26 Mai 2008

Gelegenheit macht Spitzel



Bespitzelung ist längst Volkssport geworden. Jeder belauscht jeden, Lidl die Kassiererinnen, Chefs ihre Angestellten, die Deutsche Stasikom ihre Manager. Ein Riesenerfolg für unseren Bundesinnenminister, der zufrieden seine Saat aufgehen sieht.

Auch bei mir geht sie auf, allerdings unfreiwillig. Neulich saß ich in einem Hotel an einem öffentlichen Computer und wollte mir eine Webseite ausdrucken. Allerdings war das Papier ausgegangen. Auf der Suche nach Nachschub zog ich die Schublade des Rechnertisches auf.

Dort lag zu meinem Ärger allerdings kein leeres, sondern nur bereits benutztes Papier. Hier, an diesem öffentlichen Computer, hatten schon viele ihre Fundstücke ausgedruckt, meist Reisepläne oder touristische Hinweise, und sie dann aus irgendeinem Grund doch nicht eingesteckt, sondern liegengelassen. Wahrscheinlich legten die Reinigungskräfte sie dann immer in die Schublade.

Unter den bedruckten Seiten war auch eine private E-Mail. Als ich sie sah, wurde sofort meine bereits weit fortgeschrittene Schäublisierung evident. Anders gesagt: Mein Blick fiel auf den ersten Satz, und danach musste ich die Mail lesen, komplett.

Verfasst hatte sie ein J. (in diesem Stadium meiner Schäublisierung muss ich so was noch anonymisieren), dessen Vor-, Nachname und Mailadresse ebenso klar aus dem Briefkopf hervorgingen wie jene der Adressatin, einer adligen Dame von klangvollem Geschlecht.

Der erste Satz hieß: „Liebe T., zunächst die Antwort auf Deinen traurigen Brief …“ Oha, dachte ich, so beginnen Romane, Melodramen, Schicksalsgeschichten. Warum nur war T. traurig? Ich entflammte augenblicks vor Neugierde – und erfuhr beim Lesen dieser vergessenen Seite Dinge, die keinesfalls das Licht der Öffentlichkeit hätten erblicken dürfen.

Es ging um eine verbotene Liebe, die heimlich hatte bleiben müssen, weil er, J., auch noch die Pflichten einer Ehe zu erfüllen hatte. Daran war die Affäre schließlich wohl auch zerbrochen, was sie, T., ihm, J., in ihrem Schreiben vorgeworfen zu haben schien.

Dass ich mich an dieser Stelle in eine Vermutung retten muss, liegt an J.s Nachlässigkeit. Er hatte nämlich eine goldene Regel des Mailzeitalters grob verletzt: Zitiere IMMER den Text, auf den du antwortest! Vielleicht aber hatte es sich bei der Nachricht von T. auch um einen echten, sicherlich handverfassten Brief gehandelt, niedergeschrieben auf Bütten aus dem Erbe derer von K. Doch ich schweife ab …

J. jedenfalls erwähnte den emotionalen Spagat, den er „offensichtlich vergeblich“ versucht habe und beklagte sich dann in bewegenden Worten über T.s mangelndes Einfühlungsvermögen. „Vielleicht kannst Du meine Seelenängste ueberhaupt nicht verstehen, nur Deine?“, barmte er, um sodann emphatisch ein „Ich kann das nicht glauben!“ hinterherzuschieben.

Alles in allem handelte es sich ohne jeden Zweifel um eine Mail, deren Missbrauch hochnotpeinliche Situationen heraufbeschwören könnte, für J. und für T.

Jener unschöne Rest in mir, der noch nicht schäublisiert ist, zwang mich deshalb, die Mail zu konfiszieren und somit den Augen der Öffentlichkeit zu entziehen. Wahrscheinlich liegt unserem Innenminster sowieso eine Kopie der kompletten Korrespondenz vor.

Über Google habe ich J. übrigens sehr leicht gefunden. Ich weiß, wo er wohnt, wo er arbeitet, mit was er sich beschäftigt.

Ich sollte ihm den konfiszierten Ausdruck zuschicken. Schließlich gehört er ja ihm und nicht mir.


PS: Das Hotel lag übrigens nicht weit entfernt von der abgebildeten Blume.

13 Kommentare:

  1. eine gute entscheidung die mail zu konfizieren.

    die blume ist klasse. ein gutes foto welches sich von den "üblichen" fotos
    angenehm abhebt.

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  2. Das Foto finde ich auch sehr geglückt. Steht die Blume da, weil Touristen dieses Hotel sonst nicht (wieder-)finden bzw. nicht erkennen ?
    Oder ist das solch ein Dreisterne-"love"-Hotel, wo man sich heimlich trifft ?
    Das könnte diese dramatische e-mail von J. an T. erklären. Sie ist nicht zum heimlichen Treffen an der Nordsee erschienen.
    Und er macht sich immerhin Gedanken und gibt sich Mühe.
    Wahrscheinlich hat Sie dort einen Brief hinterlassen.
    Lieber J., wenn du das hier liest, dann bin ich schon...
    Lasse es mich Dir erklären...
    Hey, das ist ja fast Casablanca in St. P. - sozusagen Peterblanca.

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  3. Nun, die Blume befindet sich nicht in UNMITTELBARER Nähe, hat also mit der Geschichte wahrscheinlich nichts zu tun. Aber Ihre Fantasien sind unterhaltsam. Weiter so!

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  4. Die Blume ist bestimmt genmanipuliert und macht mir Angst!
    Wahrscheinlich verspeist sie jeden Tag drei bis vier Strandspaziergänger...

    Was mich aber noch mehr beschäftigt: Was ist nur aus J. und T. geworden?? Warum ist die Liebe gescheitert? Ja muss denn alles immer so unglücklich ausgehen? Gibt es denn gar keine Happy Ends mehr heutzutage??

    Können Sie da nicht mal anrufen und nachfragen? So ganz dezent..

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  5. Eigentlich fällt das in den Aufgabenbereich einer Praktikantin, meinen Sie nicht?

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  6. Eigentlich schon.
    Aber ich bin immer zu emotional, während Sie total kühl und beherrscht bleiben, was bestimmt der Sache dienlich wäre.
    Außerdem haben SIE die Email gefunden und auch gelesen...

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  7. Na, na, jetzt mal nicht kneifen. Ich maile Ihnen die Nummer …

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  8. Wie klingt denn so ein klangvolles (weibliches) Geschlecht?

    (Ich frage den Musikjournalisten, also schieben Sie das nicht wieder auf die Praktikantin).

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  9. Ha ich habe Ihre Falle erkannt! Da tappe ich nicht hinein!

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  10. Sehr löbliches Vorgehen von Ihnen. Ich hatte kürzlich das Vergnügen, in einem Hotel zu übernachten, in dem ein iMac bereitstand. Die eingebaute Kamera konnten die Vorbewohner noch bedienen, den Papierkorb allerdings haben sie nicht gefunden und mir so delikates Bildmaterial hinterlassen (ausführliche Berichterstattung hier). Ich habe das Bild selbstredend ordnungsgemäß gelöscht.

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  11. Herr Matt,
    was haben Sie dort eigentlich gemacht ?
    Aber wahrscheinlich geht das niemanden etwas an. 8-)

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  12. Bosch, Sie hätten es auch mit Augenbalken verbloggen können, ja müssen! Chance vertan …

    Olaf, Sie haben es erfasst.

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  13. Noch einmal kurz zu Peterblanca und dem darin verborgenen Drama zwischen J. und T.

    Er - also J. - könnte ihr noch mailen:
    "Uns bleibt immer St. Peter-Ording."

    Vielleicht liest er das hier ja.
    Ist ein Tip. Das kommt bestimmt gut an bei T.

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