23 Juni 2011

Und am Abend Morning Glory



Weil St. Pauli ein Ort und vor allem ein Hort der Gegensätze ist, hat hier auch ein Luxushotel wie das in heimelig schummriger Backsteingrobheit gestaltete East seinen Platz – übrigens schräg gegenüber einer Absackerkneipe von geradezu stereotypischer Kiezhaftigkeit.

Ich bin immer wieder gern im East und hatte mich für die sogenannte Küchenparty angemeldet. Hierbei ist den Kunden nicht nur der Gastraum des Restaurants zugänglich, sondern auch das Allerheiligste, die Küche. Man steht also dort herum zwischen Woks und Welsfilets, zwischen Spülmaschinen und Gasflammen, und stört die gleichwohl gutmütig lächelnden Köche bei der Arbeit, was sie nicht davon abhält, uns unablässig Köstlichkeiten zuzuschanzen.

Der Küchenälteste ist Julius, ein jungenhaft wirkender Thailänder von Mitte 50 und handelsüblicher Schmächtig- und Drahtigkeit, dem man irgendwann vor Urzeiten wegen akuter Unaussprechlichkeit seines Originalnamens diesen klangvollen, wellenförmig verlaufenden Dreisilber verpasst hatte. Jetzt ist er sogar auf seiner Küchenschürze eingestickt.

Während Julius Entenstreifen mit einem Gemüse namens Morning Glory kombinierte („Wächst nur in Thailand zwischen 5 und 6 Uhr abends“, erklärte Julius, was immer das bedeuten mag), erzählte er Ms. Columbo und mir von seinen 30 Jahren Küchenhopping quer durch die Republik.

Die in diesem nomadenhaft angelegten Beruf erforderliche Mobilität hielt Julius von jeder festen Bindung fern. „Ich bin Single!“, strahlte er mit der Grundzufriedenheit dessen, der nichts vermisst, so lange er tagein, tagaus Woks mit Morning Glory füllen kann.

Meine Anmeldung bei der Küchenparty bedeutete übrigens Pi mal Daumen 4000 Kalorien Unterschied. Denn eigentlich hatte mich Chris, der Schlächter, im Fitnessstudio erwartet (- 2000); stattdessen empfingen mich freudig Julius & Co. (+ 2000). Das Sushi, welches sie dort kreieren, ist, nebenbei bemerkt, nicht irgendeins, sondern circa das beste der Welt, wenn nicht von ganz St. Pauli – so weit einer wie ich das beurteilen kann, der in Japan noch keins gegessen hat.

Dazu servierten deutsche Winzer Kreszenzen von famoser Passgenauigkeit. Einer hielt gar edelsüße Köstlichkeiten bereit, deren Dessertkompatibilität natürlich unverzüglich getestet werden musste. „Für jede verpasste Trockenbeerenauslese“, ermunterte ich Ms. Columbo in Anlehnung an Harry Rowohlt, der das Ganze allerdings auf Kalauer gemünzt hatte, „wirst du dich nämlich dereinst vor deinem Schöpfer verantworten müssen.“ Immerhin brachte ich sie so zum Nippen.

Übrigens bin ich noch immer nicht in der Lage, mithilfe handelsüblicher Essstäbchen eine befriedigende Relation aus Essmengenzufuhr und Zeitaufwand zu erzielen. Das Sushi führe ich mir daher gerne manuell oder per Besteck zu – bei Gelegenheit auch unter Zuhilfenahme der hier abgebildeten Konstruktion, welche das East dankenswerterweise alternativ parat hielt.


Sie besteht aus zwei erfreulich breiten und verehrungswürdig flachen Stöckchen, die zudem auch noch am Schaft unter Spannung zusammengesteckt sind, so dass man sie bedienen kann wie eine strunzdumme Zange.

Und ehe jetzt irgendjemand glaubt, auf eine bestimmte Idee kommen zu müssen – lassen Sie sie stecken: Ich nenne diese Dinger nämlich selbst so. Deppenstäbchen.

4 Kommentare:

  1. Lieber Matt, es wird Sie sicherlich erfreuen zu hören, daß der Japaner an sich Sushi nicht mit Stäbchen zu sich nimmt. Dies ist eine europäische Variante, die sich eingeschlichen hat, weil jeder hippe Backpacker (sic) unbedingt seine Asiaphilie zu beweisen suchte.

    In Japan werden Sushi mit der Hand in den Mund gestopft – das allerdings führte hierzulande zu eher negativen Reaktionen (weswegen ich es mit großer Begeisterung vorführe).

    AntwortenLöschen
  2. Das mache ich auch! Und bin somit (mal wieder) ganz weit vorne dabei.
    Ich glaube, ich werde Sie als meinen Mentalcoach einstellen.

    AntwortenLöschen
  3. Das sollten Sie dringen, wenn Sie schon vergessen haben, daß Sie das bereits längst getan haben.

    AntwortenLöschen
  4. Ach, hab ich schon? Das liefert eine plausible Erklärung für manche Merkwürdigkeit der vergangenen fünf Jahre.

    AntwortenLöschen