02 Juni 2011

Unclever und Smart



Mit den Worten „Weißt du, wo wir heute Mittag essen gehen?“ stürmt der Franke freudestrahlend mein Büro. „Bei den Due Baristi!“

Ich starre ihn mit einem Blick an, der von außen sicherlich dumpfe Verständnislosigkeit ausdrückt, doch noch ehe ich sagen kann: „Franke, bist du zu allem Überfluss jetzt auch noch geografisch völlig desorientiert? Die Due Baristi sitzen in Eimsbüttel!“, platzt er auch schon mit einer aus Frankensicht genialen Auflösung des Rätsels heraus.

„Wir fahren mit nem Smart von car2go!“, strahlt er so stolz, als hätte er gerade die Mettwurst erfunden, und schon stehen wir in der Bahrenfelder Straße und versuchen dieses idiotische Vorhaben in die Tat umzusetzen. Der Franke nämlich hat sich neulich bei diesem Projekt angemeldet, aber bisher noch keine Gelegenheit gehabt, es auszuprobieren.
car2go heißt: Überall in der Stadt stehen herrenlose Smarts herum, die man mit einer entsprechenden Chipkarte einfach entern, bewegen und irgendwo wieder herrenlos herumstehen lassen kann; bezahlen muss man lediglich die reine Fahrzeit, und zwar mit 29 Cent pro Minute.

Also auf zu den Due Baristi. Der Franke hält seinen Chip an die Scheibe. Allerdings muckt der Smart. Er behauptet via Display, er sei nicht frei. „Gibt’s doch nicht“, flucht der Franke, „wenn er hier herumsteht, muss er auch frei sein!“ Sagt zumindest die Theorie von
car2go. Die Alternative wäre ein Brecheisen, doch zum Glück steht nur zwölf Meter weiter schon der nächste.

Ich halte auf Anweisung des Franken mein iPhone bereit, um vorm Losfahren eventuelle Schäden an diesem Ei auf vier Rädern zu dokumentieren. Ist aber nichts, nur Vogeldreck. Diesmal ziert sich der Smart nicht, die Türen lassen sich öffnen, wir steigen ein. Anschnallen und los geht’s. Sollte es wenigstens.

„Nun gib schon deine PIN ein“, verlange ich mit Blick auf das entsprechende Display vom Franken, denn der Mittagspausencountdown tickt unerbittlich herunter, und die Due Baristi werden schließlich auch nicht gleich springen, nur weil zwei Irre aus Altona mit einem Smart vorfahren und ein schmackhaftes Mittagessen verlangen, aber pronto.

„Äh, welche PIN?“, staunt der Franke, „ach ja, die PIN … Wie war die noch mal?“

Ich starre ihn mit einem Blick an, der von außen sicherlich vorwurfsvollen Spott ausdrückt, doch noch ehe ich sagen kann: „Franke, bist du zu allem Überfluss jetzt auch noch kognitiv völlig desorientiert? Gib endlich hier auf diesem Monitorchen deine car2go-PIN ein!“, patscht er auch schon mit seinen Frankenpranken darauf herum.

Es kommt eine Fehlermeldung.

„Hm, wie war die PIN noch mal?“, sinniert er vor sich hin und startet schon den zweiten Versuch. Fehlermeldung. Auf dem Display steht: „Sie haben nur noch einen Versuch!“ Ich schnalle mich seufzend schon mal ab.

„Ich dachte, ich hätte …“, murmelt der Franke, „… oder habe ich das Geburtsdatum meiner Mutter … Wo könnte ich mir die PIN denn notiert haben … Online müsste ich die doch abrufen können … Oder stehen da nur Sternchen?“

So brabbelt er vor sich und mich hin, während ich mir mit leerem Blick das Treiben auf der Bahrenfelder Straße anschaue. Einen dritten Versuch traut der Franke sich nicht zu. Es ist ein wenig wie in diesen Actionfilmen, in denen sich Bruce Willis immer zwischen dem roten und dem blauen Draht entscheiden muss.

Man
kann in einem solchen Fall natürlich auch einfach weggehen. Wie wir. Und zwar zum asiatischen Bistro gegenüber.

Ich glaube, ich melde mich auch bei Car2go an. Scheint ja ein ganz sinniges Prinzip zu sein – sofern man seine Tassen noch alle im Schrank hat bzw. die PIN im Kopf.

Was ich mir zutraue.


Foto: car2go


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5 Kommentare:

  1. NUR EINEM ZWECK GEWIDMET.

    car2go hat das Ziel, Sie an Ihr Ziel zu bringen. Bitte nutzen Sie die Fahrzeuge nicht zum Aufenthalt ohne Fahrabsicht,

    :-) aus den AGB's

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  2. Ich empfehle ausnahmsweise mal die von mir als "Offline-eBook" auf den Markt geworfene Kurzgeschichte "Das Böse lauert überall". Anderer Ort, gleiche Situation, konsequent bis zum Ende gedacht und aufgeschrieben.

    Ich fühlte mich erinnert und konnte sogar mächtig grinsen. Schön, dass ich nicht nur fantasiere, wenn ich schreibe. Danke :)

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  3. Lieber CeKaDo, die Geschichte hätten Sie hier aber auch einfach mal als Kommentar auf den Markt werfen können! ;)

    Stefan, mir fiele auch ehrlich gesagt nichts ein, was man in einem Smart tun könnte außer fahren …

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  4. Na denn, hier die Rohfassung, die natürlich noch verfeinert unter der ISBN 978-3-8391-2287-7 zu finden ist. In meinen Lesungen ist sie inzwischen ein Muss und im kommenden Hörbuch wird sie vertreten sein. Also denn, hier die Rohfassung von:


    Das Böse lauert überall

    Verdammt, wie war noch mal diese blöde PIN. 2473? Oder 2743? Mist! Ich weiß es nicht mehr. Stehe vor diesem dämlichen Geldautomaten und brauche Kohle. Damit dieser Penner von Kellner im Eiscafe mein Handy wieder rausrückt. Die Anzeige blinkt mich an. 2473. Ganz bestimmt.
    Die Eselbrücke war Weihnachten und mein Geburtsjahr. Ok. Also reingetippt und mit grüner Bestätigungstaste bestätigt. Die Taste ist genauso silbern wie der ganze Automat und grün ist nur die Schrift. Aber ich will mich nicht so anstellen, wie dieser blöde Kellner wegen der fehlenden zweifuffzig.

    "PIN falsch" kreischt mich der stumme Automat an und der Geldschacht grinst mich höhnisch an. Verdammter Dreck!

    War es doch 2743? Siebenundzwanzig Jahre alt ist meine Schnecke und dreiundvierzig ist meine Mutter geboren. Wer merkt sich so einen Mist, um sich seine PIN zu merken? Mannmannmann, vielleicht war es dann doch 7324? Aaaaaaaaah, ich weiß es doch nicht mehr! Ich zertrümmere mir hier das Hirn für diese bescheuerte PIN und hinter mir lauern 30 Gestalten, die sicher alle ihre PIN den ganzen Tag und im Schlaf singen können.

    Also gut: 4372. Eintippen, warten und Himmelherrgottverdammichnochmal! „PIN falsch“. Dieses Monster aus Edelstahl macht mich wahnsinnig. Noch ein Versuch. 2437. Diesmal ist sie korrekt. Ich warte. „Die PIN wurde dreimal falsch eingegeben, Ihre Karte ist gesperrt und wird eingezogen. Vielen Dank.“

    Ich hasse Dich, ich hasse Dich, ich hasse Dich, Du verfluchter Scheißautomat. Gib sofort die Karte wieder her. Ich gebe Dir alle meine Karten zu fressen. Erstick dran, Du Mistvieh. Geh kaputt an dieser Karte, hier. Da, meine Tankkarte. Und sag noch mal „PIN falsch“. Ja friss sie, Du Automatenfresse. Hier, meine Krankenkassenkarte. Und hier, eine Telefonkarte! Friss, Du Sau! Hier, noch eine Karte. Sogar mit PIN drauf.

    Da, nimm sie und stirb! Ja, ich hacke Dir die PIN auch noch in Dein dummes flaches Gesicht.
    Nimm die 2, nimm die 7 und die 4 und die 3. Nimm sie alle und stirb, Du Rattengesicht! Was willst Du? „Bitte Betrag wählen?“

    Oh.

    Ich hatte die neue Karte völlig vergessen.
    Und die Videokamera im Geldautomaten. Aber jetzt ist es auch egal, glaube ich.

    Draußen stehen mindestens drei Streifenwagen und ich habe ein verdammt blödes Gefühl im Bauch.




    Danke für die Aufforderung, es war mir eine Freude!

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  5. Danke gleichfalls! Solche Gefühlslagen sind mir leider auch nicht ganz fremd.

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