der seit Jahren meine Bewunderung gilt, seit ich mal eine Lesung von ihr besuchte. Ich erlebte sie im damaligen Mojo Club (einst zu finden unter der gloriosen Adresse Reeperbahn 1), wobei mich nicht nur das, was sie las, zur Bewunderung hinriss, sondern auch die Art, wie sie saß.

Frau Berg nämlich ruhte, während sie sprach und rauchte, die ganze Zeit auf ihrem rechten untergeschobenen Bein. Selbiges hatte sie mit gymnastischer Gelenkigkeit, die man ihrem ranken, schmalen, wenn nicht gar hageren Körper auch durchaus zugetraut hatte, rechtwinklig abgeknickt unter ihren linken Oberschenkel geschoben.

Dies ist ebenso
bequem wie orthopädisch bedenklich. Doch wenn ich das tue – und ich tue das gern, zum Beispiel in dieser Sekunde, denn es stabilisiert irgendwie die Sitzhaltung –, dann halte ich es nur kurze Zeit durch. Nach wenigen Minuten bereits beginnt ein Kribbeln im Unterschenkel, schiebt sich schleichend hoch zum Knie, und schon ist mir beinah unbemerkt das halbe Bein weggedrusselt.

Dann fluche ich, stelle das Bein zum Auftauen ab, schiebe nunmehr das andere zwecks Sitzstabilisierung unter den Oberschenkel mit dem tauben Ding untendran, und nach wenigen Minuten wiederholt sich das Beinchenwechseldich. So geht das bisweilen einen ganzen Abend lang.

Frau Berg hingegen sitzt die ganze Lesung lang stoisch auf ihrem rechten Bein, ohne dass sie es je herausziehen muss – und ohne dass es ihr danach einfach abfällt. Dafür bewundere ich Frau Berg sehr.

Heute, in ihrem Newsletter, informiert sie mich über ihr Musical „Wünsch dir was“, das am 29. September in Zürich Premiere hat. Sie zitiert sogar einen Song daraus, und der geht so:

Du hast doch immer so geträumt,

von etwas, das viel größer ist,

und hast dann morgens schon geweint

über all den tristen Mist.

Der Stapel Rechnungen im Müll,

in der Nacht lagst du starr still.


Nie würdest du den Oscar kriegen,

nie einmal um die Welt rumfliegen,

du gehst zur Arbeit früh um acht,

hast du das früher mal gedacht,

als du von Lady Di geträumt,

die deine Sachen dir nachräumt.


Was ist das schon, das kleine Leben,

ein Haufen Stunden voller Müll,

du drehst dich um und greifst den Menschen,

der aus Versehen bei dir ist,

du kraulst den Bauch und weißt dann eben,

dass du doch sehr glücklich bist.


Erst Mist und Müll, und am Ende wartet das kleine Glück: So kenne ich Frau Berg gar nicht, sondern eher umgekehrt.

„ansonsten“, schreibt sie abschließend, „wünsche ich euch ein ereignisreiches wochenende und grosse möpse, eure langgesichtige frau berg“. Das hat sie bestimmt alles getippt, während sie auf ihrem rechten Bein saß, welches garantiert kein bisschen einschlief.


Ich bewundere Frau Berg.

PS: Vor allem für den hochgeschätzten schwäbischen Blogdichter Poodle dürfte übrigens die Tatsache von höchstem Interesse sein, dass in Frau Bergs Stück ein böser Pudel namens Ralf sein Unwesen treibt.

Foto: Katja Hoffmann

23 August 2006

Im Gefühl

Nennt es Erfahrung, nennt es Intuition: Irgendein unbestimmtes Gefühl sagte mir, Yüksek Kazanç würde es schwer haben, sich auf dem Markt durchzusetzen.

Und die ziemlich miese Lage seines Wettbüros in Hohenesch (Ottensen) war möglicherweise nicht mal der Hauptgrund dafür.