Der brillante Vorschlag kommt von Ms. Columbo; er erfuhr durch mich nur eine leichte Erweiterung. Den insgesamt rund zwei Trilliarden Zuschauern könnte man so nämlich, Senat, für drei Tage im Jahr feierlich den Kiez zur freien Verwüstung Verfügung aushändigen und sich gelassen ins Umland trollen. Genial.
Übrigens strömen diese zwei Trilliarden Menschen nur deswegen herbei aus aller Herren Länder, weil es so unvergleichlich toll ist auf dem Kiez. Und wir, Ms. Columbo und ich, haben das Privileg, das ganze Jahr über hier einfach so rumleben zu dürfen, ohne jeden speziellen Anlass.
Seit ich das erkannt habe, geht’s mir ganz großartig. Ja, ich werde die 35.000 zum Gottesdienst antretenden Zweitakt- und Teilzeitchristen einfach triumphal an- und somit weglächeln.
Sie werden nicht den nanokleinsten Schimmer haben, was das soll, dieses Lächeln.
Ms. Columbo und mir steht der Sinn plötzlich nach Fish & Chips, warum auch immer. Zuletzt nahmen wir dieses volkstümliche Gericht in Edinborough zu uns, das war noch im vergangenen Jahrtausend.
So weit reisen müssen wir heute nicht, denn die Weltstadt Hamburg bietet natürlich auch so etwas. Nicht weit entfernt, in der Wohlwillstraße, gibt es einen entsprechenden Imbiss.
Der entschieden schnauzbärtige Inhaber ist allerdings kein Brite, sondern Türke. Sein Herangehen an Fish & Chips ist ergo erfrischend undogmatisch; er serviert kurzerhand Fladenbrot dazu.
Außerdem offeriert er kostenlos Tee, und zwar so viel man möchte. Um das ökonomische Risiko überschaubar zu halten, vergisst er ihn allerdings manchmal zu servieren, zu Ms. Columbos Verdruss.
Sinnigerweise hat der Schnauzbart auch Fischdöner auf der Karte. Und um die ethnokulinarische Verwirrung zu komplettieren, untermalt er die Szenerie mit Reggae von Horace Andy. Uns schwirren die Sinne, und zwar alle.
Das Tollste an diesem Laden aber hat nichts mit Essen zu tun, sondern mit Trinken. Auf der Speisekarte nämlich steht die großzügige Offerte „Tee aufs Haus“ ohne den üblicherweise grassierenden Apostroph! Das muss dem türkischjamaikanischen Fish-&-Chips-Nichtbriten erst mal einer nachmachen.
„Tee aufs Haus“: ein Satz wie Schalmeienklang, nicht nur akustisch. Wenn er ihn jetzt auch noch ausschenkte, dann wäre alles gut.
Eigentlich ist die Wohlwill- geradezu ein Schmuckstück von Straße. Gleichwohl hat auch sie Hauseingänge, deren Repräsentationspotenzial suboptimal ausgeprägt ist.
Für das übriggebliebene Wahlplakat der Partei allerdings bietet der abgebildete Hauseingang eine nachgerade ideale Übersommerungsmöglichkeit.
(Dafür wäre zugegebenermaßen aber auch jeder beliebige andere Ort mehr als geeignet.)
Nach dem Kaffee zum Gehen oder Sitzen stießen wir nun in einem St.Paulianer Kneipenfenster aufs abgebildete Schild, das sich an eine weitere Rückübersetzung eines grassierenden englischen Terminus wagt.
Und das ist tückisch. Die gelobte Stunde – im Englischen noch rundum glücklich – ist plötzlich nur noch freundlich. Gut, Schwund ist zwar immer, doch das klingt eher so, als fielen vielleicht die Cocktailpreise in der ominösen Stunde (es sind sogar zwei) gar nicht so stark wie erhofft.
Oder die Kneipe meint etwas ganz anderes, nämlich das Personal. Normalerweise, so suggeriert uns die Ankündigung einer explizit „freundlichen Stunde“, werden wir in dieser Kneipe nämlich schroffstens angepflaumt, sobald wir eine Bestellung wagen, und fürs Trinkgeld erntet man unabhängig von dessen Höhe nichts weiter als verächtliches Schnaufen.
Doch dann kommt die freundliche Stunde. Von einer Sekunde auf die andere betet das Bedienungspersonal ausgesucht höflich die Getränkekarte her, sagt „bitte“ und „danke“, lächelt hinreißend nett und hilft uns beim tränenreichen Abschied in den Mantel.
Und mal ehrlich: Dafür nähmen wir sogar höhere Cocktailpreise in Kauf.
Es ist wie immer in den letzten Wochen: Kaum habe ich unsere sommergelbe Pannesamtdecke (li.) am Strand von Travemünde ausgebreitet, entsteht wie aus dem Nichts eine Wolke hibbeliger Kleinkäfer.
Aufgeregt umschwirren sie uns, belagern hingebungsvoll die Decke und nerven immens. Ein Check der umliegenden Lagerplätze ergibt wenig Erfreuliches: Die Käfer gibt es nur bei uns, und das ist rätselhaft.
Sollte die Pannesamtdecke bereits bei unserer Ankunft kontaminiert gewesen sein? Schleppe ich etwa seit Wochen systematisch Käfer ein nach Travemünde?
Eine beunruhigende Vorstellung, die zudem in krassem Kontrast steht zu meiner Meinung über die hygienischen Zustände in der Seilerstraße. Dennoch diskutiere ich diese wenig schmeichelhafte Theorie mit Ms. Columbo und dem Franken, stoße allerdings auf Zweifel.
Plötzlich stapft eine strandweise Passantin vorüber, erkennt unser Käferproblem und liefert sogleich die Lösung: „Das liegt an der Decke“, sagt sie. „Die Tierchen mögen Gelb.“
Und sie hat völlig Recht: keine Decke, keine Käfer. Jetzt stimmt mein hygienisches Weltbild wieder. Den Rest des Tages verbringt die Decke zusammengeknüllt und sonnenfern in der Tasche.
Sie wird den Strand von Travemünde nie mehr wiedersehen.
Ich komme nicht mehr nach Hause, der Weg ist versperrt. Mit Fahrrad und Sporttasche stehe ich eingangs der Reeperbahn (Pfeil oben rechts) ratlos vor abertausenden Irren in Schlaghosen, die einer Parade von Mottowagen zuprosten.
Aus den Wagen explodiert unsagbarer Schallterror, es lassen sich Wortfetzen wie „Mendocino“ identifizieren. Schlagermove! Das ist etwa so, als nähme man die Harley Days, potenzierte sie, verdoppelte das Ergebnis und wäre nicht mal nah dran.
Es ist Nachmittag, noch haben sich diese Leute nicht restlos weggeballert, noch können sie stehen, gehen und grölen, auch wenn sie bereits hunderte von Flaschen zertrümmert haben und bisweilen mit Chihuahuasandälchen durch die Scherben waten.
Diese brodelnde Wand aus inszenierter und längst komplett ironieloser Euphorie muss ich durchbrechen, denn ich komme vom Training, bin knülle und will nix weiter als nach Hause. Doch wie? Ich entschließe mich zur Methode Bulldozer: Rein ins Getümmel und stur Kurs halten.
Rechts ramme ich einem rosahemdigen Typen mit sombrerogroßer Gimmicksonnenbrille ein Pedal ins Kniegelenk, links bekommt eine Blondine, die aussieht wie Miss Piggy auf Speed, meinen Lenker in die Rippen. Doch alles nützt nichts, ich komme kaum vorwärts.
Selbst wenn ich vorstieße bis zur Straße, gälte es immer noch die „Mendocino“-brüllenden Mottowagen zu überwinden, und es gibt Dinge, die kann ein einzelner Mann mit Sporttasche nicht schaffen, dafür bräuchte er schon eine Bazooka. Was also tun?
Erst nach längerem Grübeln fällt mir die Lösung ein: Ich muss runter zur U-Bahn und durch den gegenüberliegenden Ausgang wieder raus. So kann ich die massierten feindlichen Linien subterran austricksen. Also wieder zurück und durch rammdösig grinsende Papierschlangenträger mit ausgeprägter Unlust, den Weg frei zu machen, hindurch zur Treppe.
Wie ich mich durch den übervölkerten U-Bahnhof kämpfe, wie lange es dauert und wie viele „Hossa!“ kreischende Zombieanwärter mir flaschenschlenkernd entschieden zu nahe kommen: Schwamm drüber. Es funktioniert jedenfalls, erschöpft rette ich mich in Ms. Columbos Arme.
„Was sind das bloß für Menschen?“, stöhne ich rhetorisch. „Wahrscheinlich sind welche dabei, von denen man es nie gedacht hätte“, sagt sie. „Ja, wie bei Serienkillern“, antworte ich. „Er hat immer so nett gegrüßt“, zitiert Ms. Columbo einschlägige Zeugenaussagen. „Genau“, bestätige ich, „und heute torkelt er mit pinker Perücke besoffen über die Reeperbahn und brüllt beim schniedelschwingenden Wildpinkeln humpahumpatäterä. Man kann einfach nicht reinschauen in die Menschen.“
Gerade als ich das hier schreibe, schält sich ein einzelner Laut aus dem noch immer durch die offene Balkontür hereinbrandenden Schallterror aus Schreien, scheußlicher Musik und Polizeisirenen. Es ist ein Rülpser. Er bringt alles auf den Punkt.
Wie gern tauschte ich ihn ein gegen das sonore Geöttel einer Harley Davidson.
Vorm Edekamarkt ist ein kleiner Hund angebunden, eine dackelähnliche Fußhupe. Hier geht es vielen Hunden so, und gewöhnlich starren sie geplagt von unsagbarer Sehnsucht in den Laden.
Sie verzehren sich nach dem Menschen, der sie besitzt, und wollen mit aller Macht, dass er zurückkommt und sein Besitz- und Weisungsrecht wieder auszuüben beginnt.
Manchmal kläffen und jaulen sie dabei. Der Kummer, der sie plagt, ist existenziell, denn sie können ja nicht wissen, ob er je wieder aufhören wird.
Doch dieser kleine Hund hier ist anders. Denn er ist vor lauter Konzentration zum Stillleben geronnen und blickt stumm und starr vor sich auf den Boden. Ein Verhalten, das ich mit seiner Gattung gewöhnlich nicht in Verbindung bringe.
Also tue ich es ihm nach und starre ebenfalls dorthin, wo er hinstarrt. Doch dort ist nichts, nicht das Geringste. Nur die grauen Platten des Fußwegs vorm Eingang von Edeka. Es liegt auch nichts da, kein Fitzelchen Papier, es krabbelt dem Hund auch kein Käfer vor der Schnauze herum.
Gleichwohl stiert er bewegungslos auf eine bestimmte Stelle am Boden keine zehn Zentimeter entfernt, als sähe er dort ein Mauseloch samt kleiner spitzer Nase, die lebensmüde hervorlugt.
Ein höchst irritierender Hund, den ich sofort fotografiert hätte (Hemmungen plagen mich nur bei Menschen), doch die Kamera liegt zu Hause, wohin ich samt Hackenporsche nun eilends aufbrechen muss, denn es regnet.
In Höhe der Talstraße schaue ich noch einmal zurück. Der Hund steht immer noch da und starrt. Wie eine angeleinte Statue.
Dieses merkwürdige Erlebnis ruft mir einen bisher noch nicht losgewordenen Appell ins Gedächtnis, der mir schon länger auf der Seele brennt und hier jetzt endlich raus muss.
Also, Hunde, hergehört: Wenn ihr euch schon ständig gegenseitig die Kloake beschnüffelt, was eh eine ziemlich peinliche Angelegenheit ist und eurem Leumund nicht gerade nützt, warum lauft ihr dabei auch noch hintereinander her im Kreis herum? Bleibt doch in Lassies Namen einfach stehen beim Kloakenbeschnüffeln – es macht alles leichter, wirklich.
Ja, manche Säugetiere verstehe ich einfach nicht. Seit heute noch ein bisschen weniger.
PS: Jede Ähnlichkeit des abgebildeten römischen Prachtexemplars mit dem heutigen Starrer ist unbeabsichtigt, rein zufällig und allenfalls entwicklungsgeschichtlich herleitbar.
Matt: „Stell dir vor, du kommst aus Erfurt, wirst zum Fußballstar, lernst die Welt kennen, verdienst das große Geld, und wovon träumst du nach dem Karriereende? Von der Rückkehr nach Erfurt!“ Ms. Columbo: „Das macht mich traurig und auch betroffen.“
Auf St. Pauli gibt es Kellerspelunken, da darf nicht einmal jeder Erwachsene rein. Sondern nur solche, die mindestens 21 sind.
Ich frage mich, was dort wohl Schlimmes vor sich geht, dass man es jemand, der bereits ungestraft Schäuble wählen oder legal Lamborghinis zu Schrott fahren darf, jetzt noch nicht zumuten will, sondern erst in drei Jahren.
Mal ernsthaft: Auf dem Kiez gibt es -zig Läden, in denen du einfach so Sex kaufen kannst; es gibt mindestens einen, in dem sie es jeden Abend live auf der Bühne treiben, während du mit einem 10-Euro-Bier im Dunkeln sitzt; es gibt Clubs, in denen du dich auspeitschen lassen kannst, und welche, wo sie selbst Einheimische ausnehmen wie sonst nur Touristen aus Naivmannshausen.
All das geht problemlos ab 18. Aber was um alles in der Welt passiert im Peggy Sue in der Balduinstraße, dass du dort erst ab 21 rein darfst – drehen sie drunten im Keller etwa Snufffilme, und jeder Besucher wird unter großem Hallo zum Hauptdarsteller?
Bisher habe ich mich noch nicht getraut das herauszufinden. Und wenn, dann auch nur in mental und muskulär gefestigter Begleitung.
Viel zu lange pausiert nun schon die recht beliebte Fundstücke- und Gammelsprechrubrik. Dabei fliegt mir doch weiterhin genug verbloggbares Zeugs zu, nicht nur diese strunzdumm-fröhliche Eigenwerbung einer Zeitschrift:
„Hier das neueste Update der aktuellen ,Mädchen’-Ausgabe, inklusive Ehrenmorde und einem Guide, wie ihr in sieben einfachen Schritten ein Meth-Labor in ein Terrarium umwandelt.“ Vor allem das heitere Anpreisen der Ehrenmorde in unmittelbarer Gesellschaft einer Terrariumsbauanleitung ist irritierend, oder geht’s nur mir so?
Hier kommen weitere Beispiele IQ-gedimmter und naturbelassener Promotexte aus der Musikbranche, die man so niemals erfinden könnte. Ohren zu und durch:
1.„Es sind Gefühle im Innern, die in mir das Verlangen auslösen, einen Song schreiben zu wollen. Das fließt direkt aus dem Herzen heraus. Nicht aus dem Kopf, sondern aus den Eingeweiden.“ Die anatomisch nicht sattelfeste Sängerin Lou Rhodes über das etwas anrüchige Geheimnis ihrer Kreativität.
2.„Der Schlagzeuger drischt auf seinen Schrottplatz ein, dass man sicher ist, er verspeist Kleinkinder zum Fruehstueck. Das alles macht soviel Spass wie schon lange nichts mehr!“ Ja – aber nur Hannibal Lecter.
3.„Wie ein Ninja, der auf dem Hochhaus sitzt und konzentriert zum letzen mal die Klinge seines Schwertes prüft und küsst und sie dann in eine Nazi Demo gleiten lösst und ein romantisches, farbenfrohes Blutband purer Formvollendung anrichtet! Ein Feuersturm der totalen Übernahme bereitet sich in Flensburg vor um loszuschlagen!“ Ein Blutband. Aus Flensburg. Alles klar.
4.„In bester Tradition von Helden wie Cult Of Luna, Isis und Neurosis, aber dennoch mit einer angenehmen Eigenständigkeit läuten TEPHRA mit ,A Modicum Of Truth’ den Weltuntergang ein.“ Immerhin mit angenehmer Eigenständigkeit, was die Apokalypse viel erträglicher macht.
5.„Mal wieder nur mit schlechten Spruechen die Hintertuer bekritzelt und mit schelmischer Miene an der Bar den Barkompasen von Barcorde und von der Baerenjagd erzaehlt. Barnanas! So wie es frueher war.“ Ein Rätsel, dieser Text. Er geriet dem Schreiber zu einem Alliterations- und Binnenreimdelirium, das nur mit der exzessiven Einnahme von Barbituraten erklärlich ist.
Man gerät fast in die Stimmung für einen Ehrenmord. Aber vielleicht bau ich doch lieber das Terrarium um.
Vorm Besuch der Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle hatte ich gelesen, dass Mark Rothko es nach seiner surrealistischen Phase – also nach dem Zweiten Weltkrieg – peinlich vermieden habe, Figuren auf seinen Bildern vorkommen zu lassen. Stattdessen konzentrierte er sich konsequent auf die suggestive Kraft gestapelter Farben.
Umso verblüffter bin ich, als mir auf seinem Gemälde „Nr. 12, 1949“ im Übergang zwischen dem orangen und lila Farbblock ein liegender Akt auffällt.
Die in Weiß gehaltene Nackte dreht uns den Rücken zu. Sie liegt auf der rechten Seite, das linke Bein ausgestreckt über dem angewinkelten rechten. Deutlich ist die Taille zu erkennen, der Hintern, der Übergang zum Oberschenkel, die schmalere Region ums Knie herum, die Wölbung der Wade.
Die langen Haare der Frau sind rotblond und fallen ihr schwerkraftgetreu über den Rücken. Eine echte Sensation: Rothko war selbst 1949 noch figürlich! Aufgeregt erzähle ich Ms. Columbo von meiner Entdeckung.
Ich fühle mich wie Schliemann in den Trümmern von Troja und bin sicher: Man muss hinfort die Rothko-Exegese in eine Zeit vor und nach der sogenannten Wagner-Entdeckung einteilen. Euphorisiert von dieser Aussicht zücke ich in aller Heimlichkeit die treue Digitalkamera.
Doch hier in der Kunsthalle ist das Fotografieren verboten, und so träge und lethargisch das Wachpersonal sich auch zu geben vermag, im entscheidenden Moment steht es doch stets da und ist streng mit mir.
Trotzdem wage ich einen ersten Knipsversuch. Leider wird er stark beeinträchtigt durch einen urplötzlich den Raum betretenden Uniformierten. Das Motiv erweist sich später zu Hause als nicht nur diagonal völlig verrutscht; der Bildausschnitt betont mehr den Fußboden als das Gemälde, und unscharf ist das Ganze zudem.
Das alles weiß ich natürlich im Angesicht von „Nr. 12, 1949“ noch nicht, ahne es aber schon ein Stück weit. Also folge ich aus durchweg niederen Beweggründen Mark Rothkos Tipp zum Umgang mit seinen Werken („Der ideale Abstand des Betrachters zum Bild beträgt 45 Zentimeter“) und schaufle unbemerkt von den herumschnürenden und heimlich hellwachen Museumslethargikern zwei weitere Fotos auf die SD-Karte.
Sie taugen erfreulicherweise als Beweis (s. hervorgehobenes Bilddetail), und nun darf gern die Rothko-Geschichte umgeschrieben werden. Sofern ein so fachkundiger wie einflussreicher Exeget Blogs liest und hier auf diese Enthüllung stößt.
Allerdings ist Nachruhm ja auch was sehr Schönes. Siehe Schliemann.
Würde ich twittern, dann twitterte ich jetzt das, was eine junge Anhängerin der deutschen Nationalmannschaft, die gerade eben unterm Balkon durchlief, trotzig sang.
Sie sang: „Deutschland ist viel schöner als Madrid!“
In der Kiezkneipe Zoë, wo Fatih Akin damals eine Sequenz von „Gegen die Wand“ drehte, weiß man schon jetzt, wie das EM-Finale ausgehen wird. Wir liefen heute Abend daran vorbei auf dem Weg zum Konzert einer Mariachiband im Café Mexico in der Weidenallee, zu dem auch GP erschien.
Als ich und mein Jever so dasaßen und den Mexikanern beim Musizieren zusahen, fiel mir auf, dass sie allesamt recht wenig in der Hose hatten. Nicht, dass ich bewusst darauf geachtet oder diese Information aktiv recherchiert hätte, nein. Doch auch bei zunächst unbewusstem Betrachten der Band überwand irgendwann die erwähnte Erkenntnis meine Wahrnehmungsschwelle.
Freilich thematisierte ich sie nicht; so etwas ist nun wirklich kein Gesprächsstoff bei einem Konzert, erst recht nicht in Gesellschaft von Damen. Als ich später GP nach draußen begleitete, um ihm beim Rauchen Beistand zu leisten, sahen wir die Band durch die Scheibe von hinten.
„Weißt du, was mir auffällt“, sagte GP sinnierend wie zu sich selbst, „die haben alle nichts in der Hose.“ Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen, denn genau das schwirrte ja auch mir unausgesprochen im Kopf herum.
GP allerdings hatte seine Erkenntnis – wie sich alsbald in einer vertiefenden Diskussion herausstellte – beim Betrachten der rückwärtigen Ansicht der Band gewonnen, ich hingegen stützte meine gewagte These auf die gegenüberliegende Seite.
Ms. Columbo trat hinzu und ließ sich von uns über alle Rechercheergebnisse informieren. „Das ist mir“, erwiderte sie trocken, „auch schon aufgefallen.“
Zusammenfassend und gestützt auf drei Zeugenaussagen kann man also mit Fug und Recht sagen: Diese Mariachis waren insgesamt nicht gerade üppig ausgestattet, weder vorne noch hinten. Immerhin – und das ist in ihrem Metier wahrscheinlich auch wichtiger – trugen sie sehr, sehr große Hüte.
Nichts als Kompensation, murmelte ich innerlich, fand es aber unfair, den Gedanken auszusprechen, und werde das mit Sicherheit auch nicht tun.
Heute steckte mir eine aus rätselhaften Gründen sachkundige Nachbarin, wie Busunternehmen bei längeren Urlaubsreisen die Arbeitsvorschriften austricksen.
Irgendwo unterwegs, zum Beispiel zwischen hier und Paris, fände zwar der gesetzlich vorgeschriebene Fahrertausch statt, erzählte sie – aber nur scheinbar, denn beide Fahrer führen in Wahrheit einfach weiter, und zwar jeweils den Bus des anderen.
So könnten beide Doppelschichten kloppen, ohne den Passagieren Verdachtsmomente zu liefern. Dass der „neue“ Mann am Steuer vor Erschöpfung drauf und dran sein könnte, den Nightliner in der nächstbesten Schlucht letal schlafen zu legen, ahnen sie nicht.
Tja, eventuell sind Busreisen auch nicht mehr das, was sie mal waren. Doch zu Hause ist es eh am schönsten – zum Beispiel frühabends auf dem noch kaum bevölkerten Spielbudenplatz, wo Strandkörbe, Kuschelkissen und Fläzsessel verlockende Signale aussenden, wo man im linden Abendhauch Caipirinhas süffeln und dabei Soulsängerinnen zuhören kann, die an einem Nachwuchswettbewerb teilnehmen.
Wie Indra Afia, die sich vor drei Stunden bestimmt noch nicht hat träumen lassen, mit ihrer Spielbudenplatzversion von „Gegen den Strom“ hier und jetzt veryoutubt zu werden.
Wäre sie stattdessen gerade auf einer Busreise gewesen, zum Beispiel zwischen hier und Paris, hätte sie das elegant vermeiden können – aber möglicherweise nicht das letale Schlafenlegen in einer Schlucht.
Am Rand der Budapester Straße, in Höhe des Stadions, ruht ein rammdösiger Betonklotz, dessen Funktion sich dem Laien nicht gleich erschließen will. Doch nicht der unbekannte Zweck des grauen Kastens beunruhigt den Durchschnittssanktpaulianer, sondern sein Warnaufkleber.
„Vorsicht!“, mahnt der Zettel nämlich, „nichtüberwachter Gefahrenraum!“
Schlagartig wird dem Durchschnittssanktpaulianer klar, dass er sich hier wirklich und wahrhaftig außerhalb des Blickwinkels einer Überwachungskamera befinden könnte. Eine grauenhafte Vorstellung.
Denn in der kamerafreien Zone kann alles passieren, dort ist jeder vogelfrei und zugleich zur Jagd freigegeben. Eine kamerafreie Zone fordert dich gleichsam explizit auf zu Raub, Mord und Schnorrerei, und keiner bekäme es mit.
Schlotternd flieht der Durchschnittssanktpaulianer daher diesen Kasten und huscht zurück auf die andere Straßenseite – zurück zur Geborgenheit der Reeperbahn.
Als beim Halbfinale Deutschland-Türkei das erste Mal das Bild ausfiel und von der Straßenparty vorm Haus erstmals Schreie der Enttäuschung hochwehten in den zweiten Stock, kam mir die vermeintlich glorreiche Idee, das Spiel übers Webfernsehen Zattoo weiterzuschauen.
Damit würde ich meinen Nimbus als Technikfex bei Ms. Columbo festigen können, so viel war gewiss. Doch bei Zattoo hatte man natürlich auch nur das Vertröstungsstandbild. Dann kam der Ton wieder, das Bild aber blieb still und starr. Sehr unschön.
Denn ein Standbild ist für den übersensiblen Plasmafernseher etwa so nützlich wie ein spitzer Stein unter der Strandmatte: Es gibt sozusagen Druckstellen. Also Fernseher aus, Zattoo gestartet, Ton über den Rechner gehört.
Dann kam das Bild zurück. Fernseher wieder an, Zattoo wieder aus. Doch der Ton war plötzlich flinker als die Bilder, weil das ZDF sich visuell inzwischen beim Schweizer Sender SF-Info bediente, für den Kommentar aber das Telefon benutzte. So kannten wir Kloses Tor schon vom Hörensagen, bevor es zu sehen war. Sehr unschön.
Die Lösung: Bild via Fernseher und Ton via Ms. Columbos prähistorischem Radio aus der Küche. Fahrig suchte ich auf der UKW-Skala nach einem übertragenden Sender, und da war er auch schon.
Mr. und Ms. Columbo vor dem Volksempfänger. Wie in alten Zeiten, die wir nie erlebt haben: im Halbdunkel sitzen und wahrnehmungslos ins Ungefähre starren, weil alles Ohr wird und nichts mehr Auge ist.
Aus dem Radio kam erstaunlicherweise ebenfalls Bela Réthys Stimme. Allerdings tänzelte sie jetzt keineswegs mehr keck und wieselflink dem Bild vorneweg, sondern humpelte nun hinter ihm her wie praktisch den ganzen Abend Arne Friedrich hinter jedem beliebigen türkischen Gegenspieler. Sehr unschön.
Also Radio wieder aus, Fernsehton wieder an; und plötzlich rasteten unverhofft auch alle Scharniere wieder ein, alles war synchron – bis zum nächsten Bildausfall. Wieder switchte das ZDF um aufs Schweizer Fernsehen, wieder erzählte uns Réthy bereits vom 2:2, bevor wir sahen, wie Lehmann höflich das kurze Eck offenließ, damit der Ball auch bequem durchpasste.
Und so ging rumpelig und als Spektakel für alle Sinne ein denkwürdiger Abend zu Ende. Erst nach dem Spiel stellte ich fest, dass auf der Senderliste von Zattoo auch SF-Info zu finden ist. Wir hätten das Spiel die ganze Zeit einfach gemütlich auf dem Rechner gucken können.
Obwohl dort selbst die Fensterscheiben mit roter Folie verhängt sind, damit das Licht schön bordellig durch den Raum schwebt, ist das Komet in der Erichstraße einfach nur eine Kneipe, und zwar eine sehr patente.
Dort läuft heute Abend coole alte Countrymusik, dort schmauchen die Gäste direkt vor den Rauchverbotsschildern gemütlich ihren Joint.
Und dort erläutert uns die dralle Bedienung den einzigen angebotenen Weißwein mit den Worten: „Das ist ein Spanier. Nichts Besonderes, aber er tut auch nicht weh.“
Und ganz genauso ist es auch. Vielleicht gucken wir dort morgen das Halbfinale.
Die bleierne Leere eines fußballlosen Abends versuche ich zu füllen – mit Staubsaugen. Seltsamerweise klappt es ganz gut.
Am schlimmsten wird es morgen Abend werden, denn die Wohnung ist sauber. Und die Stille vor dem nächsten Schuss wird ohrenbetäubend sein. Mal schauen, ob Ms. Columbo eine Alternative weiß.
Anderes Thema: Dank der verdienstvollen 3Sat-Wissenschaftssendung „Nano“ erfuhren wir heute, dass es in Deutschland nicht nur „Nabelschnurblutbanken“ gibt, sondern sogar „führende“ Nabelschnurblutbanken. Ein Wissen, mit dem ich jetzt jahrelang leben muss.
Die bleierne Leere eines fußballlosen Abends rechtfertigt geradezu jede beliebige Bebilderung. Deshalb hier völlig zusammenhanglos eine weitere üble Ecke St. Paulis, und keiner kann was dagegen tun. Entdeckt in der Balduinstraße.
Also eins ist ja wohl mal klar: Solange Hamburg zuverlässig einmal im Jahr von zehntausenden Bräsköppen auf Motorrädern heimgesucht wird, die zwei Tage lang nix anderes tun, als monoton knatternd über den Kiez zu ötteln, solange sind die Benzinpreise ja wohl noch immer nicht hoch genug, und zwar bei weitem nicht.
Wir flohen heute jedenfalls vor den Hamburger Harley Days an den Travemündener Strand, wo sich das Maritimhotel tapfer reckte Richtung Wolkenberge, die ihre nasse Last aber freundlicherweise bei sich behielten.
Der einzige Makel dieses perfekten Tages war ein Plakat an einem Laternenpfahl vorm Bahnhof. Es warb für die Hamburger Harley Days.
Schon toll, wie der Jogi, der Hansi und der Andi den Poldi und den Schweini aufeinander abstimmen. Wäre der Miro noch ein bissi besser, alles wäre supi.
Das vor namenlosem Schmerz jaulende Sicherheitsschloss habe ich übrigens heute bei Aldi im Brauquartier entdeckt.
Kurz vorm Anpfiff wird zu Hause überraschend ein äußerst ernster Biermangel evident, und ich husche mit einer Tüte Pfandflaschen rüber zur Tankstelle am Spielbudenplatz.
Der Automat scheint kaputt zu sein, jedenfalls schluckt er keine der Flaschen, die ich ihm in den Hals stecke. Mit der vollen Tüte tapere ich zur Kasse und erwische zufällig den Geschäftsführer.
Ich weiß, dass er der Geschäftsführer ist, weil er in jeder Dokumentation, die Spiegel-TV über diese Tanke dreht – und das tut Spiegel-TV gefühlte dreimal im Jahr –, als Geschäftsführer vorgestellt wird und stets gewichtige Dinge über die skurrilen Besucher seiner Tankstelle zu erzählen weiß. Über Leute wie mich also.
Ich benötigte Fußballbier, bedeute ich ihm, und müsse vorher die leeren Flaschen los werden, sonst fehlten mir die Transportkapazitäten. Der Geschäftsführer schüttelt bedächtig den Kopf. Es sei schon nach 8, erklärt er mir mit dem schmerzlichen Tonfall des vom Moloch der Bürokratie schwer geknechteten freien Unternehmers, und er dürfe keine Flaschen mehr annehmen; daher sei auch pünktlich um 8 der Rücknahmeautomat vom Stromnetz getrennt worden.
Von der Kiezregelung, nach 8 keine Flaschen mehr herausgeben zu dürfen, habe ich schon mal gehört. Dass aber auch das Gegenteil verboten ist, trifft bei mir auf große Verwunderung. Eine Phase, die der Geschäftsführer schon hinter sich hat.
Tja, so sei die Lage, sagt er leise, er müsse sich daran halten. Allmählich wird meine Lage prekär. Ich werde a) meine Flaschen nicht los, darf b) keine neuen kaufen, für die ich c) sowieso keine Hand mehr frei hätte, und d) ist gleich Anpfiff.
Eine Situation nah am Abgrund des Fatalen, die zu spontan aufflammender Menschlichkeit beim GF führt – der Samariter erbarmt sich doch noch. Er winkt einen Angestellten herbei und instruiert ihn, meine Pfandflaschen mit dem inzwischen beschafften Büchsenbier zu verrechnen. Strike!
Als ich erhitzt nach Hause komme, läuft gerade die portugiesische Nationalhymne, der Abend kann beginnen. Und er wird perfekt: Ballack nämlich schiss uns nicht nur ins Viertel-, er scheißt uns schließlich auch endgültig ins Halbfinale. Ein Traum.
(Mit Dank an Tommy, der mich auf diesen wunderhübschen Aussetzer bei N24 aufmerksam machte.)
Fanmeile, Heiligengeistfeld: Vor meinen Füßen liegt doch wahrhaftig ein damen- und herrenloser 5-Euro-Schein im Staub.
Triumphierend halte ich ihn in den milden Schein der Abendsonne und spendiere dann vor lauter Finderglück Ms. Columbo, dem Franken und mir eine Runde Getränke an der polnischen Fressbude.
Sie kostet mich knapp 10 Euro, und das beweist unwiderlegbar das sogenannte Matt’sche Axiom: Gewährte man uns Beschäftigten 5 Prozent mehr Gehalt, so steigerten wir sofort mithilfe des privaten Konsums das deutsche Wirtschaftswachstum um glattweg das Doppelte – aus purer Dankbarkeit.
Zum Juli, Arbeitgeber, gäbe es die nächste Gelegenheit, das Matt’sche Axiom in die Tat umzusetzen. Hier sind schon mal drei, die dafür sind.
Vielleicht ist die Zeitschriftenauswahl ja spezifisch für den Kiosk hier im U-Bahnhof St. Pauli, vielleicht gibt es sie aber auch in der Fußgängerzone von Castrop-Rauxel.
Jedenfalls führt unser Kiosk am Rande des Rotlichtviertels viele Magazine für unterschiedlichste sexuelle Spezialinteressen. Darunter an prominenter Stelle (aber hinter Glas!) auch das verdienstvolle Blatt „Leg Show“, das einer unverhohlenen Vorliebe für Frauenbeine frönt (sowie all das, was direkt darüber anschließt).
Es tut das freilich einen Tuck weniger wagemutig als sein direktes Konkurrenzmedium „Leg Sex“ und rangierte daher bislang etwas höher auf meiner inneren Seriositätsskala. Gestern aber geriet meine Meinung von „Leg Show“ ins Wanken, und zwar wegen eines hammerharten Tippfehlers mitten auf der Titelseite (mehr sehe ich ja nicht vom Heft).
„Ennirenung“ stand da in schonungsloser Obszönität. Da ist wohl dem Schlusskorrektor der Sabber aufgestiegen bis hoch in die Tränendrüsen, so dass er alles nur noch verschwommen sah. Ich habe „Leg Show“ zwar noch nie gekauft, doch jetzt kauf ich’s erst recht nicht mehr.
Obwohl heute Abend beim Spiel Deutschland-Österreich durchaus anregender Lesestoff eine Chance gehabt hätte, so mäßig war die Partie. Yes, we can!, hatte ich zwar vorher erwartungsfroh vermutet, und dann kam er ja auch noch, unser Garant für den „change“: Ballack Obama.
Doch das war’s auch schon, und so lautete meine Fazit am Ende: Not gegen Elend. Ms. Columbo pflichtete mir bei, formulierte es jedoch erheblich hintersinniger. „Ich würde Jogi Löw als Erstes die Frage stellen“, sagte sie, „ob es nicht zu riskant war, gegen Österreich mit einer B-Mannschaft anzutreten.“
Wirklich schade, dass Monica Lierhaus nicht auf diese Idee gekommen ist.
PS: Draußen versuchen übrigens gerade deutsche Fans die türkischen Fans zu imitieren. Es klappt nur im Ansatz.
Forsch bog ich am Hamburger Berg rechts ein in die Taxigasse der Reeperbahn und sah aus dem Nichts ein Taxi rückwärtsfahrend auf mich zukommen.
Reflexartig stieg ich in die Eisen auf regennasser Straße, legte mich ergo gepflegt hinter den Mercedes, und während ich zappelnd auf dem Rücken lag wie ein betrunkener Maikäfer, wartete ich ergeben darauf, überrollt zu werden.
Doch der nette Mann hatte seinen höflichen Tag und stoppte. Ich rappelte mich auf, alles war noch dran. Er kurbelte das Fenster runter und sagte: „Das war nicht meine Schuld.“
Er schien Türke zu sein. Als wir so dastanden, Schicksalsgenossen im Beinahunglück, wussten wir beide noch nicht, dass sein Team heute Abend ins EM-Viertelfinale einziehen und die Fans erneut hupend und hysterisch den Kiez lahmlegen würden – und zwar zu seinem Schaden, denn wie kann man als Taxifahrer Umsatz machen, wenn man definitiv die ganze Nacht nicht mehr rauskommt aus der Taxigasse, weil zehntausende Fans den Verkehr kollabieren lassen?
Ähm, wo war ich? Ach ja: bei der Schuldfrage. Nein, nein, natürlich treffe ihn keine Schuld, beschwichtigte ich ihn, setzte mich zitternd aufs Rad und fuhr vorsichtig zum Flohmarkt in der Museumsstraße, wo ich stapelweise Vinyl und CDs (Foto) für empörend wenig Geld erstehen konnte, darunter mehrere klasse erhaltene Zappascheiben aus den 60ern für keine drei Euro das Stück.
Nach dem Präludium – dem fast folgenlosen Kontakt mit der feuchten Straße – folgte als Finale also nun der feuchte Traum eines jeden Plattensammlers. So konnte ich ein insgesamt äußerst positives Fazit dieses Sonntags ziehen.
Nur die neue Hose musste gleich am ersten Tag in die Wäsche.
Immer wenn ich Hosen kaufen will, weiß ich im Laden zuverlässig die Größe nicht mehr. Auch heute wieder.
Daraufhin setzt ein ermüdender Try-and-error-Prozess ein. Haufenweise schleppe ich Hosen in die Kabine und taste mich nach und nach ans Hüft- und Längenoptimum heran.
Wer jetzt einwendet: „Guck doch einfach auf die Hose, die die du am Leib trägst, oder stehst du auf Kilt?“, der hat nur theoretisch recht. Dort steht nämlich was von 50, doch im Laden prasselt ein Wirrwarr aus 96, 30W oder 08 minus 15 auf mich ein. Die Zahlenkombination meines mitgebrachten Beinkleids ist indes nirgends aufzufinden.
Die Internationalisierung der Größencodierungen, das Neben-, Über- und Durcheinander all dieser Zahlen und Länderkürzel führt bei mir eh rasch zu einer Duldungsstarre mit einhergehender Hosengrößenamnesie. Nichts anderes bleibt mir also übrig, als eine um die andere Hose anzuprobieren, und das nervt bis zur Konsumverweigerung.
Dem deutschen Hosenhandel entgehen durch mich beträchtliche Summen jährlich, denn lieber trage ich auch das älteste Exemplar auf oder lasse es reparieren, als mich den Peitschenhieben unverständlicher Zahlenkolonnen auszusetzen und stundenlang in und aus Umkleidekabinen zu schlurfen.
Die einzige Chance, mich für künftige Einkäufe zu rüsten, bietet im Grunde dieses Blog. Hiermit verkünde ich daher ex cathedra meine gestern wieder einmal in mühevollen Anproben deduktiv rekonstruierte optimale Hosengröße und dokumentiere sie so ein für alle mal zitierfähig für mich und die Nachwelt: Es ist W31/L32.
Jetzt braucht der potenzielle Hosenladen meines Vertrauens (zu dem bisher dank meiner seltenen Käufe noch keiner avancieren konnte) nur noch einen öffentlichen Webzugang, ich surfe sodann zur Rückseite der Reeperbahn, suche oben links nach „Hosengröße“, und weiß sofort Bescheid: W31/L32.
Das alles hat natürlich nur wenig mit der abgebildeten Diabetikersocke zu tun. Aber ein bisschen was eben doch.
Heute rief mich ein Musikpromoter aus Berlin an. Es entspann sich folgender Dialog (Gedächtnisprotokoll):
„Hey, Matt, sag mal, mit was muss ich dich denn bestechen, damit du die Platte besprichst?“ „Der Veröffentlichungstermin ist wichtiger.“ „Die Platte kommt am 25. Juli.“ „Na, dann schick doch mal. Vielleicht kann sie sich ja im August gegen die Konkurrenz durchsetzen.“ „Okay. Aber noch mal: Goldene Rolex? Sportwagen?“ „Sexuelle Vergünstigungen sind mir lieber.“ „Au-ha! … Aber wir sind gut bestückt.“ „Dann leg der CD doch einfach Fotos bei.“ „Alles klar. Du hast bald Post.“
Nun gut, jetzt kommt es am kommenden Montag also wirklich zum entscheidenden Duell zwischen Deutschland und Österreich. Wer nicht bis dahin auf den Spielausgang warten möchte: Erste Hinweise ergeben sich aus einem höchst aufschlussreichen Interview, das ich unlängst mit dem furiosen deutsch-österreichischen Komikerduo Stermann & Grissemann führte. Hier ein kleiner Ausschnitt:
U_mag: Wie können Jogis Löwen Österreichs Pandabären schlagen, mit welcher Killertaktik? Grissemann: Das wird auch ohne Taktik klappen, garantiert. Stermann: Österreich gibt sich sehr viel Mühe, ein netter Gastgeber zu sein. Wieso sollte die deutsche Mannschaft also gegen Österreich gewinnen - um erneut das Bild des „hässlichen Deutschen“ abzugeben? Nein. Nach der WM, wo Deutschland der Welt ein neues, positives Gesicht gezeigt hat, muss es jetzt auch auf dem Platz Taten folgen lassen. Ausscheiden nach der Vorrunde muss es heißen, sonst waren alle schönen Worte während der WM nur schöne Worte. U_mag: Vielleicht kommen wir eh gegen die überlegene Physis der Österreicher nicht an; immerhin können sie die ganze Saison über ihre geografischen Vorteile ausspielen – Stichwort: Höhentraining. Warum geht ihnen trotzdem immer direkt nach der ersten Halbzeit die Luft aus? Grissemann: Das liegt wohl an der grundsätzlich zerbrechlichen Physis. Der Österreicher ist Künstler, kein Sportler: blass, vornübergebeugt und asthmatisch. Siehe André Heller. Stermann: Höhentraining? Wovon reden Sie? Wir sind der Keller Europas, hat sich das nicht bis zu Ihnen nach Hamburg rumgesprochen ...? Viele, gerade Jugendliche, wachsen in Kellern auf, in denen man kaum aufrecht stehen kann! Und in den Bergen leben kaum mehr Österreicher, sondern nur noch ostdeutsche Gastarbeiter, die als Kellner und Liftwarte zu teuer gewordene Rumänen abgelöst haben. Deshalb wird es in ein paar Jahren auch wieder gute deutsche Skifahrer geben. The circle of life. U_mag: Sollte man das Fußballspielen in den Alpen nicht generell verbieten? Immerhin spielt man auf Tuvalu auch kein Curling. Grissemann: Gute Idee! Ich bin immer für Verbote. Stermann: In den Bergen gibt es ja sehr wenige Fußballplätze. Dafür aber hat die Seitenwahl zu Beginn eines Spiels eine viel größere Bedeutung: Soll man in der ersten Hälfte bergauf oder bergab spielen? U_mag: Ein solches Verbot hätte einen weiteren Vorteil: Man könnte es aufs voralpine München ausweiten und wäre schlagartig auch den FC Bayern los. Stermann: Verbote ändern nichts. Durch Verbote kommen die Menschen überhaupt erst auf den Geschmack. Bevor es die Zehn Gebote gab, hätte niemand im Traum daran gedacht, sich die Nachbarin unter sexuellen Gesichtspunkten anzuschauen oder Gott zu malen. Aber kaum waren die Zehn Gebote da: nix wie rüber und zur Nachbarin unter die Decke. Würde man den FC Bayern verbieten, zehn neue FC Bayerns kämen. U_mag: Herr Stermann, angenommen, Sie (als Deutscher) dürften einen Tag die Österreicher trainieren: Mit welchen Ad-hoc-Maßnahmen wäre der größte Schaden anzurichten? Stermann: Ich habe zu meinem 40. Geburtstag von der Republik Österreich das Geschenk bekommen, ein Jahr lang die Nationalmannschaft trainieren zu dürfen. Es war eine schöne Zeit. Ich habe das Spiel ohne Ball forciert. Wir sind viel gereist, haben diskutiert, sind ins Kino gegangen und haben mit Erwin Wurm zusammen Kunstaktionen gemacht. Alle Spieler von damals sind heute an der Universität für Angewandte Kunst als Dozenten tätig oder haben Professuren an der Kunstakademie. Bildung und ein Hang zur Schöngeisterei hat noch niemandem geschadet. Gut, wir haben in der Zeit alle Spiele hoch verloren. Aber wie! Wunderschön … Als ich Teamchef der ÖFB-Elf war, sprachen wir nie über Elfmeter, aber viel über Hexameter. Wir sprachen auch nicht über Ecken, sondern über Rhomben. Einen Elfmeter „verwandeln“ – über diese Formulierung haben wir viel diskutiert. Wir haben dann mit Illusionisten zusammen Elfmeter „verwandelt“: in Hühner, Wurst oder Riesenschnitzel. Das war durchaus politisch gemeint.
Und so ging das noch eine ganze Weile weiter. Wer die zur Hochform auflaufenden Komiker in voller Länge erleben möchte, ist hier an der richtigen Stelle. Foto: Udo Leitner
Mittags versagt an sehr delikater Stelle mein Reißverschluss. Die Sache ist komplett irreparabel, zumindest für einen Hosenlatzlaien wie mich.
Ich muss nach Hause, mich umziehen, denn abends steht ein repräsentativer Termin an; es wäre seltsam, stünde ich dort die ganze Zeit herum und zöge mir mit beiden Händen mein St.-Pauli-Weltpokalsiegerbesieger-T-Shirt runter bis zum Oberschenkel.
So handhabe ich es jedenfalls im Bus nach Hause. Auch auf der Reeperbahn, wo mein reißverschlussloses Outfit gewiss noch am ehesten durchginge, verfalle ich in diese verkrampft wirkende Gehhaltung. Zum Glück sind dort – wie immer – viel merkwürdigere Leute unterwegs als meine Durchschnittlichkeit, weshalb mich niemand komisch anschaut.
Zu Hause wechsle ich die Hose und schwinge mich aufs Rad. Auf halber Strecke donnert ein hämischer Regenguss herab, und als ich im Büro ankomme, steht fest: Ich muss mich umziehen. Eigentlich. Doch in Frage kommt jetzt nur noch sukzessives Trocknen im Sitzen.
Als ich kurz vor Mitternacht vom Repräsentieren komme, ist die Reeperbahn ein Tollhaus. Türkische Jugendliche hupen, toben und tanzen herum, als hätte ihr Team das EM-Endspiel just 8:0 für sich entschieden, dabei gewann es nur eine Vorrundenpartie in letzter Sekunde gegen die lahme Schweiz und hat sich bisher noch nicht mal für die K.O.-Spiele qualifiziert.
Wenn man sich aber so anschaut und -hört, was sich bereits jetzt hier abspielt zwischen Boutique Bizarre und Davidwache, dann kristallisiert sich wie von selbst der Wunsch heraus: Bitte, Türkei, lass gut sein, nicht noch mal gewinnen, okay?
Als ich mittendrin war im Türkentrubel, habe ich diesen Wunsch aber nur stumm geäußert. Hey, die hatten Fahnenstangen!
Wahrscheinlich stehe ich eh im Ruf, eine Spur zu oft über Obdachlose und Herrentoiletten zu schreiben. Also ist es auch egal, wenn das heute schon wieder passiert, sogar en bloc.
Der Franke und ich sitzen auf dem Alma-Wartenberg-Platz vorm Türkenbistro, das einen Flachbildfernseher zum Fußballgucken aufgestellt hat. Es gibt technische Probleme. Drei Bistromitarbeiter tüfteln am TV herum, um das Erste reinzukriegen, wo das EM-Spiel Spanien-Russland übertragen wird.
Es will nicht klappen. ZDF, NDR, RTL: alles prima, aber wo ist das Erste? Wir ordern schon mal je ein Bier, denn Optimismus ist unser zweiter Vorname.
Plötzlich tritt einer der Obdachlosen heran, die das ganze Jahr über auf dem Platz lagern. Manchmal spielen sie Fußball, dann kriegen sie Ärger mit der Gastronomie. Manchmal prügeln sie sich, dann kriegen sie Ärger mit der Polizei. Immer aber betteln sie und beschleunigen damit den Schritt der Passanten.
Heute jedoch beschwert sich einer. Und zwar über das fehlende Fernsehbild zur Fußballübertragung. Eine Dreistigkeit, die mir Respekt abnötigt. Nicht aber dem Bistrobesitzer, der dem erregten zahnarmen Späthippie schließlich mit einem probaten Stilmittel der körperlichen Gewalt (Schubsen) unmissverständlich bedeutet, sich gefälligst zu trollen.
Geduldet werden hier halt nur Konsumenten von Bier und/oder Döner, und da kann der Hippie nicht mithalten. Weil uns zu kalt ist, wechseln wir in der Halbzeit in die „Bar“ um die Ecke. Dort ist es mollig, das Bier sogar billiger, und Obdachlose trauen sich nicht hinein, selbst nicht zum Beschweren.
Auf dem Klo entdecke ich den abgebildeten fußballaffinen Einsatz im Pissoir und frage mich ernsthaft, was Frauen wohl von uns Männern dächten, wenn sie wüssten, wie großartig wir es finden, mit unserem naturgegebenen kraftvollen Strahl einen Ball in ein Tor zu dirigieren.
Gut, ich weiß schon, was Frauen darüber dächten. Doch zum Glück werden sie dank des Titels dieses Beitrags von unserer Marotte nie erfahren.
Wenn du dich vorm Schlafengehen noch mal bei deiner Bank eingeloggt hat, um dir die mutmaßlichen Habenstände deiner insgesamt drei Konten anzuschauen, dann ist die abgebildete Statusmeldung nicht gerade ein Quell großer Freude.
Im Gegenteil: Mir wurde entschieden blümerant. Erst nach einer angemessenen Schockstarre fand ich im anschließenden Adrenalinrausch heraus: Es lag an der üblichen Ausfallzeit zwischen ein und zwei Uhr nachts.
Diese Einrichtung hat mich schon öfter genervt, denn wozu soll Onlinebanking gut sein, wenn nicht zu dem Zweck, es nach Belieben betreiben zu können?
Doch auch online gibt es Schalterstunden, und manchmal kommst du nur in einen Vorraum, wo ein Rechenknecht sitzt und nichts weiß von irgendwelchen Konten, die du angeblich mal hier gehabt haben sollst.
Vielleicht ist die klassische Lagermethode Untermkopfkissenverstecken doch die beste – für die Nerven auf alle Fälle.
Kurzzeitig erwog ich heute den Besuch des Eppendorfer „Frauenflohmarkts“. Einfach nur um herauszufinden, was man heutzutage so zahlen muss für Frauen aus zweiter oder dritter Hand.
Wahrscheinlich ist das aber schlicht zustandsabhängig, wie bei jeder Gebrauchtware. Daher entschied ich mich für eine Veranstaltung um die Ecke, und zwar für das „Rewe Family Sommerfest“ auf dem Heiligengeistfeld.
Dort war es sehr voll und sehr merkwürdig. Adipöse Familien liehen sich am Eingang Bollerwagen, um sie dann an diversen Verkaufsständen mit riesigen 5-Euro-Tüten Crunchips, Milramjoghurt, Caprisonne oder Cappuccinopaketen zu füllen.
Um der Herausforderung auch kräftemäßig gewachsen zu bleiben, mümmelten sie zwischendurch an Fressständen Bratwürste für einen Euro das Stück. All das sicherte zweifellos generationsübergreifend die Dauerhaftigkeit ihrer Adipositas, und das trug zu großer Zufriedenheit bei.
Meine Welt war das dennoch nicht. So trollte ich mich bollerwagenlos zum Schlachthofflohmarkt, wo ich einen Stapel vermeintlich seltener und perfekt erhaltener Laserdiscs für 1,60 Euro das Stück erstand, obwohl ich nicht einmal ein Laserdiscabspielgerät besitze.
Ich hielt den Deal dennoch für ausgesprochen pfiffig, doch zu Hause musste ich feststellen: Bei Ebay sind diese Scheiben Ladenhüter. Selbst für einen Euro wird man sie nur noch im Glücksfall los.
Vielleicht wäre der Eppendorfer Frauenflohmarkt heute doch die bessere Alternative gewesen.
Ausgerechnet die altehrwürdige Laeiszhalle (Foto), ein Konzerthaus in vollem Stuck- und Kronleuchterornat, inspirierte mich heute zu urinalen Gedanken.
Es passiert kurz vor Beginn des Cat-Power-Konzertes, als ich im Herrenklo auf eine freie Kabine warte und etwas Zeit habe, über die Bedingungen des Stehpinkelns nachzudenken.
Pissoirs sind in hygienischer Hinsicht nämlich suboptimal, Näheres später. Ich jedenfalls benutze sie deshalb nur im Notfall und gehöre damit zu einer belächelten Minderheit. Selbst wenn meine Geschlechtsgenossen alle Urinale belegt vorfinden, verschmähen sie oftmals die verlockende Infrastruktur einer Kabine und stehen im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte lieber Schlange vorm Pinkelbecken.
Dabei sind die – wie erwähnt – hygienisch gesehen nicht der Weisheit letzter Schluss. Zwar ist es problemlos möglich, sich nach ihrer Nutzung am Waschbecken die Hände zu säubern, doch wie steht es um jenes Körperteil, dessen Berührung ja gerade das Säubern der Hände erforderlich machte?
Für eine entsprechende Behandlung des männlichen Körperzentrums stellen Urinal und sein Ambiente keinerlei Utensilien zur Verfügung. Frauen machen sich davon wahrscheinlich gar keine Vorstellung, doch der User des Urinals ist zurückgeworfen auf ein mittelfrequentes, aber aus Gründen des Selbst- und Nachbarschaftsschutzes nicht gar zu dolles Schütteln a posteriori.
Das hat allerdings kaum mehr als ein grobes Abtropfen zur Folge. Papier oder gar ein säubernder Wasserstrahl (dessen Zielgenauigkeit eh nicht zu garantieren wäre) stehen am Urinal nirgends zur Verfügung, und in dieser Hinsicht ist das Laeiszhallenklo keinen Deut besser als das stille Örtchen einer Kaschemme wie dem Windjammer in der Davidstraße.
Nein, an jedem verdammten Pissoir ist man alternativlos angewiesen aufs Wegstecken und -gehen, mit doofen Konsequenzen für die Innenseite der Unterhose. „Da hilft kein Schütteln und Klopfen“, weiß schon der Volksmund, „in die Hose geht der letzte Tropfen“ – und recht hat er.
Ja, und deshalb warte ich stets geduldig auf eine freie Kabine, auch in der Laeiszhalle, bevor Cat Power „The dark end of the street“ singen wird, einen meiner ewigen Lieblingssongs.
Jetzt geht eine Tür auf. Ein drahtiger Mann kommt heraus – und hetzt ohne Waschbeckenstopp zum Ausgang, zu Cat Power. Abgezogen hat er auch nicht.
Irgendwie habe ich das Gefühl, er wäre für meine Überlegungen zum Urinal nicht besonders offen gewesen.
Heute Abend treffe ich mich mit dem Stilterroristen GP im Hamburg City Beach Club. Ich weiß, er hasst Kurzarmhemden, deshalb suche ich den Kleiderschrank danach ab und werde schließlich hinten links fündig.
In ganzer karierter Kurzarmhemdpracht tauche ich im Beach Club auf. Ein voller Erfolg. Mein Anblick führt bei GP zu einem ästhetisch induzierten Schock, den er mit gespielter Agilität und einem mühsam inszenierten Grinsen zu übertünchen versucht. Erst die eilends beschaffte Currywurst, in die er temporär starren kann, löst seine Verkrampfung halbwegs.
Dann tritt der Schlagerveräppeler Alexander Marcus auf. In einer rosa Hose singt er „Papaya“ – eine Performance, die GP mit nicht abreißendem Carlsbergnachschub vergleichsweise souverän zu überstehen weiß.
Um meinen Anblick halsabwärts zu meiden, stiert er mir blinzellos in die Augen wie ein Replikant und versucht das Gespräch auf seinen geplanten Fitnessclubeintritt zu lenken. Ich soll ihn werben dürfen.
Seine ersten laienhaften Fragen beschäftigen sich aber nicht mit den angebotenen Kursen, der Sauberkeit der Sauna oder den Knackärschen der geilen Trainerinnen, nein: Er will wissen, was man anziehen muss beim Trainieren.
Kurzarmhemden, sage ich. Man darf nur in Kurzarmhemden trainieren. Er erstarrt und springt in die Elbe.
Zumindest in einer idealen Welt wäre das so abgelaufen, doch ich erzähle ihm irgendetwas von Indoorsneakers, Shorts und T-Shirts, und dann holt er auch schon das nächste Carlsberg, während Alexander Marcus bei „Ciao ciao bella“ angekommen ist.
Ja, das Leben kann so schön sein an einem Sommerabend am Elbstrand in der besten aller Städte und im Kurzarmhemd.
Tagsüber, zumal in greller Sonne, haben die Seitenstraßen des Rotlichtviertels etwas Narkoleptisches.
Nichts erinnert an die Ausgelassenheit der Nacht. Doch alles dämmert ihr entgegen, auch der schlecht frisierte Herr auf der Treppe des Albers-Ecks.
Blau umrahmt liegt er völlig blau da, mit vollgepisster Hose. Eine kleine aus ihm herausgelaufene Lache hat bereits vorwitzig die Erkundung der mittleren Stufe begonnen, doch sie wird längst eingetrocknet sein, wenn das Albers-Eck abends versucht, seine Pforte zu öffnen.
Momentan wäre das schlecht möglich, denn die Tür geht nach außen auf, und dort liegt barriereartig der undichte Herr.
Über ihm an der Scheibe hängt ein Zettel. Er sagt mit drei Ausrufezeichen: „Keine Rosenverkäufer!!!“
Doch der Schläfer kann beruhigt sein. Er hat nichts zu verkaufen, erst recht keine Rosen.
Der Komiker Vince Ebert grenzt in einem sehr verdienstvollen Sketch ein für alle Mal Wissenschaft, Religion und Esoterik voneinander ab – und zwar mit verblüffend einleuchtender Hilfe von Gerstensaft.
Das geht sinngemäß so:
Der Wissenschaftler vermutet, im Kühlschrank sei Bier, und schaut nach. Der Theologe dagegen vermutet, im Kühlschrank sei Bier, und basta. Der Esoteriker schließlich vermutet, im Kühlschrank sei Bier, er schaut nach, findet nichts – und behauptet trotzdem weiterhin, im Kühlschrank sei Bier.
Dazu passt das heutige Foto fast wie der Deckel unters Glas, entdeckt an der Fassade von „Angie’s Bierkeller“ in der Kastanienallee.
Der Franke (Foto) macht die schlechtesten Witze der Welt, sie sind sogar schlechter als die von Karl Dall. Zum Glück vergisst man sie dank einer von der Evolution weise eingerichteten Kurzzeitgedächtnisblockade sofort wieder, anders wäre das auch gar nicht auszuhalten.
Allerdings kann ich genau deswegen kein einziges Beispiel beibringen. Egal. Jedenfalls reißt er manchmal etwas, was in seiner Welt als Witz durchgeht, und das wäre sogar noch halbwegs erträglich, wenn er es nicht auch noch abschlösse mit dem dröhnendsten Lachen weltweit. Es ist sogar noch dröhnender als das von … mir fällt echt niemand ein.
Auf diese miesen Witze mit ihrem dröhnenden Abschluss kann man keineswegs anders reagieren als mit vollverquälter Säuerlichkeit, die man an einem guten Tag in ein außerordentlich mühsam inszeniertes Höflichkeitsgrinsen zu pressen vermag. Diese mimische Kraftanstrengung soll ausschließlich und bedingungslos dazu führen, dass der Franke augenblicks das Thema wechselt und nicht länger auf der soeben produzierten Hochnotpeinlichkeit herumreitet.
Doch genug ist nie genug, das gilt dem Franken beim Essen genauso wie beim Witzereißen. Regelmäßig nämlich thematisiert er mein heroisch hervorgewürgtes Qualgrinsen – keineswegs aber in der Form, dass er mir auf Knien dankt für diesen Freundschaftsbeweis; nein, er missdeutet meine Reaktion in grotesker Wirklichkeitsverzerrung als „Humorlosigkeit“. Eine Interpretation, die er mit dröhnenden Hohnlachen abzurunden weiß.
Kurz: Es gibt keinen Ausweg. Man muss seine Witze einfach mit jener Duldungsstarre überstehen, die sonst nur noch bei einer Wurzelbehandlung erforderlich ist. Warum ich trotzdem heute einen ganzen Tag mit dem Franken am Strand von Travemünde verbrachte, frage ich mich schon.
Wahrscheinlich lag es an der mildernden Gesellschaft von JV, die das Frisbeespielen weitaus besser beherrscht als das Trinken. Was aber nichts heißen will.