Wir trauen uns mittags raus, zum ersten Mal in diesem Jahr.
Die Sonne lacht optimistisch den überall herumliegenden Feuerwerksmüll aus, doch die übriggebliebenen Teenager an der Reeperbahn schert das nicht: Sie prügeln sich.
Kurz durchzuckt mich schmerzvoll ein Pflichtgefühl, das mir weiszumachen versucht, es sei opportun, sich zwischen zwei volltrunkene 18-Jährige zu werfen. Doch auch im Freundeskreis waltet noch Restvernunft; ihre Kumpels gehen dazwischen, die Lage scheint im Griff.
Wir überqueren die Reeperbahn, durchstreifen das Brauquartier, bewundern die Kräne im Gegenlicht, laufen über den Fischmarkt, steigen die Treppen hoch zu den Kunstpalmen, wo eine kleine Armee leerer Flaschen stumm Wache steht im lichtdurchfluteten Neujahrsdunst.
Durch die Silbersackstraße geht es zurück zur Reeperbahn. Im Eingangsbereich von World of Sex steht schwankend ein glatzköpfiger Bär mit Kippe im Mundwinkel, der vergeblich versucht, sein Gemächt rechtzeitig ins Freie zu zerren. Wir sehen es munter aus seinem Latz hervorsprudeln. Seine Hosenbeine verfärben sich großflächig dunkel.
Es wäre völlig vergeblich, ihn auf die generelle Möglichkeit einer Nutzung der öffentlichen Toilette ganz in der Nähe hinzuweisen. Nein, hier ist alles vergeblich, nicht nur im sanitären Bereich.
Der Kiez hat sich also in bewährter Manier hinübergerettet ins neue Jahr, ohne Schaden zu nehmen, ohne sich neu auszurichten. Alles ist beim Alten geblieben.
Irgendwie beruhigend.