18 Mai 2006

Wie ich mal die Steuerzahler entlastet habe

Was ist denn los? Warum geht es nicht weiter? Seit fünf Minuten steht der Bus an der S Reeperbahn, und mir dämmert das erst allmählich, weil ich auf den Ohren den alten Al Green habe und vor den Augen ein Buch. Ich blicke auf.

Vorn diskutiert ein massiger Mann afrikanischer Prägung erregt mit dem Fahrer. Eine Einigung scheint fern. Der Fahrer ist offenbar nicht gewillt loszufahren, solange der lautstarke Diskutant sich nicht trollt. „Steigen Sie aus!“ schallt es durch den Bus. Der so unfein schroff Aufgeforderte aber denkt nicht im Traum daran, sondern kommt jetzt den Gang herunter und setzt sich schräg hinter mich.

Zu einer Lösung der Lage trägt diese Entscheidung freilich nicht bei, denn der Fahrer stellt den Motor ab und nestelt an seinem Funkgerät. Offenbar ist er zu dem Schluss gekommen, externe Hilfe sei opportun. Immerhin ist die Davidwache (Foto) nah, da könnte in Bälde ein wirksamer Eingriff der Exekutive erfolgen.

„Was ist denn los?“ frage ich den Herrn hinter mir. Froh über ein offenes Ohr, dem er sein Leid klagen kann, erläutert er, sich im Besitz einer Tageskarte zu befinden – und es stimmt, er hält sie mir hin –, die nach Aussage des für den Verkauf zuständigen Schaltermenschen auch für diesen Bus hier Gültigkeit besäße. Doch der Fahrer sei uneinsichtig, ja geradezu renitent. Dieser Bürokrat, führt er sinngemäß weiter aus, habe seiner Auslegung der Tageskartenfunktion gänzlich unaufgeschlossen gegenübergestanden und ihm als Alternative in recht deutlichen Worten den Kauf eines zusätzlichen Tickets anempfohlen. Kostenpunkt: einszwanzig.

Dies hält mein Nachbar weiterhin für inakzeptabel. Schließlich habe er zum einen eine gültige Tageskarte und andererseits zehn Cent zu wenig in der Tasche.

Hm, mir schwant ein Polizeieinsatz, mir schwanen schreiende Menschen, über Muskeln sich spannende Uniformen, ich höre vor meinen geistigen Ohr das silbrige Klirren von Handschellen, sehe Tränengasschwaden, es droht eine Gefährdung des öffentlichen Personennahverkehrs, ich sehe Verhaftung, Abschiebung, eine zerrissene Familie und schließliches Dahindämmern in den Slums von Kinshasa oder Ouagadougou … Und alles nur wegen einer fehlenden Münze, der viertkleinsten überhaupt.

Während der Fahrer vorne offenbar im Begriff ist, eine erfolgreiche Funkverbindung zur Einsatzleitung herzustellen, offeriere ich dem Mann zehn Cent, zunächst in Form einer Ein-Euro-Münze, die er mit einem Wort des Dankes auch annimmt. Damit stapft er ungebrochen verärgert nach vorne und legt wortlos seinen und meinen Euro dem Fahrer hin. Der beendet den Funkkontakt, ratscht – ebenfalls stumm – ein Ticket aus dem Automaten, zählt das Wechselgeld ab, und der Mann steckt es samt Ticket still ein, stapft durch den Gang zurück und gibt mir 90 Cent zurück. Der Bus fährt los, alles ist gut.

Wäre man Haushaltsexperte im Fachbereich polizeiliche Einsatzkräfte, könnte man wohl leicht ausrechnen, wieviele Steuern die Stadt Hamburg just durch die Investition einer Zehn-Cent-Münze zur richtigen Zeit am richtigen Ort gespart hat.


Die Rendite ist jedenfalls atemberaubend. Schade, dass ich bei privaten Finanzgeschäften dagegen immer auf die Schnauze falle.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs von Al Green
1. „Love is a beautiful thing“
2. „I can't stop“
3. „Call me“

6 Kommentare:

  1. Wirklich bemerkenswert, mit welch heroischem Einsatz Du den Deutschen Steuerzahler vor einer nicht unerheblichen Ausgabe bewahrt hast. Meine Bewunderung für Deinen uneigennützigen Einsatz im Dienste der Menschheit steigt beinahe täglich, vom Unterhaltungswert wollen wir dabei gar nicht mal sprechen... :-)

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  2. Und alles nur, weil ich rechtzeitig am Schreibtisch sitzen wollte … Wenn auch noch ein Plätzchen im Himmel dabei rausspringt: Warum nicht? ;-)

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  3. Jaja, das ist schon beeindruckend. Selbst Judas wollte immerhin 30 Silberlinge haben - was sind da 10 Cent für ein bisschen Unterhaltung und eine atemberaubende Rendite.
    Meine privaten Finanzgeschäfte laufen zur Zeit übrigens ähnlich schlecht wie Deine. Zeit, dass Wochenende wird. Höchste Zeit. Ich treffe vielleicht noch eine bedürftige Seele am Bahnhof, man kann nie wissen. 10 Cent habe ich auch noch. :-)

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  4. Nur so können Polizisten arbeitslos werden. Mit Hilfe mehr oder minder zufälliger Sabotageakte durch Blogger, getarnt als spontane Hilfeleistung.

    Ich befürchte mal, Dir wird heute Nacht die Staatsmacht die Tür eintreten und Dich verhaften, um den herben Verlust auszugleichen.

    Menschlichkeit ist doch heutzutage nur noch was für Staatfeinde und Irre.


    *Ende der Glosse*


    btw: Gab´s einen Anfang?

    Ich geh jetzt meine Wohnungstür von innen vernageln....

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  5. Es ist imvho absolut legitim, gutes zu tun und darüber zu reden. Ich würde Deine Aktion auch nicht rein monetär betrachten wollen. Jeder Cent Zivilcourage ist Gold wert. Beim nächsten Mal wirst Du den Stadtwerken sicher eine Rechnung schicken über die X-minütige Verspätung am Arbeitsplatz. Vielleicht sind die Mitreisenden auch dabei. Dann sind das X-Rechnungen, die weit höher ausfallen, als die 10 Cent, die der engstirnige Busfahrer, der wohl mit engstirnigen Regelungen arbeiten muß, reklamierte.

    Ich befürchte, öffentlicher Druck wird zunehmend auf diesem einfachen, praktischen Weg funktionieren. Aber ich schweife wieder ab ;-).

    Es bleibt das Kompliment, Monsieur!

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